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Das Eichhorn mit der Maske: Widerstand im Stadtpark Graz

Gegen die Verbotspolitik der Stadt Graz und die Zerstörung des öffentlichen Raums formiert sich zaghafter Widerstand.

Foto: SpirosK

Die Verbots- und Raumplanungspolitik der Stadt Graz geht auf keine Kuhhaut mehr. Die kommunale Ordnungswache, die den Stadtpark und die Innenstadt "bestreift" (O-Ton Homepage der Stadt), wurde unter dem neuen Sicherheitsstadtrat Eustacchio auf 30 Uniformierte aufgestockt.

Betteln, unangemeldete Straßenmusik, Alkoholkonsum in der Innenstadt, DJ-Auflegereien im Parkhouse, Radfahren und Hängematten-Aufhängen im Stadtpark, Gastgarten-Offenhalten nach 22:00 und sicherlich noch ein paar andere Sachen sind mittlerweile untersagt. Gemeint ist mit dem Ensemble der Verbote und Vorschriften natürlich so etwas wie "Wer schirch, arm oder zu gut gelaunt ist, bitte daheimbleiben!"—aber das lässt sich halt so nicht in eine Verordnung packen.

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Alles das, und auch das allgemein ignorierte Handy-Verbot in den öffentlichen Verkehrsmitteln, wird von offizieller Seite mit "verbessertem Zusammenleben" und "Rücksichtnahme" im "gemeinsamen Haus Graz" begründet. Darüber, was damit im Einzelnen gemeint ist—wem dieses "Haus" tatsächlich gehört und wer in ihm bestenfalls noch geduldet ist—geben andere Quellen Auskunft.

Foto: ciscommunity

Es lohnt sich zum Beispiel, sich die Presseaussendungen und Facebook-Gruppen der Grazer Kultur- und Club-Szene anzusehen: Ein ganzer Haufen von Clubs und Locations macht zur Zeit entweder dicht (Niesenberger, Papierfabrik) oder muss unter ständig zunehmendem Druck von oben umbauen, auf "reinen Vereinsbetrieb" umstellen, investieren oder ähnliches (Wakuum, CuntRa, schwarzes Radiesschen…).

Ermöglicht wird dieser Druck durch das neue Veranstaltungsgesetz des Landes Steiermark, das an entscheidender Stelle entweder unschlau oder vorsätzlich bösartig formuliert ist (und an dessen Reparatur bereits die Gremien sitzen): Es behandelt Avantgarde-Lesungen für zehn sprichwörtliche Hansln gleich wie Fußballspiele und Open-Air-Musicals.

Die dazugehörige Sicherheitsverordnung regelt Dinge wie "benötige Anzahl an Toiletten", "Mindesthöhe von Stiegengeländern" etc. und wenn man sie ernst nehmen wollte, müsste selbst noch die Grazer Oper zusperren.

Doch es sind die nichtkommerziellen, die sozial oder politisch als "schwierig" eingestuften oder die sonst wie unerwünschten Orte und Szenen, die sich besonders häufig mit Problemen laut "Veranstaltungsgesetz Neu" konfrontiert sehen.

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Foto: Allie Caulfield

Der Verdacht drängt sich auf, dass die schwammig formulierte Verordnung zumindest von einigen Personen in der Hierarchie der Stadt Graz (die mit der Umsetzung betraut ist) gezielt als "Waffe" benutzt wird.

Dieser Verdacht erhärtet sich insbesondere, wenn man die Situation im Parkhouse bedenkt: Im Herz des Stadtparks gelegen, also weit weg von jeder Wohnhäuserfront—und damit von Ruhestörungsproblemen—gehört das Café zu den wichtigeren Orten für gepflegte nächtliche Auflegerei in Graz. Der Park rundherum dient mehreren tausend Innenstadtbewohnern als Grünruhe- bzw. -unruheraum (man kann sich da schon einigen und einander aus dem Weg gehen).

Von den so unvermeidlichen wie eh herzigen Punks bis zu Omas-mit-Enkerl ist die Laufkundschaft des Cafés, wie die Benutzerschar des Parks selber, ziemlich breit gefächert. Und natürlich ist es möglich, dass die Untersagung der einen oder anderen Abendveranstaltung hier ganz andere, einfachere Gründe hat.

Foto: Tobias Abel

Aber irgendwie auffällig ist es schon: Kaum beginnt im Pfauengarten, ein paar hundert Meter entfernt auf der anderen Seite des Ententeichs, unter äusserst schwindligen Bedingungen ein überteuerter Yuppie-Wohnbau in die Höhe zu wachsen, häufen sich die Genehmigungsprobleme für einzelne DJ-Abende. Auch die Anzahl der Personalkontrollen scheint zuzunehmen (ein subjektiver Eindruck mehrerer Einzelpersonen, der laut Polizei und Ordnungswache unzutreffend ist).

