Nach dem Ständerat hat nun auch der Nationalrat am vergangenen Freitag mit grosser Mehrheit das Nachrichtendienstgesetz gutgeheissen. Es hat sich bereits eine Formation gebildet, unter anderem bestehend aus Vertretern der Juso, der Grünen und der SP, die mit Organisationen wie der Digitalen Gesellschaft und der Piratenpartei die 50’000 erforderlichen Stimmen für ein Referendum sammeln wollen.
Das Nachrichtendienstgesetz weckt düstere Fantasien einer dystopischen Schweiz, in der Bürger wegen so ziemlich allem abgehört und kontrolliert werden können. Bewegen wir uns etwa in Richtung einer Stasi 2.0 zu?
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Wenn man der Homepage des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport Glauben schenken will, dann ist das neue Gesetz für uns alle ein Segen. Die bisherigen Gesetze seien nicht den modernen Bedrohungen und Risiken angepasst.
„Das neue Gesetz hat den Auftrag, die Sicherheit der Schweiz zu erhöhen und wichtige Landesinteressen zu wahren”, heisst es da etwa. Damit ihr einen Schimmer davon bekommt, was es mit diesem trocken klingenden Etwas namens „Nachrichtendienstgesetz” auf sich hat, haben wir euch die wichtigsten Fakten zusammengetragen.
Brauche ich das überhaupt?
Man muss sich ja zuerst einmal fragen, warum ein neues Gesetz überhaupt vorgeschlagen wird. Ein neues Gesetz impliziert ja irgendwie eine Herausforderung, der die alte Gesetzgebung nicht gewachsen ist. Nun, worin besteht denn diese Herausforderung?
Laut dem zuständigen Departement (Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport—kurz: VBS) können die aktuellen Bundesgesetze den modernen Bedrohungen und Risiken nicht mehr gerecht werden.
In einem 2015 erschienenen Bericht des Nachrichtendienstes mit dem bescheidenen Titel „Sicherheit Schweiz“, sieht es für die Schweiz ganz schlecht aus. Terroranschlag in Kopenhagen. Terroranschlag in Paris. Terroranschlag in Brüssel.
Der Terror hat uns im Zangengriff! Aber nicht nur Dschihadisten machen uns das Leben schwer, auch der Konflikt in der Ukraine sorgt beim Schweizer Bürger für schlaflose Nächte und für das Bedürfnis, Big Brother-Protagonist zu werden. Kurz: Die Schweiz hat Grund zur Sorge! Gefahren lauern überall und wenn schon niemand der SVP Beachtung schenken will, muss halt der Bund höchstpersönlich für Hellhörigkeit sorgen. Ein neues Gesetz muss her und mit ihm ein Nachrichtendienst mit Biss.
„Die Anzahl von Neonazis ist mit einigen Tausend viel höher als die der Dschihadisten—für diese wurde aber nie ein neues Gesetz geschaffen”, meint Fabian Molina, Präsident der JUSO dazu. Neonazis scheinen also nicht die Hauptsorge des VBS zu sein.
Was sich ändert
Grundlegend ändert sich die Kapazität der Informationsbeschaffung sowie die Möglichkeit, präventiv zu überwachen. Die neue Freiheit im Durchschnüffeln privater Informationen wird dabei von drei verschiedenen Instanzen kontrolliert: Dem Bundesverwaltungsgericht, einem Sicherheitsausschuss des Bundesrates sowie dem Chef des VBS, sprich: Ueli Maurer.
Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz wird der Nachrichtendienst des Bundes dazu befugt, Telefone abzuhören, Räume zu verwanzen und sich in Computer einzuschleusen. Ein Verdacht ist dabei nicht einmal nötig, der Staat hat sich offenbar an der Devise „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser” orientiert.
Sogenannte Staatstrojaner dienen der Internetüberwachung und der Einsatz von V-Personen (auf gut Deutsch: von Spionen) wird legal. Ausserdem soll der Nachrichtendienst künftig enger mit den entsprechenden ausländischen Diensten zusammenarbeiten. So soll der internationale Datenaustausch erleichtert und gemeinsame Aktionen im Ausland durchgeführt werden.
Zu den neuen „Beschaffungsmassnahmen” gehört ebenso die Möglichkeit, Räume zu durchsuchen und mithilfe von GPS Personen ausfindig zu machen. Der Nachrichtendienst hätte mit dem neuen Gesetz ebenfalls Zugang zu Daten der Telekommunikation, sprich SMS, Whatsapp-Nachrichten, Telefonaten und Emails.
Dass der Nachrichtendienst von drei Instanzen kontrolliert wird, könnte den Anschein erwecken, dass sich das private Geschehen in der Schweiz keinem Huxley-Roman annähert. Aber es gibt ja bekanntlich für alles ein rechtliches Schlupfloch.
