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Sex

If You Build It, They Will Cum

Die Schwerpunkte der Impropriety Society, einer Fetisch-Community, liegen—wie zu erwarten—auf gegenseitigem Kennenlernen, Tanzen und Ficken.

Im Frühjahr 2010 schwemmte mich die Rezession, die wie eine Zombie-Armee durch das Land wütete, aus meinem unbedeutenden Leben, das ich mir in Los Angeles zusammengeflickt hatte. Plötzlich arbeitslos und von Obdachlosigkeit bedroht, rettete ich mich auf einen Biohof in Humboldt County, Kalifornien, dessen Eigentümer und Leiter ein alter Freund ist, und fing dort als Landarbeiter an. Unter meinen Kollegen war eine Gruppe junger Leute zwischen 20 und 30 Jahren, die man die „Kids“ nannte—ein geiler pansexueller und polyamoröser Haufen. Nachdem sie sich ein paar Wochen lang mit sexuellen Angebereien zu übertrumpfen versucht und zu heißen Hip-Hop-Nummern verrenkt hatten, begannen sie, es fieberhaft zu zweit oder zu dritt miteinander zu treiben. Ich hielt mich aus diesem feuchten Getümmel heraus. Bevor mich meine jahrzehntelangen Fehltritte, meine Selbstsabotage und meine armseligen Beziehungsentscheidungen zu einem zölibatär lebenden Neurotiker gemacht hatten, wäre ich hier sicher gerne mit eingestiegen. Ich erreichte mein Erwachsenenalter in den Hochzeiten der sex-positiven 90er Jahre. Im berühmten Lusty-Lady-Theater in San Francisco wischte ich schon, als ich noch ein Teenager war, das Sperma vom Boden. Ich filmte B-Roll-Material für einige schmierige Pornos, war mit Stripperinnen zusammen, versuchte mich als Erotikmasseur und probierte mit meiner Freundin ein Swinger-Hotel aus. Als Taxifahrer mit Mitte 20 zog ich meine Kreise durch Tenderloin, während auf dem Rücksitz Transen ihren Freiern den Schwanz lutschten. Strotzend vor Selbstbewusstsein machte ich mit beim Bekenntnisspiel, aber eines der Kids, ein magerer weißer Typ mit Afro, einem schmalen Schnäuzer und buschigen Bart, stellte mich noch in den Schatten. Er erzählte uns, wie er es auf der Bühne vor einigen Hundert Leuten hinbekommen hatte, eine Frau mit seiner Faust zu ficken, gleichzeitig ein Lied zu singen und den Rhythmus auf einem Schlagzeug zu produzieren, das aus ihrem Arsch und der mit einem Kontaktmikro versehenen Badewanne, in der sie saßen, bestand. Das war meine Einführung in die Impropriety Society, eine Gruppe von ortsansässigen Fetischfans, die aufwendige Sexpartys in Humboldt veranstalteten. Die Impropriety Society, kurz Imps genannt, ging aus einer früheren Gruppe von Sex-Party-Veranstaltern hervor, dem sogenannten Club Risqué. Die Partys waren anfangs Fundraising-Events für einen Piratensender, organisiert von einigen Theater- und Zirkusfreaks. Sie hatten eher den Charakter von Flirtpartys mit feurigen Performanceeinlagen als von eigentlichen Sexpartys. Aber mit der Zeit rückten echte Ficks immer mehr in den Vordergrund und der Club Risqué wurde zu einem Ort, weitab von irgendeinem städtischen Zentrum, an dem sich Leute mit verschiedensten, ansonsten kaum repräsentierten Fetischen zur Schau stellen konnten, und der sogar mit einem separaten Kellerbereich für die ortsansässige BDSM-Szene ausgestattet war. Von Anfang an bildete ein tatkräftiges polyamouröses Paar die Seele des Clubs. Als ihre Beziehung vor ein paar Jahren auseinanderging, bedeutete das auch das Ende der Partys. Ein harter Kern von Club-Risqué-Veteranen übernahm es, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Sie gründeten die Impropriety Society, entwarfen eine Art Manifest und formulierten sex-positive ethische Richtlinien, die besonderen Wert legten auf Einvernehmlichkeit, Eigenwahrnehmung, Verantwortung