Popkultur

Dschungelcamp ist das Seelenklo der Republik

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Häme und Spott dienen als Grundkonzept der Show, in der Mehlwürmer und jede Menge Körperflüssigkeiten die Hauptrolle spielen. Es ist eklig und erniedrigend. Warum funktioniert das Konzept und warum schauen wir immer wieder zu—und das seit elf Jahren?

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„Es ist das ‚Big Brother-Phänomen’”, erklärt Medienexperte Prof. Dr. Joachim Trebbe von der Freien Universität Berlin. Wenn jemand gekochte Ziegenzunge isst oder rohe Fischaugen vertilgt, dann ekeln und schämen wir uns mit. Das sind starke Emotionen, die uns in die Sendung reinziehen und etwas in uns auslösen. Besonders gilt das für negative Emotionen, wie gerade auch eine neue Studie über Facebook ergeben hat. Was im Camp passiert, finden wir vielleicht abstoßend, aber genauso sehr berührt es uns auch.

Auch bei körperlichen Anstrengungen leiden wir mit. Bob McCarron alias „Dr. Bob” leitet das medizinische Team, das die Kandidaten beaufsichtigt. „Die Deutschen fassen ihre Stars härter an (im Vergleich zur britischen Version). Hier müssen die Kandidaten richtig ackern. Aus körperlicher Sicht wird es für die Camp-Bewohner dadurch anstrengender.”


Australien, wo das Camp liegt, erlebt gerade den heißesten Sommer seit hundert Jahren, trotzdem muss für RTL die Show weitergehen. Für Dr. Bob heißt das: Die Gesundheit der Kandidaten im Auge behalten und gleichzeitig RTL nicht zu sehr ins Handwerk pfuschen. Der Chef-Sani macht diesen Job schon seit elf Jahren, für die deutsche wie die englische Sendung. Er passt auf, dass die Bewohner nicht über ihre (körperlichen) Grenzen gehen oder gefährlichen Spinnen und Schlangen zu nahe kommen.

Wir teilen unsere Gefühle gerne mit anderen

Wenn es im Camp hoch hergeht, fühlen wir mit den Bewohnern mit. Wir fühlen ihren Ekel, Neid, Hass und Unfreundlichkeit und werden emotional manipuliert. Und am nächsten Tag möchten wir über diese Gefühle sprechen. Ganz egal wie debil, oberflächlich und primitiv es letzten Abend wieder war. Wir reden darüber in der Mensa und auf dem Pausenhof, während der Zigarettenpause und am Telefon mit Mama. Den einen geht es in ihrem miserablen Leben danach besser, weil ihr Leben doch nicht so scheiße ist, die anderen leiden mit den Camp-Insassen. Auch ist es wichtig, dass man keine Folge verpasst, sonst kann man ja nicht mitreden. Alle gewinnen!

Intellektueller Zynismus 

Auch die Gebildeten unter uns Zuschauern sagen zwar, das kuckt man sich nicht an, schalten aber trotzdem ein. Da existiere eine Art „intellektueller Zynismus”, sagt Trebbe. „Ich kucke zu, weil ich meilenweit drüber stehe.” Früher war es mit der Sendung wie mit McDonald’s: Kennt jeder, aber keiner gibt zu, dass er gestern da war. Heute aber ist das Dschungelcamp kein Trash mehr, sondern hoffähig, weil alle drüber reden und auch die großen Tageszeitungen das toll finden.

Und warum bekommen wir da C-Promis zu sehen? Na ja, wer es nicht nötig hat, der geht auch nicht rein. Andererseits, wenn das Normalos wären, würden wir uns gar nicht dafür interessieren, weiß Trebbe: „Die müssen schon den Bachelor verführt haben oder in einer Casting-Show durchgefallen sein.” C- und D-Promis produziert der Sender RTL ja am Fließband, für Nachschub ist also gesorgt.

Der Promifaktor zieht auch neue Zuschauergruppen an. Helmut Berger zum Beispiel war ein besonderer Glücksgriff—seine Fans sind nicht typische Dschungelcampzuschauer. „Helmut Berger hat auch andere Leute mit rein gezogen, die ihn noch von seinen alten Filmen kennen,” so Trebbe. „Berger konnte dann entspannt nach zwei Tagen aussteigen, aber die Zuschauer sind im besten Falle drinnen geblieben.”

Helmut Berger war vor seinem Einzug ziemlich pleite. Die 100 000 Euro Gage waren da ein einleuchtendes Argument für den Einzug. Ein Argument, das jeder Zuschauer sofort versteht. Die Kohle macht’s.

„Ich bringe alle Voraussetzungen mit: Frau weggelaufen, pleite, keine Kohle.”

Was es heißt, Dschungelbewohner zu sein, hat Silva Gonzales schon vor der Sendung ganz gut zusammengefasst: „Ich bringe alle Voraussetzungen mit: Frau weggelaufen, pleite, keine Kohle.” Alle Kandidaten nehmen die Gefahren und die Verspottung in Kauf, weil am Ende der „Benefit” größer ist—Kohle, Aufmerksamkeit und Werbung für sich selbst. Im Business gilt: Jede Publicity ist gute Publicity. Die meisten Teilnehmer der Show gewinnen also etwas aus ihrem Auftritt.

„Es ist wie in der Schule. Es gibt einen Streber, einen Faulen, einen Coolen.”

Der Schauspieler und Fernsehmoderator Peer Kusmagk wurde 2011 zum König gekrönt. Gelitten hat er dabei auch. Mal war er in der Öffentlichkeit „die Heulsuse”, dann wieder „moralische Instanz”. Heute betreibt er eine Bar in Berlin. „Die Leute werden auf eine bestimmte Rolle gecastet”, sagt Peer. „Es ist wie in der Schule. Es gibt einen Streber, einen Faulen, einen Coolen. Dann gibt’s eine, die auf jeden Fall als Lästermaul definiert wird. Du hast einen Underdog, den keiner kennt, einen, der wohl zickig reagieren wird, einen großen Star.”

Im Camp fallen die Masken. Das sagt der Medienexperte Trebbe, das sagt aber auch der Ex-Kandidat Peer Kusmagk: Von innen und von außen wird extremer Druck erzeugt, der einem die Kraft raubt. Jeden Tag steht nämlich eine Challenge an, bei der die Camp-Bewohner versagen können. Dann gibt’s weniger zu essen, alle hacken auf einem rum, und das wahre Ich kommt zum Vorschein. Und dieses wahre Ich wollen wir sehen.

Ohne Skript nehmen die Dinge ihren Lauf—und der Zuschauer ist Zeuge

Elf Menschen, die durch Scheiße waten und stinkende Mehlwürmer verspeisen—die Reaktionen dabei passen in kein Drehbuch, und die Fischkadaver in der Challenge sind keine Requisiten. „Weil das alles ohne Skript passiert, liegt darin der besondere Reiz”, sagt Trebbe. Wenn es dabei kracht—um so besser! Peer kann ein Lied davon singen, er hat schließlich mit zehn anderen in diesem Camp gelebt: „Viele Leute haben in der Staffel Scheiße gebaut, und darum lief die wohl auch so gut,” sagt er.

Und dann geht in Australien für einen weiteren Tag die Sonne auf und Sonja Zietlow und ihr Co-Moderator begrüßen uns in ihrer grünen Hölle. Wir sehen zu, wie Känguruh-Hoden verspeist und mit Heuschrecken gekuschelt wird. Und sind froh, dass wir Montagfrüh wieder zu unserem beschissenen Bürojob fahren werden.

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