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The Magic Hour Issue

Wie man einen Lügendetektor überlistet

Eine Geschichte über illegale Drogen, Gefängnisse und eine jüdische Mutter—wenn auch alles mit einem Roadtrip anfängt, der schrecklich schiefgeht.
Illustration, ein Mann beim Lügendetektortest

Wie in jeder guten Geschichte kommen in meiner illegale Drogen, ein texanisches Gefängnis, Lügendetektoren und eine jüdische Mutter vor. Sie beginnt an einem wolkenlosen Morgen im Mai 1994, an einer Raststätte in der Wüste vor Las Cruces, New Mexico. Ich fuhr von meinem College in Los Angeles zu meiner Mutter in Gulfport, Mississippi. Ich war schon seit den frühen Morgenstunden auf dem heißen Asphalt unterwegs, und da überall Schilder vor Schlangen und entflohenen Gefängnisinsassen warnten, hielt ich die Raststätte für den besten Ort für eine Pinkelpause. Dort traf ich den Anhalter. „Fährst du Richtung El Paso?", sprach mich ein Müllmann im orangefarbenen Overall an. Nicht er selbst brauche eine Mitfahrgelegenheit, sondern ein Trucker, dessen Sattelschlepper liegen geblieben sei und der die acht Kilometer zur Raststätte zu Fuß bestritten habe. Vielleicht könne ich den Mann ja zum Busbahnhof in der Innenstadt bringen, es sei etwa eine Stunde Fahrt. Da kam auch schon der Trucker aus der Toilette. Er war dünn, hatte schlechte Zähne und auf seinem Unterarm war ein hellblaues Tattoo, das ich nicht richtig erkennen konnte. Er trug gebleichte Jeans und Arbeitsstiefel mit Stahlkappen. Er drehte sich eine Zigarette und blickte auf eine Art umher, die mich vermuten ließ, dass es keinen Sattelschlepper gab. Ich muss wie ein leichtgläubiges Ziel gewirkt haben, oder vielleicht sah ich auch nur aus wie eine verwandte Seele: Ich trug dreckige Shorts und ein Rolling-Stones-Shirt. Ich hatte einen Ziegenbart und Ringe in beiden Ohren. „Fahren wir", sagte ich. Ich war 21 und leichtsinnig, ein verlorener Student auf der Suche nach abenteuerlichen Erfahrungen. Der Schaden, den Camus und Sartre und Dostojewski und Hunter S. Thompson meiner Persönlichkeit zugefügt haben, ganz zu Schweigen von Conan der Barbar und Indiana Jones, kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Ich verstand das „echte Leben" nur auf vage, Beat-Literatur-gefilterte Art, hatte aber auch nicht den nötigen Mumm, um diese Klischees zu leben. Meine Antwort war immer Ja, völlig gleich, wie die Frage lautete. Ich hatte Los Angeles ein paar Tage zuvor verlassen. Die letzte Prüfung lag hinter mir, ich war verkatert und ich hatte auch noch einen richtigen Kater dabei, der grau getigert war und Gordon hieß. Meinem 1986er Jeep Grand Wagoneer—ein monströses braunes Ding mit dekorativer Holzverkleidung—war in der Zeit vor meiner Abreise eine ganze Menge Mist passiert. Ein Dieb hatte eines Nachts das Fahrerfenster eingeschlagen und das herausziehbare Radio gestohlen, das ich dummerweise unter dem Sitz und nicht außerhalb des Autos gelagert hatte. Ich ließ das Fenster ersetzen, nur um ein paar Tage später aufzuwachen und festzustellen, dass jemand das Fenster zerbrochen und die circa 3 Dollar in kleinen Münzen aus meinem Aschenbecher geklaut hatte. Diesmal ließ ich es nicht reparieren, denn irgendwie fand ich es verwegen, mit einem eingeschlagenen Fenster herumzufahren und