und Inklusivität aller sexueller Orientierungen, Genderidentitäten und jeglicher Formen des persönlichen Ausdrucks. Ihre erste Party veranstalteten sie im Mai 2008. Seitdem organisieren sie alle ein bis zwei Monate kleine und nicht sehr aufwendige Events. „Geselliges Beisammensein“ nennen sie diese Partys, für die sie an die 75 Tickets verkaufen. Sie finden in einem großen Raum statt, der nur einige wenige BDSM- und Kerkerutensilien bereithält. Der Schwerpunkt liegt mehr auf dem gegenseitigen Kennenlernen, Tanzen und Ficken—für Letzteres sind entlang der Wände Matratzen ausgelegt. Zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, gibt es weit größere Veranstaltungen mit einem voll ausgestatteten Kellerraum und einer Zuschauergalerie, verschiedenen Erlebnisräumen, einer größeren Tanzfläche, Fingerfood von ambitionierter Qualität und Bühnenshow. Mit bis zu 250 verkauften Tickets und mindestens 80 freiwilligen Helfern sind das recht große Veranstaltungen, vor allem wenn man das Zahlenverhältnis von Bäumen zu Menschen in Humboldt bedenkt. Das erste Mal war ich dort im vergangenen Jahr, auf der Halloweenparty. Ich ging mit dem Afrotypen und zwei Mädels vom Hof hin. Das Fest fand im Clubhaus irgendeines obskuren Ordens in einer öden Straße von Eureka statt. Damals kannte ich diese Gegend kaum. Die bisherigen paar Monate in Humboldt hatte ich auf einem wenige Hektar umfassenden, von einem Wald gesäumten Gebiet in der Flussniederung des Eel River verbracht. Die Altstadt von Eureka suchte ich nur einmal in der Woche auf, um dort in einem Cafe meine Internetsachen zu regeln. Die Straßen wirkten immer unheimlich und waren bis auf ein paar zugedröhnte Fußgänger in den Gassen des trostlosen Viertels menschenleer. Die hohlen Ziegelfassaden der viktorianischen Häuser wirkten wie eine außer Betrieb genommene Kulisse auf einem Studiohinterhof. Der Bühnenshowteil der Party ging gerade zu Ende, als wir ankamen: Eine Star-Wars-Parodie, an deren Schluss Prinzessin Leia sich von Luke Skywalker lecken lässt, der wiederum von einem weiblichen Darth Vader mit einem Strap-On penetriert wird. Dann kamen die Darsteller der früheren Stücke auf die Bühne, um sich beim Publikum zu bedanken, und das Publikum (etwa 200 kostümierte Leute, die auf dem Boden oder auf den Matratzen und aufeinander herumlagen) tobte. Der Applaus ließ nach, der DJ fing an aufzulegen und zehn Minuten später vögelten die Leute auf den Matratzen, die vor den Wänden des Hauptraums lagen. Kurze Zeit später hörte man aus dem mit einem Vorhang abgetrennten Kerker Peitschenhiebe und Schläge. Die Kids amüsierten sich köstlich. Sie waren auch in sexy Kostümen erschienen und gaben sich lustvoll und mühelos dem schwitzigen Durcheinander hin. Im Unterschied zu den meisten Swingerpartys sind bei den Events der Impropriety Society Männer ohne Begleitung nicht nur zugelassen, sie werden ausdrücklich ermutigt zu kommen. Die Impropriety Society organisiert sogar Veranstaltungen in Bars aus der Umgebung, die jugendfrei sind, um weitere Kreise zu erreichen. Ich war selbst einer von diesen Singletypen, einer von den wenigen passiven Teilnehmern in Straßenklamotten, die nervös auf dieser Party herumstakten. Ich beobachtete eine Weile das Treiben auf den Matratzen, warf einen Blick in den Kuschelraum, setzte mich in die Kerkergalerie und hing dann sinnlos im Raucherbereich herum. Dann machte ich das alles von Neuem, insgesamt sieben Stunden lang, und schaute meinen Freunden und Fremden dabei zu, wie sie sich fröhlich durch den Parkour der verschiedenen Schauplätze leckten und bumsten. Einmal versuchte