Ein Besuch bei den Esoteriktagen in Wien

Irgendwann Mitte 20 habe ich das Interesse verloren, neue Menschen kennenzulernen. Es wurde irgendwie immer anstrengender und langweiliger und der gierige Drive nach Erlebnis und Abenteuer, um diese ganzen sozialen Mühen in Kauf zu nehmen, ist einfach getilgt. Ausgehen endet meistens in einem fürchterlichen Kater und einem schlechten Gewissen darüber, Menschen beleidigt, belästigt oder mit irgendetwas beworfen zu haben und den Tag darauf für nichts zu gebrauchen zu sein. Das Gehirn stellt sich vielleicht auf Fortpflanzung ein und deshalb empfindet man es mit der Zeit faszinierender, neue Gerichte aus dem Gusto-Rezepteheft auszuprobieren, als sich im Beisl anzusaufen und Kette zu rauchen, bis man sich geistig in ein von niederen Trieben beherrschtes Tier und die Haut in eine Art historisches Pergament verwandelt.
Am besten stimuliere ich meinen Geist mittlerweile mit ausgedehnten Spaziergängen in der Natur, ORF schauen und dem Besuchen eigenartiger Veranstaltungen, die gemeinhin als „normal“ gelten. Jedoch gestaltet es sich wahnsinnig schwierig, für diese Art von Freizeitaktivität Begleitung zu finden. Verschicke ich zehn SMS mit Inhalten wie „Wandern?“, „Große Chance schauen und Käse verkosten?“, „Chris Lohner Lesung?“ bekomme ich meistens nicht mal eine Absage. Schreibe ich hingegen „Hirn wegfetzen in grindigem Loch bis zum Organversagen?“ ist immer irgendjemand motiviert.

Deshalb war ich sehr glücklich, als mein Kumpel A., der meine Faszination für das Wahnsinnige im Banalen teilt, mir vor ein paar Tagen eine Sms mit den Worten „Eso-Tage?“ schickte. Eine Freizeitaktivität ganz nach meinem Geschmack und die VICE Broschüre hat mir Gratistickets zu Verfügung gestellt, also habe ich das letzte Wochenende insgesamt 14 Stunden in spirituellen Sphären verbracht. Ich habe getrommelt, wurde drei Mal geheilt, gereinigt und sogar hypnotisiert. Meine Seele ist von sämtlichen Flusen, Waugas, Schlaken und Schmalz befreit und ich möchte locker flockig von meinem steinigen Weg ins Licht berichten.

Sehr schön war unsere erste Begegnung. Da ich vor der Messe noch eine Tschick rauchen wollte, baten wir ein paar Parkkids um ein Feuer. Sie hatten natürlich KEINES, sie haben uns auch NICHT um eine Tschick gebeten. Wir haben ihnen keine gegeben und KEINE ZIGARETTEN MIT IHNEN GERAUCHT. Bei diesen ganzen Dingen, die wir nicht getan haben, entstand folgender Dialog.
A: Geht ihr auch auf die Esoterikmesse?
Kid 1: Na, was is das?
A.: Naja, das is so eine Messe für Leute die sich für Esoterik interessieren, weißt du was Esoterik ist?
Kid 1: Na.
A.: Da gehen halt so Leute hin, die glauben an kosmische Energien, Geister und Engel und so was.
Kid 1: Achso, du meinst die Dummen.
A: Lol.
Kid 2: Die fantasieren, Oida.

Diese treffend profane Reaktion hat uns sehr gut gefallen und eigentlich hätten wir uns nichts Großartigeres vorstellen können, als mit IHNEN auf die Messe zu gehen, aber dann hätten sie uns wahrscheinlich für Kinderverzahrer gehalten, also haben wir uns verabschiedet und dafür noch ein Foto von ihnen gemacht.



