Mitte 20 ist ein ziemlich schwieriges Alter für junge Menschen. Jung, das ist man noch, aber vom Horizont winkt schon die 30 mit den Boulevard-Heftchen und der Antifaltencreme. Irgendwie steigt ab 25 der Druck, sich jetzt aber wirklich mal wie ein Erwachsener zu verhalten und seine bisherigen Lebensentscheidungen einer eingehenden Überprüfung zu unterziehen. Wer sind wir? Wo wollen wir hin? Und wofür sind wir mittlerweile wirklich zu alt geworden?
Gerade beim Thema Liebe und Sex verfallen wir häufig schon ziemlich früh in bestimmte Verhaltensmuster, aus denen wir dann für den Rest unseres Lebens nur noch schwer herauskommen. Während panisches Beinerasieren, während der abgeschleppte One-Night-Stand irritiert im Wohnzimmer wartet, und das Mitgröhlen von „A Thousand Miles” von Vanessa Carlton bei einer unglücklichen Liebschaft absolut zeitlos sind, gibt es dann doch ein paar Dinge, die man mit Mitte 20 einfach nicht mehr tun sollte. Wir haben da mal was vorbereitet.
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Die Nachrichten, für die wir uns die ‚Zurückholen’-Funktion wünschen.
Betrunken Nachrichten schreiben
Ihr kennt das. Der Abend zieht sich, der Alkohol floss bereits in Strömen und urplötzlich, absolut aus dem Nichts, keimt im eigenen Kopf eine absolut geniale Idee heran: Ich sollte mein Telefon nehmen und all das sagen, was ich sonst nie sage! Zu allen! Vor allem aber zu der Person, die man seit geraumer Zeit heimlich gut findet—oder trotz jahrelanger Funkstille unfassbar vermisst. Früher hat man in solchen Situationen der vermeintlichen emotionalen Klarheit das Objekt seiner temporären Begierde noch angerufen (und hatte Glück, wenn es um 4 Uhr morgens den Hörer nicht mehr abgenommen hat), heutzutage sind wir deutlich weniger dem Zufall und der Erreichbarkeit unseres Gegenüber ausgeliefert. SMS, WhatsApp, Facebook, Twitter—es gibt unzählige Möglichkeiten, sich mitzuteilen. Und im Zweifelsfall nutzen wir sie am Höhepunkt unserer Trunkenheit alle.
Pro-Tipp: Fragen wie „Schreibst du mir gerade betrunken?” kategorisch mit einem klaren, überzeugten „Nein.” beantworten. Bei kurzen Worten ist die Gefahr, verräterische Tippfehler zu machen, bedeutend geringer. Außerdem besteht immer noch die Möglichkeit, dass sich eure große Liebe kurz davor eine stärkere Kopfverletzung zugezogen hat und euch das demzufolge abnimmt. Die Alternative wäre aber auch einfach, sich wie ein Erwachsener zu benehmen und sich nicht mehr so krass volllaufen zu lassen, dass man Dinge äußert, für die man sich später schämt.
(Ja, wir arbeiten auch noch dran)
Spielchen spielen
Ich kann nur für Frauen sprechen, aber: Wer unter Mädels noch nie ein Gespräch geführt hat, in dem irgendwelche kindischen Schlachtpläne entworfen wurden, um den Willen des aktuellen Herzensmenschen zu brechen, der werfe den ersten Tampon. Wer meldet sich zuerst? Wie lange muss ich jemanden sträflichst ignorieren, bis er mich wieder interessant findet? Kann ich sagen, was ich gerade sagen möchte, oder mache ich mich damit zur schwächeren Person? Auch wenn wir uns über die unsäglichen Flirttipps der BRAVO absolut zu Recht lustig gemacht haben, haben wir doch alle unsere eigenen Taktiken und Strategien, mit denen wir versuchen, uns begehrenswerter, faszinierender oder vermeintlich unerreichbarer zu machen. Das Problem ist: Viele (und da nehme ich mich absolut nicht raus) behalten dieses Verhalten auch dann noch bei, wenn sie längst aus dem BRAVO-Alter raus sind. Außen Erwachsener, innerlich Teenager—kein Wunder, dass unsere „Generation” zu bindungsunfähigen Egomanen erklärt wird.
