Ich hab noch einen Koffer in Berlin—mit Menschenknochen drin

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Ich hab noch einen Koffer in Berlin—mit Menschenknochen drin

In Berliner Museen lagert Kunst, die während des Kolonialismus mehr oder weniger illegal nach Deutschland gebracht wurde. Zurückgeben will sie niemand. Auch nicht die Knochen, die Teil der Sammlungen sind.

Vor 130 Jahren kamen ein paar weiße Männer zusammen, um über das Leben von Millionen von Menschen zu entscheiden: Auf der Berliner Afrika-Konferenz trafen sich auf Einladung Deutschlands und Frankreichs die Großmächte, um den Kontinent wie einen Kuchen unter sich aufzuteilen. Wer bis dahin noch keine Kolonien hatte, bekam welche, die anderen Staaten schoben sich Gebiete hin und her. Der Historiker Godfrey N. Uzoigwe brachte es auf den Punkt: Niemals zuvor saßen die Herrscher eines Kontinents (Europas) zusammen, um über die Aufteilung eines anderen Kontinents (Afrikas) zu bestimmen—wovon die rechtmäßigen Herrscher dieses Kontinents noch nicht mal wussten. Offiziell wollte man „den Eingeborenen Zivilisation beibringen". Eigentlich ging es den Großmächten aber um die Bodenschätze und die Arbeitskraft der dort lebenden Menschen. Außerdem waren die Europäer verrückt nach Kunst- und Kultgegenständen—und nach Menschenknochen. Beutekunst aus den Kolonien findet sich auch heute in deutschen Museen. Und nicht nur das: In anatomischen Sammlungen lagern immer noch menschliche Gebeine aus den ehemaligen „deutschen Schutzgebieten". Im wiederaufgebauten Berliner Schloss soll unter anderem die Sammlung aus dem Ethnologischen Museum in Dahlem zusammengeführt werden. Doch dagegen regt sich Widerstand. Wir haben Mnyaka Sururu Mboro und Christian Kopp von Berlin Postkolonial e.V. gefragt, was es damit auf sich hat.

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VICE: Ihr seid Mitglieder im Bündnis No Humboldt21! und fordert die Aussetzung des Projekts „Berliner Schloss – Humboldt-Forum". Was ist dort eigentlich geplant?
Christian Kopp: Die Bundesregierung und das Land Berlin errichten auf dem „zentralen Platz der Republik" das Berliner Schloss/Humboldt-Forum, das von außen weitgehend dem alten Schloss entspricht. Der Bau wird von Kulturministerin Monika Grütters als derzeit „größtes Kulturprojekt Europas" gefeiert und mindestens 600 Millionen Euro kosten. Im Inneren sollen die Highlights der außereuropäischen Sammlungen Berlins mit mehr als 500.000 Objekten präsentiert werden.

Und warum wollt ihr das stoppen?
*Mnyaka Sururu Mboro:* Unsere Kampagne wird von mehr als 80 Organisationen aus dem In- und Ausland unterstützt, in denen sowohl Nachfahren Kolonisierter als auch Kolonisierender engagiert sind. Wir alle sind uns einig, dass das Berliner Schloss/Humboldt-Forum ein imperiales Kulturvorhaben ist, dem wir nicht unwidersprochen zusehen können. Schon der Wiederaufbau des Hohenzollern-Schlosses ist kritikwürdig. Immerhin waren die preußischen Herrscher direkt verantwortlich für den Handel mit Versklavten, die infame Berliner Afrika-Konferenz und den Völkermord an den Herero und Nama. Geradezu zynisch ist aber die geplante Präsentation der wertvollsten Kulturschätze, die sich eben diese Herrscher während der europäischen und deutschen Kolonialherrschaft über weite Teile der Welt angeeignet haben. Die Benennung des Projekts nach dem Kolonialforscher und Grabräuber Alexander von Humboldt setzt dem Ganzen die Krone auf.

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Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) sagt, ihr arbeitet mit Unterstellungen. Die SPK würde gewissenhaft die Herkunft der Kunstwerke erforschen und das auch thematisieren. Was sagt ihr dazu?
*Mboro:* Die SPK hat immer wieder betont, dass sie keine konkrete Auskunft darüber geben kann, ob sie geraubte Kulturschätze in ihren Kellern und Vitrinen hat oder nicht—und das 100 Jahre nach den letzten großen außereuropäischen Sammlungseingängen. Infos zum Erwerb von Objekten im Museum selbst oder in der Online-Datenbank fehlen häufig oder sind kurz und tendenziös. Wenn am Thron eines Herrschers steht „Fundort: x" und „Sammler: y" reicht uns das nicht.

