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„Jetzt können wir uns endlich auf die wirklich wichtigen Fragen konzentrieren, die Amerika beschäftigen: ‚Sind wir wirklich auf dem Mond gelandet?’, ‚Was ist wirklich in Roswell passiert?’ und ‚Wo sind Biggie und Tupac?’” – Barack Obama beim White House Correspondents Dinner 2011
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„Nein, wir wissen nicht, wo Tupac ist.” – der Bot, die für die CIA twittert
Jedes Jahr sorgt ein neues Tupac-Interview, ein Hologramm oder ein bislang unveröffentlichter Song für große Aufregung in diversen Internetforen und verschwindet dann schnell wieder in der Versenkung. Vor Kurzem erst hat Kendrick Lamar sein zweites Studioalbum mit einer Collage aus einer Unterhaltung zwischen Tupac und dem Musikjournalisten Mats Nileskar von 1994 abgeschlossen. Dieser Forrest-Gump-Trick entfachte wieder das Interesse daran, was genau in dieser schicksalshaften Nacht vom September 1996 passiert war. Wer hat Tupac umgebracht? Was war das Motiv? Warum behauptet Suge Knight—der sich jetzt selbst wegen Mordes vor Gericht verantworten muss—dass Tupac noch lebt?
Mit der Zeit ist eine ganze Reihe an Verschwörungstheorien zu Tupacs Tod entstanden—eine phantasievoller als die andere. Unzählige Bücher, Dokumentationen und Chappelle’s Show-Sketche haben versucht, Licht ins Dunkel zu bringen, aber am Ende alles nur noch unklarer gemacht.
Das Problem bei der ganzen Sache ist auch, dass die Gesetzeshüter nicht wirklich motiviert zu sein scheinen, einen der berühmtesten Mordfälle der letzten 20 Jahre zu knacken. Chris Rock traf es eigentlich am besten: „Tupac wurde auf dem Las Vegas Strip nach einem Mike Tyson Kampf umgebracht. Wie viel mehr Zeugen braucht man eigentlich, bevor man jemanden verhaftet? Tupacs Mord hatte mehr Zuschauer als die letzte Seinfeld-Folge.” Leider befragten die Ermittler nie den einen Zeugen, der behauptete, Tupacs Angreifer (vielleicht auch mehrere) identifizieren zu können. Yafeu Fula alias Yaki Kadafi von den Outlawz wurde dann nur zwei Monate nach Tupac in New Jersey erschossen. Sollte andere etwas mitbekommen haben, dann schweigen sie.
Noisey: Ist Kendrick Lamar der neue Tupac?
Du brauchst dir nur „Hit ‘Em Up” anzuhören—seinen Song, der bezeichnend für seinen Beef mit Biggie war—um dich daran zu erinnern, dass die Liste seiner Feinde zum Zeitpunkt seines Todes unglaubliche Ausmaße angenommen hatte. Im gleichen Track disst er auch den Rest von Bad Boy und Chino XL, in „Bomb First (My Second Reply)” macht er sich über Jay Z, Mobb Deep und Nas lustig. In „Against All Odds” bezeichnet er Dr. Dre als schwul, den gefürchteten New Yorker Hustler Haitan Jack als Spitzel und schießt obendrein noch verbal gegen Puffy und Nas (schon wieder).
Bei allen herrschenden Unklarheiten halten sich sieben rivalisierende Theorien ziemlich hartnäckig—einige davon sind glaubhafter als andere—und alle können mit unterschiedlichsten Verwirrungen, Twists und Annahmen zur Skepsis aufwarten.
Sie lauten wie folgt:
Die „Occam’s Razor”-Theorie
Der Killer war der inzwischen verstorbene Orlando „Baby Lane” Anderson—ein Crips-Mitglied von der Southside, der nach dem Tyson-Kampf von Tupac und Death Row in der Lobby des MGM-Grand-Hotels zusammengeschlagen wurde. Das ist die einfachste Lösung eines unglaublich komplizierten Problems.
