FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Der beliebteste Alkohol für Straßenschlachten und Verbrechen in Schottland

In Großbritannien gibt es ein koffeinhaltiges alkoholische Getränk, das von Mönchen zubereitet wird und auffällig oft mit Mordfällen und Randale in Verbindung gebracht wird. Einmal betrunken hauen sich die Rowdys gerne mit den Glasflaschen die Köpfe...

Es ist gegen 3 Uhr morgens auf einer verlassenen Straße in einer schottischen Vorstadt. Der Typ vor mir kippt sich seinen Rest Buckfast runter, wobei der Inhalt im nächsten Moment in Form einer klebrigen, roten Lache zwischen seinen Beine landet. „Scheiß drauf, ist nur ein bisschen Kotze“, brummt er und betrachtet enttäuscht die verschwendeten Überbleibsel dessen, was für einige das grassierende Alkoholproblem Großbritanniens symbolisiert.   Wenn du nicht aus bestimmten Teilen Großbritanniens oder Irlands kommst, könnte es sein, dass du noch nichts von Buckfast gehört hast. Es handelt sich dabei um eine Art gepanschten Wein. Auch wenn er mit 15 Prozent Alkohol nur mäßig stark scheint, ist sein Koffeingehalt höher als der von Red Bull. Außerdem enthält das Gebräu tonnenweise Zucker sowie jede Menge anderer schmackhafter Chemikalien. Interessanterweise wird der Wein in einer Benediktinerabtei in Devon hergestellt. Auch wenn es abwegig erscheint, bringt er den Mönchen ziemlich viel Geld ein. Buckfast hat die Konsistenz von Sirup, schmeckt wie eine Mischung aus Fruchtkonzentrat und Hustensaft und macht dich in ziemlich einzigartiger Weise besoffen. Ich mag das Getränk, und in bestimmten Kreisen meiner Landsleute erfreut es sich extremer Beliebtheit—vor allem bei denjenigen, mit denen die anderen Kreise nichts zu tun haben wollen, weil diese Leute die meiste Zeit damit zubringen, an Straßenecken rumzuhängen, in Schlägereien verwickelt zu werden und Sachen kaputtzumachen. Daher kommt auch der prägnante inoffizielle Slogan: „Buckfast: gets you fucked fast“.

Anzeige

Weil Buckie in seiner nicht sehr beliebten Fangemeinde äußerst beliebt ist, wird oft die Vermutung geäußert, es gäbe eine Verbindung zwischen dem Konsum des Getränks und diversen gewalttätigen Verbrechen. Schottische Politiker machen aus diesem Grund fast regelmäßig Terz. Weil Politiker sich bekanntlich gern leichte Angriffsziele suchen, fragt man sich schnell, ob die Aufregung gerechtfertigt ist. Um das herauszufinden, fragte ich bei der schottischen Polizei an, wie häufig Buckfast in Zusammenhang mit Straftaten in Erscheinung tritt. Es stellte sich heraus, dass Buckfast hier sehr häufig auftaucht. Von 2008 bis 2012 wurde es jährlich in durchschnittlich 2.893 Berichten des Polizeireviers von Stathclyde erwähnt, das macht knapp acht Vorfälle pro Tag. Nichts deutet darauf hin, dass sich diese Entwicklung ändert. 2013 scheint eher besonders reich an Buckie-Verbrechen zu sein, denn allein bis Ende August tauchte bei 2.239 Verbrechen ein Bezug zu Buckfast auf. Wenn du nach Beweisen dafür suchst, dass Buckfast junge Leute zu Verbrechen verleitet, sind die Statistiken ziemlich verlockend. Weniger als 12 Prozent der Berichte betreffen entweder „Bagatelldelikte“ oder von der Polizei als „Gruppe 1“ bezeichnete Verbrechen. Darunter fallen brutalste Gewaltverbrechen wie Mord, Mordversuch, schwere Körperverletzung und Entführung. Den Vorurteilen entsprechend sind 58 Prozent der an Buckie-Verbrechen beteiligten Täter zwischen 16 und 25 Jahre alt. Eine Umfrage an der Jugendstrafanstalt in Polmont, die 2007 durchgeführt wurde, ergab ähnlich augenfällige Ergebnisse. Von den jungen Straftätern gaben 41 Prozent an, dass Buckfast ihr Lieblingsgetränk sei. Von denjenigen, die zum Zeitpunkt ihrer Tat betrunken waren, hatten 43 Prozent Buckfast getrunken.