ich, mit einer Person ins Gespräch zu kommen, ich sagte etwas in der Art, wie schön ihr Arsch sei, aber als wir uns in die Augen sahen, kriegte ich Schiss und machte mich davon. Als es allmählich Morgen wurde, fühlte ich mich ausgelaugt. Ich fand eine von den Mädels, mit denen ich angekommen war, sie kippte gerade in einem der vielen Kinderbecken im Kuschelraum aus den Latschen, und ich kroch neben sie. Sie war die Freundin des Afrotypen, aber sie lebten in einer offenen Beziehung und wir flirteten gern. Über ihren großen Hintern wurde auf dem Hof viel geredet, und in dem kurzen Moment von draufgängerischem Mut, der kurz vor dem Einschlafen eintritt, während Afromann und unser anderer Freund vergnügt zuschauten, zog ich sie nah zu mir, wir schmiegten uns aneinander und ich griff dankbar nach einer ihrer wundervollen Arschbacken. Das war der Höhepunkt meiner Nacht voller Kitzel und frustrierender Zurückhaltung: eine über eine verschwitzte Hand hinweg huschende Hitze. Eine halbe Stunde später fuhren wir in einem unbeheizten Auto durch gefrierenden Regen nach Hause. Ich verbrachte den Winter im Osten, eingeschneit und einsam, und wurde allmählich fett vor dem Fernseher. Während ich mich in einer saisonalen affektiven Störung suhlte, stiegen in meiner Erinnerung immer wieder Bilder von Humboldt auf, seinem Zartbitterschokoladenschmutz und seiner einzigartigen Kultur. Das Wissen darum, dass ich im Frühjahr zurückkehren würde, tröstete mich, und auf der einsamen Insel der Couch meiner Schwester dachte ich über die Imps nach. Etwa einen Monat vor meinem nächsten Besuch einer Imps-Party, ein Spätsommertreffen, starb plötzlich einer meiner besten Freunde. Er war ein paar Jahre älter als ich und outete sich mir gegenüber, als ich 14 Jahre alt war. Das musste das Weltbild eines angepassten Jugendlichen aus dem ländlichen New Jersey der frühen 80er Jahre grundlegend erschüttern; er öffnete mir die Augen für die versteckte Welt der insgeheim schwulen Sportskanonen und lüsternen Lehrer. Er war ein Poet und Musiker, ein kompromissloser und scharfsinniger Denker. Er hatte einen ungezwungenen und gesunden Sinn für Sex und hatte, obwohl er sich als Schwuler begriff, mit mehr Frauen geschlafen als die meisten heterosexuellen Männer. Er hatte sich immer über meine Neurosen und seltsamen Trips aufgeregt; manchmal zog er mich liebevoll mit ihnen auf, ein anderes Mal schlug er verzweifelt die Hände über den Kopf zusammen. Ich hing abgöttisch an ihm und sein Verlust riss mir den Boden unter den Füßen weg. Seinen Körper zusammengenäht und in einer seltsamen Position aufgebahrt daliegen zu sehen, erschütterte mich und war gnadenlos real. Ich weinte mit allen seinen anderen Freunden und gab mich der Trauer hin. Ich begriff nun plötzlich ein paar Dinge: Die Erfahrung von Verlust und Schmerz, vor der ich mich mein ganzes Leben lang fürchtete, was jede Hoffnung auf Liebe oder wirkliche Intimität vertrieben hatte, war gerade Wirklichkeit geworden, und ich schien sie zu überleben. Vielleicht würde es mir gelingen, meine Angst hinter mir zu lassen. Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich auf dem Weg zur Party war; die holprige Straße über den Eel River entlang, danach auf die Avenue of the Giants, an der bedrohliche, riesige Küstenmammutbäume in den Himmel ragten. Ich fuhr an Städten vorbei, nach denen die Lebensmittel benannt waren, die ich aß: Shively Mais und Shively Tomaten, Ferndale Fleisch von grasgefütterten Rindern, Loleta Käse. Das Scheinwerferlicht bahnte sich Schneisen durch die Nebelschwaden, vorbei an weidenden Kühen, trampenden Hippies und winzigen, bunt