Über die Jahre hinweg hatte ich diverse Unterhaltungen mit Rappern, die nachweisbar Verbindungen zu den Bloods und Crips in South Central und Compton hatten. Natürlich will niemand offiziell etwas sagen, aber die meisten von ihnen glauben, dass die Ermordung zum Teil von Anderson angeleiert worden war. Anderson war auch der Hauptverdächtige in Tupacs Mordfall, bevor er 1998 dann selbst umgebracht wurde.
In einem All Hip-Hop Interview von 2013 schob der legendäre DJ Quik den Mord Travon Lane in die Schuhe, einem Bloods-Mitglied und Death-Row-Partner. „Dem feigen Wichser haben sie seine Kette geklaut und dann hat er Tupac da mit reingezogen”, sagte Quik und impliziert damit, dass Orlando Anderson oder seine Kumpels Lane beklaut hatten. Laut Quik war es Lane, der dann Suge und Tupac gegen Orlando Anderson aufgehetzt hatte, um ihn zu rächen. Anderson lief dann angeblich Knight und Tupac später auf dem Strip wieder über den Weg—nur dieses Mal schwer bewaffnet. „Travon Lane war ein Bully, ein kleiner Anstifter”, fügte Quik hinzu. „Es ist immer der, der überhaupt nichts gemacht hat, der das ganze Kartenhaus zum Einsturz bringt.”
Die Story hat jedoch Löcher. Trotz des verbreiteten Glaubens daran, dass Anderson und die Crips von der South Side hinter dem Mord stecken, fehlte es der Polizei von Los Angeles und von Las Vegas an ausreichendem Beweismaterial, um Anderson für das Verbrechen anzuklagen. Und auch als Anderson 1998 ermordet wurdet, sah die Polizei keinerlei Verbindungen zu Shakurs Tod.
Die „Gangsta Rap Made Me Do It”-Theorie
Suge Knight und sein Anwalt David Kenner schmiedeten den Plan, Tupac zu töten, damit der Death Row Records nie verlassen und Knight die Kuh bis in alle Ewigkeiten melken kann.
„Meiner Meinung nach handelt es sich bei dem Schützen um den, von dem jeder denkt, dass er es getan hat, nämlich Orlando Anderson”, meint Randall Sullivan, der Autor des sorgfältig dokumentierten Buches LAbyrinth, in dem die Verbindung zwischen den in Ungnade gefallenen Rampart-Polizeibeamten und dem Tod von Notorious BIG aufgearbeitet wird.
„Wenn er es nicht getan hat, dann einer seiner Verbündeten. Und die Beziehungen zwischen Anderson und Knight spielen da auch mit rein. Außer Suge hatte doch niemand ein Motiv, Tupac zu töten.”
Die Beziehung zwischen Anderson und Knight beruht vor allem auf den Spekulationen, warum Anderson bei Suge Knights Bewährungsanhörung im Zeugenstand plötzlich eine ganz andere Geschichte erzählte—worüber auch der Guardian berichtete. Als er zuvor von Polizeibeamten aus Las Vegas verhört wurde, behauptete Anderson noch, dass Knight ihn an diesem Abend im MGM-Hotel brutal verprügelt hätte. Vor Gericht machte er dann jedoch plötzlich folgende Aussage: „Ich habe Suge als Einzigen sagen hören, dass die anderen Typen mit der Scheiße aufhören sollen.” Später kamen dann Gerüchte auf, dass Anderson von Knight bezahlt wurde, damit er seine Aussage ändert.
Die Theorie besagt, dass Knight Tupac aus Rache umbringen ließ, weil der Death Row Records verließ. Und in LAbyrinth wird aufgedeckt, dass Shakur kurz vor seinem Tod den Death-Row-Anwalt David Kenner entlassen hatte und dazu noch Pläne hegte, sein eigenes Plattenlabel zu gründen. Wenn er ihn auf dem Höhepunkt seiner Karriere um die Ecke bringt, dann wäre Knight theoretisch der Hauptnutznießer von Tupacs unumgänglicher posthumer Berühmtheit—und genau so kam es schließlich auch.
