Politik

Dieses Stiftungsprojekt hat erforscht, was Jugendliche wirklich wollen

Ein großer Raum mit Tischen in Hufeisenform. In dem Projekt Jugend entscheidet der Hertie-Stiftung lernen Kommunen, mit Jugendlichen zu arbeiten

Jugendliche sollen Politik lernen. Das ist etwas verknappt die Idee hinter “Jugend entscheidet”, einem Projekt der Hertie Stiftung. Kinder und Jugendliche in zehn Kommunen haben dafür im vergangenen Jahr bei sogenannten Themenwahl-Veranstaltungen die Dinge vorgestellt, die sie beschäftigen. Mehr Sportplätze, bessere Ausstattung von Schulen, weniger Alkoholiker auf dem Schulweg.

Einen Tag lang haben sie diese Themen diskutiert und darüber abgestimmt. Am Ende haben zehn Vorschläge den harten demokratischen Prozess der Jugendlichen überlebt. Die Profis aus der Politik haben diese zehn mitgenommen, um sie zu konkreten Projekten auszuarbeiten. 

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Ab Ende September werden die Jugendlichen erneut über konkretisierte Vorschläge abstimmen können – und sollen so erleben, wie Kommunalpolitik funktioniert, wie Demokratie funktioniert und dass sie selbst vollwertige Mitglieder der Gesellschaft sind. Im Dezember beginnt dann schon die nächste Ausschreibung.

Wir haben mit Hannah Beitzer gesprochen, der Projektverantwortlichen von “Jugend entscheidet”. 


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VICE: Warum braucht es euch, um Jugendliche zu motivieren, sich politisch zu engagieren?
Hannah Beitzer:
Es geht gar nicht so sehr darum, dass wir Jugendliche motivieren wollen. Unser Programm richtet sich viel eher an die Kommunen. Wir wollen ihnen beibringen, wie sie Kinder und Jugendliche gewinnen und in politische Prozesse einbinden können.

Das ist doch für Kommunen super viel Arbeit. Warum sollten sie das wollen?
Weil Jugendliche sich nicht nur mit Themen beschäftigen, die ausschließlich sie betreffen. Umweltschutz ist zum Beispiel ein großes Thema. In zwei der Kommunen haben sich die Jugendlichen Baumpflanzaktionen gewünscht. Das klingt jetzt vielleicht nach Symbolpolitik und süßem Aktionismus, aber die meinten das richtig im Sinne einer Aufforstung, weil die Wälder in ihren Regionen von Klimawandel und Borkenkäfern stark angegriffen sind. 

Fridays For Future gibt es ja schon. Welchen Mehrwert bringen die jungen Perspektiven noch?
Es geht ihnen viel um den öffentlichen Raum. Jugendliche wünschen sich Orte, an denen man sein kann, ohne konsumieren zu müssen oder beaufsichtigt zu werden. Teilweise sind ihre Vorschläge natürlich stark an ihren Interessen orientiert, aber an anderer Stelle ging es etwa auch um mehr Bänke an der Promenade. Oder darum, dass eine Straße besser beleuchtet werden soll, damit man sich sicherer fühlt. Oder dass ein Ort sauberer sein sollte. Ein Bürgermeister meinte mal scherzhaft, dass er sich bei den Forderungen der Jugendlichen an die der Senioren erinnert fühle.

Weil Jugendliche wie Senioren einfach die Zeit haben, um auf der Bank rumzusitzen?
Klar, bei den Erwachsenen dreht sich das Leben eher um Arbeit, einkaufen gehen oder Konsum. Trotzdem wollen auch diese Leute am Wochenende rausgehen. Und wenn es Orte gibt, an denen man sich gerne aufhält, wo sich Menschen treffen können, dann ist das für alle ein Gewinn.

Ist es nicht so, dass vor allem Streber bei solchen Sachen mitmachen und dann nur ihre Streberthemen mitbringen, neue Büchereien oder so?
Es gibt schon einen Überhang an Gymnasiasten. Aber nicht ausschließlich. Es hängt immer davon ab, wie die Jugendlichen gewonnen wurden. In Neu-Ulm zum Beispiel lief das vor allem über ein Jugendzentrum und da kamen dann auch viele mit einem ganz anderem Hintergrund. Bei Jugendlichen, bei denen zu Hause kein Deutsch gesprochen wird, kamen in unseren Veranstaltungen eher Forderungen nach Fußballplätzen als nach Umweltschutz. Aber niemand hat sich bisher eine neue Bibliothek gewünscht, dafür sind quer durch alle Gesellschaftsschichten Pumptracks total beliebt. Wobei wir auch nichts gegen Bibliotheken hätten!

Gibt es denn Ärger zwischen den Gymnasiasten und den anderen, wenn sie so unterschiedliche Interessen haben?
Es geht auch darum zu lernen, wie Demokratie funktioniert. Die Jugendlichen streiten teilweise sehr leidenschaftlich für ihre Sache und es gehört zu der Erfahrung dazu, dass nicht alle Vorschläge angenommen werden. Es kam auch schon vor, dass die Jugendabteilung der örtlichen Feuerwehr kam und dann für ihre Interessen eine viel stärkere Position hatte als die, die alleine kamen. Für die fühlte sich das erst mal unfair an. Aber auch das gehört dazu. Die Jugendlichen sollen lernen, dass es sinnvoll ist, sich mit anderen zusammenzuschließen, um die eigenen Interessen durchzusetzen. 