zusammengewürfelten Örtchen, die mir plötzlich sehr lebendig und echt vorkamen. Als ich an diesem Abend das Tanzstudio betrat, in dem die Imps ihr Sommerevent steigen ließen, waren das Erste, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog, nicht die beiden nackten Frauen mittleren Alters, die an einem Andreaskreuz auf ihre Schläge warteten, oder die beiden väterlichen, tuntenhaft in Fummel gekleideten grauhaarigen Gentlemen mit verschmierten Eyelinern oder die Ärsche der rittlings auf Spankingbänken knienden Typen. Was mir sofort ins Auge sprang, ein paar Meter vor dem DJ-Pult, war ein bewegungslos inmitten einer kleinen Gruppe ausgelassener Gäste stehender blinder Mann, der, den Kopf leicht zu Seite geneigt, wie Blinde es oft tun, seinen zusammenklappbaren weißen Stock umklammerte. Er hatte braune, kurze und schüttere Haare und einen schmalen Schnurrbart, seine langsam umherwandernden Augen waren ein wenig eingefallen. In dieser aufgegeilten und perversen Gruppe war er das Einhorn. Trotz ihrer Unterschiede hinsichtlich des Alters, der ethnischen Zugehörigkeit, der sexuellen Orientierung und des Fetisches hätte man alle anderen Partybesucher im Vergleich zu ihm in einer einzigen Kategorie zusammenfassen können. Ich wendete meinen Blick schließlich von ihm ab, durchquerte beklommen den Raum und watete ins Getümmel. Es war eine unvergessliche Nacht. Schon bald verschmolzen die heißesten Mädels und Typen unter 30 wie Blasen zu einer großen, feuchten Fickmasse in einer Ecke, wo sie sich ein paar Stunden lang lustvoll wälzten. Eine Frau war fest in Plastikfolie eingewickelt und dann mit einem Klebeband verschnürt wie eine Mumie. Ein Mann wurde mit einem Dildo in den Arsch gefickt, dann gesäubert und gewickelt. Ich sah eine Frau, deren Kopf wie eine Wassermelone gehalten wurde, während man sie in den Mund vögelte. Schenkel wurden geschlagen und Ärsche gepeitscht, Brustwarzen mit Wäscheklammern zusammengeklemmt. Am Fußende eines Bettes war eine Fickvorrichtung angebracht—das Basismodell: ein auf eine Metallstange gesteckter Dildo, der mit einer zweiten, an einer strombetriebenen, sich drehenden Metallplatte befestigten Stange verbunden war. Die Maschine arbeitete alleine in einem langsamen, heißen Rhythmus und machte die ganze Nacht lang hingebungsvolle und zartfühlende Liebe mit dem Nichts einige Zentimeter oberhalb der Doppelbettmatratze. Als der Abend voranschritt, wurde ich auf eine Frau aufmerksam. Sie schien zwischen 30 und 40 zu sein und wirkte sehr zierlich in ihrem Gothic-Lolita-Look. Sie tanzte mit einem Typen in Hawaiihemd und mit Kapitänskappe, der ein wenig älter war als sie. Bald steuerten sie ein Bett an und ich ging hinterher. Am Fußende jeder Matratze waren zwei Wäschekörbe angebracht mit den Schildern „schmutzig“ und „sauber“. Als die Dunkle Lolita das Bettlaken wechselte, ging ihr Typ, nennen wir ihn Yacht Rock, weg, vielleicht zur Toilette oder wohin auch immer. Ich schlich mich verstohlen zu ihr hinüber. Sie warf mir sofort einen Blick zu, der so viel sagte wie: „Was zum Teufel willst du hier?“ Ich wurde nervös, entschuldigte mich und trat den Rückzug an. Auf einmal wurde mir klar, dass ich mich gerade wie ein besonders übler Spanner verhielt, drehte mich um und brachte, um mein Gesicht zu wahren, ein spontan geniales und cooles: „Öhmm … wenn ihr es gleich miteinander treibt, stört es euch, wenn ich dabei zuschaue?