einen Arm in den Fahrtwind zu hängen. Ich ging außerdem davon aus, dass es nun nichts mehr zu stehlen gäbe, doch ich lag falsch: Eines Tages wachte ich auf und das Auto war weg. Die Polizei fand es ein paar Wochen später, und nun fuhr ich damit durch die riesige Chihuahua-Wüste, ohne Radio, mit einem kaputten Fenster, einem flehentlich miauenden Gordon in einer Transporttasche—und mit dem Anhalter. Der Anhalter wollte anscheinend, dass ich weiterhin bei seiner Trucker-Geschichte mitspielte, also tat ich ihm den Gefallen. Er sprach von der einsamen Straße, von seiner Zeit in der Marine und im Gefängnis und von einem Kind, das er schon länger nicht gesehen habe. Er sagte immer wieder, ich hätte ihm „einen dicken Gefallen" getan. Ich erzählte ihm meine Geschichten und erfand ein paar dazu, die noch besser waren. Als ich ihn endlich in El Paso absetzte, bestand er darauf, mich zu bezahlen. Er habe kein Geld, sagte er, aber stattdessen ein wenig erstklassiges LSD. Er gab es mir und wollte keine Widerworte hören. Die 20 Dollar, die ich ihm dafür gab, nahm er aber gern. Ich sah zu, wie er in Richtung Busbahnhof davonschlurfte und unter den vielen Drogensüchtigen und Vagabunden vor dem Eingang verschwand. Ich steckte das kleine Drogenpäckchen aus Alufolie in meinen Geldbeutel, gleich unter meinen Führerschein, und setzte meine Reise auf dem Highway fort. Am nächsten Tag fuhr ich zu schnell durch Kerrville in Texas und wurde angehalten. Die Polizisten schienen außergewöhnlich aufmerksam, als sie mich ausfragten. Es stellte sich heraus, dass jemand tief in der städtischen Verwaltungsmaschinerie von Los Angeles es versäumt hatte, den Status meines Jeeps zu aktualisieren. Das Auto raste also—beladen mit meinem chaotischen Gepäck und einer Katze mit Hitzschlag—unweit der mexikanischen Grenze durch die Gegend und war noch als gestohlen gemeldet. Ich versuchte, cool zu bleiben. Mit anderen Worten: Ich war alles andere als cool. Ich holperte durch eine Erklärung über den Diebstahl und stotterte, als sie meine Sachen durchgingen. Ich sehe mich selbst immer gern als so eine Art unentdeckten Steve McQueen, rechtschaffen und rebellisch und unbewusst sexy. In Wirklichkeit war ich eher wie Woody Allen in Der Stadtneurotiker, der das ganze gute Kokain vom Tablett niest. Und etwas Ähnliches tat ich dann auch: Auf die Aufforderung, meine Papiere zu zeigen, fummelte ich meinen Führerschein aus dem Geldbeutel. Er hing irgendwie fest. Endlich zog ich ihn heraus, wobei ich das Alupäckchen mit dem LSD buchstäblich auf einen der Polizisten schleuderte. Es traf ihn an der Nase.

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Sie legten mich in Handschellen und setzten mich in den Beifahrersitz des Streifenwagens. (Der arme Gordon wurde ebenfalls eingesperrt, in einem Tierheim.) Der Polizeibeamte neben mir war ein Rotschopf mit hellbraunen Sommersprossen und strahlte allgemeine Enttäuschung und Unzufriedenheit aus. Er hatte nur eine Hand am Steuer und griff mit der anderen hin und wieder an seine Dienstwaffe. Wir unterhielten uns auf der Fahrt zum Gefängnis, oder zumindest hielt er eine gutgemeinte Ansprache über die Gefahren von Drogen und so. Wer weiß, was er sich dachte. Vielleicht, das ich gerettet werden könnte—ein kleines Kruzifix schaute