Ich habe es in früheren Ausgaben meiner Kolumne immer mal kurz angeschnitten: Das Thema „Pennen gehen auf Tour. Ihr wisst schon, die Zeit zwischen Vollrausch und Hangover, die all eure Lieblingsrockstars in überdimensionalen 5-Sterne Betten verbringen. Meine traumatischen Tour-Erfahrungen in den schrecklichsten Betten der Welt nagt aber unaufhörlich so verheerend an mir, dass ich unbedingt ein bisschen mehr Licht auf den Horror scheinen lassen muss, der Bands auf Tour nach Feierabend erwartet. Klar, in neun von zehn Betten schläft es sich unterwegs hervorragend in einer angemessenen Behausung. Aber hin und wieder findet ihr euch, besonders in der harten Anfangszeit eurer Rumpel-Kapelle, in einer Unterkunft direkt aus der Hölle wieder, die euch für den Rest eurer Karriere verfolgen wird. Willkommen in den acht schlimmsten Schlafplätzen auf Tour.
1. Das Kellerloch
Was klingt wie die schlechte deutsche Übersetzung eines Horror B-Movies, beschreibt aber leider ziemlich genau, was Bands gerade in den Startlöchern ihrer Karriere nicht selten vorgesetzt kriegen, wenn es heißt: Schlafenszeit. Es muss das Jahr 2010 gewesen sein, als man auch uns in einem Studentencafé in Münster nach erfolgreicher Show vor vier zahlenden Gästen in „das Verließ“ führte. Merke: Wenn nach dem Konzert auf die Frage „Wo schlafen wir denn eigentlich?“ schon panische Blicke zwischen Veranstalter und Bardame gewechselt werden, ist mit dem schlimmsten zu rechnen. So führte man uns an der improvisierten Bühne aus morschen Europaletten vorbei zu einer schweren Stahltür. Als sich das Sicherheitstor mit lautem Knarzen öffnete, offenbarte sich uns ein unverputztes Paradies im authentischen Fahradkeller-Ambiente. An zwei winzigen Fenstern unter der Decke prangten Gitterstäbe, von den Wänden rieselten Gipsreste. Einzige Lichtquelle: Ein flackerndes Notausgangsschild über dem Eingang. „Oh… äh… oh. Und wo sollen wir liegen?“ Schweigend deutete der Chef des Hauses auf eine unbezogene, mit trockenen, braunen Flecken gesprenkelte Matratze auf dem Boden. Bereits völlig resigniert wagte ich einen letzten Versuch in Richtung Luxusgut: „Habt ihr denn sowas wie… eine Decke?“ Die Antwort war fast schlimmer, als unbedeckt in der Kälte zu schlafen: „Naja, draußen auf der Raucherbank liegt so eine alte Wolldecke. Die könnten wir rein holen.“
Eingewickelt in ein kratziges, verklebtes Stück Stoff, das den Raum angenehm mit dem Duft kalter Asche füllte, lagen wir zitternd in der Kammer des Schreckens. Dank unserer damals katastrophalen Gage und unserer bereits fortgeschrittenen Trunkenheit war eine Flucht ins nächstbeste Hotel leider unvorstellbar. Frierend schliefen wir ein, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, am nächsten Morgen ohne Niere ausgenommen im Eisbad aufzuwachen.
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2. Das Prinzessinnen-Zimmer
Viele Veranstalter sparen gerne den ein oder anderen Euro, indem sie die Bands nach der Show nicht in der Pension „Zum Goldenen Schimmel“ unterbringen, sondern das stinkende Pack einfach mit zu sich nach Hause nehmen. Wer Glück hat, kriegt das Gästezimmer, wer Pech hat, kriegt die Couch. Wer ganz großes Pech hat, kriegt das Prinzessinnen-Zimmer.
