Ein deutscher YPG-Kämpfer erzählt, wie der Krieg gegen den IS von innen aussieht

Ich habe im syrisch-kurdischen Rojava einen autonomen Antifaschisten getroffen, der an der Seite der kurdischen YPG-Volksverteidigungseinheiten (Yekîneyên Parastina Gel) an vorderster Front gegen den Islamischen Staat kämpft. Er hat sich den Kampfnamen Heval gegeben. Vor ein paar Tagen treffe ich ihn in einer deutschen Großstadt wieder. Es ist unglaublich früh, aber Heval ist schon seit Stunden wach. Jeden Morgen, vor Sonnenaufgang, egal bei welchem Wetter, geht er joggen. Mehre Kilometer. Er lebt alleine. Hat keine Familie oder Kinder und führt keine Beziehung. „Es gibt wenig, was mich an diese Stadt und an das Leben hier bindet. Das macht vieles einfacher”, sagt er. Heval trägt sein Basecap tief ins Gesicht gezogen, so als ob er nicht erkannt werden möchte. Es ist schwer, sein Alter zu schätzen, vermutlich ist er Mitte 30. Genauso schwer ist es, etwas Persönliches aus ihm herauszubekommen. Tatsächlich hat er allen Grund, vorsichtig zu sein. Ein holländischer YPG-Kämpfer, der mehrere IS-Kämpfer getötet hat, ist vor Kurzem nach seiner Rückkehr festgenommen worden und wird wegen Mordes angeklagt, auch wenn viele seiner Landsleute ihn als Helden feiern.

Der Autor in Kobane

Egal ob er über den syrischen Bürgerkrieg oder über das Joggen spricht, gewohnheitsmäßig wandert sein Blick wachsam umher. Er schaut seinen Gesprächspartner nur selten an. Direkter Blickkontakt scheint ihn zu irritieren. In wenigen Tagen geht sein Flug zurück in die Türkei. Wie lange er dieses Mal in Rojava bleiben wird, weiß er noch nicht. Vielleicht sechs oder neun Monate. Es komme darauf an, wie die anstehende Offensive der YPG gegen Raqqa, die Hauptstadt des Islamischen Staates, verläuft. Und wie lange er überlebt. Wir haben mit ihm über das Leben im Krieg gesprochen.

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VICE: Heval ist kurdisch und bedeutet Freund, richtig?
Heval: Ja, aber das bedeutet noch mehr. Heval beschreibt eine andere Art von Freundschaft. Vielleicht kann man es besser mit Genosse oder Kamerad übersetzen.

Als wir uns im letzten November in Rojava getroffen haben, kamst du gerade aus den Gefechten um al-Hawl. Das war für die YPG-YPJ eine sehr wichtige Mission. Was ist an dieser Kleinstadt in der syrischen Geröllwüste so wichtig?
Über die Stadt lief eine der letzten großen Verbindungsrouten zwischen Raqqa und dem irakischen Mosul. Durch die Befreiung von Hawl ist diese Verbindung gekappt worden. Zum anderen ist das eine Ölförderregion. Es ging auch darum, Daesh [arabisches Akronym von „Islamischer Staat”] ökonomisch zu schwächen.

Was war deine Rolle dabei?
Ich war in einem der Angriffsteams. Wir haben uns von Dorf zu Dorf vorgekämpft und sind als Erste in die Stadt gegangen. Da gab es aber vergleichsweise wenig Widerstand. In den Dörfern war das anders. Da gab es sehr massive Gegenwehr. Vor allem die Suicide-Cars haben uns da Probleme bereitet.

Was sind Suicide-Cars?
Das sind Autos, die mit Panzerplatten verkleidet und dann mit Sprengstoff voll geladen werden. Ein Selbstmordattentäter rast dann damit in unsere Stellungen und sprengt sich in die Luft. Die Wagen sind so gut gepanzert, dass wir sie nur schwer mit unseren Waffen stoppen können. Vor Hawl haben sie eine ganze Serie von solchen Autos gegen uns geschickt.

Gab es eine Zusammenarbeit mit der Anti-IS-Koalition?
Während der gesamten Operation haben wir mit den Amerikanern zusammengearbeitet. Wir hatten permanent zwei bis drei Predator-Drohnen als Luftunterstützung über uns. Die haben viel weggearbeitet.

Es gibt kaum noch Ärzte, die Rettungswagen sind kaputt, funktionierende Absaugpumpen, Blutkonserven oder Infusionen gibt es zumeist nicht. Und in den Krankenhäusern sterben die Menschen, weil das türkische Embargo verhindert, dass Antibiotika ankommen.