In einem konkreten Fall geht es um geraubte Bronzestatuen aus Benin im heutigen Nigeria. Wie kamen diese Statuen nach Berlin?
Christian: Im Februar 1897 eroberten und plünderten die Briten die Königstadt Benin im heutigen Nigeria. Danach wurden Hunderte der einzigartigen Werke auf dem freien Kunstmarkt angeboten. Die deutschen Völkerkundemuseen—Berlin mit über 500 Objekten, aber auch Hamburg, Dresden, Leipzig, Köln, Stuttgart und Frankfurt—kauften den Löwenanteil der Beute.

Nigeria hat die Kunstschätze zurückgefordert. Wie reagiert die Berliner Politik darauf?
Christian: Der Berliner Senat und die SPK meinen, dass es für die Rückgabe der Sammlung „keine völkerrechtliche Grundlage gibt", und behaupten sogar, dass die Objekte „rechtmäßig erworben wurden". Selbst bei eindeutigem Kolonialraub ist also das Thema förmliche Rückgabe noch immer Tabu. Die Museen, die Benin-Kunst zeigen, haben sich lediglich bereit erklärt, mit der nigerianischen Regierung und dem Oba von Benin zu verhandeln, ob man „Objekte aus europäischen Benin-Sammlungen in Nigeria präsentieren könnte".

ISIS hat vor Kurzem etliche Kulturgüter in Mossul zerstört. Im Norden Nigerias wüten die Kämpfer von Boko Haram. Ist es unter den Umständen nicht sicherer, die fraglichen Exponate in Deutschland zu lassen?
*Mboro:* Unter Umständen mag das so sein: Niemand wird ernsthaft die Rückführung von Kulturschätzen in Kriegsgebiete fordern. Aber die meisten Objekte stammen eh aus Regionen, in denen kein Krieg herrscht. Außerdem wurden vor nicht einmal 70 Jahren auch hier in Deutschland zahlreiche unersetzliche Sammlungen außereuropäischer Kulturschätze zerstört.

Es geht in der Diskussion ja nicht nur um Kunstgegenstände: Immer wieder liest man von Menschenknochen aus den ehemaligen Kolonien in anatomischen Sammlungen. Was hat es damit auf sich?
Christian: Die SPK ist im Besitz der S(chädel)-Sammlung, die Felix von Luschan für das Königliche Museum für Völkerkunde angelegt hat. Und dann gibt es da noch die private Rudolf-Virchow-Sammlung. In den Sammlungen sind die Überreste von mehreren Tausend Menschen, die meisten nicht aus Europa, deren Gebeine zu „Rassenforschungen" nach Berlin verschleppt wurden. Sie stammen in der Regel von Ermordeten oder aus geplünderten Grabstätten. In der Museums-Datenbank finden sich unter den Stichworten „Schädel" und „Skelett/e" zahlreiche Hinweise auf Lieferungen von Gebeinen unter anderem aus Kamerun, Togo und Tansania. Da müssen Bund und Land sofort handeln und eine Überführung der „Ahnen" anbieten.

In den Museumskellern Berlins soll auch noch eine Menge andere „Kriegsbeute" lagern. Stimmt das?
*Mboro:* Ein bedeutender Teil der Sammlungen ist durch deutsche Kolonialoffiziere nach Berlin geschickt worden, die mit dem Museum in Kontakt standen und von dort detaillierte Anweisungen zum „Sammeln" erhielten. Dazu gab es ziemlich oft Gelegenheit, weil die „Kaiserliche Schutztruppe" immer wieder „Strafexpeditionen" durchführte, um Gemeinschaften zu unterwerfen. Verlassene oder eroberte Orte wurden systematisch durchsucht und geplündert. Auch unter dem Stichwort „Kriegsbeute" findet sich einiges in den Aktenvermerken der Staatlichen Museen.

Teilweise gibt es für Kunstwerke aus den ehemaligen Kolonien Kaufverträge oder Schenkungsurkunden. Sind diese Kulturgüter damit nicht rechtmäßig erworben worden?
*Mboro:* Wir halten Objekte, die im Kontext kolonialer Herrschaft „erworben" wurden, für grundsätzlich problematisch, auch wenn solche „Verträge" vorliegen. Die Echtheit und Rechtmäßigkeit der Urkunden ist ja höchst fragwürdig. Sogenannte „Schutzverträge" wurden oft in Deutsch vorgelegt und mit drei Kreuzen unterzeichnet. Ein problematisches Beispiel für ein offizielles „Geschenk" wäre auch Mandu Yenu, der einzigartige Thron des kamerunischen König Njoyas. Erst nach jahrelangem Drängen der Kolonialmacht hat ihn dieser an den deutschen Kaiser übersandt.