Politik

Nazis auf Instagram: Die geschickten Tricks, um Nutzer in die rechte Szene zu locken

Frauen, Fashion und Faschismus: Im Interview berichtet eine Correctiv-Journalistin, wie sie mit ihrem Team die Instagram-Strategie von Rechtsextremen untersucht hat.
Collage zu Rechten auf Instagram

Eine Gruppe junger Frauen, alle in weiß gekleidet und mit Blumen im Haar: Auf den ersten Blick könnte das Instagram-Foto auch aus einer Modestrecke über Frühlingslooks stammen. Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Der Account teilt auch Fotos von Frauen, die an Darstellerinnen aus dem Film Midsommar erinnern, immer wieder tauchen scheinbar zufällig Waffen in den Bildern auf: mal Pfeil und Bogen, mal ein Maschinengewehr.

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Das weichgezeichnete Foto der Blumenmädchen passt zur Ästhetik von Instagram. Der schöne Schein täuscht darüber hinweg,  was hinter solchen Accounts steckt: Menschenfeindlichkeit und Rassismus. Die Frauen mit Blumenkränzen dienen als Lockvögel, um Menschen zu radikalisieren.

Das und mehr haben die Journalistinnen und Journalisten von Correctiv in ihrer Artikelserie "Kein Filter für Rechts" herausgefunden. Die Recherche handelt davon, wie geschickt Rechtsextreme die Eigenheiten von Instagram nutzen, um neue Mitglieder zu rekrutieren.

VICE hat mit Correctiv-Journalistin Alice Echtermann gesprochen. Echtermann hat zusammen mit mehreren Reporterinnen, Datenjournalisten und Wissenschaftlerinnen über 4.500 rechte Accounts auf Instagram analysiert, Querverbindungen in der rechten Szene aufgedeckt und war dabei selbst überrascht über das Ausmaß des rechten Netzwerks.

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VICE: Wieso habt ihr ausgerechnet auf Instagram nach Nazis gesucht?Alice Echtermann: Die Idee ist schon letztes Jahr entstanden, einfach aus dem Impuls heraus, dass Instagram immer wichtiger wird. Zudem wird bisher nicht angemessen untersucht, was da passiert. Es gibt zum Beispiel sehr viele Datenanalysen zu Twitter, nicht aber zu Instagram.

Wie viele Stunden musstet ihr in der rechtsextremen Szene verbringen?
Das war unterschiedlich. In der Anfangsphase der Recherche haben wir sehr viel Zeit auf Instagram verbracht, weil wir uns mit einem fiktiven Account in die Szene hineingewanzt haben.

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Bei der Datenanalyse war es weniger. Das kam erst später wieder, als wir die tausenden Accounts manuell kategorisieren mussten. Das waren dann schon mal sechs, sieben Stunde pro Tag auf Instagram.

Wie habt ihr euren fiktiven Account aufgebaut?
Wir haben uns bewusst sehr zurückgehalten, selbst etwas zu posten. Wir wollten kein Akteur werden, sondern nur glaubwürdig erscheinen und den relevanten Figuren folgen. Deswegen haben wir ganz lange nichts gemacht und irgendwann mal Urlaubsbilder vom Wandern in den Bergen gepostet, sowie man das in dieser Szene eben macht.

Was hat euch im Zuge der Recherche schockiert?
Am krassesten fand ich den Account “Madame Europe”, um den es auch in unserer Recherche geht. Im Feed waren relativ harmlose Sachen, aber in der Story ist ein Bild mit dem Logo von Madame Europe aufgetaucht, das von einem anderen Account geteilt wurde.

Auf diesem Foto war eine junge, blonde Frau in dieser typischen Instagram-Pose zu sehen, bei der sie einen Mann an der Hand hinter sich herzieht.

Da stand drauf: If you are white, there is no upgrade. Don’t mix.