Wie sieht das konkret aus?
Die YPG telefoniert direkt mit der Koalition und bittet darum, dass ein bestimmter Punkt bombardiert wird. Das passiert dann, oder eben nicht. Nebenbei arbeiten die Drohnen ab, was sie selbst sehen. Während der Operation gab es bei uns einen schrecklichen Fehler. Unser Tabûr [Bataillon] hat sich an der irakisch-syrischen Grenze von einem verlassen Grenzposten zum nächsten bewegt. Wir sollten zu einem Posten aufschließen, der am Tag zuvor von einem anderen YPG-Tabûr eingenommen worden ist. Wir sind auf unseren Pick-ups losgefahren. Als wir etwa 500 Meter vor der Stellung waren, gab es plötzlich zwei Luftschläge auf diese Position. Die Drohnen hatten dort Bewegung und Waffen gesehen, ihnen ist aber nicht weitergemeldet worden, dass die YPG die Position schon eingenommen hat. Eigentlich gibt es da eine Stelle, die der Koalition immer meldet, wenn wir eine Position eingenommen haben. Das hat in diesem Fall nicht funktioniert. 10 YPG-ler sind dabei gestorben und 18 zum Teil schwer verletzt worden.

Kobane nach einem Luftangriff

Eine Gruppe von amerikanischen Ex-Berufssoldaten hat zeitweise in der YPG gekämpft. Einige haben Rojava verlassen und erklärt, dass sie mit der kurdischen Kriegsführung nicht klarkommen. Und, dass die Überlebenschancen eines Soldaten bei der YPG im Vergleich zu einer regulären Armee erschreckend gering währen.
Die YPG ist keine richtige Armee, sondern eher eine Guerilla. Die Amis mit militärischem Background kennen so etwas nicht. Die sind gewohnt, ihren Feinden waffentechnisch hoch überlegen zu sein. Die arbeiten mit Helmfunk, GPS, Nachtsichtgerät und Schutzweste. Und die werden mit gepanzerten Fahrzeugen oder von einem Helikopter am Einsatzort abgesetzt. So läuft das hier aber nicht. Wir haben keine solche Ausrüstung. Dadurch wird es natürlich gefährlicher. Ein ganz großes Problem ist die medizinische Versorgung von Verletzten. Es gibt kaum noch Ärzte, die Rettungswagen sind kaputt, funktionierende Absaugpumpen, Blutkonserven oder Infusionen gibt es zumeist nicht. Und in den Krankenhäusern sterben die Menschen, weil das türkische Embargo verhindert, dass Antibiotika ankommen.

Auf mich wirkt die gesamte Lebenssituation im Tabûr sehr fordernd. Nicht nur der Krieg und das Sterben, sondern auch der Alltag.
Ich würde es als sehr entbehrungsreich beschreiben. Das wird von vielen oft unterschätzt. Und viele Europäer kommen damit nicht klar. Es gibt keine Privatsphäre, du hängst 24 Stunden am Tag mit den Leuten aus dem Bataillon aufeinander. Manchmal kannst du dich und deine Uniform wochenlang nicht waschen. Wenn du mal nicht frierst oder schwitzt, wirst du von Mücken, Sandflöhen und anderen Quälgeistern heimgesucht. Meine Hände waren zwischenzeitlich völlig zerstochen und geschwollen. In vielen Einheiten gibt es dazu ein Hepatitis-Problem und fast jeder, der neu hier ist, kämpft mit Durchfallerkrankungen. Ach ja, die Toiletten sind Löcher im Boden, anstatt Toilettenpapier gibt es Gießkannen mit Regenwasser. Aber ich war da sehr zufrieden. Trotz all dieser Umstände war das die beste Zeit meines Lebens.

Ein YPG-Stützpunkt an der Ain-Issa-Front, 50 km vor Raqqa

Es ist irritierend, dass du eine Situation, in der du auf andere Menschen schießt und du in Gefahr läufst zu sterben, als die beste Zeit deines Lebens bezeichnest.
Ich weiß, dass das für viele nicht nachvollziehbar ist. Die Europäer, die für Rojava kämpfen, haben neben der primär politischen Motivation auch einen zweiten, einen ganz persönlichen Grund herzukommen. Ich denke, es ist nur ehrlich, wenn man das so formuliert. Bei mir ist auch die Frustration über die Perspektivlosigkeit der Antifapolitik ein Grund, warum ich gekommen bin. In Rojava bin ich Teil eines revolutionären Prozesses, ich kann ganz direkt helfen, eine Gesellschaft neu zu gestalten. Es ist Großartiges, ein Teil davon zu sein. Und ja, es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass man mit verhindert, dass der Islamische Staat weiter morden, vergewaltigen und versklaven kann.