Danach betraten wir die Messe. Es roch angenehm nach Räucherstäbchen, das wärmt einen von innen. Wider Erwarten schwebten kaum erleuchtet blickende Menschen mit wallenden Gewändern und engelsgleichen Haaren durch den Raum, auch Schamanen indigener Völker, Kräuterhexen mit langen knöchrigen Fingern oder indische Sadhu-Mönche suchte man vergeblich. Sehr spirituelle Menschen schauen interessanterweise eher wie blade, gelangweilte Prolofrauen aus. Sie verbergen ihre übersinnlichen Gaben mithilfe eines ganz unprätentiösen Äußeren. Ihre pulsierenden Chakren hinter abgeschlafften Hängequasteln, ihre hellsichtigen Astralkörper unter geschmacklosen Size Plus Blusen, ihr drittes Auge verstecken sie gut unter frechen Strähnchen und ihre feinstoffliche Energie, sowie ihre Weisheit wird geschickt durch einen verlebten, abgekämpften Ausdruck und einfältiges Geschnatter überspielt. Den modernen Schamanen erkennt man in erster Linie am T-Shirt mit Wolfsmotiv.

Ansonsten sah man noch diese Typen: Sehr verwahrloste Menschen, die sich offensichtlich lange nicht gewaschen haben, gesichtsoperierte Frauen mit teuren, kitschigen Accessoires und kleinen Hunden und den Franz-Fuchs-Typ: schrulliger Einzelgänger in biederem 70er Jahre Outfit, vermutlich Anhänger sämtlicher Verschwörungstheorien und verfolgt von jedem (VOM JUDEN).



Wir stellten uns nach den ersten Schritten schon viele Fragen … Was denken die einzelnen Standbetreiber, jeder für sich Pächter einer geheimnisvollen Wahrheit, wohl übereinander? Finden die Schamaninnen, die stundenlang auf ihre Trommeln patschen, den chinesischen Wunderheiler, der regelmäßig mit Tolstoi kommunziert, lächerlich? Halten die Anhänger der indischen Sekte, Feen und Engel für kindischen Aberglauben?



Ist es nicht eigentlich wunderschön, wenn Menschen ihre Fantasiewelt in den Alltag integrieren und tatsächlich denken, sie wären Indianer oder hätten magische Kräfte wie ein Zauberer? Sind wir vielleicht einfach nur zu abgestumpft und engstirnig in unserem Konzept von Realität, um die Wahrheit in dieser perversen Suppe aus Kitsch, Wahnsinn, Scharlatanerie, kultureller Aneignung und bizarrer Verzerrung fremder Riten und traditioneller Entspannungstechniken zu begreifen? Fehlt uns einfach nur der Zugang zu unserer inneren Feng Shui-Indigo-Chakra-Delfin-Elfe? Sind diese Leute sinnsuchende Idealisten, Depressive mit Sehnsucht nach betäubenden Trancezuständen, Verzweifelte auf der Suche nach Bewältigungsstrategien? Sind es skrupellose Abzocker oder hat ihnen einfach jemand ins Gehirn geschissen? Und wo sind eigentlich die ganzen Drugs?

Videos by VICE



So unterschiedlich wie die Menschen sind wohl die Motive, also öffneten wir uns für Antworten und ließen uns einfach treiben. Zuerst hörten wir uns einen Vortrag des mit seinen „DIAMONDS OF ETERNITY“ aus Astro-TV bekannten Hellsehers Daniel Kreibich über Reichtumsenergien an. Er sprach über soziale Sicherheit und die Wirtschaftskrise, über die endlose Vermehrung materiellen Reichtums als höchsten Zustand spiritueller Glücksseligkeit. Als A. ihn auf eine betont naive Art fragt, warum man den Begriff „Reichtumsenergie“ nie aus den Mündern etablierter Ökonomen hören würde und ob es nicht eine gute Idee wäre, vielleicht 50 Stück des Reichtumskristalldiamantens der indischen Volkswirtschaft zu Verfügung zu stellen, um diese zu stärken, antwortet Daniel, dass auch er findet, dass dies eine gute Idee sei. Es würde leider niemand tun, denn der Reichtum der einen basiere auf der Ausbeutung der anderen. Okidoki.
Angesichts der durchaus vernünftig wirkenden Menschen im Publikum, geht man gefühlsmäßig doch davon aus, sie würden das Ganze ebenfalls nicht besonders ernst nehmen und obwohl ich es besser wissen sollte, war ich entsetzt, als einer nach dem andern begann, seine Geldtasche zu zücken.

