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Rassismus

Ich bin weder Schlitzauge noch Ching Chang Chong

Mein Leben lang ließ ich stumm "ni hao" und Witze über Hundefleisch über mich ergehen. Seit Trumps Präsidentschaft und Oettingers rassistischen Kommentaren ist aber Schluss damit.

Foto: privat

Mein Studienkollege ist Brillenträger wie ich und wir diskutieren gerade darüber, wer von uns besser sehen kann. Unsere Brillenstärken sind vergleichbar. "Du kannst trotzdem mehr sehen", sagt er. "Deine Augen sind weiter, also hast du bessere periphere Sicht." "Wie, meine Augen sind weiter?", hake ich nach. "Na ja, sind halt so Schlitzaugen", sagt er.

Kommentare wie diese bin ich als Kind chinesischer Einwanderer so gewöhnt, dass ich mich bis vor Kurzem nicht mal darüber aufgeregt habe. Seit ich klein bin, fanden es Kinder in Ordnung mir "ching chang chong" im nasalen Ton vorzusingen. Abends, wenn ich in der Innenstadt unterwegs bin, rufen mir Leute "konnichiwa" oder "ni hao" hinterher. Fremde verwickeln mich in der Bahn in Gespräche darüber, ob man in China wirklich Hundefleisch isst. Sie sprechen mich auf Englisch an und sind dann verwundert, dass ich akzentfrei auf Deutsch antworte. In einer U-Bahn-Station in Bochum sagte eine ältere Dame zu mir, ich solle mich entweder ordentlich auf die Bank setzen oder gleich "zurück nach China" gehen.

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Davon war ich meistens genervt, fühlte mich aber nie persönlich angegriffen oder verunsichert. War ja meistens alles nicht böse gemeint. Schließlich wurde ich in Deutschland geboren und habe einen deutschen Pass. Vor allem wurde meine dicke Haut genährt durch den unerschütterlichen Glauben daran, dass solche Kommentare nur von den wenigsten Leuten gemacht werden.

Bis Günther Oettinger, der deutsche EU-Kommissar, in einer Rede vor Unternehmern in Hamburg von Chinesen als "Schlitzohren und Schlitzaugen" sprach. Klar, es ist nicht das erste Mal, dass Oettinger sich öffentlich mitten in ein Fettnäpfchen setzt. Da wäre die Sache mit dem "Taliban-artigen" Internet. Oder seine Lobhudelei auf den NS-Marinerichter und ehemaligen stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Hans Filbinger. Aber Oettinger ist nur die Eisbergspitze des Jahres 2016. Berichte aus Großbritannien und den USA über das Nachspiel von Brexit und Trump beunruhigen mich. In beiden Ländern wurden danach vermehrt Vorfälle von rassistischem Vandalismus, Graffiti und Pöbeleien dokumentiert.

Dass ein Kandidat wie Donald Trump demokratisch ins Weiße Haus gewählt worden ist, macht mir Angst und zeigt, wie viel latenter Rassismus in der Gesellschaft existiert.

Zum ersten Mal fühle ich mich unsicher. Was wird nächstes Jahr auf uns zukommen, wenn die Bundestagswahlen anstehen? In der Sonntagsfrage hat die AfD die 5%-Hürde weit überschritten. Das ist die Partei, die sich über Trump freute. Deren Pinnwand bei Facebook eine Gruselgalerie rassistischer Kommentare ist. Deren Landesvorsitzender in Thüringen Vorträge über Reproduktionsstrategien der Afrikaner hält und über den "afrikanischen Ausbreitungstyp" spricht.

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Und erst vor ein paar Tagen wurde ein Video veröffentlicht, in dem Gerd Müller über "den afrikanischen Mann" sprach, der sein Geld für "Alkohol, Suff, Drogen und Frauen" ausgebe. Gerd Müller ist übrigens kein AfD-Mann, sondern unser Bundesentwicklungsminister und bei der CSU.

Oettinger und Müller haben viel Kritik bekommen, die deutlich macht, dass viele Menschen in Deutschland wissen, dass solche Kommentare rassistisch sind. Man könnte das Ganze als Versprecher abtun, die nunmal passieren, wenn man "frei von der Leber" spricht (Zitat aus Oettingers Erklärung seines Faux-Pas, die der Trumps gleicht, der seine Bemerkung, Frauen könnte man an die Scheide packen, erklären wollte). Vielleicht sollte man sich nicht so haben?

