“DJ-Superstar Steve Aoki erstmals in Wien” – Falsche Behauptungen, Fake-DJs und trübe Aussichten für 2018

Die Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönig gilt in der Medienbranche ja als große Zeit der Rückschau und Zusammenfassung. Im Niemandsland zwischen den Jahren jagt ein Rückblick den nächsten. Nach dem Jahreswechsel folgen dann die Vorschauen.

Im Musik- und Konzertbereich ist das selbstverständlich auch der Fall. In der kurzen Periode der Selbstfindung – am WC oder in der U-Bahn – stößt man beim Überfliegen der angeblichen oder echten Höhepunkte dann immer wieder auf die blumigsten Zusammenfassungen.

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Wer es noch nicht weiß: Die Gottseibeiunse der DJ-Szene suchen uns auch dieses Jahr wieder heim. David Guetta, der Otto Waalkes für Arme, wird im Juni wieder Jesus spielen. Bereits am 13.Jänner macht Steve Aoki einen auf “DJ” und wird wohl den Veranstalter mit seinen Sonderwünschen in der Marxhalle halb in den Wahnsinn treiben.

In einer bunten Gratis-Postille stand dazu zu lesen: “DJ-Superstar Steve Aoki kommt am 13. Jänner im Rahmen seiner World Tour mit einem seiner legendären Sets erstmals nach Wien.” Zwei schwere Fehler in einem Satz, das gäbe einen glatten Fünfer beim Publizistik-Proseminar: Der millionenschwere US-Import, der bei der Ankunft auf dem uncharmanten Festivalgelände des Urban Art Forms einst gefragt haben soll: “In welchem Land sind wir eigentlich?”, hat schon in Wien gespielt (Volksgarten). Und was genau heißt “mit einem legendären Set”? Der Trend zum zweiten USB-Stick hält Einzug?

Über Aoki geistern ja die wildesten Geschichten durch das Netz. Er wirft mit Torten, benötigt Enten und Schlauchboote und springt (während des legendären Sets) schon ab und an mal so ungeschickt herum, dass es danach für ihn nicht mehr weitergeht. Dass das mit DJ-Kultur nichts zu tun hat, muss niemandem hier erklärt werden. Ein vorgefertigtes Set vom Band abzuspielen, die Hände zu heben und Unfug zu treiben, gehört offensichtlich zum neuen Leitbild dieser Branche und prägt sein Bild in der Öffentlichkeit mit, sodass Mama und Papa den Schmarren, der in den Jugendseiten der Zeitungen steht, auch noch glauben.

Interessant ist aber auch, dass die großen EDM-Götter bei uns nie allzu sehr Fuß gefasst haben. Warum man ihren Besuch dennoch als Jahreshighlight anpreist, ist mir ein Rätsel. Von David Guetta hat man ja zumindest ein paar nervige Nummern im Ohr, was Steve Aoki macht – außer Hampelmann zu sein –, weiß ich bis heute nicht. Ich zumindest kenne keinen Steve Aoki-Track.

Da tut es einem immer noch in der Seele weh, dass das Urban Art Forms sich damals im Fehlglauben, solche Acts würden die Jugendkultur repräsentieren, mit EDM eingelassen hat und danach beim Versuch zurück zu rudern, kläglich am Boden der Realität aufschlug. Aber das ist Österreich – bis auf ein paar Krawall-Festivals geht es auch 2018 eher beschaulich zu.

Hyperreality wird in Wien wohl auch 2018 das einzige größere internationale Musik- und Clubkulturfestival bleiben. Und auch das einzige, das subventioniert wird. Denn wäre nicht Festwochenintendant Thomas Ziehofer-Kin selbst am Thema interessiert, gäbe es dies mit Sicherheit nicht. Immerhin hat er angekündigt, auch unter dem Jahr mit diversen Clubs zusammenarbeiten zu wollen – denn logischerweise hilft ein kleines Festival pro Jahr der leicht maroden Clublandschaft wenig, wenn diese nicht unterm Jahr eingebunden werden.

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Blättert man also wieder weiter in den bunten Zeitungen, so findet man die nächsten Kulturhighlights: Weichgebügelt und politisch unauffällig wie Ed Sheeran, Wanda oder Cro.

Oder doch heimatverbunden und erbarmungslos inhaltsleer wie Andreas Gabalier, der bedrohlich langsam aber sicher zum österreichischen Nationalheiligen aufsteigt? Helene Fischer sei nicht zuletzt zu erwähnen, die zu Weihnachten auf allen Sendern durchgeschaltet wurde und selbst uns nach 3 Kilogramm Fondue in den Schlaf säuselte. Ich kann mich noch schmunzelnd an die vielen “Wtf, bin gestern bei Helene Fischer hängen geblieben” Posts erinnern. Selig, der keinen Fernseher besitzt.

Vielleicht sollte ich also doch mit meinen Ü-50 Freunden auf das Bob Dylan-Konzert gehen und dem grantigen Mann beim Singen zuhören. Der kommt ja noch aus einer Zeit, als es Aufbruchstimmung gab, nicht Abbruch – oder noch besser: Ich begebe mich zurück in meine DJ-Bubble und erfreue mich am Neujahrsposting von DJ Radio Slave – eine humoristische Karriere-Anleitung für Einsteiger-DJs. Dafür benötigt man jedenfalls keine Torten und Enten.

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