“ heraus. Sie antworte, OK, ich solle nur einen gebührenden Abstand wahren. Es war aber klar, dass sie nicht begeistert war von meiner Idee. Ich latschte mit rotem Kopf davon. Kurz darauf saß die Dunkle Lolita rittlings auf Yacht Rock, sie waren noch angezogen, und rieben ihre Unterleiber aneinander. Zufällig lag in dem Bett neben ihrem ein Paar, das ich vorher interviewt hatte. Die beiden waren Neulinge, sie hatten gerade ihren ersten öffentlichen Sex: Sein Schwanz hatte sich durch seine Boxershorts gebohrt, und über ihren ausgestreckten Körper gebeugt massierte er mit seinem Daumen ihre Klitoris und penetrierte sie gleichzeitig mit eisiger Langsamkeit. Als sie schließlich kam, beobachtete ich bei ihr die reinste Lust, die ich während des ganzen Abends zu sehen bekam. In dem Dämmerzustand nach dem Orgasmus hatten sie sich noch eine Weile liebkost, aber jetzt richteten sie sich halb auf und wirkten irgendwie verblüfft, als sie sich im Raum umsahen. Ich fragte, ob ich mich zu ihnen setzen könne, um ein wenig weiter zu plaudern. Das Gespräch wurde schnell zwanglos und wir diskutierten die philosophische Dissertation der neuen Partybesucherin, als plötzlich Yacht Rock auf mich zukam und erklärte: „Es reicht!“ Ich war sprachlos. „Das ist der zweite Akt, den du unterbrichst. Das hier ist ein Aktivraum, kein Gesellschaftsraum. Der Gesellschaftsbereich ist dort drüben.“ Er zeigte zur anderen Seite des Raumes. „Ich möchte hier einfach im Bett meinen Spaß haben“, ergänzte die Dunkle Lolita, „aber das kann ich nicht, wenn du redest.“ Ich fühlte mich gedemütigt. Ich nuschelte Entschuldigungen vor mich hin, nickte den Neulingen zu und haute ab. Ich fand den Afrotyp, den ich dazu gebracht hatte, mitzukommen, und erzählte ihm, was passiert war. Er lachte. Auf einmal stand Yacht Rock wieder vor uns, er war immer noch aufgebracht. Er klärte mich darüber auf, dass er der Leiter der Sicherheitsdienste von Impropriety Society sei. Er zählte die vielen Regeln auf, gegen die ich verstoßen hatte, und ließ sich eingehend über mein mangelndes Einfühlungsvermögen aus. Ich entschuldigte mich inständig und berief mich auf mein Unwissen. Er lenkte ein wenig ein und entschuldigte sich dafür, seine Beherrschung verloren zu haben. Dann reichten wir uns die Hände und er ging weg. Kurz darauf kam eine lächelnde Frau mit wasserstoffblonden Haaren auf mich zu. Sie war Anfang 30 und trug einen Bastrock und einen Kokosnuss-BH. Sie stellte sich mir als Vibes Master vor. Die Club-Risqué-Community hatte einen spirituellen Einschlag, der sich unter anderem in der Arbeit der sogenannten Vibes Crew niederschlug. Das war eine Sektion innerhalb einer größeren Gruppe, deren Aufgabe es war, durch das Übertragen von guten Vibes auf jeden, der zufällig des Weges kam, die Stimmung einer Party zu heben. Das Training im Umgang mit Schwingungen schloss die Entwicklung von Intuition, den Erwerb der Fähigkeit, die Energie anderer Menschen lesen zu können und das Werfen von „Energiebällen“ ein. Eine leicht säkularisierte Version der Vibes Crew lebt in der Imps fort. Auf das Werfen von Energiebällen verzichtet man nun, aber die Grundgedanken sind in etwa gleich geblieben: mit Verletzlichkeit voranzugehen, eine positive Einstellung zu zeigen und denjenigen zu helfen, die überwältigt oder nervös zu sein scheinen. Die Leiterin der Vibes Crew hatte meinen Schlagabtausch mit Yacht Rock gar nicht mitbekommen; sie stellte sich mir nur vor und wollte wissen, ob ich mich gut amüsierte. Ich erzählte ihr trotzdem, was mit ihm und der Dunklen Lolita passiert war, dass ich ihren Akt unterbrochen hatte. Sie fragte mich, ob ich die Verzichtserklärung unterzeichnet hätte. Diese Erklärung kann man sich von der Website der Imps herunterladen. Eine unterzeichnete Kopie muss jeder Besucher einer Party am Eingang vorlegen, egal ob man ein freiwilliger