Es ist ein Mittwoch, an dem Lorenz Klinger ein Schreiben in seinem Briefkasten findet. Die Staatsanwaltschaft hat es ihm geschickt. Sie wirft ihm vor, einmal drei und einmal zehn Gramm Cannabis gekauft zu haben und verweist auf WhatsApp-Chats. Etwas wie “Moin Grüner, hast du Zeit?”, habe darin gestanden. Und: “Joa, sag mal was.” “Zehn.” “Alles klar. Ich komm vorbei. BG.” Kryptisch, aber für die Strafverfolgungsbehörden doch ein Indiz.
Klinger reagiert nicht auf das Schreiben. Er fährt nicht zur Wache, macht keine Aussage. “Die können mir nichts beweisen”, habe er sich gedacht. “Sie waren nicht bei mir und haben nichts gefunden.” Und doch steht er ein paar Monate später vor Gericht: Geldstrafe, 1.050 Euro.
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Klinger erzählt am Telefon von seiner Geschichte, während er in einer Currywurst-Bude steht und auf sein Essen wartet. Er hat eine tiefe Stimme, die zwischen einem sarkastischen und ernsten Tonfall hin- und herwechselt. Manchmal, wenn er über seine Strafe spricht, klingt er auch genervt. “Wir können hier ja Klartext reden”, sagt er. “Natürlich stimmt das. Ich habe auch gar keinen Bock, das immer zu leugnen.” Anonym möchte er trotzdem lieber bleiben, deswegen haben wir seinen Namen hier im Text geändert.
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Jeder werde mal erwischt, der so lange kiffe wie er, murrt er. 20 Jahre seien das immerhin schon. “Ich hab immer gedacht: Wenn ich als Endkonsument irgendwann mal eine Beschwerde bekomme, wird das eh eingestellt.”
Ein Irrtum. Zwar steht Konsum in Deutschland nicht unter Strafe. Der Erwerb bleibt aber ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, eine Straftat. Aber reicht schon ein kryptischer WhatsApp-Chat als Beweis?
“Das kann man so pauschal nicht beantworten”, sagt Markus Cronjäger. Er ist Strafverteidiger in Frankfurt am Main. Einige seiner Mandantinnen kommen wegen kleinerer Cannabis-Delikte zu ihm. “Es kommt jedoch regelmäßig vor, dass Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, wenn im Zuge einer rechtmäßigen Wohnungsdurchsuchung wegen des Verdachts des Betäubungsmittelhandels das Handy des Beschuldigten beschlagnahmt wird und sich darauf Kommunikation mit Dritten befindet, in der es um den Ankauf von Betäubungsmitteln geht.”
Was Cronjäger beschreibt, war bei Lorenz Klinger der Fall. “Ich hatte einen Arbeitskollegen und in der Regel hat der immer uns beide versorgt. Irgendwann wurde der halt gepackt”, erzählt er. Die Polizei bekam Zugang zu den Chats des Dealers, denn Screenshots der WhatsApp-Texte finden sich ausgedruckt in Klingers Akte. Das sagt sein Anwalt. Er bestätigt die Erzählung von Klinger.
Verschlüsselung macht den Zugriff schwierig
Wann darf die Polizei ein Handy beschlagnahmen? Das regelt die Strafprozessordnung. Darin steht, wie Strafverfahren in Deutschland ablaufen sollen. Und sie besagt: Alle Gegenstände, die für die Untersuchung wichtig sind, dürfen von der Polizei beschlagnahmt werden. Dafür genügt ein Anfangsverdacht. “Da reichen jetzt nicht bloße Vermutungen oder Hirngespinste”, sagt Dr. Christian Rückert. Er ist Leiter der Forschungsgruppe Cyberkrime am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht von Professor Christoph Safferling an der Friedrich Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. “Aber es wird die sogenannte kriminalistische Erfahrung der Ermittler zugrunde gelegt.” Erwischen die Beamtinnen also jemandem beim Dealen, reicht ihre Vermutung, dass ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorliegt, um das Handy beschlagnahmen zu dürfen. Das Handy zu beschlagnahmen ist bei allen Straftaten möglich – auch bei Verdacht auf Besitz oder Erwerb von Substanzen, die unter das Betäubungsmittelgesetz oder das Neue Psychoaktive Substanzen-Gesetz fallen.
Bevor Polizeibeamte ein Beweismittel eintüten und mitnehmen, muss das eine Richterin anordnen. Aber: Besteht die Gefahr, dass Beweismittel verloren gehen, während man auf die gerichtliche Anordnung wartet, darf auch die Staatsanwaltschaft oder sogar die Polizei eine Beschlagnahme anordnen. Eine Polizistin ruft also beim zuständigen Ermittlungsrichter an. Sollte sie den nicht erreichen, muss sie es bei der Staatsanwältin probieren. Wenn sie auch da nicht durchkommt, darf sie selbst die Beschlagnahme anordnen. Wenn der Tatverdächtige dem widersprochen hat, muss die Polizistin ihre Anordnung innerhalb von drei Tagen von einem Gericht bestätigen lassen.