Man solle als Weiße Person also nur Kinder mit Weißen haben. Da dachte ich echt: Das ist krass rassistisch.

Berichte über Nazis im Internet gibt es schon viele. Was ist das Krasse an eurer Recherche?
Das Ausmaß. Man hat schon öfters gehört, dass Accounts der Identitären Bewegung auf Instagram entfernt wurden. Das Ausmaß, in dem wir Identitäre Aktivisten gefunden haben, hat mich deshalb sehr überrascht.

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Auch die Art, wie sie kommunizieren. Nämlich so, dass wir nicht immer in der Lage waren, sie zu erkennen. Wir haben wirklich viel Zeit damit verbracht und trotzdem konnten wir teilweise auf den ersten, zweiten oder auch dritten Blick nicht eindeutig sagen: Wer ist diese Person und warum macht sie das? Ist sie wirklich Teil der rechten Szene oder bilden wir uns in der Zwischenzeit ein, überall Rechte zu sehen?

Das ist genau das Problem. Natürlich kann man nicht sagen, dass alle Menschen Rechte sind, nur weil sie Trachten tragen, wandern gehen, sich naturverbunden zeigen oder sagen: 'Ich liebe meine Heimat!'. Genau damit spielen Rechte aber. Das ist der Mainstream, an dem sie sich bedienen.

Wie schaffen es solche Accounts, rechte Ideologien instagrammable zu machen?
Es ist ein Klischee, dass Nazis nur mit Springerstiefeln herumlaufen. Es gibt diese Art von Neonazis auch noch, aber die haben sich längst weiterentwickelt. Die rechte Szene ist unglaublich modern geworden. Die geben Fotografie-Workshops, um ihre Mitglieder auf sozialen Netzwerken optimal in Szene zu setzen.

Auch die AfD setzt soziale Netzwerke sehr geschickt ein, seit Jahren.

Im ersten Teil eurer Recherche stehen junge Frauen im Fokus. Warum werden gerade sie genutzt, um rechte Ideologien auf Instagram zu verbreiten?
Frauen werden in der rechten Szene vorgeschickt, wenn man friedfertig und harmlos wirken möchte. Dazu gibt es auch wissenschaftliche Forschung. Instagram ist so ein bisschen wie die weichgespülte Version von rechter Ideologie.

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Manche Accounts in eurer Recherche haben keine große Reichweite. Der Account "germanyspride" hat nur rund 500 Followerinnen. Inwiefern ist das gefährlich?
Ich würde diesen Account nicht als gefährlich bezeichnen, aber er ist uns aufgefallen, weil er ein Verbindungspunkt unter den Mitgliedern des Netzwerks war.

Es gibt bestimmte Personen, die keine große Außenwirkung haben, aber im Netzwerk eine große Rolle spielen. Das sind Connecteure, die das Ganze zusammenhalten.

Germanyspride ist ein Fotograf. Interessant sind seine Fotos, die werden nämlich von Influencerinnen der Jungen Alternative verwendet.

Es wurde schon viel darüber geforscht,  wie Nazis Online-Plattformen zur Rekrutierung neuer Mitglieder nutzen. Was davon konnte eure Recherche bestätigen?
Wenn jemand grundsätzlich patriotisch eingestellt ist, kann er durch Hashtags wie Patriotismus oder Heimatliebe in die rechte Szene geraten und sich dort radikalisieren. Wir haben uns mit Experten unterhalten, die erklärt haben, dass der Instagram-Algorithmus genau das verstärken kann.

Wir haben mit unserem fiktiven Account selbst erlebt, dass sich Instagram deine Interessen anguckt und dir mehr vom Gleichen vorstellt. In unserem Fall haben wir ausschließlich Vorschläge aus der rechten Szene bekommen. Instagram hat uns zum Beispiel vorgeschlagen, einem rechten Modelabel zu folgen.

