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Popkultur

Von brennenden Waschbären bis zu traurigen Blog-Posts – ​Maeckes erklärt uns das Internet

Eigentlich wollten wir mit dem Orsons-Rapper über sein Twitter-Konzert sprechen. Dann ging es aber doch um die Angst, dass jeder seiner Sätze auf Tumblr landet.

Alle Fotos: Lisa Ludwig

Wer sich am vergangenen Freitag gewundert haben sollte, warum sein Twitter-Feed plötzlich mit brennenden Waschbären und dem Hashtag #ozert geflutet war: Die Orsons hatten mal wieder eine etwas ungewöhnliche Promo-Idee. Ein mysteriöses Konzert mit geheimem Austragungsort hatte Deutschlands erste Rap-Boygroup angekündigt—samt real gedruckten Karten und geheimen Gästen. Tatsächlich fand die Performance, inklusive fatalen Unfällen und fliegenden Bandmitgliedern, aber nur in den Tweets der eingeweihten Journalisten, Musikern und Social-Media-Persönlichkeiten statt. Die Aktion war ein voller Erfolg und vielleicht gibt es da draußen irgendwo noch weinende Fans, die sich nach wie vor nicht erklären können, warum die Karten von Anfang an ausverkauft waren.

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Um zu klären, ob so wirklich die Zukunft der Musikbranche aussieht, haben wir uns mit Maeckes, dem Kopf hinter der Aktion, getroffen. Irgendwo zwischen Linsensuppe und abgefucktem Internet-Café hat das Gespräch dann aber eine unerwartete Wendung genommen und es ging um die dunklen Seiten des Internets, sprachlich begründeten Selbsthass und die ständige Angst, im Tumblr-Blog irgendeines Teenagers zu landen. What's goes?

VICE: Ihr habt letzte Woche Deutschlands erstes Twitterkonzert veranstaltet. Stand von vornherein fest, dass Waschbären dabei sein müssen?
Maeckes: Das mit den Waschbären war relativ schnell klar, aber ansonsten hat sich das so langsam aufgebaut. Wir wollten, dass es normal anfängt und dann immer absurder wird. Dann hat jeder kurz irgendeinen Blödsinn gesagt und ich habe das zu einem Script zusammengefasst. Ich hatte die Idee aber schon vor ein paar Jahren. Ich fand es irgendwie witzig, etwas zu machen, was es so sonst noch nicht gibt, aber es trotzdem auch ein bisschen den Köpfen der Menschen zu überlassen. Es gab verschiedene Handlungsstränge und Kleinigkeiten, die wir uns schon überlegt hatten, und die werden ja erst richtig schön, wenn sie Details bekommen.

Deswegen hatten wir im Vorfeld schon ein paar Accounts angelegt—zum Beispiel den von einem Friseursalon. Der musste dann natürlich schon Wochen vorher ein Bild haben und über den haben wir auch vorher schon getwittert. Diese Sachen haben wir vorher schon hochgezogen, damit wir einen gewissen Rahmen haben, aber das hat ganz schnell eine Eigendynamik entwickelt, auf die wir nur noch reagieren mussten. Ich habe dann einfach bestimmte Szenarien angesagt und meinte: „Ok, wir haben jetzt brennende Waschbären und alle Menschen schweben—macht irgendetwas damit!"

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Und ihr saßt alle über Stunden in einem Raum und habt einfach nur auf eure Computerbildschirme gestarrt?
Das war mir davor auch gar nicht so richtig klar. Ich hatte keine Jugend, in der man auf LAN-Partys gegangen ist, und mir wurde wirklich erst, als es soweit war, bewusst, dass da jetzt 20 Leute in einem Raum sitzen und alle die ganze Zeit einfach nur in ihre Computer reintippen. Da dachte ich mir wirklich: Scheiße, was habe ich mir da nur überlegt? Eigentlich waren es nur Menschen mittleren Alters, die sich irgendeinen Scheiß ausdenken, Alkohol trinken und Süßigkeiten essen und für die Leute da draußen war es ein Konzert.