Nehmen wir an, die Polizistin hat nun das Handy des Verdächtigen in der Hand: Automatisch Zugriff auf die Chats hat sie noch nicht. Etwa, wenn das Handy gesperrt oder sogar verschlüsselt ist. “Dann ist es für die Verfolgungsbehörden sehr schwierig, da ranzukommen”, sagt Rückert. Polizistinnen dürfen die Tatverdächtige nicht zwingen, das Passwort herauszugeben.
In juristischen Kreisen wird deswegen gerade folgendes diskutiert: Ist es laut Strafprozessordnung rechtens, das Smartphone zwangsweise mit biometrischen Merkmalen zu entsperren? Also entweder, der Besitzerin das Handy vors Gesicht zu halten oder ihren Finger auf das Display zu drücken? Die einen sagen: Ja, immerhin dürfen Polizistinnen auch Fingerabdrücke nehmen. Andere, wie etwa Rückert, finden: Diese Erlaubnis wurde nicht dafür gemacht, an weitere Daten zu kommen.
Dass Strafverfolger an gesperrte oder verschlüsselte Informationen kommen, ist schwierig. Doch Ermittlerinnen haben noch weitere Möglichkeiten, die Nachrichten zu lesen: über das Internet. Die Polizei kann die Datenströme, die über Mobilfunk oder über Leitungen verschickt werden, überwachen lassen; die klassische Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Das funktioniert so: Der Staatsanwalt schreibt einen Antrag an die Richterin. Deren Anordnung wiederum schickt er den Providern, also etwa der Telekom oder Vodafone. Die müssen dann ermöglichen, dass die Polizei auf den Datenstrom zugreift, der von einem Anschluss weggeht oder dort ankommt.
Dazu sagt die Strafprozessordnung: Die Telekommunikationsüberwachung darf die Polizei nur bei schwereren Straftaten durchführen. Etwa: Wenn der Täter mutmaßlich “gewerbsmäßig handelt”, Mitglied in einer “Bande” ist oder bei dem Handel eine Waffe bei sich trägt. Sie unterscheidet sich damit von anderen Ermittlungsmaßnahmen wie der Beschlagnahme oder der Hausdurchsuchung, die – mit der entsprechenden Bestätigung durch eine Staatsanwaltschaft oder ein Gericht – bei jeder Straftat durchgeführt werden dürfen. 2019 wurden in über 18.000 Fällen Überwachungen angeordnet, davon rund 8.600 wegen Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz und eine einzige wegen Verstoß gegen das Neue Psychoaktive Substanzen-Gesetz.
Wie Behörden doch an verschlüsselte Chats kommen
Knackpunkt für die Behörden ist auch hier wieder: die Verschlüsselung. Die meisten Messengerdienste wie WhatsApp oder Signal sind Ende-zu-Ende verschlüsselt. Die Polizei kann den Datenstrom eigentlich nicht lesen. “Diese Verschlüsselung zu knacken ist technisch unglaublich schwierig bis fast unmöglich”, sagt Rückert. “Die klassische TKÜ nutzt bei Messengerdiensten wie Telegram oder WhatsApp also nichts.”
Ein umstrittener Weg, diese Schwierigkeit zu umgehen, ist die Quellentelekommunikations-überwachung. Bei der sollen die Daten abgegriffen werden, bevor sie verschlüsselt werden oder nachdem sie entschlüsselt worden sind. Dazu muss es den Behörden aber gelingen, ein Spähprogramm, den sogenannten Staatstrojaner, auf das Endgerät zu schicken. Das dürfen sie unter den gleichen Voraussetzungen, die auch für die klassische Telekommunikationsüberwachung gelten.
Hier hätten die Behörden das gleiche Problem wie Hacker, schildert Rückert: Sie müssen erstmal auf das Gerät kommen. Ihre Methoden sind entsprechend jenen von Hackern ähnlich. Sie verschicken Mails mit dem Trojaner im Anhang oder locken die Verdächtigen auf eine Webseite, wo sich der Trojaner dann per Drive-by-Download installiert, also ohne, dass die Nutzerin dem Herunterladen zustimmen muss.
Doch die Behörden haben noch eine zweite Möglichkeit, an verschlüsselte Chats zu kommen: die sogenannte Online-Durchsuchung. Die kleine Variante erlaubt gespeicherte Messenger-Nachrichten auszulesen, die ab dem Zeitpunkt gesendet oder empfangen worden sind, nachdem die Anordnung ergangen ist. Die große Online-Durchsuchung erlaubt der Polizei, über einen bestimmten Zeitraum auf sämtliche Daten auf dem Gerät zuzugreifen. Hier muss aber mindestens ein Gericht, in manchen Fällen sogar eine ganze Strafkammer zustimmen. “Technisch hat dieser Trojaner das gleiche Problem wie der andere, nämlich damit, dass er auf das Gerät drauf muss”, sagt Rückert. Dementsprechend spielt die Online-Durchsuchung bisher keine allzu große Rolle: 2019 wurde sie bloß in 20 Verfahren angeordnet – tatsächlich durchgeführt wurden lediglich zwölf.
