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Drogen

Eine sehr deutsche Unternehmergeschichte

Wir haben mit Rainer Schmidt über seinen Roman „Die Cannabis GmbH", den echten Menschen hinter der Romanfigur und die deutsche Politik gesprochen.

Rainer Schmidt. Foto: Dieter Eikelpoth

Gutes Timing hat Rainer Schmidt auf jeden Fall: Genau zu einem Zeitpunkt, wo um die Legalisierung von Cannabis gestritten wird, wie schon lange nicht mehr, erscheint sein Roman ​Die Cannabis GmbH—die Geschichte eines Kiffers, der sein Hobby zum Beruf macht und bald merkt, dass er seine Berufung gefunden hat.

Der Held des Buches, der sich „Dude" nennen lässt, entwickelt sich schnell zu einem Gras-Großproduzenten, dem trotzdem Qualität über alles geht. Aber obwohl die Leute ihm sein Zeug zu Bestpreisen abkaufen, hat er es alles andere als leicht: er kämpft mit trotteligen Mitarbeitern, der Stromrechnung und der Angst, aufzufliegen. Die Geschichte ist stark inspiriert von einem ​​echten Grower​, den der Autor zufällig kennengelernt hat. Ich habe mit Rainer über den echten „Dude", seine Sicht auf die deutsche Drogenpolitik und ph-Werte gesprochen—und darüber, was Grower mit ostwestfälischen Möbelfabrikanten gemeinsam haben.

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VICE: Herr Schmidt, sind Sie selbst ein großer Kiffer?
Rainer Schmidt: Überhaupt nicht, nein. Ich habe das Kiffen schon vor langer, langer Zeit aufgehört. Ich habe am Anfang des Studiums gekifft und musste schnell feststellen, dass ich offensichtlich nicht das empfinde, was andere beim Kiffen empfinden.

Wie sind Sie dann auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Aus zwei Gründen: Erstens hat mich diese Heuchelei, was Drogen und insbesondere Cannabis betrifft, immer genervt. In der Welt, in der ich mich Zeit meines Lebens bewegt habe—in den unterschiedlichsten Musikszenen—wurde immer Drogen genommen, es wurde immer gekifft, mit völliger Selbstverständlichkeit. Aber sobald man sich in andere Teile der Gesellschaft bewegte, waren Drogen wieder ganz schlimm. Aber man wusste, dass es gar nicht so ist, weil man viele Leute kennt, die Drogen nehmen und die trotzdem völlig nette, normale Menschen sind.

Als ich dann Anfang 2013 durch Zufall über einen Grasproduzenten gestolpert bin, habe ich mir gesagt: „Das ist der Mann, den ich brauche." Um mir erstens einen Einblick zu geben in eine Welt, die ich nicht kenne, diese Produzentenszene. Und zweitens, um dieses Problem an ihm mal aufzeigen zu können.

Jetzt sitzt er aber im Gefängnis, oder?
Ja, der ist Anfang des Jahres eingefahren. Er hat ja wirklich erwartet, dass er eine Bewährungsstrafe bekommt, weil er sein Leben lang nicht polizeilich aufgefallen ist und Familie und einen festen Wohnsitz hat. Die Richter haben das aber anders gesehen, unter anderem wegen der wirklich nicht unerheblichen Mengen, die er jedes Jahr aus seiner top-modernen Anlage geschleppt hat. Die haben festgestellt, wie viele Jahre er das betrieben hat und dann ungefähr hochgerechnet, wie viele Ernten das sind—und dann wird man für jede Ernte einzeln bestraft.

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Wie nah kommt „der Dude" seinem Original?
Also, der „Echte" hatte mehrere Jahre lang eine Großplantage außerhalb von Hamburg. Was das Anbautechnische im zweiten Teil des Buches angeht, hat er mich sehr stark inspiriert. Aber was noch an familiären Verwicklungen etc. dazu kommt, entspringt sozusagen meinem Kopf.

Was hält der Echte denn von dem „Dude"?
Also, er ist so halbzufrieden mit der Figur. Seine Reaktion schwankt so zwischen „Das hätte ich nie gemacht", aber auch ein bisschen Stolz. Also, wir reden noch miteinander.