Helfer, der Leiter des Sicherheitsdienstes oder irgendein Junge von der Straße ist. Sie umfasst die grundlegenden Spielregeln und entbindet die Imps von der Haftung. Ich hatte die Erklärung natürlich unterzeichnet, ihr aber keine größere Bedeutung beigemessen als den Nutzungsbedingungen bei einem Software-Update. Wichtig zu erwähnen ist, dass sie die folgende, in fetten Großbuchstaben abgefasste Klausel enthält: ICH VERSTEHE, DASS MEINE TEILNAHME AN DIESEM EVENT NICHT BEDEUTET, DASS ICH FLACHGELEGT WERDE. Ich hatte offensichtlich in einigen Punkten gegen das Protokoll verstoßen. Sie nahm sich meiner an und erläuterte mir den formalen Charakter der Interaktion auf den Partys. Niemand darf jemand anderen berühren, auch nicht beiläufig oder ohne weitere Absicht, ohne zuvor um Erlaubnis gebeten zu haben. Das ist der Vorspann zu einem wichtigen Prinzip, in das sie mich einführte und das man begriffen haben muss, um eine Sexparty richtig genießen zu können: Jedes Spiel muss verhandelt worden sein. Ein Spiel mag darin bestehen, dich zu fesseln und an einem Deckenbalken aufzuhängen, nachdem man dir heißes Wachs auf die Genitalien gegossen hat, dich so lange mit einem Paddel zu versohlen, bis dein Arsch und deine Schenkel glühen, es kann dich mit purpurfarbenen Prellungen übersähen oder sich einfach nur in einem schlichten Fick erschöpfen. In jedem Fall wird es oft mit einem einfachen „Darf ich dir meine Hand geben?“ beginnen. Eine Weile später traf ich die Dunkle Lolita wieder. Ich war sicher, dass sie mich hasste. Aus einem sicheren Abstand beobachtete ich, wie sie ihre Kreise durch den Raum zog. Ich versuchte, uninteressiert und cool zu wirken und beobachtete mit teilnahmsloser Miene die Szenerie um mich herum. Ihr Rundgang führte sie bald in meine Nähe. Unsere Blicke trafen sich und ein warmes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie reichte mir ihre Hand und fragte: „Können wir noch einmal von vorne anfangen?“ Das taten wir und meine Stimmung änderte sich mit einem Schlag. Gegen Ende der Nacht sah ich zwei niedliche Hippiepaare, die umeinander verschlungen waren wie Lakritzstangen. Das Einhorn kam dazu und tastete das Ende ihrer Matratze mit seinem Stock ab, wollte sich hinsetzen und landete mit seinem Hintern auf ihren Beinen. Er schoss wieder nach oben und suchte nach einer anderen Matratze, wobei er mehrmals in einen der Wäschekörbe am Fußende stieß. Irgendjemand kam zur Hilfe und führte ihn zu einer daneben liegenden Matratze, auf der er sich schließlich niederlassen konnte. Da saß er eine Weile ruhig, seine Hände geübt um seinen Stock gelegt. Auf einmal ließ er sich unvermittelt und ruckartig nach hinten fallen, zog den Reißverschluss seiner Hose auf und fing mit den Fingerspitzen beider Hände wild an zu masturbieren, bis er einen aufgebrachten, kleinen roten Ständer hatte. Ein paar Leute waren gekommen und schauten zu. Sie standen um ihn herum, aber nicht nahe genug, um ihm ihre Nähe zu vermitteln oder eine Hand leihen zu können. Als er dort etwa zehn Minuten gelegen und gewichst hatte, fummelte er auf einmal ebenso schnell, wie er begonnen hatte, seinen Schwanz zurück in seine Hose und zog den Reißverschluss nach oben. Anscheinend war er aber noch nicht fertig, denn er schob seine Hand in seine zugeknöpfte Hose zurück. Mit zusammengepressten Lippen machte er weiter, sein Arm pulsierte dabei in zuckenden und arhythmischen Bewegungen. Offensichtlich trug er einen epischen Kampf aus, aber ich blieb nicht lange genug, um herauszubekommen, wer schließlich gewann. Ich fühlte, dass die Nacht bald zu Ende sein würde, und so unternahm ich einen