Am gestrigen Sonntag lief mit Borowski und der Himmel über Kiel einer der besten und intensivsten Tatorte seit Langem. Schwächelt das älteste Krimi-Format des deutschen Fernsehens oftmals durch unglaubwürdige Darsteller, abstruse Storylines und die Konzentration auf langweilige Nebenhandlungsstränge, überzeugte die Geschichte um die drogensüchtige Rita und ihren ermordeten Freund Mike durch starke Nachwuchsdarsteller und authentisch inszenierte Drogentrips. Weil das ARD und der ORF als öffentlich-rechtliche Sendeanstalten natürlich auch eine Art Bildungsauftrag haben, wollen wir euch an dieser Stelle nicht vorenthalten, was uns der Thriller über die handlungsvorgebende Droge Crystal Meth verraten hat. Falls ihr es nicht schon geahnt habt: SPOILER!
Crystal Meth ist überall. Auch im Kuhstall.
Mittlerweile dürften wir alle mitbekommen haben, dass Crystal Meth im Mainstream angekommen ist und nicht nur von ehemaligen Chemielehrern in New Mexico hergestellt wird. Insbesondere in Bayern, Sachsen und Thüringen den deutschen Bundesländern, die durch ihre Nähe zur Grenze besonders von der gesteigerten Meth-Produktion in Tschechien profitieren, hört man immer wieder Gruselgeschichten von körperlich und geistig zerstören Drogenzombies. Auch in Oberösterreich gibt es immer wieder Berichte über ausgehobene Drogenlabore. Nicht umsonst ist dort Crystal Meth einer der beliebtesten Suchbegriffe bei Google. Der Tatort spielt wiederum in der bisher nicht unbedingt durch Crystal-Affinität aufgefallen Region rund um Kiel. Und laut Handlung konsumieren die Leute dort flächendeckend absolut nichts anderes.
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Jemand verhält sich irgendwie zappelig und seltsam? Er MUSS Meth genommen haben. Leute tanzen in einem Club und haben Spaß? Sie MÜSSEN Meth genommen haben. Wenn es um Drogen geht, gibt es anscheinend keine andere Alternative in Norddeutschland, und dass selbst Landwirte aus dem Nichts auf eine illegale Droge zurückgreifen, weil sich damit einfach schneller der Kuhstall ausmisten lässt, ist da nur die Spitze des Eisbergs. „Warum nicht Koks oder Speed?”, werdet ihr euch jetzt vielleicht fragen. Weil Meth viel billiger ist. Das stimmt zwar nicht, ist aber vielleicht auch irgendwie egal.
Meth-Konsumenten LIEBEN Techno
Irgendwann muss irgendwo mal irgendjemand Regeln dafür festgelegt haben, wie Drogenkonsumenten medial dargestellt werden müssen. Vielleicht waren alle Beteiligten dieser Gesprächsrunde betrunken oder drauf oder es war Günther Jauch und niemand wollte ihn und sein Urteil in Frage stellen. Fakt ist aber: Wenn in irgendeinem deutschen Fernsehformat Junkies gezeigt werden, läuft irgendwo im Hintergrund Techno. Außer wenn es um Marihuana geht, da wird dann schon mal die Snoop Dogg Greatest Hits-Compilation eingeworfen.
Im Kieler Tatort wurde die ebenso wummernde wie anstrengende Backgroundmusik außerdem durch flackernde bunte Lichter ersetzt. Was in einem Club noch irgendwie Sinn macht, wird aber ab dem Moment ein bisschen seltsam, in dem absolut keine Szene mehr ohne das musikalische und visuelle Beiwerk auskommt. Die Hauptdarstellerin hat Flashbacks zu ihrer Drogenzeit? Techno und Licht. Die Hauptdarstellerin geht tanzen? Techno und Licht. Die Hauptdarstellerin hat im Hobbykeller der Eltern ihres Bekannten einen drogentechnischen Rückfall? Techno und Licht.
