59 Prozent von euch haben die Durchsetzungsinitiative (DSI) abgelehnt und damit dem brandgefährlichen Rechtspopulismus ein lautes und klares „bis hierhin und nicht weiter!” (und ein bisschen auch „kein Fussbreit dem Faschismus”) entgegengeschleudert. Ihr habt dafür gesorgt, dass sich der Bundesrat nicht damit herumschlagen muss, wie in Zukunft Ausländer selbst nach kleinen Delikten automatisch aus dem Land, in dem sie teilweise seit ihrer Geburt leben, geschafft werden müssen. Das möchten wir an dieser Stelle gebührend feiern.
Doch bevor wir zur grossen Dankesrede übergehen, müssen wir nochmal kurz in uns gehen und erkennen, dass immerhin 41 Prozent der Schweiz anderer Meinung waren. Sie wären bereit gewesen, einen Grundpfeiler der so geliebten und geschätzten Schweizer Demokratie anzusägen und sie werden wohl auch in Zukunft bereit dazu sein.
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41 Prozent sind viel angesichts dessen, dass ausser der SVP alle relevanten Parteien des Landes—und sogar vereinzelte SVP-Politiker—Stimmung gegen die DSI gemacht haben. Zu den üblichen Stimmungs-Machern, haben sich enorm viele Stimmen gesellt, die nicht davon profitieren, wenn sie sich politisch positionieren—und teilweise sogar Risiken für sich und ihre Zukunft in Kauf nahmen. In den vergangenen Monaten hiess es also: die SVP gegen den Rest der Schweiz.
Lasst gerade deshalb die Stimmung, die zu einem Sieg im Kampf um die DSI gesorgt hat, auch bei zukünftigen Abstimmungen wieder aufklingen. Eine riesige Gruppe an Schweizern, eine bislang schweigende Mehrheit, hat in den letzten Monaten die eigene politische Stimme gefunden. Es ist zu hoffen, dass diese Stimmen, so divers sie bei zukünftigen Vorlagen auch wieder sein mag, zu hören bleibt. Doch nun wollen wir ganz kurz einen Blick zurück werfen.
Danke an alle Clubs, Musiker und Künstler
Noch nie haben wir erlebt, dass sich das Kulturland Schweiz derart politisch und öffentlich präsentiert. Das Zürcher Nachtleben etwa gab allen Club-Gästen am Eingang gleichzeitig mit dem Ja zur Party ein Nein zur DSI mit auf den Weg (hier haben wir Fotos von der Aktion). Einzelne Clubs machten sich zusätzlich auch auf Facebook gegen die DSI stark. Und spätestens als Party zum politischen Statement wurde, wusstest du, um wie viel es am heutigen 28. Februar gehen wird.
Doch nicht nur die Freunde der Nacht haben den Ernst der Lage erkannt. Knuts Koffer und Greis widmeten der DSI sogar einen eigenen Song. In diesem erklären sie Rassisten, wieso auch sie unbedingt gegen die DSI stimmen müssen (wo bleiben denn die Rassisten-tauglichen Sündenböcke, wenn alle kriminellen Ausländer nicht mehr in der Schweiz sind?).
Jeans for Jesus haben sich auf Facebook extra für die #DSIChallenge verblochert und gleich mal die SVP-nahen Persönlichkeiten Renzo Blumenthal, Gölä und DJ Antoine eingeladen, es ihnen gleich zu tun. Selbstverständlich folgte keiner der drei Volkshelden der Aufforderung.
Natürlich liess sich auch eine weitere kulturelle Heimat vieler Secondos nicht zwei Mal zum DSI-Battle bitten. So ziemlich alle Vertreter der Schweizer Rap-Szene riefen—trotz grundsätzlichem politischem Missmut—zu einem Nein auf. Das wohl bezeichnendste Statement dazu lieferte der neue Szene-Guru Mimiks höchstpersönlich: Hört endlich auf, auf Facebook rumzuheulen und geht verdammt nochmal einfach abstimmen.