Mineralien, Wurzeln, Federn und alten Symbolen eine gewisse Mystik abzugewinnen finde ich noch einigermaßen nachvollziehbar. Aber die Bereitschaft für kitschige Glaskristalle oder Plastikkugelschreiber, gefüllt mit Glitzersteinchen, die so aussehen, als wären sie vom Asiashop ums Eck, 80 Euro zu zahlen, weil da Magie aus Bermuda drin ist und dadurch alles, das man aufschreibt in Erfüllung geht, ist mir dann doch irgendwie zu heavy und ich würde jedem Einzelnen gerne fest auf die Stirn schnippen.



Wir tratschen mit Daniels Assistent. Wie wir bei späteren Vorträgen merken werden, sieht er das alles nicht nur als Business. Er steht immer wieder Schlange, um sich mit diversen spirituellen Führern zu unterhalten. Er ist sehr nett, wir unterhalten uns lange am Stand, sein Blick ist aber ausgesprochen eigenartig. Während A. mit ihm ins Gespräch vertieft ist („Und man bekommt den Job sogar, wenn man schlechter qualifiziert ist als alle andern, nur durch die Glitzer-Kugelschreiber-Magie im Lebenslauf?“), versuche ich rauszufinden, was es genau ist, das mich an seinem „Ich habe alle 85 Ecstasys alleine aufgegessen“-Blick so irritiert. Ich stelle fest: Er blinzelt einfach nicht. Ich schaue kurz auf mein Handy, beobachte zum Vergleich die Augen anderer Menschen und stelle fest, er hat tatsächlich ZEHN Minuten nicht geblinzelt, kein einziges scheiß Mal. Seine ganze Art zu sprechen und sich zu bewegen hat etwas ungesund wirkend Angespanntes. A. nimmt das ganz besonders mit. Als er den Assistenten gegen Ende der Messe von hinten lächelnd und winkend auf uns zukommen sieht, ist er so erschrocken, dass er mich ernsthaft panisch am Arm packt und „Schnell, weglaufen!“ schreit.



Wir spazieren stundenlang von Stand zu Stand, unterhalten uns mit einem sympathischen Typen, der uns mit indischen Süßigkeiten durchfüttert und uns von seiner vegetarischen Selbstversorger-Bauernhofkommune in Ungarn erzählt (Mein ewiger heimlicher Hippielebenstraum). Wir plaudern mit einem netten Öko-Typen über die Ausbeutung durch den Kapitalismus und darüber, dass sie 2000 wieder mal etwas traurig waren, als der Erlöser „Maitreya“ doch nicht gekommen ist (so sorry). Es ist entspannend und unspektakulär, das Surreale in dem Ganzen wird einem eigentlich erst draußen beim unangenehmen Runterkommen in der echten, kalten, grauen Welt wieder bewusst. Die meisten Menschen mit denen man redet, wirken überzeugt, authentisch und nicht außergewöhnlich doof.

Eine Jesus-Freak-Frau kommt lachend auf uns zu und fragt euphorisch: „Beten Sie? Ich bete sogar manchmal für meine Katze. Jesus ist einfach SO COOL.“ Wir segnen sie und gehen weiter, vorbei an Menschen, die sich gegenseitig die Hände auf die Köpfe legen, damit es arbeitet. An Frauen mit schwarz gefärbten Haaren und Goldschmuck, die wie im Fasching als Zigeunerinnen verkleidet sind.

An einem Stand, der Ringe anbietet, bleiben wir stehen. Am Plakat steht, es handle sich um die „Urformen von Mu“. Als wir nachfragen, wer der „Mu“ ist, meint die Frau gelangweilt in ostdeutschem Akzent, dass das ein altes Plakat wäre. Jetzt schreiben sie immer „kosmische Energien“. „Aha, aber was war dann Mu?“. Sie schaut uns genervt an, als wären wir unterbelichtet: „Naja, Mu! Atlantis halt.“ Achso, klar, sorry, dumme Frage. Atlantis-Mu. Medizinisch wirkende Geräte werden vorgeführt. Ob die Vorraussetzung für eine Teilnahme an der Esoterik- statt an einer medizinischen Fachmesse sein muss, dass diese keinerlei wissenschaftlich nachweisbare Wirkung erzielen? Man weiß es nicht.