Aber trotz seiner maßlosen Selbstüberschätzung hat es trotzdem noch nie Sinn ergeben, warum Knight einen Mord in Auftrag gegeben haben sollte, bei dem er neben der Zielperson im Auto sitzt. Und schließlich hatten sich ihm vorher schon viele andere Möglichkeiten geboten, Tupac umzubringen—bei denen auch viel weniger Augenzeugen als bei einem Boxkampf in Las Vegas anwesend waren.
„Diese Theorie wird immer damit entkräftet, dass sich Knight mit im Auto befand, als Tupac erschossen wurde. Wenn man sich jedoch mal den Polizeibericht durchliest, dann erkennt man schnell, dass die Kugeln aus einem Winkel abgefeuert wurden, bei dem eigentlich nur Tupac getroffen werden konnte”, meint Sullivan weiter. „Kein Schuss kam auch nur in die Nähe von Night”—der übrigens laut Zeitungsberichten von damals nur von Kugelfragmenten gestreift wurde.
Die „You’re Nobody Till Somebody Kills You”-Theorie
Biggie oder einer seiner Vertrauten war am Abend des Boxkampfes in Las Vegas zugegen und beauftragte die Crips („My team in the marine blue” aus seinem Lied „Long Kiss Goodnight”) damit, Tupac zu töten. Diese Theorie wurde vom ehemaligen LA Times-Journalisten Chuck Phillips aufgestellt, ist dann jedoch in Verruf geraten, weil man die damals als Grundlage dienenden FBI-Dokumente als Fälschung entlarvte.
Die „Feds Watching”-Theorie
Das FBI war wie versessen darauf, radikale schwarze Rapper zu eliminieren, und ordnete deshalb den Mord an.
Ich habe mich ausgiebig mit John Potash, dem Autor von The FBI War on Tupac Shakur and Black Leaders unterhalten. Zwar trug er mir seine Argumente schlüssig und deutlich vor (Shakurs Mutter und seine Verbündeten bei den Black Panthern wurden von FBI-Beamten bespitzelt, Haitian Jack und Jimmy Henchman waren angeblich FBI-Informanten und bereiteten den Untergang Tupacs vor, Politiker hassen Rapper etc.), aber es ist dennoch ziemlich unwahrscheinlich, dass die US-Regierung einen ernsthaften Beweggrund hatte, einen Mordkomplott gegen Tupac durchzuführen—und das Ganze dann in Zeiten von WikiLeaks und Edward Snowden geheim zu halten.
„Ich halte die FBI-Verschwörungstheorie genauso glaubwürdig wie die Leute, die behaupten, dass Tupac noch lebt”, meint Sullivan und hakt die Sache damit ab.
Die „Murder Rap”-Theorie
Für die Ermordung von Suge Knight und Tupac Shakur bekam Duane „Keffe D” Keith Davis von Sean „Puff Daddy” Combs eine Million Dollar. Davis behauptet dazu noch, dass sein Neffe Orlando Anderson von Theory Number One ebenfalls zu den Schützen gehörte. Diese Theorie wurde von Detective Greg Kading in seinem 2011 veröffentlichten Buch Murder Rap aufgestellt. Reggie Wright Jr., der ehemalige Security-Chef von Death Row, lobte Kadings Polizeiarbeit, die vor allem auf einem im Jahr 2008 aufgenommenen Geständnis von Davis beruht. Combs Vertreter ignorierten zwar unsere Bitte um eine Stellungnahme, aber in einer E-Mail an die Zeitung LA Weekly bezeichnete er die Anschuldigungen als „rein fiktiv und komplett lächerlich.”
Die „Island in the Sun”-Theorie
Tupac lebt und versteckt sich auf Kuba oder irgendeiner anderen tropischen Insel—womöglich zusammen mit Elvis. Suge Knight hat kürzlich ebenfalls behauptet, dass Tupac noch lebt, und alle paar Jahre taucht ein neues Foto eines Tupac-Doppelgängers auf (hier zum Beispiel auf der Bourbon Street oder hier bei einem Basketball-Spiel). Dazu ist er jetzt auch noch in Kendrick Lamars Träumen aufgetaucht, um zu erklären, für was die Yams stehen. Aber so toll es auch wäre, wenn Tupac wirklich noch leben würde, so ist es leider auch schon eindeutig bewiesen worden, dass er wirklich verstorben ist—seine Outlawz-Crew behauptet sogar, dass sie seine Asche weggeraucht haben.