In diesem Fall nennt man dieses „Verfahren der Dringlichkeit”. Der Chef des Nachrichtendienstes kann in manchen Fällen das Bewilligungsverfahren des Bundes und des Verwaltungsgerichtes umgehen, um so richtig in der Privatsphäre des Schweizer Bürgers rumzuferkeln.
Er kann sich am getragenen Höschen seiner Nachbarin aufgeilen und dann im Nachhinein behaupten, sie hätte Emails mit terroristischem Gedankengut verbreitet. Inwiefern dies von der Kontrollinstanz tatsächlich überprüft wird, kann keiner wissen. Beim sogenannten Verfahren bei Dringlichkeit kann der Geheimdienst also ohne Bewilligung Wohnungen durchsuchen, Trojaner installieren und Telefone abhören—um sich dann irgendwann später beim Bund dafür zu rechtfertigen.
Auch das sogenannte Informationssystem „Quattro P” regt bei den Gegnern des Gesetzes Kritik. So soll es ermöglichen, in die Schweiz ein- und ausreisende ausländische Personen zu identifizieren, zu kategorisieren sowie deren Ein- und Ausreisedaten festzustellen.
Aber das ist noch lange nicht alles. Wenn das Gesetz durchkommen sollte, kann der Bundesrat Organisationen verbieten, die er als terroristisch erachtet. Das hat es bisher so nicht gegeben. Es könnte dir also einiges blühen, wenn du in deiner Freizeit gern rote Flaggen schwenkst und antikapitalistische Parolen grölst. Könnte. Denn niemand weiss, ab wann der Bund von einer gewalttätigen Gefahr ausgeht, die es zu verbieten, beziehungsweise auszuspionieren gilt.
Wer war nochmal dieser Edward Snowden?
Was am Nachrichtendienstgesetz beinahe am schlimmsten ist, nennt man Kabelaufklärung. Klingt zuerst mal wahrheitsliebend. Und ein bisschen nerdig. Ist aber ziemlich scheisse. Mithilfe der im Gesetz garantierten Kabelaufklärung kann der Geheimdienst des Bundes alle Datenströme anzapfen, die über die Schweiz ins Ausland fliessen.
Du bleibst aber noch lange nicht verschont, wenn du deinem Freund in Bern per Mail schreibst, dass du einen Neuen hast. Die vom Bund formulierte Bedingung lautet zwar, dass die Daten der „Beschaffung von Informationen über Vorgängen im Ausland” dient, während die Verwendung der Daten nicht zulässig ist, wenn sich „sowohl Sender als auch Empfänger in der Schweiz befinden”.
Die WOZ konnte sich nicht wirklich damit zufrieden geben—und das zu Recht. Unter dem treffenden Begriff „NSA lässt grüssen” vergleicht der oberste Schweizer Datenschützer Hanspeter Thür das Nachrichtendienstgesetz mit dem Geheimdienstprogramm „Tempora”, welches Edward Snowden 2013 der Öffentlichkeit enthüllt hatte.
Das Programm hatte sich heimlich Zugriff auf die wichtigsten Glasfaserkabelknotenpunkte verschafft und so zwei Milliarden Nutzer/innen überwacht. Und Fredy Künzler, Geschäftsführer des Internetdienstanbieters Init7, fügt hinzu, dass ein grosser Teil der Kommunikation übers Ausland fliesst, auch wenn Sender und Empfänger sich beide in der Schweiz befinden. So beispielsweise sind auch Daten betroffen, die über Dropbox oder auch Google-Konten laufen. Geheimdienst und Verteidigungsdepartement schweigen laut WOZ über diesen ziemlich relevanten Einwand.
Klingt nach Science-Fiction und wenn man sich zusätzlich noch mit dem Fichenskandal und anderen Lausch-Pannen in der Schweizer Geschichte beschäftigt, könnte man leicht in Paranoia verfallen. Dass die Daten von Internetnutzern von Unternehmen wie Facebook jetzt schon haufenweise gesammelt werden, ist längst kein Geheimnis mehr.
Dass der Staat sich nun aber ebendieser und noch vieler weiterer Daten bedienen will, ist schon ziemlich krass. Fabian Molina dazu: „Hier wird ein Paradigmenwechsel vollzogen, den andere Länder leider schon kennen. Verdächtig ist neu nicht mehr, wer im Verdacht steht ein Verbrechen zu begehen oder begangen zu haben, sondern präventiv wir alle. Das neue NDG ist sozusagen der „Patriot Act” der Schweiz und steht in der Logik des „Krieges gegen den Terror”. Und im Krieg gelten die Bürgerinnen- und Bürgerrechte leider nicht mehr viel.”
2017 sollte es, falls ein Referendum scheitert, in Kraft treten. Bis dahin kannst du dir also noch genügend Gedanken darüber machen, ob du es geil findest, wenn dir der Staat beim Wichsen zuschaut.
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