Das war echt mir zu org:



Ein alter hutzeliger Ägypter steht vor einem Stand beladen mit geheimnisvoll aussehender Salben und Tinkturen in Einmachgläsern, ein Jahrmarkt-Qacksalber wie aus dem Bilderbuch. Er bietet Kümmelprodukte unter dem Motto „Kümmel heilt alle Krankheiten“ an und als ich ein Foto von ihm machen will, verscheucht er mich aggressiv schimpfend mit den Worten, ich wolle nur Ideen stehlen und belegt mich mit dem Kümmelfluch.

Ich schaue den feschen blondierten, ganz in weiß gekleideten Heilerinnen der Truppe mit meinem Lieblingsnamen „GRANDMOTHER TURTLE“ (Symbole: Federn, Steinschildkröte, Engelfiguren, Jesusbilder) zu, wie sie in einem ekstatischen Ritual zu dritt ihre Hände, die vor Anspannung zittern an einem jungen Typen reiben, irgendwie erotisch.



Ich lese seltsame Wörter wie Gedichte: Delfin-Kristallpalast-Ermächtigung / Tensoren / Lemura / Merkaber / Heiliger Hain. Mein Lieblingsbegriff der ganzen Messe: „Dark Yoga“. Wir schauen uns den Vortrag einer netten älteren Schrulle an. Sie malt und arbeitet als Restaurateurin und irgendwann hätte ihr ein Mentor gesagt, die Porträts die sie male wären gechannelte Bilder von Sternwesen. Mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit erzählt sie von der galaktischen Föderation, von Lord Aschtar und den Kristallheilkammern und dem großen Lord Akturus, dessen Name zwar kriegerisch klingt, der uns allen aber nur Liebe bringen will und das möchte sie uns weitergeben.

Geld verdient sie nicht damit, ihr liegt die Botschaft der Liebe am Herzen. Sie wirkt aufrichtig lieb und es ist auch traurig als sie erzählt, sie würde von ihrem Umfeld belächelt werden und sich hier verstanden fühlen, während gegen den Vortragsraum Basketbälle von den anliegenden Sporthalle laut gegen die Wand knallen, als würde die Realität aggressiv an die Tür klopfen, um wieder Einlass ins Land der Träume zu bekommen.

Eine andere Vortragenden spricht mit Verstorbenen aus dem Jenseits, sie führt mit geschlossenen Augen imaginäre Dialoge „Ach so, haha, ja gut, ich sags ihr, ja, genau.“ als würde sie mit Freisprechanlage telefonieren.



Als ich später aufs Klo gehe, kommt mir die Frau aus der Kabine entgegen und ich finde es erhellend, dass auch Menschen, die in der Zwischenwelt existieren können, manchmal scheißen müssen. Ich lächle sie an und betrete das Häusl und tatsächlich riecht es ziemlich jenseitig nach Verstorbenem.

Ein solariumbrauner Mann mit diabolisch geschwungen Augenbrauchen ruft uns aus einem blutroten Zelt, über dem ein Pentagram angebracht ist, zu. Robert Alcazane. Er will uns kostenlos kurz aus der Hand lesen. Er hat die sympathische Ausstrahlung eines zwielichtigen Praterstrizzis und betastet A.s Finger, schaut ihm eindringlich in die Augen und sagt: „Du studierst. Geisteswissenschaften. Philosophie würde ich sagen. Die Aneignung von Wissen ist sehr wichtig für dich.“ Wir sind beeindruckt über seine Menschenkenntnis, stellen aber anschließend fest, dass man Naturwissenschaftler wohl eher selten hier antrifft.
Dann schätzt er mich ein: „Du bist so eher der Managementtyp, gut im Organisieren, Da (er bohrt mit dem Finger in mein Handfett) ist ordentlich Struktur.“

