Drogen

Diese Studie sagt: MDMA verursacht gar keinen Kater

Wir waren genauso überrascht wie du.
Junge Menschen auf einer Tanzfläche, MDMA verursacht keinen Kater, wenn es medizinisch genommen wird.
Raver in Liverpool | Foto: Anthony Devlin/Getty Images

Es gibt ein paar Dinge im Leben, die man irgendwann einfach als gegeben akzeptiert. Von Schokoladenfondue zum Abendessen wird einem schlecht, vier halbe Liter Bier machen den nächsten Morgen anstrengender und auf eine durchgetanzte Nacht auf MDMA folgt ein fieses Stimmungstief. 

Bei manchen kommt es am Montag, bei anderen erst Dienstag oder Mittwoch, aber es kommt. Man ist wahlweise deprimiert, verunsichert, paranoid, mürrisch oder einfach nur sehr, sehr empfindlich. Ein bunter Strauß mieser Launen sozusagen. 

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Lange ist man davon ausgegangen, dass der Kater oder auch Comedown, die sogenannten Blue Mondays und Suicide Tuesdays eine unvermeidbare Folge des MDMA-Konsums sind. Eine aktuelle Studie, die Ende 2021 in der Fachzeitschrift A Journal of Psychopharmacology erschienen ist, stellt diese vermeintliche Wahrheit nun aber infrage. Eine Gruppe Forscherinnen und Forscher hatte unter dem Titel "Debunking the myth of 'Blue Mondays'" untersucht, ob die vom Freizeitkonsum der Droge bekannten Stimmungstiefs auch auftreten, wenn man MDMA in einem klinischen Rahmen nimmt.

Im Rahmen der Untersuchung beobachteten die Wissenschaftler 14 Menschen, die eine  MDMA-gestützten Psychotherapie zur Behandlung von Alkoholproblemen machten. Die Ergebnisse waren, gelinde gesagt, überraschend: Die Forscherinnen und Forscher konnten keine Anzeichen für einen Stimmungsabfall nach dem medizinischen MDMA-Konsum feststellen. 

Ganz im Gegenteil: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie waren die anschließende Woche sogar bei bester Laune. Freizeitkonsumenten kennen dieses Phänomen als Afterglow. Einer der Autoren der Studie ist Ben Sessa, Psychiater und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Imperial College in London. Wir haben mit ihm gesprochen.

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VICE: Ihr wolltet in der Studie die Nachwirkungen von MDMA im klinischen Kontext untersuchen. Was habt ihr herausgefunden?
Ben Sessa:
Die von uns erhobenen Daten ergaben, dass klinisch verabreichtes MDMA zu keinem akuten Stimmungs- oder Gemütsabfall führt, wenn die Wirkung nachlässt – also zu keinen Comedowns. Wir konnten darüber hinaus auch keine verzögerten Stimmungs- oder Gemütsabfälle in der Woche nach der jeweiligen substanzgestützten Therapiesitzung feststellen – also keine sogenannten Blue Mondays. 

Die Stimmung der Probanden hatten wir im Anschluss an eine MDMA-Sitzung eine Woche lang mithilfe des Profile-of-Mood-States-Fragebogens gemessen, einem standardisierten psychologischen Verfahren. Es zeigte, dass die Stimmung im Zuge von 25 klinischen MDMA-Sitzungen nicht sank. Tatsächlich war sie bei allen Patientinnen und Patienten sieben Tage nach dem klinischen MDMA-Konsum erhöht.

Was heißt das für Menschen, die in ihrer Freizeit MDMA nehmen? Sind ihre Comedowns und Stimmungstiefs echt oder belügt man sich?
Um es deutlich zu sagen: Comedowns und die sogenannten Blue Mondays sind bei Menschen, die in ihrer Freizeit Ecstasy nehmen, real. Ich wurde auf Twitter von einigen Leuten kritisiert, die die Studie missverstanden hatten. Sie dachten, dass ich behaupten würde, es würde keine Comedowns geben. Mehrere posteten, dass ich unrecht habe, weil sie selbst diese Stimmungstiefs erlebt hätten. Sie alle hatten eine Sache nicht verstanden. Comedowns kommen vor, wenn man MDMA im Freizeitkontext konsumiert. Mir ging es darum, dass es keine Comedowns gibt, wenn man es in einem medizinischen Rahmen nimmt.