Der Hip Hop-Journalist Uğur Gültekin schrieb einen sehr treffenden und ergreifenden Brief an seine zukünftige Enkelin, in dem er eine düstere Zukunft für die Schweiz nach der DSI-Annahme zeichnet. Seine Frau und er mussten in der etwas dystopischen Zukunftsvision 2033 vor der fremdenfeindlichen Stimmung in der Schweiz nach Kanada fliehen—genau so wie die Flüchtlinge 2016 aus dem Nahen Osten in Europa Schutz suchten.
Und auch wenn die Musik wegbleibt und wir nur noch die Sprache übriglassen, finden wir Anti-DSI-Statements. Der Spoken Word-Künstler und Poetry Slammer Renato Kaiser lieferte eine absolut hieb- und stichfesten Argumentation dazu ab, wieso alle Idioten der Schweiz (und alle Fans von Katzenvideos) gegen die DSI sein müssen: Ein Nein führt zu weniger erfolgreichen dummen Initiativen führt zu weniger Leuten, die Angst vor erfolgreichen dummen Initiativen haben führt zu weniger politischen Posts auf Facebook führt zu mehr Katzenvideos. Und übrigens, lieber Renato, so sehr wir das von dir angesprochene Cannabis-Gleitgel auch lieben, wir haben uns hier, hier, hier, hier und hier auch ausgiebig mit der DSI beschäftigt.
Danke an alle Online-Initiativen
Ganze 52.614 Personen—von Ex-Bundesrätin Ruth Dreifuss über Bischof Markus Büchel bis zu Pop-Rapper Stress—haben online einen „Dringenden Aufruf” unterzeichnet und grandiose eine Million Franken für ihre Nein-Kampagne gesammelt. Im Vergleich dazu: Donat Kaufmann sammelte für den Kauf der Titelseite von 20Minuten mit seinem „Mir langets”-Crowdfunding gerade einmal 138.000 Franken. Mit dem online gesammelten Geld liessen die DSI-Gegner gefühlt die ganze Schweiz mit Nein-Plakaten zupflastern und Tausende Menschen mit Nein-Buttons ausstatten.
Parallel dazu zeigte die Operation Libero den etablierten Parteien einmal mehr wie man im 21. Jahrhundert Politik macht. Mit Memes und viral gehenden Artikeln—zum Beispiel jenem zu den fünf grössten Lügen im SVP-Extrablatt—versorgten sie deinen Facebook-Feed mit Material für deine Anti-DSI-Likes.
Danke an alle Like-Aktivisten
All die genannten politischen Coming Outs wären jedoch im sozial-medialen Nirgendwo versandet, wenn ihr nicht da gewesen wärt und sie mit euren Likes und Shares (oder neuerdings auch WOWs, Herzen oder Hahas) so liebevoll aufgefangen hättet. Noch nie habt ihr euch vor einer Abstimmung so sehr engagiert. Dafür musstest ihr nicht nur auf eine ganze Menge Katzenvideos verzichten, sondern ihr habt unsere Facebook-Feeds für einige Wochen in einen bunten Strauss aus persönlichen Lebensgeschichten von Ausländern, (mal etwas zu) emotionalen Diskussionen und klaren politischen Statements verwandelt—vor allem aber habt ihr es geschafft, dass für einmal nicht die SVP den Diskurs geprägt hat.
Und natürlich seid auch ihr diejenigen, die das Internet am besten verstanden haben. Ihr selbst habt witzige, kreative und dramatische Inhalte geschaffen, die hundertfach geteilt wurden und dafür gesorgt, dass die sonst so präsente Hetze gegen Flüchtlinge aus unserem Newsfeed verbannt wurde.
Danke an alle, die abgestimmt haben
Am allerwichtigsten ist trotz unserem bisherigen Lobgesang aber nicht das, was auf Facebook gelikt und geteilt wird, sondern das, was in Form eines Stimmzettels in einer Urne landet. Auf Facebook werden wichtige Gefühle erzeugt, doch nur an der Urne werden Fakten geschaffen.
Uns reisst es also zu Freudensprüngen hin, wenn wir lesen, dass über 60 Prozent ihre Meinung an der Urne offiziell machten. Ihr alle habt die DSI-Abstimmung in die wichtigsten aller Abstimmungen gehievt—und ihr habt dafür gesorgt, dass wir auf Reisen endlich wieder mit Stolz von unserer lebendigen Demokratie erzählen können. Danke!
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Titelbild: Screenshot von dringender-aufruf.ch