kurzen Rundgang durch den Raum, um in einem verwirrenden Crescendo noch einmal alles in mich aufzunehmen, was von dem Abend noch blieb. Dann gingen die Lichter an, die Party war vorbei, und die Leute begaben sich blinzelnd auf die Suche nach ihren Klamotten. Meine nächste Party war das diesjährige Halloween-Fest. Ich hatte mit den Leuten der Imps monatelange schwierige Verhandlungen geführt und bekam schließlich die Erlaubnis, Fotos zu machen. Ich kam früh an, und als ich das fieberhafte Gewusel der Helfer sah, die gerade das „Verzauberte Fetischreich“ aufbauten—funkelnde Deko anbrachten, die Lichttechnik für die Bühnenshow klarmachten, das BDSM-Verlies und die Kuschelräume herrichteten, die Speisen vorbereiteten—war ich auf einmal von der Tatsache, dass das alles vollkommen selbstorganisiert war, tief berührt. Es gibt keine Unternehmen oder Einrichtungen, die diese Veranstaltungen sponsern. Niemand wird für seine Arbeit hier bezahlt; weder die Gründer, noch die Darsteller, die DJs oder die Verantwortlichen für bestimmte Aufgabengebiete. Im Jargon der Gruppe heißt das, den Raum füreinander halten. Wenn die Gäste kommen, werden sie auch für diese den Raum halten. Manche von ihnen werden im Verlies harte Spiele miteinander treiben, einige kommen, um zu vögeln, und die meisten tanzen, schauen und flirten. Manche werden sich fühlen, als wären sie endlich zu Hause angekommen; andere werden höllisch nervös sein. Es war eine große Sache in der Community, mir die Erlaubnis zum Fotografieren zu erteilen. Niemandem war je zuvor ein solcher Zugriff gestattet worden, und viele fühlten sich unwohl damit. In der Humboldt-Sektion von Fetlife, einem alternativen sozialen Lifestyle-Netzwerk, gab es einen Thread, in dem man über mich und meine Absichten diskutierte. Sie nannten mich „den Journalisten“. Die lokale Wochenzeitschrift hatte ein paar Jahre zuvor eine Enthüllungsreportage über eine Party gebracht, die ihr einige Mitglieder der Community übel genommen hatten. Manche fanden die Beschreibungen der Besucher zu indiskret. Andere hatten kein Verständnis für die kryptische Art, in der die Geschichte präsentiert wurde. Ich legte mir ein Profil bei Fetlife an und erstellte einen Thread, in dem ich offenlegte, wer ich war und welche Absichten ich verfolgte. Ich erzählte ihnen von meinen Neurosen und meinem toten Freund. Den gleichen Thread erstellte ich in der Imps-Group bei Yahoo! Und schließlich, um zu demonstrieren, dass ich auch etwas in die Waagschale werfen wollte, postete ich ein künstlerisches, aber explizites Nackt-Selbstporträt von mir, das, da ich rote Haare habe, dem Begriff „redwood curtain“ eine neue Bedeutung verleiht. Diese Party war anders als die vorherigen. In den dazwischen liegenden paar Monaten hatte ich verschiedene Mitglieder der Gemeinde bei einem Burger oder Kaffee, auf Bauernmärkten oder bei sich zu Hause interviewt. Viele von ihnen wurden meine Freunde. Die eigentlich sexuellen Aspekte der Partys, das muss ich einräumen, machen mich nicht richtig an. Aber ich habe selbst erlebt, wie stark die transformative Kraft der Gemeinschaft sein kann, wenn jemand, der sein Leben lang angesichts seiner sexuellen Vorlieben von Scham erfüllt ist, auf einmal eine ganze Gruppe von Menschen findet, die ihn dafür liebt. Die Dunkle Lolita und ich knüpften eine besonders enge und süße Beziehung, sie war zwanglos und zärtlich, und ich war selbst erstaunt über die Offenheit, mit der ich mich auf sie einließ. Sollte das das Ende meiner Neurosen sein? Unwahrscheinlich. Ich habe Humboldt bereits für den Winter verlassen; ich gehe immer weg. Aber es war ein guter Anfang.