Die „Russell Poole”-Theorie
Falls du gerade irgendwo unterwegs bist und diesen Artikel auf deinem Smartphone liest, dann solltest du dich jetzt besser hinsetzen. Diese Theorie wird ebenfalls in LAbyrinth angesprochen und im kürzlich erschienenen Buch Tupac 187: The Red Knight von Richard „RJ” Bond und Michael Douglas Carlin weiter ausgeführt (darin kommt auch Poole selbst zu Wort).
Bei Russell Poole handelt es sich um den ausgezeichneten LAPD-Detective, der Ende der 90er Jahre eine entscheidende Rolle bei der Aufdeckung des Rampart-Skandals gespielt hat—dabei kamen die schwerwiegenden Vergehen in den Reihen der „Community Resource Against Street Hoodlums”-Einheit (CRASH) ans Tageslicht. Bei seinen Nachforschungen fand Poole auch heraus, dass LAPD-Beamten außerhalb ihres Dienstes in der Security-Abteilung von Death Row Records arbeiteten—viele dieser Beamten hatten Dreck am Stecken und waren direkt in kriminelle Machenschaften involviert.
Poole ist der unbeabsichtigte Held von LAbyrinth. Er ist derjenige, der Sullivan Zugang zu Tausenden streng geheimen Akten verschafft hat. Er ist auch derjenige, der gezwungen wurde, seinen Posten beim LAPD aufzugeben, nachdem seine Vorgesetzten alle Hebel in Bewegung gesetzt hatten, um seine hartnäckigen Ermittlungen zu behindern. Er erinnert an eine Mischung aus Captain Ahab, Philip Marlowe und Matthew McConaughey am Ende von True Detective. Zwar wurden auch schon Zweifel an seinen Schlüssen geäußert, aber gegen seine Ehrlichkeit und Integrität hat noch nie jemand etwas gesagt. Und jetzt meint er zu wissen, wer Tupac getötet hat.
Laut Poole kam der erste Durchbruch in diesem Fall im Jahr 2013, als er einen Anruf von Chris Blatchford bekam, einem Enthüllungsjournalisten von Fox, der vor allem durch seine Reportagen über die mexikanische Mafia berühmt wurde. Blatchford machte Poole auf einen nie weiter verfolgten Hinweis aufmerksam, von dem er bereits seit 1998 wusste: Ein Geständnis, das von Malcolm Patton stammen soll—einem von Tupacs vermeintlichen Mördern.
Angeblich diktierte Patton den Schrieb der Schwester von Robert Soria, einem von Blatchfords langjährigen Knast-Informanten. Der gab ihn dann an den Journalisten weiter. In dem Brief behauptet Patton, dass er zusammen mit seinem Bruder Danny und Donald Smith (zu ihm kommen wir gleich) den Anschlag auf Tupac verübte und dass sie die Infos bezüglich Tupacs und Suge Knights Aufenthaltsort von Reggie Wright Jr., dem Security-Chef von Death Row, erhielten. Es heißt dann noch, dass die Tatwaffe in einem Sicherheitshäuschen von Fox 11 abgegeben wurde (ein Fox-11-Sprecher meinte in einem Telefongespräch mit VICE, dass besagte Waffe nie bei Fox gelandet wäre).
„Eigentlich hat Blatchford diesen Hinweis nie zurückgehalten”, erzählt mir Poole am Telefon. „Er hat ihn gleich an die Polizei von Las Vegas weitergegeben, aber die haben ihn quasi ignoriert.” Unsere E-Mails und Anrufe wurden von Blatchford nicht beantwortet. Man muss allerdings auch immer im Hinterkopf behalten, dass Patton sein Geständnis nur diktiert hat. Somit ist es möglich, dass Soria und seine Schwester sich die ganze Sache nur ausdachten. Deswegen haben wir auch versucht, Patton zu kontaktieren. Als wir nach einem Malcolm Patton mit einem Bruder namens Daniel suchten, stießen wir auf zwei mögliche Telefonnummern. Beide waren nicht mehr gültig.