Wenn man anfängt, auf die 30 zuzugehen, sollte man sich ganz ernsthaft die Frage stellen: Was bringt mir das? Dieses kompliziert fragile Tänzchen, das man da miteinander aufführt, anstatt offen und ehrlich mit seinen Gefühlen und Wünschen umzugehen? Nichts. Wirklich nichts. Wenn euch das nächste Mal ein Freund/eine Freundin melodramatisch „Ich verstehe einfach nicht, was er/sie will! Ich melde mich jetzt einfach nicht mehr.” entgegenseufzt, versucht es doch mal mit einem „Warum fragst du ihn/sie nicht?”. Wir sind zwar alle noch jung, unsere Zeit ist aber trotzdem zu knapp bemessen, um sie mit albernen Spielchen zu vergeuden. Für die sind wir nämlich definitiv zu alt.
Ex-Liebschaften haben unsere Beziehungsskills bewertet.
“Lass uns Freunde bleiben”
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: So schön und erwachsen es auch klingen mag, mit einem ehemaligen Partner plötzlich nur noch in rein platonischer Freundschaft verbunden zu sein—oft genug lügt man sich mit der Behauptung, befreundet bleiben zu wollen, selbst in die Tasche. Mit Mitte 20 hat man in aller Regel genug Freunde, für die man aufgrund seines Vollzeitjobs/Studiums/der Bosstransformation sowieso schon viel zu wenig Zeit hat. Ihr braucht keinen Menschen in eurem Leben, der euch an eine gescheiterte Beziehung erinnert (weil er die gescheiterte Beziehung ist). Echt nicht.
Nicht zu wissen, was man möchte
Ach, wer weiß schon, was er wirklich will, mag der ein oder andere einwerfen und natürlich hätte er damit Recht. Vorstellungen bezüglich des eigenen Lebensentwurfs, der beruflichen Zukunft und was sonst noch alles so dazugehört, sind in einem stetigen Wandel begriffen. Mit 15 war man sich vielleicht sicher, mit 25 schon verheiratet und festangestellt zu sein. Stattdessen hat man das erste Studium abgebrochen, das zweite angefangen und hängt öfter auf Dating-Plattformen rum, als man es sich und anderen gegenüber eingestehen mag. Gerade in Beziehungsdingen weiß man aber oft ziemlich genau, was man braucht—zumindest temporär. Es ist Zeit, endlich dazu zu stehen. Mit halbherzigen Liebeskompromissen ist nämlich niemandem geholfen.
Mitte 20 ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man natürlich weiterhin kurzfristig denken kann, es in vielen Fällen womöglich aber gar nicht mehr will. Wenn ihr also plant, irgendwann in der näheren Zukunft dem Partyleben Adieu zu sagen und etwas spießiger zu werden, solltet ihr das eurem Tinder-Date spätestens dann mitteilen, wenn das Ganze zwischen euch etwas ernster wird. Dasselbe gilt für Leute, die nach acht Jahren Partnerschaft nicht den „nächsten Schritt” wagen wollen, sondern sich in ihrer Einzimmerwohnung nach wie vor ziemlich wohl fühlen. Seid ehrlich, seid offen, kommuniziert mit euren Partnern oder den Leuten, die es werden wollen.
Wenn ihr jetzt, in diesem Abschnitt eures Lebens, nicht anfangt, eure eigenen Bedürfnisse und Wünsche zumindest so ernst zu nehmen, dass ihr sie nicht ständig für andere Menschen zurückstellt, wann denn dann? Keine Person ist es wert, dass ihr euch unglücklich macht, um sie glücklich zu machen. Und irgendwie ist es auch ziemlich egoistisch, jemanden mit leeren Versprechungen bei sich zu halten, nur weil man nicht genug Mut aufbringt, um Schluss zu machen.