zwischen den Knöpfen seiner Uniform hervor. Oder vielleicht spielte er nur einen Menschen, der andere rettet. „Was meinst du, was du da hast, Sohn?", fragte der Polizist auf dem Höhepunkt seiner kumpelhaften Anbiederei. Die Frage war gar nicht so seltsam, wie sie vielleicht klingt. Ich hatte den Inhalt der Alufolie inspiziert und es hatte nichts mit dem LSD gemeinsam, das ich kannte. Anstelle kleiner Vierecke perforierten Papiers waren darin winzige Streifen einer bernsteinfarbenen, gel-artigen Substanz, wie fingernagelgroße Splitter Seife. In der Frage des Polizisten witterte ich meine Chance. Ich beschrieb meine Erfahrung mit dem Anhalter, doch anstatt den Drogenkauf zuzugeben, sagte ich, der Mann habe versucht, sie mir zu verkaufen, und ich hätte mich geweigert. Er habe das Zeug in einer Packung Zigaretten verschwinden lassen, die er dann im Auto vergessen habe. „Er erzählte mir, es sei LSD", sagte ich, doch da ich das Zeug nicht probiert hätte, und es auch niemals vorgehabt hätte, könne ich das nicht mit Sicherheit sagen. (Das stimmte—ich hatte schlechte Erfahrungen mit Halluzinogenen und hatte vorgehabt, die Drogen zu verschenken.) „Könnten genauso gut auch Stücke von einem Bonbon sein." Der Beamte lächelte sein Bullenlächeln. „Wir wissen doch beide, dass das nicht stimmt." Ich zuckte mit den Schultern. Nach einer schlaflosen Nacht im Gefängnis, in der ich dauernd die Schreie eines an Händen und Füßen gefesselten Gefangenen hörte, der für die Hauptzelle zu streitlustig gewesen war, durfte ich meine Mutter und meinen Stiefvater in Mississippi kontaktieren. Meine Mutter besorgte mir einen Anwalt und der gab meine Version der Geschichte an die Behörden weiter. Die texanische Polizei war natürlich intelligent genug, meine Anhaltergeschichte für eine äußerst einfallslose Ausrede zu halten.1 Doch ich war ein weißer Junge mit einem Anwalt, und es war einfacher für alle, zweifelhafte Umstände wie vorgeschrieben zu meinen Gunsten auszulegen. Mein Anwalt bekam mich (und Gordon) gegen eine Kaution von 25.000 Dollar frei und entließ uns in die Obhut meiner Eltern. Eine Vereinbarung wurde getroffen: Ich würde den Sommer bei meiner Familie verbringen und in der Autowerkstatt meines Stiefvaters arbeiten. Am Ende des Sommers würde ich nach Texas zurückkehren und mich einem Lügendetektortest unterziehen. Wenn der Test meine Geschichte bestätigte, würde man die Anklage fallen lassen. Wenn nicht, würde ich möglicherweise bis zu zwei Jahre Gefängnis wegen Drogenbesitzes bekommen.

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1 Niemand, aber auch wirklich niemand, hat mir jemals geglaubt, dass der Anhalter tatsächlich existierte.

Die Werkstatt meines Stiefvaters war in Gulfport, der zweitgrößten Stadt in Mississippi. Randy war ein kräftiger, sonnenverbrannter Mann mit einem ehrlichen Gesicht, schwieligen Arbeiterhänden und muskulösen Unterarmen. Er lernte meine Mutter kennen, als ich elf war—er reparierte ihren VW Beetle und bat sie um ein Date. Ich baute schnell eine starke Bindung zu ihm auf. Auch wenn es kitschig klingt, er wurde zu einem Vater für mich. Meiner Mutter zu sagen, dass ich verhaftet worden war, war mir peinlich, doch vor Randy schämte ich mich. Als der Nachwuchsmechaniker der Werkstatt machte ich Ölwechsel und