„Ja und hier ist das Zimmer meiner Tochter Anni, fühlt euch wie zuhause. Die schläft heut bei Oma.“ Glaubt mir, es gibt wenige Dinge im Leben, die erniedrigender sein könnten, als in Annis Kinderzimmer aufzuwachen. Von der Decke baumelt ein selbstgebasteltes Mobile, von der fliederfarbenen Tapete lachen dich Hannah Montana und Prinzessin Lilifee an. Dazwischen überall Pferde. Pferdeposter, Pferdekalender, Pferdebettwäsche. Nach dem Aufwachen schiebst du die My Little Pony-Kuscheltiere beiseite und fischst einen Haargummi aus deiner Unterhose. Wieso glitzert hier eigentlich alles!? Neben dir schnarcht dein Bandkollege—eng an dich gepresst. Schließlich befindet ihr euch im Bett einer siebenjährigen, das sind für gewöhnlich sehr kleine Menschen. Bei einem tiefen Atemzug wird dir bewusst, wie schlimm es in Annis Zimmer plötzlich nach Schnapsfahne, Käsefuß und Herrenschweiß riecht. Bei dem Gedanken daran, dass ein kleines, quirliges Schulmädchen mit Micky Maus-Haarreifen und Polly Pocket-Hausschuhen heute noch hier drin ihre Hausaufgaben machen muss, bleibt dir gar nichts anderes übrig, als dein Leben gründlich zu überdenken.
3. Die Künstlerwohnung
Für Clubs, in denen pro Woche durchschnittlich zehn Bands anrücken, wird es irgendwann lukrativ, eine sogenannte „Künstlerwohnung“ einzurichten. Das heißt meistens, dass der Veranstalter irgendwo in der Stadt eine spottbillige Zweiraumbude aufgetrieben hat, in die er nur noch eine Matratze und einen Kühlschrein werfen musste, bevor er die Tür verriegeln und mit Edding „Künstlerwohnung“ draufschreiben kann. Dorthin werden dann die—ihr könnt es euch denken—auftretenden Künstler verfrachtet. So spart man sich nicht nur die horrenden Hotelkosten, sondern auch den Ärger einer rülpsenden Metalband in den eigenen vier Wänden.
Künstlerwohnungen sind im Normalfall nackt und kalt. Die alten, rostigen Heizungsrohre sind im Winter zugefroren, im Kühlschrank schimmelt seit Monaten eine angebrochene Club Mate. In der Dusche, die selbstverständlich nur kaltes Wasser ausspuckt, stehen sieben offene Shampoo-Flaschen. An der Schranktür, am Bettpfosten, auf dem Spiegel, auf dem Seifenspender, überall wo man hinsieht: BANDSTICKER. Aufkleber von alten, neuen, frisch geborenen und toten Bands, die du nach einigen Jahren Erfahrungen auf den Clubtoiletten dieses Landes alle schon auswendig kennst. Solange du allerdings nur Shampoo und Sticker findest, kannst du beruhigt zu Bett gehen. Brenzlig wird es erst, wenn du in der Bettwäsche schmutzige Socken findest, die dein Tontechniker in erstklassiger Detektivarbeit den Füßen von Feine Sahne Fischfilet zuordnen kann.
Kleiner Tipp: Wenn es in der Künstlerwohnung an Bettwäsche und Schlafsäcken mangelt, entfernt einfach vorsichtig den Vorhang von der Gardinenstange und deckt euch damit zu. Der einzige Haken dieser erfinderischen Notlösung: Hausverbot in Kiel. Für alle Bands, die auch nur ansatzweise mit euch befreundet sind, ihr Schweine!
4. Das Penis-Zimmer
Wo Punkbands und pubertierende Nachwuchs-Acts hausieren und pennen, da darf es auch an Penis-Kritzeleien nicht mangeln. Und weil ein Penis niemals allein an der Tapete stehen darf und es immer einen größeren geben muss, werden es von Woche zu Woche mehr. Meistens sind es die improvisierten Schlafräume direkt im Club, die man sich mit 400 Edding-Schwänzen teilen muss, wenn man doch noch ein Auge zudrücken will. Inzwischen habe ich so oft unter einem Himmel voller Schwänze geschlafen, dass ich mich nach harten Tourwochenenden zusammenreißen muss, nicht mein eigenes Schlafzimmer mit haarigen Pimmeln zu bemalen. Vielleicht steckt hinter der zeitgenössischen Backstage-Kunst aber auch eine ausgefuchste Verschwörung von Veranstaltern und Clubbetreibern. Was können Veranstalter und Clubbetreiber auf den Tod nicht leiden? Groupies im Backstage. Und eins ist klar: In diesem Ambiente wird nicht gebumst. Kein noch so schmieriger Crust-Rocker würde den Versuch wagen, sich einen One-Night-Stand zu angeln und ihn in die Hölle der Filzstift-Pimmel zu bringen. Schweinereien an den Wänden als Schutzmaßnahme gegen die Schweinereien auf dem Laken. Keine schlechte Idee. Die Rechnung der gewieften Veranstalter geht leider nicht auf: Was sie sich an Bettwäschereinigungskosten sparen, zahlen sie auf der Wasserrechnung wieder drauf. Nach einer Nacht im Penis-Palast fühlt man sich nämlich so schmutzig, dass man am nächsten Morgen eine halbe Stunde wimmernd unter die heiße Dusche muss.