Laut dem Geständnis des angeblichen Schützen (das übrigens im Buch The Red Knight gelesen werden kann) war die Schießerei in Las Vegas ein geplanter Königsmord an Suge Knight und Tupac Shakur.
Poole ist inzwischen überzeugt davon, dass die Drahtzieher des Anschlags Sharita Knight und Reggie Wright Jr. waren. Da sich Knight gerade von ihrem Ehemann Suge scheiden ließ, glaubt Poole, dass Sharita und Wright Jr. den Mordplan ausheckten, um sich Death Row Records unter den Nagel zu reißen—irgendwie erinnert das Ganze and die Handlungen von Hamlet oder MacBeth.
„Die Scheidung war noch nicht ganz durch und wäre Suge bei dem Anschlag ums Leben gekommen, dann hätte seine Noch-Ehefrau quasi alles bekommen”, erklärt Poole. „Also hat sie sich an Wright Jr. gewendet, der Death Row während Suges Gefängnisaufenthalt leitete.”
„Wright Jr. ist die ganze Zeit damit davongekommen”, fährt Poole fort. „Dem ehemaligen LA Times-Journalisten Chuck Phillips wurden dann ja auch noch Hunderte, wenn nicht sogar Tausende falsche Hinweise zugespielt.” Hier muss man allerdings erwähnen, dass das alles nur Vermutungen sind.
Und jetzt wird Pooles Theorie immer komplizierter und bizarrer. Laut Poole und dem Geständnis handelte es sich bei den drei Schützen um die Brüder Malcolm und Danny Patton sowie Donald Smith, ein Crips-Mitglied aus Long Beach. Smith ist auch unter seinem Rap-Alias Lil ½ Dead bekannt, hat damals Mitte der 90er Jahre zwei Alben veröffentlicht und stand mit Death Row in Verbindung.
Laut Pooles Theorie hatte Lil ½ Dead auch ein eigenes Motiv, Tupac zu töten. Man sagt, dass Lil ½ Dead 1991 als Teenager zum ersten Mal auf den damals 20-jährigen Tupac traf, als dieser gerade sein Debut-Album aufnahm. Lil ½ Dead soll dem aufstrebenden Rapper dann sein Demo-Tape gegeben, aber anschließend nie wieder etwas von Tupac gehört haben. In dem Geständnis heißt es, dass dieses Demo-Tape auch das Lied „Brenda’s Got a Baby” enthielt, das Tupac dann einfach geklaut haben und zu seiner ersten Hit-Single gemacht haben soll.
Ob man diese Geschichte nun glauben mag oder nicht, sie ist trotzdem locker in den Top-5 der fesselndsten Mord-Verschwörungstheorien aller Zeiten—neben der „Magic Bullet”-Theorie um John F. Kennedy und der Gift-Theorie um Kleopatra.
Wenn jemand anderes als Poole mit diesen Vermutungen angekommen wäre, dann hätte man sie sofort als viel zu realitätsfremd eingestuft. Und es gibt auch guten Grund, dem Ganzen erstmal skeptisch gegenüberzustehen: Zum einen hatte die ganze Sache für keinen der Hauptverdächtigen dieser Geschichte irgendwelche Konsequenzen und zum anderen ist es fast unvorstellbar, dass Lil ½ Dead jemals einen so guten Song wie „Brenda’s Got a Baby” geschrieben hat—ganz zu schweigen davon, dass Tupac ihn dann für sich beanspruchte (Lil ½ Dead wollte für diesen Artikel übrigens nicht interviewt werden). Aber Pooles guter Ruf ist dennoch ausreichend, um sich ernsthaft mit der Theorie auseinanderzusetzen.
„Poole ist ein beeindruckend guter Polizist”, meint Perry Sanders, der Anwalt, der die Familie von Christopher Wallace (alias the Notorious BIG) in der unberechtigten Mord-Klage gegen die Stadt Los Angeles vertrat. „Natürlich wurde er zwar vom Biggie-Fall abgezogen, aber seine Polizeiarbeit war trotzdem solide, intuitiv, gut durchdacht und von Fakten getrieben.”
