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Moderne Kunst, das können auch Knackis

In der JVA Moabit essen die Gefangenen Tauben, in der JVA Charlottenburg machen sie Kunst.

Die JVA Berlin Charlottenburg ist eine Anstalt des geschlossenen Männervollzugs. Hier kommen auf 20.000 Quadratmetern 279 Insassen unter. Eine dicke Mauer trennt die Häftlinge, die Strafen von bis zu fünf Jahren absitzen, von der Öffentlichkeit.

Es ist ein relativ kleines Gefängnis mit viel Grün. Der Gefängnisdirektor Herr Dumke sagt, dass sich das positiv auf die Befindlichkeit der Gefangenen auswirkt. In der JVA sind Gärtnerei, Lehrküche, Schlosserei, Malerei, Bauhof, Reinigung und Wäscherei untergebracht. Es gibt auch einen Außenbereich mit Sportplätzen, wo nach der Arbeit ab 15 Uhr unter Aufsicht Fußball, Basketball und Volleyball gespielt wird, und vier Häuser mit Unterbringungsbereichen.

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Meine Bekannte, die Künstlerin Liz Mields-Krachtowil, macht hier seit 1998 mit den Insassen einmal in der Woche Kunst. Probleme gab es nie, Liz ist eine Art Vertrauensperson für die Gruppe, die aus zehn Sträflingen besteht. Sie denkt, dass die Kunst besänftigend wirkt, Resozialisierung. Ich habe Liz und die Häftlinge an einem Freitagnachmittag besucht.

ALEX

Was möchtest du tun, wenn du rauskommst?
Ich möchte nicht rückfällig werden. Ich bin von den Drogen und dem Alkohol weg. Ist ja alles schön und gut, was hier läuft. Aber was hinter der Mauer ist, das interessiert die Justiz ja nicht. Die Versuchung ist draußen größer als hier drinnen.

Das sieht ja fast aus wie ein Lächeln.
Das ist ja ein Lächeln, aber ein Lächeln mit Macht.

Ein böses Lächeln.
Ja.

Und wo spielt sich das ab?
Das spielt sich hier ab, in unseren Häusern. Das ist der Machtkampf zwischen Gefangenen, gegen Gefangene. Das Machtverhältnis zwischen Beamten und Gefangenen.

Ist das hier ein großes Problem?
Ja, ein sehr großes Problem. Man geht nur arbeiten und den Rest hängt man rum. Es gibt viel Gewalt, viele Schlägereien. Am Anfang hatte ich auch meine Probleme. Seit sechs Monaten habe ich die Lockerung, arbeite als Gärtner außerhalb der Anstalt. Jetzt geht es mir eigentlich gut.

Hast du vorher schon gemalt?
Seit meiner Kindheit. Ich habe damals für die katholische Kirche im Kindergottesdienst gemalt, das große Abendmahl, die Auferstehung, die Kreuzigung, Weihnachtsgeschichten.

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Bist du ein religiöser Mensch?
War ich mal. Ich hab mit der Kirche viele Probleme gehabt in meiner Kindheit.

Was für Probleme?
Im sexuellen Bereich.

Wieso bist du denn hier?
Bewährungswiderruf, Gewaltdelikte mit der Polizei, habe einem Polizisten in der Ausnüchterung eine geklatscht, und Computerbetrug.

Würdest du sagen, der Kunstkurs hilft dir?
Mir hat der Kunstkurs geholfen. Wenn ich nach vier Stunden aus dem Kurs rauskomme, bin ich anders.

MAX

Was ist dein Lieblingsmotiv?
Dinosaurier.

Wieso?
Ich finde die hübsch.

Hast du einen Lieblingskünstler?
Max Ernst und Hieronymus Bosch.

Wie ist die Atmosphäre im Gefängnis?
Schwierig. Trocken, lieblos und rücksichtslos.

Möchtest du uns noch etwas zu deiner Geschichte erzählen?
Ich bin Autor. Ich hatte gerade die ersten Texte verkauft, da ging es mir ein bisschen zu gut und ich dachte, dann kann Heroin auch nicht mehr schaden. Und es war dann aber andersrum als erwartet und es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich das wieder bereinigt hatte, bis vor zwei Jahren.

MARTIN

Wie findest du es hier?
Ich beschäftige mich das erste Mal mit Kunst. Das ist ne tolle Sache. Mein Leben hat bisher aus Zahlen bestanden.

Wieso?
Ich komme aus dem Finanzsektor.

Wieso bist du jetzt hier?
Ich habe einen Fonds gegründet und sogenannte Bearbeitungsgebühren genommen, das ist in Deutschland nicht erlaubt. Das wusste ich nicht.

Und was hast du vor, wenn du rauskommst?
Ich habe sieben Enkelkinder, die alle nach mir schreien und mein Sohn leitet mein Büro in London und braucht auch ein bisschen meine Unterstützung. Ich werde mich der Kunst und der Literatur widmen. All das, was ich in meinem beruflichen Leben nicht machen konnte.