A. klärt ihn belustigt darüber auf, dass ich der unstrukturierteste Mensch der Welt sei. Alcazane greift sofort ein und meint, es gehöre auch dazu, chaotisch improvisieren zu können und so weiter. Na ja. Trotz seiner Fehleinschätzung hat er etwas sehr gewinnendes, strahlt eine gewisse Scharfsinnigkeit aus, ein guter Typ einfach und eigentlich hätte ich gerne mit ihm weitergesprochen. Das ist wohl der Effekt der Sache: Das eigene Ego wird stimuliert wenn sich jemand mit einem beschäftigt, man fühlt sich geschmeichelt, auch wenn er noch so daneben liegt.



Hier ein Vortrag vom Karma-Wunden-Heiler Keith Sherwood aus New York. Er entschuldigt sich gleich von Anfang an für seinen gemeinen Sarkasmus und seine Schmähs sind wirklich gar nicht so schlecht. Vielleicht handelt es sich ja tatsächlich um einen Vortrag, der irgendeine akzeptable Mischung aus Religion und Psychotherapie zusammenpantscht. Kurz darauf hebt er aber schon die Hände und befreit damit verschiedene Leute von ihren Halsschmerzen und schlechten Beziehungsmustern. Er saugt ihren Karma-Schlatz nach etwas Geschwafel mit einer teilnahmslosen Wischgeste einfach ab. Er fragt „Do you feel better now?“, eine zermartert wirkende Frauengestalt sagt strahlend „Yes, a little.“. Diese dreiste Mischung aus Humbug und zügellosem Narzissmus finde ich bemerkenswert. „I ALWAYS KNEW, I‘M GIFTED“, sagt er. Jedes Mal, wenn er wieder herumwinkt um Karma zu putzen, habe ich das Bedürfnis selbst aufzustehen, mit der Hand zu wacheln und: „ANTIHEILUNG OHNE RÜCKGABE ALLES WIEDER SCHMUTZIG HAHA!“, zu schreien. Überhaupt bekommt die Geste sinnlose Bewegungen in die Luft zu machen, plötzlich einen großen Spaßfaktor.

Als A. sich mal wieder zu Wort meldet und eine in unschuldige Naivität gehüllte Frage stellt, antwortet Keith so etwas wie: JA ABER DAS IST JA SO ALS WÜRDEST DU BEHAUPTEN SCHULMEDIZIN WÜRDE ECHT FUNKTIONIEREN, dabei lacht er und die andern stimmen mit ein, als hätte er gesagt: Dann kannst du ja gleich an Elfen und Kobolde glauben. Da realisieren wir: Hier ist die Umgekehrtwelt. Glaskristalle und Rauch sind medizinische Geräte, während ein Herzschrittmacher oder Antibiotika als schrullige Fantasieobjekte irregeleiterter Spinner angesehen werden.

Am nächsten Tag war ich noch mal mit meiner Mutter dort, das Erlebte ließ mich einfach nicht los. Beim Spazieren und Vorträge anhören, erzählte sie mir zu meiner Überraschung, dass es in dem Heimatdorf meiner Familie ja auch völlig normal wäre zu Heilern zu gehen und dafür Psychotherapien etwas sei, das nur Verrückte benötigen würden. Hier lässt sie sich gerade von einem Kinderdämonen das Gehirn verfluchen, während eine Hexe sie am Bauch kitzelt.



Nachdem ich ihr mehrmals zu verstehen gebe, dass ich ausnahmslos alles hier für irrationalen Schwachsinn halte, deutet sie mit dem Finger auf eine ältere asiatische Frau hinter einem Stand und sagt: „Oba des Chinesische is jo scho erwiesen.“ Ich weise sie darauf hin, dass sie einfach auf irgendeine asiatische Frau deutet, ohne zu wissen, was sie überhaupt macht (btw. Eine thailändische Handleserin).