Anzeige

Das Wetherspoons in Coatbridge—einer der wenigen Orte in der Region Glasgow, wo es kein Buckfast gibt.

Was ist es also, das die Leute in der Region Glasgow so sehr an Buckie lieben? Um diese Frage zu beantworten, beschloss ich, in die „Buckie Triangle“ genannte Gegend östlich von Glasgow zu fahren. An einem Freitagabend kam ich in einem Zug mit betrunkenen, Fußballlieder grölenden Teenagern sowie ähnlich betrunkenen und ebenfalls grölenden fetten Männer mittleren Alters an einem Bahnhof mit dem irreführenden Namen Coatbridge Sunnyside Station an. Auf dem Weg in die Stadtmitte kam ich an lokalen Wahrzeichen wie der Spiritualistenkirche und dem Einkaufszentrum vorbei. Der Ort war ziemlich genau so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte: Alles war grau, halbnackte Mädchen schrien den aus Autofenstern lehnenden Typen „Wichser!“ hinterher und Jugendliche betranken sich im spätsommerlichen Nieselregen. In einem kleinen Supermarkt auf der Hauptstraße sagte mir die freundliche Geschäftsführerin, dass mindestens alle zehn Minuten eine Flasche verkauft wird. Sie selbst mochte das Getränk nicht besonders, ihre bessere Hälfte aber schon. „Mein Mann trinkt es, aber einige von seinen Freunden können es nicht ab. Sie drehen durch, wenn sie es trinken“, sagt sie und hält kurz inne. „Aber andererseits passiert das mit allem.“ Im örtlichen Wetherspoons-Pub erzählt eine gut gelaunte Bardame, dass sie den Inhaber seit Jahren zu überzeugen versucht, Buckfast einzuführen, bislang jedoch ohne Erfolg. Sie schickte mich in ein paar andere Pubs in der Gegend, die sich trauen, Buckie anzubieten. Die dortigen Angestellten erzählten mir, dass sie mit mehreren Vorfällen pro Woche zu tun haben. Worin liegt also der Reiz? Ich fragte ein paar offensichtlich minderjährige Teenager, die saufend durch Straßen zogen und erst mit mir redeten, als ich sie überzeugt hatte, dass ich kein Zivilbulle bin, der sich als ungepflegter Journalist verkleidet hat. „Es ist halt billig und macht besoffen“, brüllte einer, was einleuchtet.    Denn es ist in der Tat billig und macht besoffen. Wobei, genau genommen ist es gar nicht so billig. Normalerweise kostet eine Flasche mit 0,75 Litern ungefähr 7 Pfund (etwa 8 Euro). Dagegen bekommt man für 4,5 Pfund schon eine 3-Liter-Flasche Billig-Cider mit 7,5 Prozent, also doppelt so viel Alkohol für viel weniger Geld. Ich weiß, es ist unwahrscheinlich, dass ein 15-jähriger Rowdy lange rechnet, bevor er sich Alkohol für den Abend besorgt. Doch wenn der Preisunterschied zu anderen Getränken so groß ist, dass ihn sogar mein rechenschwaches Hirn erkennt, muss es noch etwas anderes geben, mit dem Buckfast die Leute ködert. Zum einen ist es das perfekte Getränk für unterwegs—Buckfast ist schon fertig gemischt, man kann es gut mitnehmen und es hat einen Drehverschluss. Liebhabern zufolge macht dich die Mischung aus Koffein und den anderen Zutaten außerdem „hyper“. Ein Gastwirt berichtete mir sogar, dass seine älteren Gäste anfangen, es anstelle des schottischen Nationalgetränks Whisky zu bestellen. Ich habe mit einem Typen gesprochen, dessen Liebe zu Buckfast so weit ging, dass er es nicht nur trank, sondern es sogar zum Kochen verwendete (ersteres tat er natürlich ebenfalls gern). Weil Buckie-Gerichte zwangsläufig scheiße schmecken, sind sie normalerweise Restaurants vorbehalten, die auf billige Schlagzeilen aus sind. Doch dieser Typ verhalf der Angelegenheit zu neuen Höhen bzw. Tiefen. Unter seinen Rezepten befindet sich Eis, sowie Buckfast mit Meeresfrüchten. „Tintenfisch in eigener Tinte schmeckt ekelhaft“, sagte er. „Deshalb habe ich es mit Buckfast versucht.“ Außerdem könne man eine echt tolle Steaksoße damit machen: „Du mischt es einfach mit Schalotten, Olivenöl und Brandy.“

