Ich war beim Derby im Block West
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Ich war beim Derby im Block West

Alle im Block West sind wirklich nett zu anderen. Und mit anderen meine ich ausschließlich diejenigen, die auch im Block West sitzen.

Ich wollte schon immer auf ein größeres Fußballspiel, da ich eigentlich ur gerne Sportzuseherin bin—ich saufe und schreie gerne—und ich mein letztes Match mit 13 gesehen habe, als mein Bruder mit seinem Team der VS Wiener Neudorf gegen Gumpoldskirchen angetreten ist. Damals gab es weder Bier noch habe ich überzeugend grölen können. Jedenfalls habe ich mir mit Mühe und Not ein Ticket fürs Derby gecheckt—was gar nicht so einfach war ohne ein Abo.

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Außerdem sollte ich vielleicht erwähnen, dass ich gar keine Kenntnisse im österreichischen Fußball habe. Ich halte das zwar für nebensächlich, da ich auch keine Ahnung vom internationalen Fußball habe und trotzdem bei jeder WM und EM überzeugend grölen und saufen kann, aber manche Fußball-Fans finden das vielleicht wichtig.

Soweit so gut, ich hatte jedenfalls ein Ticket, hatte Begleitung, die regelmäßig auf Rapid-Matches geht und am wichtigsten: Ich hatte Motivation. Erst als meine Freunde hörten, wo ich vorhatte, hinzugehen, fing die ganze Angstmacherei an.

Es dürfte nur zwei Dinge geben, die der Block West genauso hasst wie "Veilchen", also Austrianer: nämlich erstens Journalisten und zweitens Fotos. Je näher das Spiel kam, desto mehr redeten Menschen auf mich ein, besser doch nicht hinzugehen und bitte auf mich aufzupassen. Die meisten waren aber auch eifersüchtig, weil so ein Derby ja doch ein ziemliches Spektakel ist.

Ich habe mich trotz der Panikmache entschieden, hinzugehen. An sich finde ich Fotoverbote gut und kann sie auch nachvollziehen—ich mache in meiner Freizeit laufend Sachen, von denen es keine Fotos gibt. Darüber bin ich auch sehr froh. Ich habe mir vorgenommen, wenn es geht, das Spiel zu fotografieren, aber Gesichter und Personen nicht abzulichten. Weil es eine nachvollziehbare Regel ist.

Im Endeffekt fühlte ich mich wie ein Spion, ein verdeckter Lügenpressevertreter oder, schlimmer noch, wie ein Austrianer im Schafspelz.

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Das mit der Presse habe ich nicht ganz verstanden. Vielleicht entstand die Regel deshalb, weil in der Vergangenheit Journalisten abfällig über Fankultur geschrieben haben. Oder aber, weil Leute fotografiert wurden und diese Leute dafür Probleme bekommen haben. Es fällt nicht schwer, sich abfällig über Dinge zu äußern, die man nicht verstehen will. Es ist auch echt einfach, in einem Stadion der Moralapostel zu sein. Ich kann mir die gängige Berichterstattung über Fußballfans und ihren entsprechenden Hass auf Medienvertreter ziemlich gut vorstellen.

Mir versicherten alle, dass ich trotz meines Verständnisses und meiner Absicht, es besser zu machen, für die Leute im Block West immer noch zur "Presse" zählen würde und dass ich deshalb auch nicht sagen sollte, dass ich etwas über das Match schreiben würde. Das hat mich echt nervös gemacht. Im Endeffekt fühlte ich mich wie ein Eindringling, ein Spion, ein verdeckter Lügenpressevertreter oder, schlimmer noch, wie ein Austrianer im Schafspelz.

Als es soweit war, hat mich meine Begleitung vor das Stadion bestellt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich die Vorstellung, dass der Block West ein kleiner Sektor ist, in dem lauter vermummte Hools nur darauf warten, sich mit Journalisten zu prügeln.

