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Mode

Warum ist der Khaleeji-Hidschab so umstritten?

Ein neuer Kopftuchtrend erregt die Gemüter. Die einen sehen den Khaleeji-Hidschab als direkten Weg in die Hölle und andere als ein Zeichen der Emanzipation muslimischer Frauen.

Der Khaleeji-Hidschab

Mein Partner und ich fuhren kürzlich nach London, um das Zubehör für den umstrittensten Hidschab der muslimischen Welt zu kaufen: des Khaleeji. Nachdem wir uns für ein Geschäft neben der Moschee in Ost-London entschieden hatten—ein Geschäft, das auf der Website stolz ein Model mit Hidschab im zwiebelartigen Khaleeji-Stil präsentiert—, baten wir die Verkäuferin zunächst um eine allgemeine Beratung. Sie ging zum hinteren Ende des Ladens und öffnete eine Kiste voller Blumenclips—bauschige, blumenförmige Puschel, die die Hinterseite des Hidschab voluminöser machen.   „Welcher Clip würde denn am besten zu einem Khaleeji passen?“, fragte ich sie. „Das ist unislamisch“, sagte die Frau, voller Widerwillen den Kopf schüttelnd. „Ḥarām. So etwas tragen wir nicht.“ Dennoch war sie so freundlich, das benötigte Zubehör zu verkaufen und stellte hastig die Rechnung für die zwei größten Clips der Kiste aus. Nachdem wir noch etwas dünnes schwarzes Krepp für das Kopftuch ausgesucht hatten, wollten wir gehen—doch zuvor wurde meinem Partner ein Pamphlet in die Hand gedrückt. Mit der Kernfrage: Wie werde ich ein besserer Muslim? Der Khaleeji-Hidschab, so viel bedeutend wie „aus der Golfregion stammend“, ist nicht gerade ein neues Phänomen. Auch unter dem Namen Shambassa-Bausch, Kamelhöcker, Big Bun, Bienenstock-Hidschab und im Arabischen als „bu tafkha“ bekannt, entstand der Stil in den Einkaufszentren in Kuwait. Er zeichnet sich durch eine abgerundete Ausbuchtung an der Hinterseite des Kopfes aus, die den Eindruck einer fallenden Haarmähne erwecken soll, die sorgfältig zu einem Dutt aufgerollt wurde. Früher verwendete man Milchbehälter und Joghurtbecher, um das gewünschte Volumen zu erzeugen. Heute dreht sich alles um Bumpits und Knotenringe.

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All das klingt ziemlich harmlos, oder? Wenngleich nicht sofort offensichtlich ist, was überhaupt so toll daran sein soll, scheint es die Verlängerung des Hinterkopf durch bestimmtes Material kaum wert zu sein, sich darüber zu streiten. Da viele Frauen so gut wie keine Möglichkeit haben, mit einem religiösen Oberhaupt in Kontakt zu treten, wurde das Internet—mitsamt seinen Fehlinformationen—zum primären Resonanzboden für all diejenigen, die nach theologischen Antworten auf ihre Kleidungsfragen suchen.   Hier kommen Online-Imame mit ihren fragwürdigen Ratschläge und irreführenden Interpretationen der heiligen Schrift ins Spiel, die wahrscheinlich Unterweisungen geben, die im Widerspruch zu dem stehen, was eine fachkundige Person in einer Moschee sagen würde—und das Tragen eines Hidschabs im Khaleeji-Stil verurteilen. Das Hadith (einer der Aussprüche des Propheten Mohammed, die von Leitfiguren des frühen Islam überliefert wurden), das bezüglich des Khaleeji am meisten im Internet zitiert wird, beinhaltet eine Vision der Hölle, in der „Frauen, die bekleidet und doch nackt sind, mit einem verführerischen Gang laufen und mit etwas auf ihrem Kopf, das aussieht wie der Höcker von Kamelen, sich auf eine Seite neigend.“ Sein offensichtlicher Bund mit der Hölle führte zur Stigmatisierung des Khaleeji: als höckerförmiges Gebilde, das angeblich aus den Köpfen verdammter Frauen wächst.

Eines der vielen Khaleeji-Tutorials

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Weibliche Prominente und Models aus Kuwait haben den Stil größtenteils gemieden, weil sie die Vorstellung, im ewigen Höllenfeuer zu schmoren, nicht unbedingt bewerben wollten. Nur in Online-Tutorials wurden dem Stil Gesichter verliehen. Den Vorführenden wird in den Kommentaren oder in Reaktionsvideos oft vorgeworfen, sie würden die von muslimischen Frauen zu erwartende Sittsamkeit verraten. Sicherlich handelt es sich um ein polarisierendes Thema, das die Grenzen der Freiheit von muslimischen Frauen testet und die Spannungen zwischen den kulturellen und religiösen Funktionen des Kopftuchs auf die Probe stellt.     Die Kuwaiter Künstlerin und Musikerin Fatima al Qadiri trug den Look 2011 in ihrem Buch „Pâté“ zur Schau, in dem sie die ästhetischen Geschmäcker ihrer Heimat durch Nachstellungen traditioneller Werbeanzeigen erforschte. Zwei Jahre zuvor hatte sie in ihrer „Dragas“-Serie bärtige, Khaleeji tragende Männer im Kontext globaler Trends, vom Cyber bis hin zum Kawaii, fotografiert. Das zweite Projekt veranschaulicht, dass der Hidschab sowohl Ausdruck sozialer Identität als auch religiöser Sittsamkeit und Zurückgezogenheit sein kann. Aufgrund der Vielfalt und der Größe der muslimischen Welt wird das, was auf dem einem Kontinent provokant ist, auf einem anderen kaum wahrgenommen. Wirtschaftlicher Wohlstand begünstigt das Entstehen von Trends—was vielleicht erklärt, warum der Stil im wohlhabenden Milieu der Einkaufszentren von Kuwait so beliebt wurde. Die malaysische muslimische Sängerin Yuna, die berühmt dafür ist, neue Kopftuchtrends zu verbreiten, verhalf dem Stil durch den nun allgegenwärtigen afrikanischen Wickelstil zu seinem Erfolg. Doch in unruhigeren Gebieten wie Pakistan ist der Khaleeji-Stil so gut wie unbekannt, da die Vereinigten Arabischen Emirate hier weniger für Modetips, sondern als Vorbild für Ehrgeiz und Frömmigkeit von Bedeutung ist. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Der Khaleeji-Hidschab fordert soziale Codierungen heraus. Das Tragen eines Hidschab kann eine ganze Menge bedeuten: Es identifiziert die Trägerin als eine Frau, die sich an die durch ihren Glauben vorgeschriebenen Regeln der Sittsamkeit und der Keuschheit hält—das Kopftuch ist der kulturelle Ausdruck einer religiösen Notwendigkeit. Aber gleichzeitig ist die Weise, wie es getragen wird, je nach kulturellem Kontext offen. Anstatt den Khaleeji-Stil als Zeichen der Respektlosigkeit und den direkten Weg in die Hölle zu betrachten, wie es manchmal geschieht, könnte er vielleicht mehr als ein stolz vorgetragenes Alleinstellungsmerkmal der Golfstaaten sein.

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