Welche Rolle spielt Instagram für Rechtsextreme im Netz?
Jede Plattform erfüllt eine unterschiedliche Aufgabe. Auf YouTube passiert sehr viel sehr radikales. Das sind problematische Inhalte, die als solche auch auf den ersten Blick erkennbar sind.

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Instagram hat eine andere Funktion. Die Plattform dient eher als Startpunkt, als erster Kontakt in die Szene.

Viele rechte Aktivistinnen haben auf ihren Instagram-Profilbeschreibungen ihren YouTube-Kanal verlinkt. Kaum klickt man drauf, gelangt man zu den radikaleren Inhalte.

Tut Instagram zu wenig gegen Rechtsextreme?
Unsere Recherche hat gezeigt, dass Instagram gegen konkrete, problematische Inhalte nicht vorgegangen ist. Die Beiträge standen monatelang auf der Plattform und es ist nichts passiert.

Instagram hat die Inhalte entfernt, nachdem wir selbst sie bei Instagram gemeldet haben. Das war ganz klar ein Community-Verstoß, den Instagram selbst nicht gefunden hat.

Ich will Instagram nicht unterstellen, dass sie nicht mehr tun wollen. Aber ganz offensichtlich fehlt es da entweder an Kapazitäten oder an der Durchsetzung.

Aktuell gibt es keine Verpflichtung für Online-Plattformen, solche Inhalte aktiv zu suchen. Handeln muss eine Plattform erst, wenn sie einen Hinweis bekommt. Überzeugt dich das?
Nicht ganz. Warum erkennt Instagram selbstständig Nippel, aber keine Hakenkreuze? Wir haben auch mit dem Verfassungsschutz gesprochen. Der sagt, dass es bei bei audiovisuellen Plattformen wie Instagram oder YouTube unheimlich schwer für die Betreiber ist, die Community-Regeln effektiv durchzusetzen. Einfach aufgrund der Masse an Inhalten. Hier werden bestimmte Dinge offenbar nicht genug trainiert.

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In Deutschland gibt es Gesetze, die Rechtsextremismus im Netz eindämmen sollen: Das NetzDG und das geplante "Gesetz gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus im Netz". Bringen die überhaupt etwas?
Bei den Inhalten, wie wir sie hauptsächlich gesehen haben, nicht. Vieles kann man nicht als Hatespeech kategorisieren. Die Akteurinnen achten ja ganz genau darauf, dass sie strafrechtlich relevante Dinge nicht so offensichtlich posten, dass sie sofort gelöscht werden.

Viele haben schon im Vorhinein zwei Accounts, weil sie wissen, einer könnte gelöscht werden.

Vergangene Recherchen zeigen, dass sich Nazis online gerne zu Scheinriesen machen. Wer sich auskennt, kann problemlos Hunderte parallele Accounts bespielen, Likes und Follower kaufen. Wie habt ihr sichergestellt, dass eure Findings wirklich so groß sind, wie sie scheinen?
Wir haben keine Analyse gemacht, wie viel Prozent der Follower insgesamt möglicherweise gefälschte Accounts sind. Aber wir können nachweisen, dass die Personen in unserem Netzwerk relevant sind.

Die Accounts, die wir in unsere Datenanalyse reingenommen haben, sind echt und von uns überprüft. Da stecken echte Menschen dahinter, die Querverbindungen in die rechte Szene haben.

Wie kann jemand, der sich nicht mit rechter Ideologie auseinandersetzt, rechte Accounts erkennen?
Das ist schwierig. Etwas eigene Recherche ist immer nötig. Anzeichen können aber bestimmte Hashtags und Emojis sein. Die Farben der Reichsflagge spielen zum Beispiel eine große Rolle. Ein blaues Herz kann für die AfD stehen.

Als Außenstehender rutscht man aber wahrscheinlich nicht unbedingt aus Versehen in die Szene. Es ist eher so, dass da schon vorhandene politische Einstellungen verstärkt werden.

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