Wir nahmen noch bei einer Gruppenheilung teil. Ein Mann mit weißem Haar erklärte in schwäbischem Dialekt, dass er ein wenig müde sei, da er letzte Woche 20 Stunden „durchgeheilt“ hätte. Eine Paris Hilton Zombie Version, fragte, ob es schädlich für ihren Chihuahua sei, anwesend zu bleiben. Ein Typ, Walter, steht auf und will spontan begeistert von seiner Krebsheilung nach Besuch des letzten Seminars erzählen, er hebt sein T-Shirt, Verbände sollen zeigen, dass er grad von der OP kommt und wieder kerngesund sei. Billig. Wenigstens weist der Heiler darauf hin, dass auch immer wieder Krebspatienten, die sich an ihn wenden, versterben. Die Gruppenheilung geht los, alle schließen die Augen, einschläfernde Musik wird gespielt und der Kerl macht 20 Minuten langsam fließende Kreisbewegungen mit seinen Armen. Es ist sehr spacig, wieder habe ich das Bedürfnis selbst auch fantasievolle Bewegungen zu machen. Tatsächlich merke ich auch, wie das ganze etwas bewirkt. Wie könnte es auch nichts bewirken, mit 50 einfältigen Opfern schweigend in einem Raum zu sitzen und einem Typen dabei zuzusehen wie er 20 Minuten trippig herumwachelt. Als ich die ersten Anfänge von Schnarchgeräuschen meiner Mutter vernehme, stupse ich sie und kämpfe die nächsten Minuten mit unerträglichen Lachkrämpfen. Noch schlimmer wird es als einer der jungen Burschen hinter mir zu seinem Freund flüstert: Das schaut aus als würd er einen riesengroßen Orsch streicheln. Ich kann nicht mehr, aber es ist egal, da hier vermutlich eh alle denken, mein Gegrunze wäre berührtes Weinen.



Pfuh. Zu meiner Überraschung haben aber auch die jungen Burschen vor der Heilung Bilder kranker Verwandter vor den Heiler gelegt und ich finde das ganze wieder eher tragisch.

Endlich erlöst, möchte meine Mutter noch für die anschließende Hypnose bleiben. Ich habe zwar schon Eso-Überdosis, aber ihr zu liebe bleibe ich noch und mache mit. Zwei weiß gekleidete Frauen führen die Gruppe mit sanften Stimmen in einen tiefenentspannten Zustand. Wieder dauert das ganze endlose zwanzig Minuten. Man soll die eigenen Sorgen in die Hände wie in Schüsseln legen, na gut. Ich bin recht eingeschläfert, höre aber nur halbherzig zu. Gegen Ende erzählen sie, dass unsere Hände sich nun langsam umdrehen würden. Ich schaue meine Hände an, ohne sie zu drehen, trotzdem bewegen sie sich abwechselnd in pulsierenden Muskelzuckungen in Schüben nach innen. Ich kämpfe nicht dagegen an, BIN aber dagegen. Ich beobachtete entgeistert das Zucken und fühle Panik in mir hochsteigen. Sie sagen uns, dass wir jetzt ganz ausgeruht und entspannt sind, aber ich bin von der unwillkürlichen Bewegung völlig verstört, nervlich am Ende wie nach einem Horrotrip. VERBRENNT DIESE HEXEN! Meine Mutter fragt immer wieder, ob eh alles okay ist, weil ich immer noch ganz durcheinander bin. Ich habe definitiv genug von dem Scheiß.

Ich dränge raus aus diesem Höllenloch und atme erst wieder durch, als wir den wunderbar Abgasverseuchten Gürtel erreichen, voller Hass, Dreck, Abschaum und herzloser Wirklichkeit. Zurück in der schönen, rästelhaften Welt der Logik, der Forschung, der Wissenschaft, in der die Geheimnisse des Universums für noch lange ungelöst bleiben.

Mehr über Wahnsinnige und Quacksalber:

Zu Besuch bei den UFO-Esoterik-Nazis

Diese Frau hat sich ein Loch in den Kopf gebohrt, um ihr Bewusstsein zu erweitern

Ein Interview mit der Nichte vom Scientology-Chef