Bremserneuerungen, Auswuchtungen und Radwechsel. Ich tauschte Zündkerzen und Keilriemen aus und kochte Kaffee. Die anderen Mechaniker waren alle Afroamerikaner. Bill war ein Baptisten-Pastor und Army-Veteran, der ein paar Hebebühnen von Randy gemietet hatte und die Aufträge übernahm, die wir nicht schafften. Butch war Diakon in Bills Gemeinde und hatte früher semiprofessionell Basketball gespielt. Er humpelte wegen einer alten Sportverletzung und kehrte meist den Boden, wobei er in einem so breiten afroamerikanischen Mississippi-Dialekt Geschichten erzählte, dass ich kein Wort verstand. Es gab regelmäßig Spannungen, die mit Hautfarbe, Klasse und Männlichkeitsgehabe zu tun hatten. Bill beschwerte sich, dass Randy ihm die schwersten Aufträge gab (Randy bezahlte ihn pro Auftrag und da komplizierte Reparaturen länger dauerten, verdiente er daran weniger). Obwohl Bill deswegen sauer war, machte es ihn auf eine passiv-aggressive Weise auch stolz. „Machst dir nicht mehr gern die Hände schmutzig, was, Randall?", lachte er öfter. Wenn er mir etwas erklärte, nannte er mich immer gespielt unterwürfig „Mr. Ted", wobei er meinen Namen in die Länge zog, wie es nur jemand aus Mississippi kann. Bills Cousin O.J. machte kleine Aushilfsarbeiten und Reparaturen, während er überlegte, ob er studieren oder dem Militär beitreten sollte. Einmal spielte ich mit ihm nach Feierabend Basketball. Er war größer und schneller als ich und machte Witze über weiße Jungs und ihre Sprungwürfe. Es blieb bei diesem einen Mal. Ich arbeitete gern in der Werkstatt, auch wenn ich nicht gut darin war. Ich genoss es, abends heimzukommen und mir mit müden Armen die Schmiere aus den Haaren zu waschen. Eigentlich stimmt es nicht ganz, dass ich es genoss. Mehr noch als die Arbeit mochte ich es, sagen zu können, dass ich mit Autos arbeitete. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, in der Werkstatt zu bleiben, statt mein Studium weiterzumachen, obwohl ich wusste, dass ich es doch nicht tun würde. An manchen Tagen redete ich mir halb ein, dass ich nach Mexiko fliehen würde, wenn ich den Lügendetektortest nicht bestand, um dort ein hedonistisches Abenteurerleben zu führen, wie ich es aus meinen Büchern kannte. Oder ich würde alles der texanischen Polizei gestehen und ins Gefängnis gehen. Die paar Jahre glaubte ich aushalten zu können. Auf eine total idiotische Art stellte ich sie mir sogar als wertvolle Erfahrung vor. Vielleicht, weil ich mir wie eine Niete vorkam. Randy verursachte in mir schon immer ein nagendes Gefühl von Unzulänglichkeit. Während meiner Jugend hatte ich nie mit seiner leichten Macho-Aura und seiner körperlichen Stärke mithalten können. Als Footballspieler war ich ein Versager—bei einem Spiel wurde ich von einem Zusammenstoß ohnmächtig. Auch handwerklich machte ich nichts her. Ich fuhr außerdem keine Wheelies, fing keine Fische und verlor die Prügeleien, denen ich nicht aus dem Weg gehen konnte. Meine Mutter war Teil der jüdischen Nachkriegsgeneration, die noch nicht ganz im Mainstream angekommen war, und Randy war auf eine Art amerikanisch, die Menschen wie sie beneideten, respektierten und für ihre Kinder erhofften. Für sie, und deshalb auch für mich, verkörperte Randy ein erstrebenswertes maskulines Ideal, das ich niemals erreichen würde.

