Popkultur

So wurde ein Russe gegen seinen Willen in China zum Popstar

"Jeden Tag singen und tanzen", sagte Lelush. "Ich bin total geschafft und bereue meine Entscheidung ein bisschen."
Ein junger Mann mit blonden Haaren und pinkfarbenem Hemd wartet während der chinesischen Castingshow Chuang 2021 auf das Urteil der Jury – er wurde wider seines Willen zum gefeierten Popstar
Das ist Lelush während der Castingshow, sein Gesichtsausdruck spricht Bände | Bild: Tencent/YouTube

Wenn Kandidaten einer Castingshow um einen Platz in einer Boyband kämpfen, dann könnten man meinen, dass sie sich bei ihren Auftritten voll ins Zeug legen.

Aber Wladislav Sidorov sah man an, dass er einfach nur nach Hause wollte. Der junge Russe war durch Zufall in eine chinesische Talentshow geschlittert und gegen seinen Willen zum Star des Formats avanciert.

Der 27-Jährige mit dem Spitznamen Lelush hatte die Herzen von Hunderttausenden Zuschauerinnen und Zuschauern der chinesischen Talentshow Chuang 2021 im Sturm erobert. Und das, indem er die ganze Zeit überhaupt keine Lust darauf hatte, berühmt zu sein. Er schwänzte das Gesangstraining und flehte das Publikum an, ihn gehen zu lassen. Im Internet wurde darüber abgestimmt, welche Kandidaten rausfliegen.

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Durch eine üble Laune des Schicksals traf Lelush mit seinem offensichtlichen Widerwillen, sich für eine Popstar-Karriere anzustrengen, jedoch genau den Nerv der Zuschauerinnen und Zuschauer, die unter Chinas stressiger Arbeitskultur leiden.

Lelushs Fans liebten es, wie ihr missmutiges Idol zum Star wurde. Als riesige Voting-Armee sorgten sie dafür, dass der Russe regelmäßig eine Runde weiterkam. Sie gingen sogar so weit, mit riesigen Werbeplakaten in Großstädten noch mehr Support für Lelush zu generieren. So brachten sie den Popstar wider Willen bis ins Finale von Chuang 2021.

In den vergangenen Jahren waren in China Talentshows nach dem Vorbild südkoreanischer Formate ziemlich erfolgreich. Chuang 2021 war die erste Show, in der auch Kandidaten aus anderen Ländern – zum Beispiel aus den USA, Japan und Thailand – teilnehmen konnten.

Dass Lelush an Chuang 2021 teilnahm, war eher ein Zufall. Er studierte gerade Mandarin in China, als die Corona-Pandemie ausbrach und ihm die Rückreise nach Russland unmöglich machte. So erzählt es sein Manager Ivan Wang.

Bevor Chuang 2021 auf einer künstlich angelegten Insel in der chinesischen Provinz Hainan gedreht wurde, fragte Wang bei Lelush an, ob der zwei japanischen Teilnehmern Chinesisch beibringen könne.

Als Lelush auf der Insel ankam, erkannten die Produzenten sein Starpotenzial und überredeten ihn, bei der Show mitzumachen. Wie Lelush in verschiedenen Interviews sagt, willigte er nur ein, weil er "ein neues Leben" ausprobieren wollte.

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Ein junger Mann blonden Haaren und gelbem Hoodie postet auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo, dass er froh über sein Ausscheiden in einer Castingshow sei

In diesem Post schreibt Lelush nach seinem Ausscheiden in der Talentshow, dass er froh sei, nicht mehr arbeiten zu müssen | Screenshot: Weibo

Diese Entscheidung bereute Lelush aber schnell. Mit 89 anderen Teilnehmern wurde er in enge Schlafsäle gezwängt, ihre Handys durften sie nicht mehr benutzen. Nach einem viermonatigen Wettbewerb sollten elf Kandidaten Teil einer neuen Boyband werden. 

"Jeden Tag singen und tanzen", sagte Lelush am Anfang der Show. "Ich bin total geschafft und bereue meine Entscheidung ein bisschen."

Es ist nicht ganz klar, was mit Lelush passiert wäre, wenn er einfach aufgegeben hätte. Man spekuliert, dass er das wegen vertraglicher Verpflichtungen nicht durfte.

Als er in der Show in die sogenannte "Class F" gesteckt wurde, war klar, dass Lelush gar nicht wirklich singen und tanzen kann. Er selbst sagte dazu: "Das F steht für Freiheit. Ich sollte also nach Hause gehen."

Aber genau dieser missmutige Widerwille war der Grund, warum Lelush so beliebt war. 

In den sozialen Medien teilten Fans unzählige Memes zu Lelushs miserablem Leben. Viele sagten, dass sie sich in dem Russen wiederfänden, da sie ebenfalls in ausbeuterischen Arbeitsverträgen feststeckten, Jobs hätten, die ihnen keinen Spaß machen, und bei der Arbeit jede Gelegenheit nutzten, um eine Pause einzulegen.

Die Entertainment-Vloggerin Tainn Na sagt, dass es vielen Menschen, die für Lelush abstimmten, einfach Spaß gemacht habe, die Kontrolle über das Arbeitsleben einer anderen Person zu haben. "Hier kommt man wegen der eigenen Chefs kaum aus der Arbeit raus", sagt sie. "Durch Chuang 2021 wurden die Leute selbst zu Chefs und konnten andere ausbeuten. Sie merkten, wie viel Spaß es macht, selbst mal kapitalistisch zu sein."

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Der Popstat Lelush wird an einem chinesischen Flughafen von einer Schar Fans umringt, sie wollen ihn mit ihren Smartphones fotografieren

Lelush wird nach dem Ende der Show am Flughafen von Fans umringt | Foto: bereitgestellt von Lydia Lyu

Der einzige, der dabei keinen Spaß hatte, war Lelush.

"Ich habe Angst", sagte er in einer der letzten Folgen. Man hatte ihm da gerade mitgeteilt, dass er auf Platz zehn stehe. "Ich hoffe, dass die Fans meine Wunsch respektieren, kein Teil der Band zu sein. Ich glaube, sie wissen, wann Schluss ist", so Lelush weiter.

Nach dieser aufrichtigen, emotionalen Bitte gaben die Fans von Lelush schließlich nach und organisierten keine Massen-Votings mehr für ihn. Bald rutschte Lelush im Ranking auf Platz 17. Nachdem das Finale der Show ausgestrahlt worden war, stand endlich fest, dass Lelush nicht gewonnen hatte.

"Danke für jegliche Unterstützung, aber jetzt habe ich endlich Feierabend", schrieb er danach in einem Post auf der Social-Media-Plattform Weibo.

Viele Fans gratulierten Lelush zur Niederlage, andere waren traurig, ihn gehen zu sehen.

"Lelush muss endlich nicht mehr arbeiten", heißt es in einem Kommentar. "Ich hingegen muss morgen wieder ins Büro."

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