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Können jetzt alle wieder aufhören, über die Anteilnahme an den Paris-Attentaten zu schimpfen?

Über Leute herzuziehen, die ihre Anteilnahme über Social Media zeigen, ist ziemlich stumpfer Zynismus.

Screenshot via Facebook

Seit Freitagnacht hat irgendwie alles mit den Paris-Attentaten zu tun—im realen Leben ebenso wie in meinem Facebook-Feed. Sogar auf Instagram, wo politische Themen normalerweise gar nicht zur Sprache kommen, dominierten plötzlich Solidaritätsbekundungen in Bildform. Nicht nur Wahrzeichen in Städten weltweit wurden in den Farben der französischen Flagge beleuchtet, auch Internet-Giganten wie YouTube färbten ihr Logo blau-weiß-rot.

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Zahllose Menschen auf Social Media machten das Symbol des Eiffelturms als Peace-Zeichen zu ihrem Profilbild. Facebook selbst gab seinen Nutzern nach den tödlichsten Terroranschlägen in Frankreich seit dem zweiten Weltkrieg die Möglichkeit, ihr Profilbild in den Farben der französischen Flagge einzufärben, um Anteilnahme zu zeigen. Millionen haben das getan.

Was als nächstes passierte, war ziemlich interessant zu beobachten. Einerseits gab es viel Kritik an der Symbolik der Frankreich-Flagge in diesem Kontext—weil Nationalismus in so einer Situation das falsche Signal sei. Andererseits wurde der Hashtag #prayforparis stark kritisiert, weil die Welt nach einem religiös-fundamentalistischen Angriff nicht noch mehr Religion brauche. So weit, so legitim. Viele machten zudem darauf aufmerksam, dass wir nicht vergessen dürfen, dass solche Blutbäder in anderen Regionen der Welt beinahe Tag für Tag passieren. Dieser Kritikpunkt wiederum ist nicht nur wahr, sondern wirklich wichtig.

Dann wurde es aber absurd und ein bisschen armselig. Gefühlt die Hälfte des Internets fühlte sich plötzlich berufen, klarzustellen, dass sie ihr Profilbild ganz sicher nicht ändern würde. An allen Ecken und Enden von Facebook bekam man zu lesen, dass die Anteilnahme doch nichts als Heuchelei sei und es den Leuten, die da betroffen tun, sonst auch scheißegal wäre, wenn so etwas in der arabischen Welt oder Afrika oder sonst wo außerhalb der westlichen Welt passiert.

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Als nächstes begannen die Leute Memes zu teilen und sich ordentlich über die Social Media-Anteilnahme lustig zu machen. Prominente, die ihr Mitgefühl ausdrücken, wurden als Selbstinszenierer bezeichnet, die aus dem Leid anderer profitieren wollen und wer sein Profilbild blau-weiß-rot einfärbt, ist sowieso nichts anderes ein mitlaufendes Schäfchen.

Irgendwie wirkte es, als würde jemand auf eine Beerdigung gehen und der Trauergemeinde erklären, dass sie da jetzt gar nicht so herumflennen braucht, weil sie ja auch nicht auf die Beerdigungen von all den anderen Leuten aus den Nachbarorten gegangen ist.

Ich will keinem den Humor verbieten oder ihn davon abhalten, Massenphänomene kritisch zu hinterfragen. Aber angesichts dessen, was da vergangenen Freitag passiert ist, stimmt es mich schon bedenklich, wie viele Leute es für nötig halten, über all jene zu schimpfen, die via Social Media Anteilnahme gezeigt haben und weiterhin zeigen. Leute nach Terroranschlägen dafür zu kritisieren, dass sie betroffen sind, wirkt auf mich wie eine ziemlich verbitterte Form von Zynismus. Völlig egal, wo diese Anschläge passiert sind. Ehrlich gesagt bin ich mir auch ziemlich sicher, dass die, die sich hier aufregen und schimpfen, in vielen Fällen gar nicht diejenigen sind, die sonst versuchen, wirklich Bewusstsein für Probleme und Elend anderswo zu schaffen. Es sind nicht in erster Linie jene, die selbst mehr tun und das auch von anderen verlangen.

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Ich werde das Gefühl nicht los, dass manche nur dagegen sind, um dagegen zu sein. Wenn du etwa findest, dass der Anschlag, der ebenfalls am Freitag im Libanon dutzende Menschenleben kostete, mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte, warum drückst nicht einfach dein Mitgefühl für beide Länder aus?

Ich gehöre selbst nicht zu den Leuten mit blau-weiß-rotem Profilbild. Mich kotzt es genau so an, wenn in den Nachrichten quasi im Vorbeigehen erwähnt wird, dass irgendwo in Afrika oder der arabischen Welt dutzende Menschen getötet wurden. Es ist mir nicht egal, wenn hunderte russische Zivilisten in einem Flugzeug in die Luft gesprengt werden.

Und trotzdem kann ich nichts dagegen tun, dass mich die Anschläge in Paris irgendwie noch härter treffen und beschäftigen. Weil Paris nicht weit weg ist. Weil viele der Leute, die in diesen Cafés erschossen wurden, vermutlich ziemlich ähnliche Leben geführt haben wie ich. Weil die Chance, dass ich oder einer meiner Freunde auf ein Eagles Of Death Metal-Konzert gegangen wäre, wenn wir in Paris gewesen wären, gar nicht so klein ist.

Sicher, Terror in der westlichen Welt bekommt wirklich unverhältnismäßig starke mediale Aufmerksamkeit. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass der Westen sich selbst nach wie vor eine größere Wichtigkeit einräumt, als allen anderen Regionen der Welt, was nicht fair ist. Außerdem sind Unternehmen wie Facebook, über die sich Anteilnahme quasi viral verbreitet, selbst Teil genau dieses Westens und daher nicht ganz unparteiisch, wenn es um die Gewichtung von News und Relevanz geht.

Es liegt aber auch daran, dass der Westen die Region auf dieser Welt ist, auf der solche Ereignisse am allerwenigsten alltäglich sind. Die Leute hier sind Frieden gewohnt. Da ist es eben auch irgendwo auch natürlich, dass die Reaktion auf einen Anschlag besonders stark ausfällt, wenn dieser Frieden plötzlich unterbrochen wird.

Nicht jeder ist der geborene Schreiber oder hat das ultimativ kluge Statement auf den Lippen, um seinen Gefühlen in so einer Situation perfekt Ausdruck zu verleihen. Und wenn einem die Worte fehlen, zeigt man seine Betroffenheit eben gerne zumindest in irgendeiner Art von Geste—gerne auch einer vordefinierten. Zum Beispiel, indem man sein Profilbild ändert. Ich kann beim besten Willen nicht sehen, was daran heuchlerisch sein soll. Sein Profilbild einzufärben oder #prayforparis an das Ende seiner Statusmeldung zu schreiben, macht die Welt natürlich nicht zu einem besseren Ort. Und ja, man könnte langsam von #prayforparis auf das etwas weniger fanatisch klingende #peaceforparis umsteigen. Aber in einer Situation, in der man sich ohnehin komplett ohnmächtig und hilflos vorkommt, fühlt sich diese Reaktion für viele eben richtiger an, als gar nichts zu tun. Und wisst ihr was? Wenn eines noch weniger hilft, als Profilbild rot-weiß-blau einfärben, dann ist es, sich über die Leute aufzuregen, die es tun. Tori auf Twitter: @TorisNest