Leute, die stumm in ihrem Raum sitzen und auf Laptops starren, sind für mich auch so ein bisschen das Überschriften-Bild zu Twitter und Social Media im Allgemeinen.
Voll! Das passt ja auch und ist so ein totales Gegenteil zu einem richtigen Konzert. Das ist so Un-Rock'n'Roll wie überhaupt nur irgendetwas sein kann, aber passt auch irgendwie zu unserer gegenwärtigen Situation. Ich war schon auf Veranstaltungen, die sich viel besser gelesen haben, als sie eigentlich scheiße waren. Aber mir ging es auch gar nicht darum, irgendwie aufzuzeigen, dass die Zeiten nicht mehr so persönlich sind wie früher. Es ging mir darum, ein Theaterstück aufzuführen und das in den Köpfen leben zu lassen. Wenn auch nur ein paar für eine Sekunde gedacht haben, dass am Schluss wirklich alle geschwebt oder gestorben sind, finde ich das schon irgendwie lustig. Das Schöne ist, dass man unter dem Hashtag auch einfach nachlesen kann, wie lange die Leute das wirklich ernstgenommen haben, wie sie ihr Leben verfluchen, dass sie nicht da sein können.

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Es waren viele Rap-Journalisten an dem Ozert beteiligt, die euch als Band ja eigentlich eher neutral gegenüberstehen sollten. Siehst du da einen Konflikt?
Für so eine fiktive Aktion finde ich es absolut OK. Wenn man jetzt etwas wahnsinnig Ernstes gemacht und dafür die Medien genutzt hätte, wäre das natürlich irgendwie behindert. Aber wenn es um schwebende Waschbären geht, dann sollten auch Rap-Medien dabei sein und ganz ernsthaft darüber berichten.

Eigentlich ist es überraschend, dass eine Idee von dir zu so einem viralen Twitter-Ding wird, wo du dich selbst da ja gar nicht so involvierst.
Das ist wahrscheinlich für jeden Künstler und jedes Künstlerprofil verschieden. Mich für meinen Teil langweilt es, lange vor einem Bildschirm zu sitzen und ich wollte auch immer Entfernung zu diesem ganzen Kram und dem, was ich mache, haben. Diesem ganzen Zirkus. Das sind alles nur Projektionen. Die Menschen haben eine Projektion von mir und ich habe eine Projektion von denen und jeder stellt sich irgendwie vor, aber das hat mit der Realität nichts zu tun. Wenn man das für bare Münze nimmt und diese Bewunderung braucht, oder sich irgendwann ernsthaft anfängt, über Likes zu freuen oder über fehlende Likes traurig zu werden—ich möchte so nicht leben! (lacht)

Genau das könnte man aber natürlich auch der Konzert-Aktion vorwerfen. Da bist dann vielleicht auf der einen Seite du, der das aus kreativem Interesse macht, es gibt dann auf der anderen Seite auch bestimmt noch jemanden, der sagt: „OK, aber wir machen das direkt vor dem Album-Release und lass mal die noch mit ins Boot holen, damit die das teilen und wir überall präsent sind."
Es kam jetzt in der Promo-Phase raus, deswegen ist es auch Promo und klar wollen wir gerade Aufmerksamkeit, weil wir ein Album rausbringen. Aber wenn ich die Möglichkeit hätte, das auch einfach so als Aktion zu machen, würde ich es auch einfach so machen. Die anderen würden dann vielleicht sagen „Ach, du willst ein Twitter-Konzert machen? Na dann viel Spaß" und ich müsste alleine in diesem Raum sitzen und versuchen, mit zehn verschiedenen Accounts alleine zu twittern. Aber wenn ich mein eigenes Album promote, in das ich auch mein Herzblut reingesteckt habe, finde ich das noch OK.

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Wie ist das denn mittlerweile eigentlich für einen als Künstler, wenn man bei einem Auftritt von der Bühne runterguckt und die Leute sieht, wie sie auf ihrem Handy rumtippen und ins Internet schreiben, wie sie das gerade finden? Wie groß ist die Versuchung, dann …
Alle umzubringen? Groß. Ich hasse es auch, wenn man sich so unterhält. Ich präsentiere den Leuten meine Seele und meine Tränen und mein Blut in einem Song, und die schreiben Smileys an ihre BFFs! Dann will ich mich umbringen, aber die auch. In irgendeiner Reihenfolge.