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Ich erinnere mich nicht mehr an das Gespräch, in dem ich meiner Mutter sagte, dass ich die Polizei in Kerrville angelogen hatte und den Lügendetektortest wohl kaum bestehen würde. Ich erinnere mich allerdings, wie sie mich zu einem Psychologen schickte, um herauszufinden, ob ich ein Drogenproblem hatte. Der Therapeut stufte mein Verhalten als „Drogenmissbrauch", nicht als „Drogensucht", ein und dabei beließen wir es. „Ich habe nie befürchtet, dass du drogensüchtig bist", sagte sie mir vor Kurzem. „Nur, dass du ein verdammter Idiot bist." Meine Mutter verließ meinen Vater 1976, als ich drei war, und wir zogen etwa fünf Jahre später nach Mississippi, wo sie eine Arztpraxis eröffnete. Ich pendelte die restlichen Jahre meiner Kindheit zwischen Manhattan, wo mein Vater weiterhin lebte, und der Golfküste. Doch bis heute, drei Jahrzehnte nach ihrem Umzug nach Gulfport, ist sie eine Fremde unter den Südstaatlern geblieben. Als 1,50 Meter große jüdische Zuzüglerin aus Queens hat sie einen himmelschreienden Napoleon-Komplex, einen unbezwingbaren mütterlichen Willen und liebt es zu fluchen—„Das geht mir am Arsch vorbei!" war ein Satz, den ich in meiner Jugend oft hörte. Sie würde sich nie in den Bible Belt integrieren. Dennoch hatte meine Mutter in Mississippi immer Freunde und Unterstützer, die sich von ihrer dominanten Persönlichkeit angezogen fühlten und ihren Mechaniker-Ehemann und die Loser-Kinder akzeptierten, weil sie ihnen keine andere Wahl ließ. Das stellte sich für den Plan, den meine Mutter schmiedete, um mich vor dem Gefängnis zu bewahren, als nützlich heraus. Eines Tages eröffnete sie mir beim Frühstück, ein Bekannter von ihr wisse, wie man einen Polygrafentest bestehe. Er hatte ihr ein paar Techniken erklärt, die ich lernen sollte.2 Selbsthypnose schien der Schlüssel zu sein. Such dir einen Punkt im Zimmer aus und starre darauf. Übernimm die Kontrolle über deine Atmung. Zähle ein paar Mal von zehn runter. Versetze dich so in einen leicht meditativen Zustand. Sie erklärte mir, dass Lügendetektoren natürlich wahre Aussagen nicht von falschen unterscheiden können. Sie erfassen lediglich einfache Körpersignale—Puls und Blutdruck, Atmung und Hauttemperatur—die Stressreaktionen aufs Lügen sein können. Wenn du all diese Reaktionen kontrollieren kannst, stuft der Test deine Lügen als Wahrheit ein. Der Bekannte war skeptisch gewesen, ob der Plan funktionieren würde. „Er traut es dir nicht zu", sagte meine Mutter. Doch sie selbst meinte anscheinend, dass ich zu überzeugendem Lügen fähig sei. Der Bekannte schlug eine Übungsrunde vor, um mich zu testen. Er hatte Verbindungen zu einer Sicherheitsfirma (diskreterweise ansässig in Mobile, Alabama) und organisierte dort für mich einen Lügendetektortest.

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2 Dieser Bekannte hatte dabei geholfen, mir meinen texanischen Anwalt zu sichern, und hatte mir fast genau ein Jahr zuvor schon den gleichen Dienst erwiesen, als ich in Kearney, Nebraska, zu schnell gefahren und für den Besitz von zwei Ecstasy-Pillen festgenommen worden war. Ich gab das Vergehen zu und musste eine kleine Strafe zahlen.