Dass vielleicht Rapid gegen die Austria zum ersten Mal im eigenen Stadion verliert, ist schon witzig ;) — Florian H. (@floxyz_)23. Oktober 2016

Der erste Tipp, den ich bekam, war, mir vor dem Spiel Alkohol zu holen, da bei manchen Spielen nur Light-Bier oder nichtalkoholisches Bier ausgeschenkt wird. "Aber was bringt dich mehr zum Auszucken: A biss'l a Spitz? Oder wenn du dir Bier kaufst und kein Alkohol drinnen ist?", fragte meine Begleitung und schloss mit ein paar Anekdoten, in denen enttäuschte Fans vermeintliches Bier in verschiedenste Richtungen davonschossen.

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Betankt mit Bier machte ich mich auf den Weg zur Tribüne. Es waren wirklich viele Leute da und alle von ihnen waren nett und freundlich. Trotz aller ausgeklügelten und gut durchdachten Sicherheitsmaßnahmen meinerseits wurde ich gleich in den ersten fünf Minuten als "die eine von VICE" erkannt—doch anstatt Ohrfeigen und Nierenstiche habe ich nur ein "Nicht, dass du einen Blödsinn schreibst" gehört. Nichts ist fairer als das. Alles in allem wurde ich schnell akzeptiert und mir wurden alle Fragen zum SCR beantwortet.

Alle Fotos (heimlich) von der Autorin geschossen

Kein Mensch wollte wissen, wer ich bin und was ich mache. Alle haben gelächelt und alleine schon damit mein Bild vom Westsektor komplett zunichte gemacht. Ich habe auch keine Rechten mitbekommen, die es laut linken Rapid-Fans zur Genüge geben soll.

Der Westsektor befindet sich hinter einem Tor. Als der Moderator die Austria-Spieler teilnahmslos vorlas, schrie vor allem der Block West nach jedem Namen "HURENSOHN". Das hat sehr viel Spaß gemacht.

Als die Rapid-Spieler dran waren, las der Moderator die Nummern und Vornamen vor und der Block West schrie dann die dazu passenden Nachnamen. Besonders Spieler Nummer 6 durfte sich großer Beliebtheit erfreuen. Vor uns war auch ein großes Netz gespannt, was die Nebentribüne nicht hatte. Ich dachte zuerst es wäre wegen der Bälle und zum Schutz der Fans. Angeblich ist es eher zum Schutz der Fußballspieler, weil öfter mal Sachen auf sie fliegen (ich erinnerte mich an die Anekdoten mit dem alkoholfreien Bier und nickte verständnisvoll).

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[Wie du die Europameisterschaft überlebst, ohne eine Ahnung davon zu haben](Allerdings glaube ich nicht, dass politische Korrektheit überall einen Platz oder denselben Stellenwert hat; und ich bin mir fast sicher, dass das Brechen mit dieser Korrektheit nicht überall dasselbe bedeutet. Ich selbst habe mir zum Beispiel vor dem Spiel Sticker mit „Violette Fotzen)

Alles in allem war es wirklich imposant und sehr flashig, da auf der Tribüne zu stehen, während riesige Fahnen geschwenkt, farbiger Rauch und bengalische Feuer gezündet wurden und alle gleichzeitig Fangesänge sangen. Die Atmosphäre ist etwas, das man nur schwer beschreiben kann. Auch die Fans waren während des Spiels wie verwandelt: Sie wirkten irgendwie urmenschlich. Bereits zu dem Zeitpunkt wusste ich, das war bestimmt nicht mein letztes Fußballspiel.

Gleich nach dem Anpfiff fiel mir auf: Abgesehen davon, dass von der gegnerischen Mannschaft wirklich wenige Fans da waren, waren die Block-West-Leute wirklich sehr dahinter, die Austria-Spieler psychisch zu zerstören. Da wurde laut gebuht, gepfiffen und geschimpft—während jeder Ballbesitz von Rapid tobend gefeiert wurde. Da es ja auch das Rapid-Stadion ist, finde ich das weder überraschend noch sonderlich schlimm. Und damit bin ich wohl auch nicht alleine.

Die Block-West-Leute waren wirklich sehr dahinter, die Austria-Spieler psychisch zu zerstören.