Aber du bist auch so ein Lieblingskind des Internets. Du bietest dich sehr an für traurige Tumblr-Posts.
„Was würde Tumblr schreiben?"—das ist auch immer die Frage, mit der ich an Texte rangehe. Wenn ich eigene Zitate auf Tumblr finde, finde ich das auf irgendeine Art gut. Aber wenn das krass kitschige Sachen von irgendwelchen alten Texten sind, wo ich mir selber denke „Oh, scheiße", dann ist es natürlich unangenehm. Das kommt tatsächlich öfter vor, als mir lieb ist. Aber mein Textmaterial war immer sehr aphorismenlastig—im Endeffekt eine Aphorismen-Sammlung, die dann zu einem Text wurde—und wenn man da wieder kleine Aphorismen draus macht und einzelne Sätze übrig bleiben, finde ich das irgendwie schön.

Aber bei Interview-Antworten, wahrscheinlich auch nach diesem Interview, klingt es ganz oft so pseudo-philosophisch schlau, merkwürdig. Mir entgleiten immer die Worte, während ich antworte, und ich versuche, mich irgendwo festzuhalten, und alles rutscht mir so entgegen. Wenn ich ein Jahr später wieder irgendwelche Interviews vorgesetzt bekomme, denke ich mir oft: „Boah, hast du das wirklich gesagt?" Deswegen will ich eigentlich auch nie wieder Interviews geben, mache es trotzdem und hasse mich immer wieder dafür. Wenn ich daheim Zeit habe, um irgendetwas zu schreiben, bin ich aber schon zufrieden, wenn es dann wieder irgendwo auftaucht.

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Wobei sich das bei dir ja auch anbietet. Ich habe bei dir oft das Gefühl, dass du Sachen nicht rappst, weil sie im ersten Moment gut klingen, sondern weil sie sprachlich für dich funktionieren und dir Sprache im Allgemeinen sehr wichtig ist.
Voll. Es dreht sich eigentlich auch alles nur um Text und Sprache. Mir war Musik nie krass wichtig und ich habe mich auch nie wirklich als Musiker verstanden. Ich habe für mich über die Jahre hinweg irgendwie so eine eigene Art von Sprache gefunden—wie das funktioniert, was für Bilder da drin sind, wie diese sprachliche Welt aussieht—und darum geht es mir eigentlich. Das ist wieder so eine Antwort, für die ich mich später hassen werde! (lacht)

Wenn du jetzt wieder 12 oder so wärst: Glaubst du, du hättest einen Blog mit tiefsinnigen Alltagsbeobachtungen?
Die Gefahr ist schon gegeben. Man will in dem Alter, vielleicht auch erst mit 13, ja so krass gehört werden. Egal ob Großstadt oder Kleinstadt, man sitzt irgendwo in seinem Kinderzimmer und denkt, man hat viele Gedanken gerade zum ersten Mal gedacht. Man will wahrgenommen werden und das Internet verspricht einem das ja in jeder Sekunde. Ich glaube, man MUSS dieses Tool ausprobieren und nutzen, wenn man noch so klein ist. Schrecklich. Das Schlimme daran ist ja eigentlich, dass so etwas nicht mehr vorsortiert wird und so viel Müll dabei herauskommt.

Früher, bevor ich das an irgendeine Wand in der Kleinstadt geschrieben und dafür vielleicht Ohrfeigen kassiert habe von irgendwelchen anderen Kids, überlegt man es sich dreimal. Bevor du in irgendeinem Jugendclub aufgetaucht bist und da gerappt hast, musstest du irgendwelche Skills haben. Sonst hätten die dir gesagt, dass du dich verpissen sollst. Dass das alles wegfällt, macht das Internet zu einem riesigen Müllhaufen voller Dreck, der sonst vielleicht gefiltert worden wäre, deswegen muss man diese Auswahl für sich selbst treffen.

Das Internet ist wie das echte Leben: Wenn man nur mit Mongos rumhängt, dann braucht man sich auch nicht wundern, wenn man sich die ganze Zeit über irgendjemanden aufregen muss.

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