Anzeige

Ich war von diesen Enthüllungen ziemlich perplex. Deshalb rief ich erstmal Dr. Alasdair Forsyth vom Schottischen Zentrum für Verbrechens- und Justizforschung an. Ich hoffte, dass er mir erklären könnte, warum die Leute so sehr auf Buckfast stehen. Seine Antwort ist, kurz gefasst, dass es für junge Leute ein Symbol für die schottische Krawall-, bzw. „Ned“-Kultur darstellt, mit der sie sich identifizieren. „Man kann die Sache nicht unabhängig vom Kontext betrachten. Jeder, der Buckfast getrunken hat, war ein Ned, und jeder Ned hat Buckfast getrunken.“ Wenn es also kein Buckfast gäbe—würden die Randalierer dann etwas anderes trinken und sich trotzdem genauso verhalten? Die Politiker streiten dies ab. Lange wurde das enthaltene Koffein als das Übel angesehen. Dementsprechend gab es alle möglichen Vorhaben, den Koffeingehalt des Mischgetränks zu begrenzen. Die Europaabgeordnete der schottischen Labour Party, Catherine Stihler, fordert seit Jahren ein Verbot von alkoholischen Getränken mit hohem Koffeingehalt. Ich nahm Kontakt zu ihr auf und fragte sie, was ihrer Meinung nach so fies an dem Getränk sei. „Aus der Kombination einer hohen Koffeindosis und Alkohol entsteht ein starker und gefährlicher Cocktail, der schon seit vielen Jahren mit asozialem Verhalten in Verbindung steht“, erklärte sie. „Daraus entsteht in vielen Gemeinden des Landes unermessliches Elend.“ Doch wenn man ehrlich ist, haben sich Leute schon seit einer ganzen Weile betrunken und sich erfolgreich gegenseitig wehgetan—mit oder ohne Koffein. Eigentlich ändert sich immer nur die Art des dafür verantwortlich gemachten Alkohols, je nach dem Geschmack und den Ansichten der Öffentlichkeit. Was heute Crack ist, war in den 1750er-Jahren der von den Ale schlürfenden, vornehmenden Schichten dämonisierte Gin. Mehr als 200 Jahre später setzen sich Leute mit Gin Tonics in geschmackvoll beleuchtete Weinbars mit Glasfronten und beobachten entsetzt das Verhalten der pöbelnden Halbwüchsigen, die die Straßen entlanglaufen, überall hinpissen und alles vollbluten. Es gibt jedoch eine Komponente von Buckfast, die noch schädlicher sein könnte: die Tatsache nämlich, dass es in Glasflaschen abgefüllt wird. Dadurch werden nämlich nicht nur Lebern gefährdet, sondern auch Köpfe, an die sie immer wieder geschleudert werden. In einer Nachuntersuchung zur Polmont-Umfrage von 2007 erklärten Gefangene, dass ihre Entscheidung oftmals für dieses oder ähnlich abgefüllte Getränke ausfiel, weil ihnen die Flasche einen bedeutenden Vorteil bei Angriffen bot. Andere gaben an, dass sie ihr unglückliches Gegenüber nicht verletzt hätten, wenn die Flasche nicht griffbereit gewesen wäre. Die Forscher ergänzten, dass die Berichte über die Gewaltvorfälle darauf hindeuten, dass Flaschen die am häufigsten verwendeten Waffen seien. Und das will was heißen.   Die Glasflaschen sind nach Forsyth das größte Problem, das jedoch seiner Ansicht nach kaum vom Vertreiber J. Chandler & Co. AG gelöst werden wird—aus Angst, dadurch die mythische Bedeutung des Getränks in der Rowdy-Szene zu verspielen. „Ich glaube, das Problem ist schon eine ganze Weile lang bekannt. Wahrscheinlich hat die Firma davon profitiert“, sagte er. „Sie hätten das Getränk auch in Plastikflaschen abfüllen können. Doch dann hätten sie ihren schlechten Ruf verloren, und damit eines der wichtigsten Verkaufsargumente.“