Überhaupt hat man nach den Wahlen öfter das Argument gehört, die "Tugendwächter der politischen Korrektheit" hätten AfD und die FPÖ erst groß gemacht.

Weil viele das Gefühl hätten, man würde ihnen den Mund verbieten, seien sie für deren Rhetorik anfällig. Und außerdem gäbe es jetzt sowieso größere Probleme als politische Korrektheit. Aber ich finde, dass man gerade jetzt den Rassismus auch im Kleinen bekämpfen muss.

In einer Studierenden-Facebook-Gruppe, die den Oettinger-Artikel diskutierte, waren manche der Meinung, dass es einen Unterschied zwischen "harmlosem Rassismus" und "echtem Rassismus" gäbe. Und bis vor gar nicht so langer Zeit nahm auch ich an, dass es fehl am Platz sei, sich wegen ein paar fragwürdiger Äußerungen oder kurios uninformierter Nachfragen aufzuregen.

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Inzwischen habe ich aber verstanden, dass Rassismus nicht nur in individuellen Taten gemessen wird. Rassismus, das sind nicht nur brennende Flüchtlingsheime. Rassismus ist ein System, das sich in verschiedenen Weisen äußert, auch in wohlwollenden Alltagsbegegnungen. Die Frage nach dem Herkunftsort meiner Eltern unterstellt, dass ich Teil einer anderen Gruppe bin, dass ich anders bin als die Deutschen.

Ich dachte mein Leben lang, dass unsere Gesellschaft, wenn vielleicht noch nicht komplett offen und gleich, doch auf dem Weg dahin wäre. Ich dachte, dieses Ziel wäre geschützt durch die Mehrheit. Als letzten Mittwoch klar wurde, dass die Vereinigten Staaten einen Präsidenten gewählt haben, der die Wiederherstellung von weißer Vormacht versprach, bekam ich Angst.

Den "PC-Tugendwächtern" die Schuld am Wahlergebnis zu geben, bedeutet, dass man die Diskriminierung der einen als weniger wichtig erachtet als die Angst der anderen vor einem vermeintlichem "Maulkorb". Aber Worte wie "Schlitzaugen" und "ching chang chong" sind nicht nur Worte. Sie haben Konsequenzen. Sie führen dazu, dass Kinder ihre Eltern darum beten, "normal" zu kochen, wenn Schulfreunde zu Besuch sind, oder weniger zu sprechen, damit der Akzent nicht zu deutlich wird. Diese Worte führen dazu, dass diese Kinder und Eltern glauben, dass es egal ist, wie sehr man sich um die eigene Integration bemüht—am Ende ist man doch immer anders.

Es reicht deshalb nicht, wenn wir nur "echten Rassismus" wie körperliche Übergriffe oder brennende Asylheime verurteilen. Das ist so, als ob man ein Kind erst dann zum Arzt bringt, wenn es Blut spuckt, und chronisches Husten als normal empfindet.

Ich habe beschlossen, etwas gegen das chronische Husten zu tun. Das nächste Mal, wenn man mich auf einer Party wieder einer fragt, warum ich so gut Deutsch spreche, werde ich das nicht weglächeln. Sondern erklären, dass es Deutsche gibt, die so aussehen wie ich. Und dass mich solche Bemerkungen verletzen.

Ich will damit keinen bloß- oder ihm Rassismus unterstellen, sondern darauf hinweisen, dass mich solche Fragen als Teil einer Gruppe abstempeln. Ich will nicht eine "der Chinesen" zu sein, nur weil ich asiatische Wurzeln habe. Solange man von "den Chinesen", "den Flüchtlingen", "den Muslimen", "den Afrikanern" spricht, gesteht man diesen Menschen weniger Recht ein, eigene, individuelle Personen zu sein. Sie bleiben Teil einer anderen Gruppe. Und das ist der erste Schritt dazu, verschiedene Menschen in einer Gruppe anders zu behandeln: als weniger menschlich, weniger wert.

In meinem Abibuch durften wir über den beruflichen Werdegang unserer Klassenkameraden spekulieren und jemand meinte, ich werde wohl "Wäschereibesitzerin". Damals habe ich nichts gesagt. Heute wäre das anders. Ich hoffe, dass mich dabei vor allem auch Menschen unterstützen, denen nicht täglich Rassismus begegnet. Ich hoffe, dass mich meine Mitmenschen wissen lassen, dass sie ebenfalls an eine offene und gleiche Gesellschaft glauben.