Randy brachte mich Anfang August zum Übungstest nach Alabama. Der Himmel drohte mit Sommerregen, und gigantische Ge­witterwolken tauchten alles in ein blassgraues Leuchten, wie in einem alten Schwarzweißfilm. Das distanzierte Gefühl, durch eine Filmkulisse zu fahren, war angenehm und beruhigend, doch ich versuchte, mich nicht davon einlullen zu lassen. Ich war sehr müde, von der Anspannung des bevorstehenden Tests, von der Arbeit in der Werkstatt und vielleicht auch von der neuen Allergiemedizin, die mir meine Mutter verschrieben hatte. Sie hatte mir an jenem Morgen auch Kaffee verboten, weil sie fürchtete, Koffein könnte zu einem falsch positiven Ergebnis führen. Ich versank während der Fahrt immer wieder in Dämmerschlaf. Die Sonne durchbrach die Gewitterwolken, als wir bei der Sicherheitsfirma ankamen, und alles wurde schlagartig extrem klar. Ein Nervenkitzel wanderte meinen Rücken hinunter und in meinen Schritt, und ich fragte mich, ob ich wohl noch auf die Toilette könnte. Ein Sicherheitsexperte mit Stoppelschnitt und ausdruckslosem Gesicht winkte uns durch den Haupteingang. Eine von Randys Pranken landete auf meiner Schulter und drückte zu. „Bereit, Junge?", fragte er. Ich ging hinein, ohne zu antworten. Der Stoppeltyp wies mich an, mich einzutragen, und zeigte Randy den Warteraum und Kaffeeautomaten. Mich führte er in ein Hinterzimmer mit tapezierten Wänden, grellen Leuchtröhren und ein paar Postern, die Alabamas Vorzüge im Bereich Fischerei und Jagd priesen. Die Dämmplatten an der Decke gaben mir Zuversicht. Ihre Ecken und Linien würden gute hypnotische Fokuspunkte abgeben. Der Lügendetektor stand auf einem Schreibtisch in der Mitte des Zimmers. Die gedrungene Kiste hatte viele Retroknöpfe und -schalter, die mich an NASA-Aufnahmen erinnerten, und an einem Ende eine Rolle Millimeterpapier mit drei Tintenstrahldüsen. Wie die meisten Leute kannte ich den Anblick aus unzähligen TV-Serien und Filmen, weshalb ich ihn erst fast nicht ernst nehmen konnte. Ich setzte mich und ein Mann fing an, Sensoren an meinem Körper anzubringen. Dazu gehörten die Blutdruckmanschette um meinen Arm, zwei Pneumografen zur Atemmessung um den Oberkörper und ein Galvanometer an der Fingerspitze, um meine Hauttemperatur zu messen. Er erklärte die Funktion aller Sensoren und erzählte mir ein wenig über die bevorstehende Befragung. Ich schob den Gedanken an die Lüge im Kern meiner Geschichte beiseite. Meine Freiheit hing davon ab, wie glaubwürdig ich behaupten konnte, nicht für das LSD bezahlt zu haben. Er fragte, ob ich bereit sei, und ich sagte Ja. Meine Nerven hatten sich beruhigt und ich fühlte nur noch ein aufgeregtes Prickeln. Ich wollte es hinter mich bringen. Als Erstes bat er mich zu lügen. Der Lügendetektor brauchte eine Falschaussage, um mein Reaktionsmuster zu erfassen. Er las meine Adresse vor und fragte, ob sie richtig sei, und ich sagte Nein. Es ging los. Eine unheimliche Teilnahmelosigkeit kam über mich, als ich die Geschichte mit dem Anhalter erzählte. Ich starrte an die Decke, bis die Ecken der Fliesen sich vor meinen Augen drehten. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Mein Atem ging rhythmisch. Eine Welle der Übelkeit und des Schwindels kam und ging, gefolgt von einer verstörenden Leichtigkeit, einem Gefühl wie beim Fliegen im Traum, fast wie Hyperventilieren. Gleichzeitig fühlte sich alles zutiefst entspannt an. Ich sagte dem Prüfer, der Mann habe mir LSD angeboten und ich hätte es abgelehnt. Er habe es in eine Zigarettenschachtel gesteckt, diese in den Aschenbecher gelegt und sie beim Aussteigen in El Paso vergessen mitzunehmen. Ich war mir die ganze Zeit über bewusst, dass ich log. Dennoch fühlte sich die Täuschung angenehm ermüdend an—nicht belastend, sondern sanft und leicht. „Und?", fragte Randy, als ich wieder im Wartezimmer erschien. „Wer weiß." Ein paar Tage später rief die Sicherheitsfirma bei meiner Mutter an. Ich hatte bestanden.