Ein bisschen weniger entspannt dürften es da schon einige mit den gängigen Schimpfwörtern halten, die vom Block West aus gerne gerufen werden. "Oaschwoame Sauschwuchtel" und alle Begriffe rund um den Zusatz "schwul" gibt es da nicht nur vereinzelt. Das mag für politisch korrekte Menschen nicht sonderlich cool sein—und ich bin in der Regel ganz bei ihnen (oder bei euch).

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Allerdings glaube ich nicht, dass politische Korrektheit überall einen Platz oder denselben Stellenwert hat; und ich bin mir fast sicher, dass das Brechen mit dieser Korrektheit nicht überall dasselbe bedeutet. Ich selbst habe mir zum Beispiel vor dem Spiel Sticker mit "Violette Fotzen" gekauft. Im realen Leben finde ich "Fotze", "Hurensohn" oder "Schwuler" als Schimpfwort ganz und gar nicht OK; im Rap und im Sport gelten da aber andere Gesetze. Beide sind Safe-Spaces, deren Reiz oft genau darin besteht, dass man—wie auch bei Comedy-Programmen—endlich einmal schreien kann, was man sonst nirgends sagen darf.

Das Match war objektiv gesehen eher langweilig und vermutlich nicht gut gespielt—aber die Fans auf beiden Seiten haben diesen mittelprächtigen Fußball trotzdem zu einem Erlebnis gemacht. Am Anfang dachte ich mir, dass Rapid mit so kraftvollen Fans niemals verlieren kann. Sie haben im Endeffekt trotz Heimspiel 2:0 verloren. Die "Ultras" und die "Alte Garde" von Rapid waren sichtbar vertreten, wobei eher die Ultras laut und präsent waren.

Auch faszinierend fand ich die Choreografen der Ultras: Sie schauten das Spiel kaum an und gaben stattdessen Gesänge vor. Dass sie dabei wirklich fanatisch ausgesehen haben, ist vermutlich nicht verwunderlich, weil man das als Anheizer wahrscheinlich irgendwie muss.

90 Minuten absolut kein Leiberl im Derby gegen die Austria und nach Abpfiff 'Schwuler FAK' singen. Rapid hat schon Klasse, find ich. — žarko j. (@zarkojank)23. Oktober 2016

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In der Halbzeit habe ich dann erstaunlich viele Bekannte und Freunde getroffen. Einer meinte zu mir: "Aber weißt eh, schreib nichts Blödes, das sind sozial Schwache hier." Meiner Ansicht nach gab es aber kaum sozial schwache Menschen dort.

Die Fans waren ganz normale Leute, die halt gern Fußball mögen und einfach Rapid-Fans sind. Menschen, die unter die Marke "Büroangestellter—ich verstecke meine Beiträge auf Facebook vor meinen Arbeitskollegen" fallen. Familien, Frauen, Kinder—und eventuell ein paar Leute, die nach AMS-Beziehern ausgesehen haben, aber das habe ich an jenem Tag auch. Was soll daran falsch sein?

Insgesamt war großteils die normale Mittelschicht vertreten. Im Volksgarten gibt es meiner Meinung nach mehr "sozial Schwache" als in jedem Stadion.

Lies hier, was Fredi über ihren Besuch im Volksgarten dachte

Was mich hingegen schon ein bisschen überrascht hat: Rapid-Fans sind anscheinend Freunde von Cannabis, was ziemlich sympathisch ist. Es gab dort entsprechende Sticker, einschlägige Schals und, viel wichtiger, den typischen Marihuana-Geruch. Angeblich wurde auf den Toiletten Koks gesichtet, aber man zeige mir ein öffentliches Klo, auf der kein Koks gesichtet wird.

Ich habe im Endeffekt sogar Fotos machen können. Nicht offensichtlich und nicht die ganze Zeit, aber paar Fotos waren es dann doch. Ich habe selbst auch keine Gewalt mitbekommen; erst später habe ich gehört, dass sich an die 100 Hools vor dem Spiel in der 6er Straßenbahn in die Goschen gehauen haben. Und solange solche Auseinandersetzungen unter bereitwilligen Schlägern bleiben, kann ich auch das irgendwie nicht verurteilen.