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Mit dem Pfauengarten hat es nun die folgende Bewandtnis: Er stellt das letzte unbebaute Filtestück in der denkmalgeschützten Grazer Altstadt dar. Dass er als Bauland gewidtmet ist, verdankt sich schierer Schlamperei (da hätte mal, als Teil des Stadtparks, ein Kunsthaus hinkommen sollen, als Graz noch kein solches hatte—das Trigon-Haus—und als dieses in diversen Schubladen verschwand, vergass man über Jahrzehnte, den Grund "zurückzuwidmen").

Die Immobilienentwicklerbranche der Stadt hat wieder und wieder bewiesen, dass sie zum Größenwahn neigt. Das Haus im Pfauengarten ist, wie der "silberne Elefant" zuvor, bloß ein Beispiel für eine Reihe von Projekten, die an der vorhandenen Nachfrage vorbei ins Himmelblau eines Hochpreis-Marksegments gebaut werden, das es so in Graz nicht gibt.

Foto: Website Pfauengarten

Ölscheichs und ihresgleichen, wie sie die Salzburger und Wiener Innenstadt zusammenkaufen, verirren sich nicht nach Graz, und das einheimische Geld braucht einfach keine neuen Penthäuser… Gleichzeitig ist es (abgesehen vom rechten Rand der ansässigen Katholikenschar) diese selbe Szene von Hausherren, Maklern und "Projektentwicklern", in der Bürgermeister Nagl seine Machtbasis innerhalb der Grazer ÖVP hat.

Dass die Verbotspolitik, die die Stadt Graz fährt, im Wesentlichen Klientelpolitik an die Adresse dieser Gruppen darstellt, erschließt sich z.B. aus einem Blick auf den Stadtplan: In den "reichen" Bezirken östlich der Mur patroulliert die besagte  Ordnungswache, im "Scherbenviertel" westlich nicht. Dafür gibt es dort umso mehr Polizeieinsätze gegen "Drogendealer", zum Beispiel im Volksgarten (dass mitunter auch mal Dealer unter den Belästigten sind, steht in keiner Relation zum Aufwand).

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Zusammenfassend: Die Innenstadt von Graz ist, abgesehen vom Stadtpark, vollends yuppiefiziert. Die Errichtung ausgerechnet eines hochpreisigen Wohnhauses Front an Front neben diesem Stadtpark stellt eine gefährliche Drohung an alle Normalsterblichen dar, die den Stadtpark benutzen, und besonders an die FreundInnen von Parties, die nicht um 21:00 vorbei sind. Dass die Pfauengarten-Baustelle ganz ohne ordnungspolitische Hintergedanken zustande gekommen sein soll, ist für manch einen da schwer zu glauben.

Gegen diese gefährliche Drohung hat sich Widerstand formiert: Es gibt das wenig überraschende Label Occupy Stadtpark; es gab einen 'spontanen Spaziergang' mit Brassband und schlecht redigierten Flyern; es gibt ein Logo (mit stadtparktypischem Eichhörnchen und Guy-Fawkes-Maske); es gibt schließlich eine Facebook-Gruppe, die innert zweier Tage über 8.000 Mitglieder hatte.

Wie die Statistik nahelegt, sind unter den 8.000 Leuten auch ein paar Deppen—etwa einer, der aufs Spektakulärste den Unterschied zwischen "Kneipentresen um vier Uhr Früh" und "Facebook" vergaß, als er die Ordnungswache mit der SA verglich. Deshalb liegt jetzt eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft. In einem anderen Fall wird gegen einen Aktivisten wegen Beleidigung und Drohung gegen den Bürgermeister ermittelt, wie uns der Beschuldigte in einer E-Mail mitteilte.

Was es nicht gibt sind Anzeichen dafür, dass rechtzeitig auch irgendwas Reales "occupy"ed würde. Liegt es daran, dass Graz einfach insgesamt zu gemütlich und nett ist? Oder ist bloß allen Beteiligten realistischerweise klar, dass man auf verlorenem Posten steht? Dass das Haus dort gebaut und eine allfällige Schallschutzmauer (oder etwas Derartiges) ums Parkhouse eh sowieso errichtet werden wird? Dass die Schlacht um die Atmosphäre in der Innenstadt verloren ging, ehe sie anfing?

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Hoffnung bietet allein dieser Umstand, den die aktuelle Stadtregierung wieder und wieder übersieht—dass StadtbewohnerInnen auch unter 3.000 € Nettomonatseinkommen nicht über die Fähigkeit verfügen, sich auf Zuruf in Luft aufzulösen …


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