Anzeige

Die Buckfast-Abtei

Ich bin mir relativ sicher, dass die Mönche der Buckfast-Abtei nicht hinter einer großen Verschwörung stehen und Mord und Chaos auf den Straßen von Lanarkshire anzetteln. Dennoch habe ich mich gefragt, ob sie sich in ihrer überragenden spirituellen Reinheit und trotz der Millionengewinne zumindest ein paar Gedanken über den Schaden machen, den  ihr Gebräu angeblich anrichtet.   Bedauerlicherweise müssen alle Anfragen zum Wein über Chandler & Co. laufen. Um nicht von irgendeinem PR-Lakai abgewimmelt zu werden, fuhr ich direkt zur Abtei. Sie liegt in einer übertrieben schönen Ecke Devons—es stellte sich also heraus, dass das Bild auf der Flasche nicht nur ein billiger Werbetrick war, was ich irgendwie rührend fand. Außerdem stellte sich heraus, dass die meisten Einheimischen noch nie von Buckie gehört hatten. Alle anderen waren nicht besonders scharf darauf, es zu trinken. „Das trinken doch die ganzen dreckigen Junkies, oder?“, fragte mich ein Einheimischer. Im Inneren der Abtei versuchte ein freundlicher Fremdenführer, mir ein paar kostenlose Schriften anzudrehen. Dann machte er mich mit der ärgerlichen Kunde vertraut, dass Buckie zwar immer noch in der Abtei hergestellt wird, der Wein jedoch aus Frankreich kommt und die Mönche die anderen „geheimen Zutaten“ lediglich hinzufügen.

Es gab noch weitere Hindernisse. Nachdem ich auf zahlreiche „Privat“-Schilder und verschlossene Türen gestoßen war, stellte ich mich im Souvenirladen vor und fragte, ob es möglich sei, mit der Verwaltung oder einem Mönch zu sprechen. Da wurde die anfänglich liebenswürdige alte Dame hinter der Kasse sauer, kniff die Augen zusammen und fuhr mich an, dass es hier niemanden gäbe, der Zeit hätte, sich mit einem Journalisten zu unterhalten. Ich solle mich per E-Mail an einen mysteriösen „Medienberater“ wenden. (Meine E-Mails, die ich später an die von ihr erhaltene Adresse geschickt habe, kamen übrigens wieder zurück.) Als ich beiläufig erwähnte, dass ich Buckfast nicht mit einer solch ruhigen Umgebung in Verbindung gebracht hätte, starrte sie mich wütend an und blaffte: „Die Leuten reden viel.“

Anzeige

Als ich J. Chandler & Co. anrief, sprach ich mit einem Presse-Typen, der nicht viel für meine Kritikpunkte übrig hatte. Er fragte, ob es irgendwelche Beweise für die Behauptungen der schottischen Politiker über das Koffein gäbe. Auch für die Nutzung von Glasflaschen hatte er eine Verteidigung parat, die alles andere als einleuchtend war: „Wenn jemand vorhat, ein Verbrechen zu begehen, dann nimmt er jede Waffe, die ihm zur Verfügung steht. Egal, ob es sich um eine Flasche, ein Messer oder ein auf dem Bürgersteig liegendes Stück Holz handelt.“ Vielleicht habe ich die Forschungsergebnisse, die ich oben erwähnt habe, missverstanden. Aber ich glaube, der Presse-Typ hat einfach nicht verstanden, dass Glasflaschen nicht in die Reichweite von Betrunken gehören. Er fügte hinzu, dass viele Leute lieber aus Glasflaschen trinken und man die zahlreichen Buckie-Trinker mit anspruchsvollem Gaumen nicht vergraulen wolle. „Noch umstrittener“ seien die Folgen für die Umwelt. „Wenn die Leute ihre Plastikflaschen nicht richtig entsorgen und recyclen, könnten schon bald ganze Mülldeponien mit unseren Plastikflaschen gefüllt werden“, sagte er. Ob das besser oder schlimmer ist, als schottische Städte mit zerbrochenen Flaschen, betrunkenen Jugendlichen und Verletzten zu füllen, kann ich nicht sagen.

Mehr zum Thema Alkohol:

Hey Leute, Alkohol zu rauchen, ist nicht so cool, wie ihr denkt

Handbuch eines heimlichen Trinkers

Warum es besser ist, dass ich nie wieder Alkohol trinke