„Ob ich seinen Schlüssen vollends zustimme? Nein”, fährt Sanders fort. „Aber er hat ohne Zweifel gute Arbeit geleistet—und das auf eigene Faust. Alle anderen Ermittlungen in diesem Fall hatten entweder gewisse Vorgaben oder die falschen Beweggründe.”
Wright Jr. (der auf unsere E-Mails nicht antwortete) bestreitet Pooles Anschuldigungen. In einem Interview in der LA Weekly äußerte er sich bezüglich seiner Beteiligung an Tupacs und Biggies Morden folgendermaßen: „Nichts davon ist wahr. Die Sache mit Biggie ist mir relativ egal, aber wenn man solche Anschuldigungen im Bezug auf jemanden hört, den man als Freund angesehen hat, dann tut das weh.” Der Sohn eines Polizeibeamten aus Compton beschrieb sich dann selbst als verheirateten Kirchgänger und Diakon, der einfach nur ein normales Leben leben und seine Rechnungen bezahlen will. „Clubs interessieren mich nicht mehr.”
Im gleichen Interview äußerte sich Wright Jr. dann noch positiv zu der Theorie von Detective Kading. Allerdings hat er seine Entscheidung, die Security-Mitarbeiter von Death Row in der verhängnisvollen Nacht anzuweisen, keine Waffen bei sich zu tragen (so steht es in LAbyrinth), niemals wirklich überzeugend begründen können. Auch wenn sich Suges Anwälte aufgrund von fehlenden Genehmigungen gegen das Tragen von Waffen in Las Vegas ausgesprochen haben, ist es trotzdem fast unvorstellbar, dass der Security-Chef der berüchtigsten Rap-Crew aller Zeiten seinen Mitarbeiter befahl, unbewaffnet herumzulaufen—vor allem nachdem sie vorher in aller Öffentlichkeit ein Crips-Mitglied zusammengeprügelt hatten. Eigentlich muss da ja schon fast etwas Größeres in Planung gewesen sein, denn in LAbyrinth heißt es auch, dass die gesamte Death-Row-Crew nach dem Vorfall im MGM-Hotel noch mal bei Suge Knights Zuhause vorbeischaute, bevor es dann Richtung 662 Club ging (Tupac wurde auf dem Weg dorthin erschossen). Dort hätten sie sich also theoretisch noch mit Waffen ausstatten können.
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Eine Sache ist jedoch klar: Tupac Shakurs Tod ist jetzt schon fast 20 Jahre her und es erscheint quasi unmöglich, dass der wahre Mörder irgendwann noch verurteilt werden wird. Die Suche nach Klarheit und einem Abschluss der ganzen Geschichte wird wohl nie enden. Abgesehen von den Familien der Opfer haben die meisten Involvierten schon akzeptiert, dass die Verantwortlichen des Mordes mit großer Wahrscheinlichkeit nie geschnappt werden. Und die Polizei schien die Wahrheit von Anfang nicht wirklich zu interessieren.
In den vergangenen Monaten hat Poole eine Kampagne gestartet, mit der die Polizei von Los Angeles dazu gebracht werden soll, neue Untersuchungen anzustellen. Sein verbissener Eifer ist fast schon inspirierend. Egal ob er mit seiner Theorie nun richtig oder falsch liegt, er weigert sich auf jeden Fall aufzugeben, bis er eine Antwort gefunden hat. Und da immer weniger Menschen in den Fall involviert sind, ist er wohl selbst der Einzige, der das Rätsel noch lösen kann. „Wenn hier Elvis Presley oder Frank Sinatra ermordet worden wären, dann hätte man schon längst einen Tatverdächtigen verhaftet”, meint Poole. „Dieser Fall kann definitiv gelöst werden, die Polizei muss sich bloß mal richtig damit beschäftigen. Die Hinweise sind doch eindeutig. Das ist einfach nur ein Hohn auf die Gerechtigkeit.”