Drogen-Studie: So wird in Berliner Clubs gezogen und geschluckt

Berlin ist “Partyhauptstadt”. So steht es auf der Touristikseite der Stadt und das denkt wohl jeder Zweite, der schon mal gegoogelt hat, wie er ins Berghain kommt. Immer dabei: Drogen – mit Pfeffi und Wodka-Mate wird auf die Nase Koks angestoßen, zurück auf der Toilette gibt’s Keta und während der Afterhour noch einen Joint. So zumindest das Klischee. Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung hat am Mittwoch eine neue Studie der Charité Berlin vorgestellt, die den Drogenkonsum in Berlins Clubs untersucht hat. Die Forscher haben Erwartbares, Überraschendes und Bedenkliches herausgefunden, die Berliner Politik will jetzt reagieren.

Wer davon ausgegangen war, dass in Berlin alle tellergroße Pupillen und weiße Nasen haben, dürfte enttäuscht sein. Wie im Rest der Republik ist Alkohol auch unter Hauptstadtclubgängern die Gesellschaftsdroge schlechthin. Nur etwas mehr als jeder zehnte Befragte hatte im letzten Monat vor der Befragung weder Bier noch Kurze oder Longdrinks getrunken. 72,3 Prozent hatten mindestens einmal an einer Zigarette gezogen, 62,3 Prozent an einem Joint. Bei allen drei Drogen liegen die Studienteilnehmer über dem Bundesdurchschnitt: So raucht jeder Dritte Erwachsene, während der Deutsche Hanfverband davon ausgeht, dass einer von 50 Deutschen regelmäßig kifft. Andere Drogen konsumierten die Clubgänger ebenfalls überdurchschnittlich oft.

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Rund jeder Zweite hatte MDMA oder Amphetamine genommen, etwa jeder Dritte Kokain oder Ketamin. 12 Prozent hatten mindestens einmal versucht, sich mit LSD in einen anderen Bewusstseinszustand zu versetzen, 9,4 Prozent probierten es mit GHB/GBL. Heroin, Crystal Meth und Legal Highs spielten zwar kaum eine Rolle, die Daten machen dennoch klar: Der Rausch gehört zum Berliner Nachtleben.

An ihre Daten gelangten die Forscher auf zwei Wegen, über einen Online-Fragebogen und die klassische Feldforschung. Den Fragebogen ließen sie in den Social-Media-Kanälen, Newslettern und Foren von Clubs und Partys bewerben, dieselben Fragen stellten sie dann Clubgängern vor und in den beliebtesten Clubs Berlins – sofern die Clubs und Veranstalter dem zugestimmt hatten.

17 Jahre alt war der oder die jüngste Befragte, 69 Jahre der oder die Älteste, fast drei Viertel aller Teilnehmer waren unter 32. Befragt wurden also mehrheitlich junge Erwachsene: Studenten, Arbeitslose, Angestellte; schwul, lesbisch, bi, hetero. Gut jeder Fünfte war als Tourist in Berlin. Für alle aber gilt: Sie hatten Bock zu feiern.

Die Antworten von 877 Menschen haben die Forscher letztendlich ausgewertet. Die Forscher interviewten darüber hinaus einzelne Rettungskräfte, Ärzte, Polizisten, Clubmitarbeiter und Suchthelfer, aber auch Konsumenten. Repräsentativ ist ihre Studie nicht, abseits der Frage, wer was konsumiert, liefert sie dennoch Anregungen, wie Clubs und Politik mit dem Konsum umgehen können. Das fängt mit der Wahrnehmung der Drogen an.

Selbstwahrnehmung der Konsumenten bereitet Sorgen

Die interviewten Experten hielten vor allem GHB/GBL und MDMA/Ecstasy für gefährliche Mittel. GHB/GBL ist schwer dosierbar, zwischen einem High und einer gefährlichen Überdosis der Flüssigkeit liegt meist nur ein einziger Tropfen. Bei MDMA machen vor allem die dramatisch hohen Konzentrationen heutiger Ecstasy-Pillen Probleme: In Deutschland dürfen die nicht per Drugchecking getestet werden, Konsumenten wissen so nicht, was genau sich in ihren Pillen befindet. Berlin und Hessen sind die einzigen beiden Bundesländer, die derzeit eine Legalisierung der Tests prüfen. Von der Idee scheinen Politiker und Clubs allerdings begeisterter zu sein als die Berliner Clubgänger: Lediglich 15 Prozent der Befragten sprachen sich für eine Einführung des Drugcheckings aus. Es ist nicht die einzige Zahl, die fragen lässt, wie sehr sich Feiernde überhaupt mit ihrem Konsum auseinandersetzen.

Rund die Hälfte aller GHB/GBL- und Kokain-Konsumenten gab an, seltener konsumieren zu wollen als bisher. Unter Kiffern und Speednasen waren es rund 40 Prozent, bei MDMA-Konsumenten nur jeder Vierte. Diese Zahlen sind bedenklich, stellt man sie einer anderen Erkenntnis der Studie gegenüber: Zwei von drei Befragten wiesen auffällige Konsummuster auf. Ihre Antworten legen nahe, dass sie eine sogenannte Substanzgebrauchsstörung, also ein problematisches Konsumverhalten, entwickelt haben könnten. Sie entschieden nicht mehr frei, wann und wie viel sie nahmen, oder ignorieren bewusst Warnhinweise ihrer Körper oder aus ihrem sozialen Umfeld.

Allerdings: Immerhin 55 Prozent der Teilnehmer wünschten sich mehr Ansprechpartner, bei denen sie sich über Drogen und ihre Wirkungen informieren können. Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung urteilte wohl auch deshalb am Mittwoch, dass es sich bei den allermeisten Befragten “nicht um Süchtige, sondern um Freizeitkonsumenten” handele. Daran, dass die bislang nicht ausreichend über Drogen informiert wurden, hat auch der Staat seinen Anteil.

Stigmatisierung erschwerte bisher die Aufklärung

Clubbetreiber und Veranstalter aus ganz Deutschland berichten mal ganz offen, mal nur hinter vorgehaltener Hand, sie bekämen Probleme mit Polizei und Behörden, sobald sie ihre Gäste über Drogen aufklären. Die würden die Maßnahmen nämlich keinesfalls als Prävention oder Schadensminimierung wahrnehmen, sondern als Werbung – und drohten mit stärkeren Kontrollen. Dazu passt, dass keiner der Clubs, die an der Studie teilnahmen, namentlich in dieser auftaucht. Wohl aus Angst vor Stigmatisierung.

Diese Angst teilt auch Sascha Disselkamp, Betreiber des SAGE Clubs und Vorsitzende der Berliner Clubcommission. Das sagte er im November vergangenen Jahres bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der “Stadt Nach Acht“, einer Konferenz über Clubkultur und das Nachtleben in Berlin. Disselkamp fürchtete, die Studienergebnisse würden nur noch mehr dafür sorgen, dass Drogen in den Medien vor allem mit Clubs assoziiert werden (und andersherum). Dabei werden die Substanzen nicht nur beim Feiern genommen, sondern ebenso daheim, im Büro oder in der Umkleidekabine.

Die Clubs und ihre Besucher nicht “verteufeln” will Gesundheitssenatorin Dilek Kolat. “Man darf aber nicht die Augen davor verschließen, dass der Konsum riskanter Drogen in der Partyszene hoch ist”, sagte sie, als die Studie am Mittwoch vorgestellt wurde. Ihre Antwort: 300.000 Euro. Die will sie in den nächsten zwei Jahren in Aufklärungs- und Präventionsprojekte stecken – gemeinsam mit den Clubs.

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