1730 veröffentlichte Daniel Defoe (den man zu Recht eher für Robinson Crusoe kennt) ein kurzes Traktat namens Ein wirksamer Plan zur unmittelbaren Vermeidung der Straßenräuberei und anderer nächtlicher Gesetzes­losigkeiten. „Das Blut des Diebes ist in Wallung", schrieb er, und Ermittler sollen „[den Täter] beim Handgelenk packen und seinen Puls fühlen; dort findet man seine Schuld." 156 Jahre später modifizierte ein italienischer Kriminologe und Arzt namens Cesare Lombroso einen Hydro-Sphygmografen—eine archaische Maschine, die den Puls über Wasserverdrängung maß—und setzte ihn ein, um die physiologischen Veränderungen bei Verdächtigen in einer Polizeiermittlung zu beobachten. Beweismittel von einem Polygrafen wurden erst 1935 bei einem Mordprozess in Wisconsin zum ersten Mal vor Gericht eingesetzt, um aufzudecken, ob der Angeklagte den Sheriff erschossen hatte. Natürlich ist mehr als fragwürdig, wie zuverlässig ein Polygrafentest überhaupt ist. Als man 1984 Gary Ridgway wegen des Mordes an einer Frau verhörte, bestand er einen Lügendetektortest, im Gegensatz zu einem anderen Mann, der ihn nicht bestand und für den Täter gehalten wurde (auch wenn man ihn nicht verurteilte). 20 Jahre später gestand Ridgway den Mord; in der Zwischenzeit hatte er mindestens sieben weitere Frauen getötet. Als Bill Wegerle 1986 bei zwei Polygrafentests durchfiel, in denen es um den Mord an seiner Frau ging, wurde er in seiner Stadt zum Geächteten. Genetisches Beweismaterial entlastete Wegerle später: Man identifizierte den Serienmörder Dennis Rader als den wahren Täter. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben mindestens sechs US-Spione erfolgreich Polygrafentests bestanden, während sie als Doppelagenten arbeiteten. 1998 urteilte der Oberste Gerichtshof der USA im Prozess Vereinigte Staaten gegen Scheffer, es gäbe „schlicht keinen Konsens, dass Polygrafen zuverlässiges Beweismaterial produzieren"; 2003 nannte die National Academy of Sciences Polygrafenforschung „unzuverlässig, unwissenschaftlich und voreingenommen". Trotz all dem legen etwa 70.000 Bewerber um Stellen bei der US-Regierung jährlich einen solchen Test ab, und das FBI, die CIA und Polizeidezernate setzen sie nach wie vor bei Verhören ein.

Unehrlichkeit an körperlichen Signalen festzumachen ist eine äußerst seltsame Sache. Der große Logikfehler des Polygrafen ist die Annahme, Ehrlichkeit und Selbstkontrolle seien ein und dieselbe Sache. Ein bestandener Lügendetektortest ist kein Garant für Ehrlichkeit, doch wenn du bei einem Test durchfällst, giltst du als Lügner. Um jemanden von deiner Ehrlichkeit zu überzeugen, musst du den Anschein der Ehrlichkeit aufrechterhalten; um das zu tun, musst du Täuschung einsetzen, und das ist unehrlich, selbst wenn du die Wahrheit sagst. Es ist ziemlich verworren. Wie das LSD des Truckers, dass nicht nach LSD ausgesehen hatte, hatten meine Allergiepillen nicht wirklich wie Allergiepillen ausgesehen. Sie waren klein, sechseckig, hellblau und geprägt mit dem Buchstaben I. Nun eröffnete meine Mutter mir, dieses I stünde für Inderal, ein Mittel gegen Bluthochdruck, das off-label auch gern gegen Lampenfieber eingesetzt wird. Meine Mutter hatte nicht auf die Techniken ihres gerissenen Bekannten vertraut und stattdessen die Dinge selbst in die Hand genommen. Sie hatte mir eine Droge verabreicht, damit ich besser über meinen Drogenkonsum lügen konnte. Ich wollte ihr danken und wollte meine Zuneigung und meinen Respekt zum Ausdruck bringen. Ich wollte ihr sagen, dass ich ihren Einsatz als einen Beweis ihrer Liebe verstand. Doch mir fehlten die richtigen Worte und so kehrte ich nach meinem erfolgreichen Lügendetektortest bei der Polizei in Texas ins College zurück und verdrängte alles. Irgendwann fragte ich meine Mutter, was sie getan hätte, wenn ich den Übungstest nicht bestanden hätte. Hätte sie mich wirklich nach Texas fahren lassen, um mich dem echten Test zu stellen? Oder wäre es dann vernünftiger gewesen, meine Lüge zurückzunehmen und der Polizei in der Hoffnung auf eine milde Strafe entgegenzukommen? „Keine Ahnung", sagte sie. „Vielleicht hätte ich dir einen besseren Anwalt gesucht."