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BENNI

Was ist denn dein Lieblingsmotiv?
Ich beschäftige mich im Moment mit der Göttlichen Komödie. Dalí hat sie ja unter anderem mit Lithografien illustriert. Eine geniale Mischung.

Du liest viel, oder?
Ich bin selbst draußen schriftstellerisch tätig. Ich habe 3500 Bände zu Hause.

Was passiert jetzt mit denen?
Sie sind säuberlich verpackt und warten eingelagert auf meine Rückkehr.

Fühlst du dich im Gefängnis intellektuell unterfordert?
Man muss mit den gegebenen Realitäten fertig werden. Ein Gefängnis ist ja kein Märchenwald.

Wie war dein Leben vorher?
Ich bin der Typ Mensch, den man in der Philharmonie, in der Klassikabteilung von Dussmann oder in Ausstellungen sieht und dementsprechend gestaltet sich auch das Publikum, mit dem ich normalerweise verkehre.

ALI UND MOHAMMED

Wie viele Jahre sind es noch?
Ali: Vier Jahre habe ich schon abgesessen. Im März 2013 ist alles vorbei.

Was macht ihr, wenn ihr rauskommt?
Ich bin jetzt Azubi als Koch. Ich habe hier die Lehre angefangen, ich habe schon immer gern gut gegessen. Ich möchte draußen weiter studieren. Was in der Art Gastronomie, dass ich ein kleines Restaurant eröffne. Ich will auch mein eigenes Label gründen.

Was für ein Label ist das?
Mir wurde ermöglicht, dass ich T-Shirts bedrucken kann. Die Marke wird durch einen Sänger präsentiert werden. Darf ich Werbung machen?

Klar.
Die wird „Bad and Nice“ heißen. Das Gute im Menschen und das Schlechte. Ich will durch meine Marke eine Mitte kennzeichnen

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Mohammed, was machst du, wenn du rauskommst?
Mohammed: Ich mache hier gerade eine Lehre, Gebäudereinigung. Ich will versuchen, über Kontakte in die Hotelbranche zu kommen. Ich saß drei Jahre im Jugendvollzug. Da gab es auch nicht so viele Ausbildungsperspektiven. Dann bin ich rausgekommen und wieder rückfällig geworden.

Wieso wird man rückfällig?
Aufgrund meiner Papiere hatte ich keine Arbeitserlaubnis und kein Jobcenter wollte mich aufnehmen. Schwarzarbeit habe ich versucht, ich wurde aber abgezockt. Auf Baustellen und so, am Ende des Monats wird man nicht mal bezahlt. Irgendwann hat man die Schnauze voll. Ich habe Juweliere überfallen. Du kannst es dir vorstellen, ein Kilo Gold kostet heutzutage ca. 40.000 Euro. Und in ein bis zwei Minuten kann man viel erbeuten.

Wieso bist du hier?
Ali: Ich habe viele Freunde, die haben keine Perspektive gehabt, wir kamen aus der gleichen Straße, haben zusammen Einbrüche, Überfälle und Raub begangen. Wir sind nicht auf die Straße gegangen und haben Omis Handtaschen gezogen, sondern haben auch sehr viel Zivilcourage im Leben gezeigt. Aber wir wussten, wie wir sehr viel Geld auf einmal ausgeben können.

Hilft das Gefängnis dabei, jemanden zu finden, der euch einstellt?
Ali: Auf keinen Fall.
Mohammed: Nein!

Gibt der Kunstkurs euch Hoffnungen?
Ali: Der Kurs ist nur eine kleine Ablenkung für ein paar Stunden. Uns geht‘s hier nicht schlecht, wir lachen viel. 
Mohammed: In Moabit bist du 23 Stunden eingesperrt. Da hat sich ein Typ mit Rauch selbst vergiftet, weil seine Frau ihn verlassen hat.
Ali: Das hier ist ein Paradies im Vergleich dazu.
Mohammed: Ja, hier kann man kochen.
Ali: Weißt du, wie man da kocht?

Nein.
Mohammed: Mit einem Eimer.
Ali: Wenn du da Wasser reinmachst und zwei Stromkabel nimmst und die verbindest, mit zwei Metallstücken, dazwischen ein Holzstück, damit die sich nicht berühren. Dann hast du heißes Wasser. Die Tollpatsche haben da den Finger reingesteckt und sind gestorben.
Mohammed: Hier haben wir Tauchsieder.
Ali: Aber der verkalkt schnell, Dicker. Das war scheiße.
Mohammed: Das ist eine Kunst, wenn du das sehen würdest! Wir bauen uns selber einen kleinen Herd aus Thunfischdosen.

Das meint ihr doch gerade nicht ernst?
Mohammed: Doch, doch.
Ali: So habe ich das beste Chili con Carne gegessen, das es gibt. Das werde ich nie vergessen, das waren die besten Tage. Die Vietnamesen haben Tauben gegessen! Moabit 2009.
Mohammed: Die kann man jagen! Weißt du, wie man das macht? Man nimmt die Fäden aus einem Wischmopp und wickelt daraus eine Schlinge und macht Brot in die Mitte. Und dann zieht man die Schlinge zu und sie wickelt sich um die Füße.

Fotos: Grey Hutton