Hat es Spaß gemacht, dass zu schreiben?
Ja, das war ein Riesenspaß, weil selbst die absurdesten Geschichten in dem Buch nicht völlig unrealistisch sind. Die sind nicht dem echten Vorbild passiert, aber ich habe sehr viel in der Szene recherchiert und bin auf immer neue Gesprächspartner gestoßen. Viele Sachen sind so absurd, das könnte man sich gar nicht ausdenken.

Zum Beispiel: Man hat einen Kurzschluss in der Großanlage und braucht einen Elektriker. Wie kriegt man einen Elektriker in eine riesige, illegale Grasplantage? Da wird dann der Elektriker deines Vertrauens 80 Kilometer mit einer Tüte über dem Kopf rausgefahren. Das war also ein großer Spaß, diese Dinge zu recherchieren.

Es war also wichtig, die Fakten richtig hinzubekommen?
Absolut. Was halt nicht passieren darf ist, dass du ein Buch schreibst, dass in dieser Szene spielt, und dann kommt einer und sagt, dass du keine Ahnung vom Anbau hast. Ich habe also alle gefragt, bis hin zu Spezialisten aus Grow-Shops in Berlin und anderswo, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen, damit auch der letzte ph-Wert im Buch noch korrekt ist. Aber als ich zu dem Teil des Schreibens kam, wo die Fakten noch mal gecheckt werden mussten, saß der Typ, der mich informiert und inspiriert hatte, schon im Knast.

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Mir wurde dann ein Grower aus Berlin empfohlen, der kuckte sich dann ein paar Passagen an und sagte: „Moment. Wenn der das Düngemittel genommen hat, und den ph-Wert—sag mal, war die Anlage eigentlich nördlich von Hamburg?" Der wusste das anhand der ph-Level im Grundwasser! Sehr beeindruckend.

Das sind im Grunde richtige Landwirte.
Ja, deshalb hat mich die Geschichte auch fasziniert, weil es sehr deutsche Unternehmergeschichte ist—mit sehr viel Fachwissen und Liebe. Der echte Grower betrieb seinen Laden mit der Ernsthaftigkeit eines ostwestfälischen Möbelfabrikanten. Guter deutscher Mittelstand.

Die Diskussion um Cannabis wird im Moment sehr lautstark geführt. Soll das Buch dazu ein Beitrag sein?
Als ich anfing, wollte ich eigentlich nur eine spannende Geschichte erzählen. Aber als ich in der Recherche weiter ging, wurde mir klar, dass ich die Diskussion irgendwie auch in das Buch einbringen muss. Weil ich die aktuelle Drogenpolitik total überholt und anachronistisch finde. Der Dude in meinem Buch hätte ja gerne Steuern gezahlt. Wenn es also auch zum Nachdenken anregt, freut mich das sehr.

Es ändert sich ja was, wenn man sich ankuckt, was in den letzten 12 Monaten passiert ist: 40 Prozent der deutschen Strafrechtsprofessoren fordern ein radikales Umdenken. Andre Schulz, der Vorsitzende des Bundes der deutschen Kriminalbeamten, fordert ein Umdenken. Die Stimmen mehren sich, man will also die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Ideologie in der Drogenpolitik zurücktritt und die praktische Vernunft ein bisschen hervortritt.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler scheint demgegenüber nicht so aufgeschlossen.
Absolut nicht. Die zieht sich auf den Standpunkt „Das Zeug ist gefährlich, wir müssen die Jugendlichen schützen" zurück. Die meisten Legalisierungsbefürworter würden ja sofort zugeben, dass das Zeug für Jugendliche oder Kinder nicht gut ist und wir sie schützen müssen—und dass die aktuelle Drogenpolitik genau das nicht tut.

Wenn man wissen will, was die aktuelle Drogenpolitik anrichtet, muss man nur in den Görlitzer Park gehen. Jeder verkauft alles an alle, es gibt keinen Verbraucherschutz, keinen Jugendschutz. Will man das? Dann macht so weiter.

Gibt es eigentlich schon Anfragen wegen der Filmrechte für das Buch?
Ja, erfreulicherweise gibt es schon diverse Anfragen. Ich halte da jetzt erstmal die Füße still, weil das Buch ja gerade erst draußen ist. Aber ich würde das wahnsinnig gerne sehen, wie ein versierter Filmemacher das umsetzt. Und vor allem: Ich möchte einmal selber durchs Bild huschen. Ich muss ja auch keine Rolle haben, ich kann ja bei der Ernte helfen. Aber einmal im Kinofilm durchs Bild huschen, und dann vielleicht noch im eigenen Film: yes!