Foto: Michael Coghlan | Flickr | CC BY-SA 2.0
Pärchenselfies
Früher gab der Facebook-Beziehungsstatus Aufschluss darüber, wer aus eurer Freundesliste gerade mit wem liiert war. Mittlerweile erledigen Pärchenselfies diesen Job spielend. Als gäbe es nicht schon genug Leute, die nur noch Fotos machen, auf denen sie selbst zu sehen sind, scheint sich bei Paaren die Anzahl an Selfies noch zu multiplizieren. Als ginge man seinen Facebook-Freunden als Ausbund an Glück und Harmonie nicht schon genug auf die Nerven. Natürlich möchte man sein unfassbar großes Glück visuell für die Nachwelt festhalten und irgendwas braucht man ja, was man dramatisch zerreißen oder löschen kann, wenn das Experiment Partnerschaft ein dramatisches Ende genommen hat. Trotzdem: Sind es wirklich Nahaufnahmen unserer Gesichter, die wir als Überbleibsel der großen Liebe bewahren wollen? Mitte 20 ist ein guter Zeitpunkt, um diese Unart endlich hinter sich zu lassen. Gerne auch schon früher.
Wenn ihr noch unbedingt ein Foto für das Nachtschränkchen in der ersten gemeinsamen Wohnung braucht, fragt einen Freund, ob er euch scheinbar zufällig bei irgendeiner gemeinsamen Aktivität knipsen kann. Das ist zwar nicht weniger gestellt oder selbstzentrisch, dafür aber vielleicht auch ein Schnappschuss, den man irgendwann mal seinen Enkeln zeigen kann, ohne sich in Grund und Boden zu schämen.
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Beschissene Dates und schlechten Sex
Tick-tock, tick-tock. Das ist eure innere Uhr. Nicht die biologische, die euch angeblich einredet, dass ihr irgendwann demnächst mal Kinder in diese kalte, dunkle Welt setzen solltet, sondern eure mentale. Stellt sie euch wie eine Bombe in eurem Unterleib vor, die irgendwann hochgeht, wenn ihr auch nur ein weiteres, todeslangweiliges Bar-Date mit irgendjemandem, den ihr eh nie so richtig gut fandet, durchstehen müsst. Oder, und jetzt lässt sich darüber streiten, was schlimmer ist: eine weitere unbefriedigende Fickbeziehung zu führen, weil ihr gerade sonst niemanden habt. Neben Job, Studium und was ihr sonst noch so machen mögt, habt ihr keine Zeit mehr für Dinge, die euch nicht erfüllen. Keine Mitleids-Dates mit Leuten, mit denen ihr sowieso nicht schlafen wollt. Kein One-Night-Stand mit dem Typ, der euch die halbe Nacht lang mit Zigaretten versorgt hat, nur weil ihr glaubt, dass das zum Single-Leben in der aufregenden Großstadt dazugehört, jeden mit nach Hause zu nehmen, der mal kurz nett zu euch war.
Ihr seid nicht die Cunnilingus-Caritas, ihr seid Mitte 20 und sexuell erfahren genug, um das einzufordern, was euch zusteht (und anmacht). Kein erzwungener, lascher Orgasmus ist die Lügengeschichte wert, die ihr im Anschluss fabrizieren müsst, um möglichst viel Distanz zwischen euch und eure Eroberung zu bringen. Ihr wisst, wie es ist, allein zu schlafen, habt damit kein Problem und braucht dementsprechend auch kein menschliches Nachtlicht.

Wer sich ständig in unmittelbarer Nähe einer Nebelmaschine aufhält, muss sich weniger Sorgen um sein Aussehen machen. Foto: Chang Liu | Flickr | CC BY 2.0
Unsicherheit und Eifersucht
Wenn wir mal ganz ehrlich sind (so unter uns, kriegt ja niemand mit), müssen wir uns eingestehen, dass jeder von uns sich mal unsicher fühlt. Vielleicht, weil der eigene Körper in keine Pornhub-Kategorie passt, vielleicht weil man Intimitätsprobleme hat oder glaubt, dass einen sowieso niemand so wirklich lieben kann. Wenn es auch unser aller Ziel sein sollte, irgendwann mit uns im Reinen zu sein und dafür zu lieben, was wir sind, sieht die Realität in den meisten Fällen dann eben doch anders aus. Deswegen nehmen so viele Leute so gerne Drogen oder trinken Alkohol.