Das klingt schon harmonisch.
Jede Themenwahl-Veranstaltung ist anders. Es kommt immer darauf an, welche Art von Jugendlichen kommt. Bei manchen sitzen alle ganz brav da und melden sich, wenn sie etwas sagen wollen, bei anderen geht es wild zu, es wird geschrien und rumgerannt und auch gestritten. Wir wissen vorher nie, welche Jugendlichen zu den Veranstaltungen kommen.

Was macht dir persönlich mehr Spaß?
Ich finde es einfach schön, dass ich morgens um 9 Uhr nie weiß, wie der Tag um 17 Uhr enden wird. Und dass es oft die Erwachsenen sind, die nach so einem Tag nicht mehr können. Die Jugendlichen könnten ewig weiter für ihre Sache streiten.

Wie kommen die Jugendlichen zu euch?
Wie die Kommunen die Jugendlichen aktivieren, liegt bei ihnen. Einige Bürgermeister haben zum Beispiel ganz klassisch Briefe geschickt. Auf Social Media haben wir hingegen kaum Jugendliche erreicht. Da haben die Jugendlichen teilweise auch ein falsches Bild von sich selbst. Man erreicht die Jugendlichen vielleicht digital, aber damit hat man sie noch lang nicht gewonnen. Es braucht meistens schon noch eine analoge Ansprache, um sie zu motivieren, wirklich teilzunehmen. Sei es durch Lehrer, Eltern oder eben einen Brief.

Warum findet das nicht einfach im Rahmen des Unterrichts statt?
Uns ist wichtig, dass die Beteiligung freiwillig ist. Im Rahmen des Unterrichts, so dass die Jugendlichen nicht wegkönnen, würde das keinen Sinn ergeben. Wir würden ja auch Erwachsene nicht zwingen, sich politisch zu beteiligen. 

Unterstützt ihr die Kommunen dabei, Jugendliche zu motivieren?
Das eigentliche Ziel von “Jugend entscheidet” ist, dass die Kommunen lernen, Jugendliche einzubinden. Es geht uns nur mittelbar um die Jugendlichen und mehr darum, dass die Politiker verstehen, wie sie Jugendliche an- und mit ihnen sprechen. 

Also lernen die Politiker Jugendslang, “cringe” und “dope” und “mega”?
Das wäre albern. Aber die Politiker sollen versuchen, auf Augenhöhe mit den Jugendlichen zu sprechen. Und ohne diese Verwaltungssprache. Was ist denn eine Gemeindeverordnung? Das wissen ja sogar die meisten Erwachsenen nicht. Außerdem wollen wir Missverständnisse abbauen, die Politiker oft im Umgang mit Jugendlichen haben, die sich politisch engagieren.

Was für Missverständnisse?
Wenn Erwachsene sich überlegen, wie sie sich jugendliches Engagement wünschen, dann gehen sie zu sehr von sich aus. Dann überlegen sie sich, “wir haben einen Gemeinderat, also soll es einen Jugendrat oder ein Jugendparlament geben, in dem wir für die nächsten Jahre feste Ansprechpartner haben, mit denen wir zusammenarbeiten können.” Das klappt aber nicht.

Warum?
Jugendliche engagieren sich selten langfristig in solchen Gremien. Und das ist nicht ihr Fehler, sondern einfach logischer Teil der Jugend. Ein 12-Jähriger hat andere Bedürfnisse als ein 15-Jähriger und ein 17-Jähriger hat gerade seine erste Freundin und will mit nichts mehr etwas zu tun haben. 

Und wie wollt ihr das nun umgehen?
Das ist nicht unsere Aufgabe, sondern die der Kommunen. Denen wollen wir zeigen, dass es sich lohnt, über alternative Formen nachzudenken. Jugendliche engagieren sich zum Beispiel themenbezogen, siehe Fridays for Future. Kommunen könnten überlegen, bei welchen Themen sie Jugendliche gezielt einbinden. Oder auch über diese Themenwahl-Veranstaltungen, bei denen Jugendliche einmal im Jahr zusammenkommen, um ihre Ideen und Wünsche vorzustellen, demokratisch darüber verhandeln und der Politik zur Umsetzung mitgeben. Wie genau eine Kommune nun ihre Jugendlichen einbinden will, muss sie selbst entscheiden. Vielleicht ist bei manchen ja doch der Jugendrat die beste Option?

Was sind denn die Themen, die Jugendliche in euren zehn Kommunen vereinen?
Die Themenblöcke sind immer ähnlich. Es geht viel um den öffentlichen Raum – für alle und für Jugendliche. Und das ist ja auch logisch, Jugendliche sitzen oft den ganzen Tag in der Schule. Da wünschen sie sich Orte, wo sie zusammen sein können, ohne beaufsichtigt und erzogen zu werden. Dann immer Umwelt in irgendeiner Form, ob es weniger Müll im Wald ist oder eben die Aufforstung. Verkehr taucht auch immer wieder auf.  Die meisten Kommunen sind im ländlichen Raum. Da fragen die Jugendlichen, wie sie Orte erreichen können, ohne dass ihre Eltern sie fahren müssen. 

Und die regionalen Unterschiede?
Manche Sachen sind natürlich sehr speziell. In einer Kommune wünschten sich mehrere Kleingruppen eine Suchtklinik. Das können Kommunen natürlich nicht realisieren. Aber die Leute haben erzählt, dass in Schulnähe immer viele Alkoholiker sitzen. Und auch das ist ein Gewinn unserer Veranstaltungen: Selbst wenn es nicht in ihrer Macht liegt, eine Suchtklinik einzurichten, müssen Kommunen so etwas trotzdem mitnehmen und ändern. Auch so lernen die Jugendlichen, dass sie politischen Einfluss haben.

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