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Popkultur

Popstars in Nazi-Kluft sind Europäern offenbar egal

Seit seiner Einführung ist der Eurovision Songcontest mit seinen zuweilen bizarren Entertainern das größte, geschmackloseste Popmusik-Event Europas und Karrieresprungbrett kultureller Kalamitäten wie ABBA, Celine Dion und Riverdance. In diesem März...

Illustration von Alex Cook

Seit seiner Einführung im Jahr 1956 ist der Eurovision Songcontest mit seinen schmalzigen, zuweilen bizarren Entertainern das größte, geschmackloseste Popmusik-Event Europas und Karrieresprungbrett kultureller Kalamitäten wie ABBA, Celine Dion und Riverdance. In diesem März allerdings betraten ein paar unerwartete Gäste die Bühne: Nazis.

Genauer gesagt, Trommler in Nazikluft. Beim Auftritt des dänischen Eurovision-Beitrags, Only Teardrops von Emmeline de Forest, trugen die Trommler Uniformen der Waffen-SS. Angeblich hatte sie ein Kostümbildner erstanden, der keine Ahnung davon hatte, dass ihre Träger die größten Grausamkeiten seit Menschengedenken verübt hatten. (Die Uniformen waren für eine Fernsehserie über Nazis hergestellt worden.) Glücklicherweise bemerkte DR, das Rundfunknetzwerk, das den Wettbewerb ausstrahlte, den Fehlgriff gerade noch und ließ die Abzeichen an den Ärmeln in letzter Minute kaschieren, sodass nicht auf Anhieb zu erkennen war, um welche Art von Uniform es sich eigentlich handelte. Alle Beteiligten haben sich seither für den Patzer entschuldigt und alles auf ein unglückliches Versehen geschoben.

Selbst dänische Linke betrachten diesen Fauxpas mit Nachsicht. „Irren ist menschlich“, so René Karpantschof, Soziologe und ehemaliges Mitglied von BZ, der dänischen Hausbesetzerbewegung. „Es ist doch ganz klar, dass die Künstler diese Kostüme nicht bewusst getragen haben und kein politisches Programm dahintersteht … Die Dänen sind ein sehr sensibles Volk, doch es kommt darauf an, wer die Akteure sind. Hugo Boss hat sehr schicke SS-Uniformen entworfen. Die Künstler haben diese Uniformen wohl gesehen und gedacht: Wow, sehen die toll aus … Allerdings verstehe ich nicht, wie sie das Abzeichen auf dem Ärmel übersehen konnten.“ Silas Adler, Mitgründer und Kreativdirektor des dänischen Herrenlabels Soulland, meinte, der Grund für die mangelnde Empörung sei möglicherweise der, dass das Dritte Reich Schnee von gestern sei.

„Nazisymbole haben auch heute noch eine mächtige Wirkung, aber jüngere Generationen verbinden diese Symbole nicht mehr unbedingt mit der Geschichte.“ Nazi-Ikonografie sei bei einigen jungen Leuten nicht immer mit den Ereignissen verbunden, die lange vor ihrer Geburt stattgefunden haben. „Für viele Menschen ist Geschichte eine Ansammlung von Sätzen in Wikipedia“, fuhr Silas fort. „Militärkleidung gehörte außerdem schon immer zum Modeprogramm. Ich glaube, die Leute finden sie einfach cool.“