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Lies, du Opfa!

​Eigentlich geh ich ja gerne zum Arzt

„Zwei bis drei Mal pro Woche benutze ich Zahnseide", lüge ich. Bestimmt weiß er, dass ich lüge. Er weiß es von allen. Immer. Zähne lügen nicht, Patient_innen lügen.

Maximilian Zirkowitsch ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Als Bezirkowitsch hat er im Wien-Wahlkampf die Einwohner erfreut, die Medien verstört und Armin Wolf verärgert, weil er mit dem angeblichen Wolf-Sager „Ich kenne diesen Mann nicht" auf Facebook warb. Sein Wahlkampf in Wien Fünfhaus warf Fragen über Satire in der Gemeindepolitik auf und gab Antworten, die uns noch mehr irritierten. Jetzt ist Maximilian Zirkowitsch zurück im Rampenlicht—und zwar mit dieser zweiwöchentlichen Kolumne auf VICE. Also: Lies, du Opfa!

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Das mit dem Zahnarzt ist so eine Sache, weil man nie weiß, was einen erwartet. Wie eine Schachtel Pralinen. Und die führt eine_n wiederum zum Zahnarzt. Ich war beim Zahnarzt. Eh nur zur Kontrolle, keine Sorge. Es geht mir gut. Zahngesundheit ist ja so wichtig. Warum? Weil sie teuer ist. Zahnärzt_innen wollen immer unser Bestes. Unser Bestes heißt dann also: unser Geld. Ich mag auch, wie unterschiedlich Ärzt_innen sind. Die lernen alle dasselbe, haben ein Berufsgesetz und eine Kammer und Fortbildungen und weiße Kittel. Einmal hatte ich eine Zahnärztin in St. Pölten. Frau Dr.in N. war sehr besonders, weil sie nie sprach.

Ich war zweieinhalb Jahre ihr Patient und weiß nicht, wie sie klingt. Das hat immer die Assistentin gemacht. Erfreulicherweise habe ich so nie den Satz gehört, den alle fürchten: „Da kann man schon was machen, aber das zahlt die Kassa nicht." N. hingegen kommt rein und grüßt nicht. Assistentin: „Grüß Gott. Mund aufmachen bitte. Sie sind nur zu Kontrolle ja, gell?" N. steigt mit den Beinen voran in meinen Mund und fängt an zu arbeiten. Ich: „Wa? Hrgl blb."

Ich gehe eigentlich gern zum Arzt, aber ich bin dann nicht gerne dort. Mein Mund ist doch etwas Intimes. Da darf nicht einfach ein fremder Mensch hineinschauen. N. ist in der Zwischenzeit wieder aus meinem Mund gestiegen. Sie steht jetzt an meinem Kopfende und beugt sich vor. Ihre großen Brüste ruhen auf meinem Gesicht. Zum Glück muss ich stark schwitzen, weil ich eigentlich gar nicht gerne zum Arzt gehe. Muahaha, mein ist die Rache! Die stinkschwitz ich jetzt voll. Die Assistentin geht immer wieder raus. Wahrscheinlich kann sie den unwürdigen Anblick, den ich geboten habe, nicht mehr ertragen.

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Irgendwann richtet sich auch N. auf und verlässt das Behandlungszimmer. Ich bin jetzt allein mit meinem Schweiß. Oje, oje, mir fällt ein, dass man den Schweiß auf dem weißen Leiberl von N. sicher sieht. Wenn sie wiederkommt und ich den Schweiß sehe, sterbe ich vor Scham. Oder noch schlimmer, sie kommt wieder und hat sich ein trockenes Leiberl angezogen. Ich hasse es hier. Eigentlich geh ich nicht gerne zum Arzt. Vielleicht muss sie ein arges Gerät holen, weil irgendetwas Arges mit meinen Zähnen ist. Oder sie muss einfach eine Pause einlegen, weil meine Zähne so arg sind, weil mein Schweiß so arg ist oder weil ihr schwindelig geworden ist von der Kletterpartie in meinem Mund. Muss ich mir Sorgen machen? Warum sagt sie denn nichts?

Eigentlich geh ich gerne zum Arzt. Man ist so füreinander da. Bei meinem letzten Zahnarzt war das ganz anders. Dr. E. war so ein junger Fescher, einer, dem die Lebensfreude und die gesunde Ernährung anzusehen sind. Er war der Typ Jungarzt, von dem man weiß, wie die Freund_in aussieht und welche Farbe das Auto hat. Dafür hat er mit mir geplaudert: „Ui, na, also da kann man schon was machen, aber das zahlt die Kassa nicht." Ich schlucke. „Na, also meinetwegen können wirs auch ohne Rechnung machen. Ich besteh da nicht drauf." – „ Hrmpf." – „Und, wie geht's Ihnen so?", fragt er. Er macht gerne Smalltalk.

„Sagen Sie, wie oft verwenden Sie denn Zahnseide?" Ertappt! Darf man einen Arzt anlügen? Ich glaube nicht.

„Eigentlich ganz gut, danke. Und Ihnen?" – „Was heißt ‚eigentlich'?" – „Achso, tschuldigung. Es geht mir gut." Dann muss D. wieder arbeiten und ich kann nicht mehr antworten. Dazwischen: „Sagen Sie, wie oft verwenden Sie denn Zahnseide?" Ertappt! Darf man einen Arzt anlügen? Ich glaube nicht. Wahrscheinlich peitscht einen dann so eine strenge Dame von der Krankenkassa aus. Da ist es ja noch beim Zahnarzt besser. Eigentlich geh ich gerne zum Arzt. „Eigentlich so zwei bis drei Mal pro Woche", lüge ich. „Was heißt ‚eigentlich'?" – „Achso, tschuldigung. Zwei bis drei Mal pro Woche benutze ich Zahnseide", lüge ich wieder. Er kommentiert es nicht. Bestimmt weiß er, dass ich lüge. Er weiß es von allen. Immer. Zähne lügen nicht, Patient_innen lügen.

Eigentlich bisher ganz gut. Er hat noch nichts … „Ui, da müssma bohren." – „Was? Wird's weh tun?" – „Eigentlich nicht." Ich bin nie wieder zu ihm gegangen. Ich bin ja auch umgezogen und dann habe ich N. entdeckt. Wo ist sie eigentlich? Nach fünfzehn Minuten kommt die Assistentin wieder: „Was, Sie sind noch da? Wir sind doch schon fertig." Sie vielleicht, ich bin es schon lange.