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Worin unterscheidet sich der medizinische Konsum von MDMA zu dem in der Freizeit?
Die Unterschiede zwischen dem klinischen MDMA-Konsum und Ecstasy-Konsum in der Freizeit sind immens. Eine Ecstasy-Tablette kann zwischen 0 und 350 Milligramm MDMA enthalten, dazu kommen noch eine Reihe von Streckmitteln. Die gibt es auch in MDMA-Kristallen vom Schwarzmarkt. Das MDMA, das wir im klinischen Kontext verabreichen, hat einen Reinheitsgehalt von 99,98 Prozent. 

Wenn Menschen Ecstasy in ihrer Freizeit nehmen, bewegen sie sich in der Regel exzessiv, sie tanzen. In der Vergangenheit konnte man zeigen, dass dies das Risiko der Toxizität und einer Hyperthermie erhöht, also der Erhitzung des Körpers. MDMA kann die Körpertemperatur erhöhen, deswegen überwachen wir die Temperatur im klinischen Setting während der Sitzung und passen die Raumtemperatur gegebenenfalls an, um eine Hyperthermie zu verhindern. Außerdem tanzen die Patienten nicht in einer klinischen Sitzung, sondern liegen auf einer Couch. In einem heißen Club tanzen Menschen oft die Nacht durch, ohne sich zwischendurch auszuruhen. Die erhöhte Temperatur verstärkt das Risiko einer Toxizität. 

Wenn sie Ecstasy in der Freizeit nehmen, trinken Menschen häufig zu viel, weil ihnen heiß ist – oder sie trinken zu wenig, weil sie stark schwitzen. Ein unausgeglichener Wasserhaushalt kann zu einer Hyponatriämie führen, einer zu niedrigen Natriumkonzentration im Blutserum, die toxisch sein kann. Beim Ecstasy-Konsum in der Freizeit kann es also Probleme geben, weil man zu viel oder zu wenig Wasser trinkt. In einem klinischen Setting überwachen wir aufmerksam die Flüssigkeitsaufnahme, um sicherzustellen, dass nicht zu viel oder wenig Wasser getrunken wird.

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Der wahrscheinlich größte Unterschied und die auch wichtigste Ursache für einen Ecstasy-Kater ist der Schlafverlust. Freizeitkonsum findet meistens nachts statt. Die Leute bleiben dann die ganze Nacht wach und ihnen fehlt der Schlaf. Das trägt immens dazu bei, dass man sich am nächsten Tag schlecht und verkatert fühlt. Diese Verstimmungseffekte halten nach einer durchgemachten Nacht für mehrere Tage an. Wir verabreichen unser MDMA um 9:30 Uhr morgens und die Wirkung ist bis zum Abend abgeklungen. Die Patienten fühlen sich dann wieder wie vorher und sind ganz natürlich müde. Dann schlafen sie die Nacht durch und erleben in der kommenden Woche keinen Kater.

Was können Freizeitkonsumenten aus der Studie mitnehmen? Kann man die negativen Effekte abschwächen?
Ganz einfach: Man sollte nur 99,98 Prozent reines MDMA nehmen, keine gestreckte Substanz, bei der die Dosis und Streckmittel unbekannt sind. [Anm. d. Red.: Der Reinheitsgehalt von MDMA-Kristallen lag laut Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin 2020 zwischen 66 und 79 Prozent.] Drugchecking wäre eine Möglichkeit, die Reinheit und Dosis zu testen. [Anm. d. Red.: Leider bislang nur in der Schweiz und Österreich möglich.] 

Außerdem sollte man Ecstasy nicht nachts nehmen und durchmachen. Mir ist klar, dass das eher unrealistisch ist, da die meisten Raves in der Nacht stattfinden. Man sollte außerdem auf seinen Flüssigkeitshaushalt achten, wenn man Ecstasy nimmt, und nicht zu viel oder zu wenig Wasser trinken. Außerdem sollte man sich nicht zu sehr anstrengen oder exzessiv tanzen. Man sollte Pausen einlegen, sich entspannen und regelmäßig abkühlen.

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