Während man gerade in den jüngeren Jahren noch glaubt, mit diesen Unsicherheiten komplett alleine dazustehen, weiß man aber irgendwann: Wir haben alle die gleichen scheiß Probleme mit uns selbst. Niemand ist perfekt (was absolut OK ist), alle sind unsicher und das bedeutet gleichzeitig auch, dass man genau das eben nicht als Ausrede für unfaires Verhalten gegenüber anderen heranziehen kann. Du verhältst dich wie die Reinkarnation von Hitler, weil jemand mal über deinen Penis gelacht hat? Buhu, reiß dich zusammen und versuche zumindest, so zu tun, als wärest du ein Mensch, der mit sich und seinem Leben klarkommt. Wir anderen tun es ja auch. Nur Kinder und Pubertierende haben gesellschaftlich gesehen die Erlaubnis, sich wie soziopathische Arschlöcher zu verhalten. Der Rest sollte nach dem Motto „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu” leben.
Wer unsicher ist und glaubt, selbst nie genug zu sein, neigt übrigens auch öfter zu hysterischen Eifersuchtsattacken. Was bei der ersten ernsten Beziehung vielleicht noch charmant wirken mag oder als Liebesbeweis fehlinterpretiert wird, ist an sich nichts anderes als die zunehmend nervigere Ausprägung von tiefsitzenden Verlustängsten. Viele von uns mögen sie zu einem gewissen Grad haben, als erwachsener Mensch sollte man ab einem bestimmten Alter aber einfach über solchen irrationalen Dingen stehen. Wenn ihr euch also das nächste Mal fragt, warum „dieser Hurensohn/diese Schlampe” euren Freund/eure Freundin angelächelt hat, behaltet eure Schlussfolgerungen für euch.
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Romantisierung von Scheiße
Ich habe mich bereits an anderer Stelle schon ziemlich detailliert darüber ausgelassen, warum man im Allgemeinen davon Abstand nehmen sollte, jede Art von starker Emotion (insbesondere dann, wenn sie negativ ist) mit Liebe zu verwechseln. Insbesondere für junge Menschen mag es einen gewissen Appeal haben, sich filmreif im Leid zu suhlen, dramatisch Weinflasche nach Weinflasche zu leeren und dabei Kette zu rauchen. Manche fühlen sich in diesen Momenten des emotionalen Overkills sogar dazu berufen, ihre wirklich wahrhaftigen Emotionen in Blogeinträgen für die Nachwelt festzuhalten und was soll ich sagen—auch ich war schon an diesem Punkt und schäme mich heute ziemlich dafür.
Deswegen, zusammengefasst: Wer euch bewusst verletzt, liebt euch nicht. Wer grundlos und chronisch eifersüchtig ist, liebt euch nicht mehr als jemand, der euch vertraut und nicht ständig Vorwürfe macht. Die verheiratete Person, mit der ihr seit Jahren eine Affäre habt, wird ihren Partner wahrscheinlich nicht verlassen und währet ihr füreinander bestimmt, wäre es gar nicht erst zu so einer Situation gekommen. Und wenn irgendjemand anfängt, euch emotional zu erpressen, gewinnt Land. Schnell. Ihr seid erwachsen und keine naiven, zarten Pflänzchen mehr, die nicht wissen, wie die Welt funktioniert. Liebe ist nur dann Schmerz, wenn sie scheiße und ungesund ist und da draußen wartet Besseres auf euch. Versprochen.
Lisa ist 26 und hofft immer noch, dass ihr jemand das Telefon wegnimmt, wenn sie betrunken ist. Folgt ihr bei Twitter.
Titelfoto: justine-reyes | Flickr | CC BY 2.0
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