5. Der Backstage
Wartend stehst du im kleinen Büro hinter der Bühne. Die Show ist vorbei, der Club ist leer, sogar die Bar ist schon geschlossen. Die Veranstalterin drückt dir die Gage in die Hand und wünscht dir eine gute Nacht. „Kann ich noch mal die Adresse von dem Hotel? Die wolltet ihr in den Infos noch nachliefern.“ Mit der Frage hat hier scheinbar niemand gerechnet. Klammheimlich hat die Veranstalterin gehofft, du hättest das mit den Hotelschlüsseln vergessen. Zum Glück ist für eine angenehme Bettzeit trotzdem gesorgt, denn sie verspricht dir in perfektem Hotelier-Slang „eine Nacht im authentischem Rock’n’Roll Style.“ Das Prospekt würde sich an dieser Stelle ungefähr so lesen:
„Schlafen wie die Rockstars! Zwischen leeren Bierflaschen und Verstärkertürmen schläft es sich stilecht wie in einem richtigen Club. Zahlreiche überfüllte Aschenbecher und liegengebliebene, verschwitzte T-Shirts sorgen für das ganz besondere Flair. Warum kilometerweit ins nächste Hotel wandern oder viel Geld für ein Taxi ausgeben? Machen sie es sich einfach auf unserer originalgetreuen Backstage-Couch aus gerissenem Leder bequem oder entspannen sie sich auf dem Boden. Fühlen sie sich wie Lemmy von Motörhead, wenn sie sich zwischen nassen Scherben und Catering-Resten wälzen und denken sie an Ozzys beste Tage, wenn der nackte Drummer der Vorband über ihre weiche Matratze steigt, um unsere erstklassigen, sanitären Anlagen zu benutzen. Freuen sie sich auf den nächsten Morgen, denn beim Frühstück machen wir keine halben Sachen. Genießen sie die Köstlichkeiten des Abendbrots einfach noch mal! Unsere Crew von talentierten Inneneinrichtern hat bei der Ausstattung des Raumes „Backstage“ an jedes Detail gedacht und auch ihren Schlafplatz liebevoll mit Stickern aufstrebender Punkbands beklebt. Sogar die Ränder der kunterbunten Aufkleber wurden sorgsam „abgegnubbelt“. Atmen sie die Luft von erschlafften, kaputten Herrenkörpern und träumen sie vom nächsten, großen Konzert! Wer weiß, vielleicht haben sie Glück und finden sogar ein Zigarettenstummelchen an ihrer Pobacke? Wir freuen uns auf ihren Besuch!“
6. Die Studenten-WG
Auf kleinen Uni-Festivals, Soli-Partys und Konzerten in Studentenclubs kann es häufiger vorkommen, dass man als Band in einer echten WG landet. Die Armen, die im Plenum den Kürzeren gezogen haben, geben nun das Bett der Kollegin im Auslandssemester oder gar das eigene Sofa her, damit deine Saubande einen Platz zum Pennen hat. Das hat zwar ein paar Vorteile (man lernt noch mehr Leute kennen, der gebeutelte Veganer in der Gruppe kriegt endlich sein veganes Frühstück, die Zimmer sind oft nett eingerichtet und meistens sauber…), aber eben auch verdammt viele Nachteile. Das gravierendste Problem beim Pennen in der Studenten-WG ist die Privatsphäre. Es fühlt sich einerseits einfach nicht richtig an, mit deinen abgefuckten Kumpels auf einer Luftmatratze unter dem Schreibtisch einer 20-jährigen Psychologiestudentin zu schnarchen. Auf der anderen Seite fühlt es sich genauso falsch an, im Handtuch durch eine Küche voller FachhochschülerInnen zu huschen, weil man seine verdammte Hose auf der Couch vergessen hat. Bei besonders jungen WG-Bewohnern kann es außerdem passieren, dass man dich bis fünf Uhr morgens an den Küchentisch zwingt, wo du mit Schnaps erdrosselt wirst, bis auch die letzte, beschissene Tour-Anekdote aus dir raus gepresst ist. Habt Erbarmen!