Auf technischem Wege an die Handydaten zu gelangen – schwierig. Die häufigste Variante, durch die die Polizei Zugang zu den Nachrichten bekommt, ist also der einfachste Weg: Die Dealerin gibt ihr Handy freiwillig raus.
So auch der Arbeitskollege von Lorenz Klinger. 29 Leute habe der “angeschissen”, sagt Klinger. Die Polizei konnte also ohne Probleme auf die Chats zugreifen. Wann aber reichen Nachrichten wie “Moin Grüner, haste Zeit?” aus, um ein Verfahren zu eröffnen? Hier kommt wieder die kriminalistische Erfahrung ins Spiel.
Sagt die Polizei, das sind Begriffe, die in der Szene benutzt werden, kann sie daraus einen Tatverdacht schöpfen. Ob das auch für eine Verurteilung reicht, hängt von der jeweiligen Richterin an. Ist die davon überzeugt, dass in diesem kryptischen Gespräch Drogen verkauft wurden, kann sie die entsprechenden Tatverdächtigen verurteilen.
“Es ist nicht so, dass nur derjenige wegen Erwerbs verurteilt wird, der irgendwo im Park direkt bei der Übergabe gesehen wird”, sagt Strafverteidiger Cronjäger. “Um ein Handeltreiben oder einen Erwerb mit Betäubungsmitteln nachzuweisen, reichen auch Telefonüberwachung oder Chatverkehr. Zumindest als ein Indiz. Je mehr andere Indizien hinzukommen – die Drogen selbst, Feinwaagen, Konsumutensilien etwa – , desto enger werde es für den Beschuldigten.
Laut Cronjäger gibt es aber noch Verteidigungsstrategien: “Ein Erwerb setzt voraus, dass man die Ware tatsächlich auch bekommen hat. Und das lässt sich diesen Chats oftmals nicht entnehmen.” Wenn etwa nach der Verabredung zu einem Treffen der Chat abbricht, würde Cronjäger argumentieren, dass noch nachgewiesen werden muss, dass die Person die Substanz auch wirklich erhalten hat.
Sprich: Wenn der mutmaßliche Käufer zehn Minuten später noch schreibt: “Alter geil, das ballert!’”, wird es auch für einen engagierten Strafverteidiger schwer, das Gericht davon zu überzeugen, dass der Erwerb nicht stattgefunden hat.
Cronjägers Einschätzung nach wird es für eine Verurteilung eng, wenn nur ein nackter Chat vorliegt, ohne, dass die Polizei bei der Person illegale Substanzen gefunden hat und diese auch vorher nicht mit Betäubungsmitteln aufgefallen ist. Aber diese Entscheidung liegt jeweils bei den Richtern.
Bei Lorenz Klinger wurden weder Feinwaage noch Cannabiskrümel gefunden. Die Polizei war nicht mal bei ihm. Aber er ist nicht das erste Mal mit Betäubungsmitteln aufgefallen. Seit 2004 hatte er immer wieder mit den Behörden zu tun, unerlaubte Einfuhr von Marihuana, unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln, Beihilfe zur unerlaubter Einfuhr. Die Eintragungen gehen aus dem Urteil hervor, dessen Kopie VICE vorliegt.
Der Richter, der Lorenz Klingers Verhandlung geführt hat, war nicht gewillt, Gnade walten zu lassen. “Der Richter sagte mir gleich am Beginn der Verhandlung: ‘Aus der Nummer kommen Sie nicht raus’”, sagt Klinger. “Das hat mir gleich richtig Aufwind gegeben. Ich hatte direkt keinen Bock mehr, was zu sagen.” Klingers Anwalt gelang es, die Geldstrafe von 1.500 Euro auf 1.050 Euro zu senken. Für Klinger trotzdem noch zu viel. Er weigert sich, sie zu zahlen. “Ich habe niemandem etwas getan”, sagt er. “Es ist zum Kotzen, dass ich wie ein Verbrecher behandelt werde.”
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Du hast ein Suchtproblem oder machst dir Sorgen um betroffene Freunde und Verwandte? Hilfe bei Drogenabhängigkeiten findest du in Deutschland über das Suchthilfeverzeichnis oder unter 01805 31 30 31. In der Schweiz bietet Safezone anonyme Online-Suchtberatung, lokale Suchtberatungsstellen findet man bei Infoset. In Österreich findest du Beratung über den Suchthilfekompass.
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