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Rechts und Ordnung in Marzahn

Ein Sonntagsspaziergang in einer der NPD-Hochburgen Berlins.

Eigentlich hofften wir ja, dass wir der NPD mit ihrem abscheulichen Grill ordentlich in die Parade gefahren wären. Dann begann aber auch der Wahlkampf in Berlin und die Faschos überboten sich selbst mit Geschmacklosigkeiten wie mit ihrem „Gas geben“-Plakaten vor dem Jüdischen Museum.

Gestern habe ich deshalb also meinen Sonntagsspaziergang nach Marzahn verlegt, um herauszufinden, wie die Stimmung in einem Berliner Randbezirk, der gerne und häufig die NPD wählt, an einem Wahltag so ist.

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Auch wenn die NPD glücklicherweise nicht in das Abgeordnetenhaus einziehen wird, so hat sie doch in mehreren Berliner Bezirken die 3%-Hürde genommen und ist damit weiterhin in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) der Stadtteile Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick vertreten. Mit 4,1% in Marzahn-Hellersdorf liegt sie deutlich über den 3%, die sie für einen Einzug in die Volksvertretung des Berliner Bezirks braucht.

Mein Ziel: Haltestelle Freizeitforum-Marzahn. Klingt doch nett für den Anfang, dachte ich. Das war es auch, wenn man den Blick in einem Radius von zehn Metern auf dem Bürgersteig vor sich lässt.

Die Peter-Pan-Grundschule.

Marzahn-Hellersdorf wurde zum Verlierer der Studie „Sozialstrukturatlas, Berlin 2008“ erklärt. Keine 400 Meter weiter fühle ich mich wie eingemauert: Graue Betonklötze soweit das Auge reicht, gepaart mit Grünanlagen, die, wenn man sich den sozialen Kontext vor Augen hält, wie hingeschissen wirken. Das hiesige Wahllokal befindet sich in der Peter-Pan-Grundschule–traurige Ironie in einem Mikrokosmos, in dem die Kinder wohl viel zu schnell lernen müssen, was es heißt, „erwachsen“ zu sein.

Keine Fotos, bitte!

Die Wiese eignet sich nicht mal zum Fußball spielen.

Den Blicken nach zu urteilen, hat wohl keiner der Bewohner viel von der Wahl erwartet, aber vielleicht lag es auch einfach am Wetter. Der Großteil der Personen, die zum Urnengang kamen, waren Menschen weit jenseits des 60. Lebensjahres. Der Rest bestand vornehmlich aus NPD- und Pro-Berlin-Wählern, die von meiner Anwesenheit nicht wirklich begeistert zu sein schienen. Zunächst wurden meine Gesprächsanfragen lediglich mit bösen Blicken abgestraft und ich wurde buchstäblich im Regen stehen gelassen. Die nächsten ließen sich zumindest dazu erweichen, ein Wort mit mir zu wechseln, um dann klar zu stellen, dass sie auf keinen Fall mit mir über die Wahl reden werden. „Halt‘s Maul“ und „Verpiss dich“ wurde mir entgegen geschleudert, aber ich war froh, dass wenigstens mal jemand mit mir redete. Kurz darauf verließ ein Mann um die 40 das Wahllokal, kurze Haare, Jeans und Wildlederjacke. Ich hätte ihn eher der „Arbeiterklasse“ zugeordnet, also ging ich auf ihn zu und fragte, ob er Lust hätte, sich kurz mit mir zu unterhalten. Er lächelte mich freundlich an und sagte, dass ich mich zum Teufel scheren solle. Auf die Frage, warum er denn NPD-Wähler sei, antworte er: „Du kleiner, dreckiger Vaterlandsverräter, pass lieber auf, wenn du hier so rumläufst“. Gut, ich habe lange Haare und trage gerne grüne Jeans und Lederjacken, aber muss man deshalb gleich so ausfallend werden? Alle weiteren Versuche, jemanden zu einem Statement zu bewegen, liefen ins Leere.

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Diese Bewegung wird in Bezug auf die Rollenbilder unheimlich modern sein …

Obwohl ich ihnen keine Erklärungen oder Argumente entlocken konnte, wird mir der Ausdruck in den Augen der Menschen in Berlin Marzahn aber noch ein wenig länger in Erinnerung bleiben. Er spiegelt das Innere der Bewohner wieder: Alltag am sozialen Abgrund, Resignation und Hoffnungslosigkeit.

Von den zwei Jungs sollten sich all die Vaterlandstreuen mal eine Scheibe abschneiden.

Das mag auch der Grund sein, warum die NPD hier seit Jahren fest im Sattel sitzt und fasst 10.000 Wähler bekommt. Und das ist verdammt traurig, beschämend und erschreckend. Nicht für die Menschen, die in diesen Randbezirken leben, sondern für unser gesamtes politisches System und unsere Gesellschaft.

Fotos: Grey Hutton