Können Drogenkonsumenten abseits von lauter Musik und bunten Lichtern nicht existieren? Sehen Hautunreinheiten und verfaulte Zähne im flackernden Neonlicht einfach besser aus? Oder gab es eine Art Meeting, in dem einer der ARD-Verantwortlichen gesagt hat: „Ich weiß, wie junge Menschen sind, meine Tochter guckt manchmal Berlin Tag & Nacht. Wir brauchen Club Rotation Vol. 12 und Discokugel-Tischlampen!” Anyways. Wenn die Alternative dazu wie im letzten Tatort Die Toten Hosen und Helene Fischer sind, darf man sich wahrscheinlich auch gar nicht beschweren
Leute, die mit Crystal Meth dealen, wollen vor allem eins: auffallen
Es gibt verschiedene Arten von Menschen, die mit Drogen handeln. Die, die ein paar Mal zu oft Scarface gesehen haben und deswegen irgendwann auffliegen. Oder die, denen „Ich bin ein Drogendealer” nicht auf der Stirn steht. Dreimal dürft ihr raten, welcher Typus auf langfristige Sicht erfolgreicher ist.
Die beiden Meth-Dealer im Tatort sind so ziemlich das Gegenteil von unauffällig, weswegen sich schon ziemlich früh die Frage stellt: Wieso wurden die nicht schon längst festgenommen? Wer wirklich dick im Drogengeschäft ist, bedroht ehemalige Kundinnen nicht in einem übervollen Restaurant, entführt schreiende Mädchen auf offener Straße oder vergewaltigt sie an einem öffentlich zugänglichen Strand. Vielleicht liegt es aber auch an der zu vertickenden Droge, und Menschen mit Meth-Affinität sind einfach im Allgemeinen größenwahnsinnige Impressarios mit Profilneurose, die Möwen imitieren. Solltet ihr also demnächst im Club jemanden sehen, der in Fellkapuzenjacke Selfies mit drogensüchtigen Minderjährigen macht, sich Mühe gibt, mit seinem Audi-SUV möglichst auffällig durch die Kieler Innenstadt zu heizen oder Leute an öffentlichen Plätzen bedroht—wahrscheinlich verkauft diese Person Crystal Meth.
Meth-Junkies sehen alle gleich aus—außer sie spielen eine Hauptrolle
Wenn ihr euch auch nur am Rande für Drogen interessiert oder allgemein des Öfteren im Internet unterwegs seid, dürftet ihr schon mal auf den Begriff „Faces of Meth” gestoßen sein. Dahinter verbergen sich mehrere Bildergalerien, die anhand von Vorher-Nachher-Fotos den desaströsen Einfluss von Crystal Meth auf das Aussehen von Langzeitkonsumenten illustrieren. Verfaulte Zähne, filzige Haare, tote Augen, blutige Löcher im Hautbild—Bilder, wie wir sie aus Breaking Bad kennen und genau so sieht auch das Gros der gezeigten Tatort-Junkies aus.
Nur Rita, gespielt von Elisa Schlott, scheint aus dem Meer der zerstörten Gesichter herauszustechen. Die Blondine, die die deutsche Antwort auf Scarlett Johannson zu sein scheint, ist der schönste Meth-Junkie seit Jesse Pinkman und sicherlich einer der Gründe dafür, dass Drogenkonsum nicht nur radikal lebensverschlechternd, sondern auch ziemlich sexy daherkommt. Was uns auch direkt zur nächsten, und letzten, Erkenntnis führt.
Crystal Meth ist eigentlich ziemlich geil—solange man sich von Steinen fernhält
Ja, klar. Der Tatort zeigt Menschen, die ziemlich kaputt sind. Dem Mordopfer wurde von seinem Drogenkumpel der Kopf mit einem Stein eingeschlagen, Bauern rutschen im norddeutschen Hinterland nervös auf ihren Schemeln herum, als würden sie sich gerade in die Hose ejakulieren und Junkie Lisa hat ziemlich splissige, trockene Haare mit bunten Strähnen—so möchte nun wirklich niemand enden. Andererseits gibt es aber auch eben die Szenen mit Sexy-Rita, die scheinbar unfassbar guten Sex hat, Momente des wahren und puren Glücks erlebt und im Bad sogar die Fugen zwischen den Fliesen putzt.
Schön und ziemlich aufschlussreich ist auch die Aussage des korrupten Dorfpolizisten, nach dem die örtlichen Landwirte nur deshalb damit angefangen haben, Crystal Meth im großen Stil zu produzieren und konsumieren, weil ihnen damit die Arbeit so viel leichter von der Hand geht. Optimale Effektivität, ein besseres Liebesleben und eine allgemein positivere Einstellung zum eigenen Leben und all das in visuell unfassbar ansprechenden Bildern—wäre da nicht der Mord, könnte man fast glauben, dass die ARD den besten Werbespot für Meth abgeliefert hat, den man nur hätte drehen können. Trotz der Techno-Musik.
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