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Wenn sie Bock auf Schlägereien haben—und beide extremen Gruppen wissen nicht nur, dass sowas passieren kann, sondern suchen die Auseinandersetzung auch—, dann sollen sie sich doch gegenseitig schlägern. Solange es freiwillig passiert, finde ich nicht, dass wir erwachsenen Menschen so etwas verbieten sollten. Natürlich, blöd wegen der Straßenbahn; eine neutrale Wiese wäre irgendwie netter.

Im Endeffekt haben sich die Fans für 10 Minuten die Sicht auf das Match genommen.

Man kann natürlich ohne Zweifel diskutieren, wie intelligent dieses Hobby ist—aber das kann man kann erstens auch beim Briefmarkensammeln und zweitens kann man es auch einfach sein und die Leute selbst entscheiden lassen, ob sie ihre Freizeit lieber auf Twitter oder im Krankenhaus und der Polizeistation verbringen.

Ich war selbst jedenfalls nicht "erlebnisorientiert" und habe deshalb auch keine Gewalt mitgekriegt—wie übrigens fast niemand im Block West. Die Prozentzahl der Menschen, die sich gern in die Goschen hauen, hält sich nämlich auch unter Fußballfans im Rahmen. Und zwar entgegen der öffentlichen Meinung.

Nachher habe ich gehört, dass einige Austria-Fans Sessel geschmissen haben und ausgeflippt sind. Das ist sehr wohl zu verurteilen. Überall, wo "unschuldige Menschen" und ihre Sachen wegen dem eigenen Testosteron oder Östrogen zu Schaden kommen, kann man ruhig den moralischen Finger heben. Aber so gesehen saß ich am Sonntag auf der braven Seite—was irgendwie seltsam ist, wo doch immerhin Austria gewonnen und Rapid verloren hat.

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Viele Menschen tragen einen kleinen dummen Fanatiker in sich; egal, ob dieser Fußball oder Fast-Food mag.

Ich weiß, es ist ziemlich einfach, Fankultur zu verachten und nicht zu verstehen. Das Ganze ist eine Parallelgesellschaft, an der viele nicht teilnehmen, weil sie nicht können oder wollen, aber die sich genau deswegen so reizvoll für die wenigen Eingeweihten herausstellt, die in der Regel auch in Sachen Gewalt unter sich bleiben.

Schon alleine deshalb finde ich die Existenz dieser eigenen Kultur völlig OK. Wenn Leute keine Milka-Schokolade mehr essen, weil sie lila ist, finde ich das zwar schon komisch. Aber sogar das ist ihre Sache. Ich esse kein Quinoa, weil ich zu stolz auf meine ungesunde Lebensart bin. Viele Menschen tragen einen kleinen dummen Fanatiker in sich; egal, ob dieser Fußball oder Fast-Food mag.

Was mich doch zeitweise gestört hat, war das unsportliche Verhalten einiger Leute aus dem Publikum. Da wurden Austria-Spieler während des Spiels mit Bechern beschossen. Als ehemalige Wettkampfsportlerin hatte ich da echt Mitleid—diese Leute arbeiten, sind unter Druck und werden dann noch von angesoffenen, unsportlichen Fans beworfen. Den Sinn vom bengalischen Feuer, ), die beide Seiten gezündet haben, verstehe ich auch nicht so ganz—ich weiß, die Spieler sind das gewohnt, aber warum muss man ihnen die Arbeit so schwermachen?

Die Annahme, dass es manchen Fans nicht wirklich um den Fußball geht, sondern eher um das Fantum, kann ich schon nachvollziehen. Beim Niveau des Fußballspiels ist es auch nicht verwunderlich—beide Mannschaften haben am Sonntag für meine unwissenden Augen wirklich ein bisschen wie VS Wiener Neudorf und Gumpoldskirchen gespielt. Aber ich finde nicht, dass man ihnen das zum Vorwurf machen sollte. Jedem seinen Spaß. Und die Westtribüne kann verdammt viel Spaß machen, Aggressionen abbauen und Stress lösen. Es ist ein bisschen so wie Yoga.

Fredi hat Twitter: @Schla_wienerin