7. Die Jugendherberge
Die spottbillige Alternative zum Hotelzimmer, besonders beliebt bei kleinen Festivals auf dem Lande. Nichts holt dich gewaltsamer auf den Boden der Tatsachen zurück, als der unausweichliche Kulturschock eines Landschulheims aus DDR-Zeiten nach zwei exzessiven Tourtagen. Dass du dir hin und wieder das Zimmer mit mehreren deiner Bandkollegen teilen musst, bist du inzwischen gewohnt. In der Jugendherberge wird allerdings gleich die ganze Crew auf zwei Doppelstockbetten verteilt. Was sich in der ersten Stunde mit drei Bier von der Tankstelle noch verdächtig nach Ferienlager und jeder Menge Spaß anfühlt, hört spätestens dann auf, wenn die Klasse 7b aus dem zweiten Stock auf dem Flur Fußball spielt oder die Toiletten blockiert. Besonders, wenn der Tontechniker tierisch pissen muss und mit Sanktionen droht: „Ich geh da nicht raus. Ich hasse doch Jugendliche. Gib mir mal so ‘ne leere Bierflasche.“ Du versuchst zu protestieren: „Auf keinen Fall, den Satz hab ich schon mal gehört, gleich ist hier wieder alles nass!“ Nichts zu machen, Tontechniker sind Sturköpfe. „Zu spät, ich pinkel schon.“ Nichts ist schlimmer als das leise Tröpfeln von Urin auf altem DDR-Lenolium im Dunkeln. Höchstens der Satz: „Scheiße, scheiße, scheiße, haben wir noch ‘ne Flasche!?“
Getoppt werden kann die traumatische Situation nur noch von einer erzürnten Gymnasial-Lehrerin, die mit stolzem Schritt und Taschenlampe ins Zimmer platzt und schreit, „dass jetzt hier aber auch mal Ruhe ist!“, bevor sie beschämt feststellen muss, dass ihr nicht zur Klassenfahrt der Käthe-Kollwitz-Schule gehört.
8. Das Dorfhotel
Diesmal lag das Team aus dem Club goldrichtig, als es dir und deiner Band das beste Hotel der Stadt gebucht hat. Dass es in Bad Ölchsen nur zwei Hotels gibt, spielt dabei erst mal keine Rolle. Der Abend verläuft fantastisch, das Festival im Club-Hinterhof ist ausverkauft, die Band fackelt alles ab und lässt sich danach in der Kneipe um die Ecke feiern. Als die Wirtin den Laden dichtmachen will, rufst du entschlossen in die Runde: „Hotelabsturz bei uns!“ Ein paar Versprengte, die du für eine Nacht zu deinen neuen, besten Freunden zählst, folgen dir tatsächlich in den „Uckermärker Hof“, denn du versprichst Minibar-Gesöff und Luxus-Hotel. Dein Versprechen musst du kurz darauf gleich mehrmals brechen, denn Zimmer 104 sieht eher nach dem Schlafgemach deiner Uroma aus, als das Hilton, das die Dorfkids aus dem Urlaub kennen. Noch bedenklicher ist, dass es auch so riecht. Für dein Gerede vom Schampus in der Minibar kannst du dich spätestens jetzt auch entschuldigen, denn die Minibar ist in diesem Fall ein kaputter Kühlschrank draußen auf dem Flur. Egal, der Abend ist zu lustig, um sich von Blümchentapete und schiefen Wandleuchten unterkriegen zu lassen! Also wird der Kühlschrank trotzdem geplündert: Freibier, äh… Radler für alle! Aber auch nach zwei-drei Colabier ist nichts zu machen, die absolute Zerlegungsparty hat sich für heute erledigt. Dein Merchandise-Verkäufer schließt sich mit einem seiner Tinder-Dates im Nachbarzimmer ein und du lässt dir vom Drummer der lokalen Schülerband erklären, wie man im Black Metal schreit, bis irgendwann gar keiner mehr spricht. Wie ist der eigentlich hier hingekommen!? Nach einer Stunde dösen alle vor der Wiederholung vom ZDF Fernsehgarten weg. Was für eine langweilige Hotelparty. Dachtest du, ohne dabei zu bedenken, dass du dich in einem 7000 Seelen-Nest befindest und deine Anwesenheit allein die Nachbarn verschreckt. Was dir eine Woche später dein Email-Postfach bestätigt.
Ich habe die Wandleuchte nicht bezahlt. Weshalb ich diese Zeilen aus dem Knast schreibe. Muss aufhören, Aufseher in Sicht!
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