Ein Fasnachtswagen schmückt sich mit ertrinkenden Flüchtlingen

Zu Beginn jedes Jahres spaltet sich die Schweiz in zwei unterschiedliche Zeitzonen: Während die einen sich dem Winterblues ergeben, machen Gegenden in der Ost- und Zentralschweiz sowie in Basel einfach ihre eigene, fünfte Jahreszeit. Alkoholexzesse, Narrenfreiheit und absichtlich schlecht spielende Musikorchester, weitläufig als Fasnacht bekannt, teilen die Schweiz vielleicht sogar mehr als der Röstigraben. Leute aus den vornehmlich reformierten, fasnachtsfremden Regionen, die den albernen Kostümen und der Narrenfreiheit nichts abgewinnen können, haben jetzt möglicherweise einen weiteren Grund, sich dem Winterblues zu ergeben.

Auch im thurgauischen Aadorf fand am Sonntag einer dieser beliebten oder eben gehassten Fasnachtsumzüge statt. Und weil ein Umzug, der etwas von sich hält nicht ohne Motto daherkommt, gab die Umzugsleitung teilnehmenden Wagenbauern und Guggenmusikern das Thema “Multikulti” als kreative Anregung mit. Kein Problem für die Dietschwiler Wagenbauer “Hülsnerbuben”: Sie liessen ihrer fasnächtlichen, vielleicht nicht ganz nüchternen Kreativität freien Lauf und schmierten auf ein Transparent ihr diesjähriges Motto “Asylparadies Schweiz”, wie die Ostschweizer Zeitung Tagblatt berichtet. Und weils so gut zum Thema passt, wurde die Bar gleich auch noch “Asylbar” genannt und daneben ein Schild mit “Einwanderungsbehörde” hingepackt. Um auch wirklich sicherzugehen, dass das Motto erfüllt wird, bemalten die Fasnächtler eine Blache mit einem sinkenden Boot und schwarzen Händen von offensichtlich ertrinkenden Menschen. Ein anderes Kunstwerk zeigt ein stilisiertes Smartphone mit der Aufschrift “Gratis Handy”. Ist das noch Narrenfreiheit oder kann das weg?

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Alles halb so schlimm, meinen die Hülsnerbuben: “Wir meinen das Ganze satirisch und sind weder rechtsradikal noch radikal”, sagten sie gegenüber dem Tagblatt. Weniger witzig findet der Gemeindepräsident von Kirchberg, der Gemeinde, zu der auch Dietschwil gehört, die Aktion. Er bezeichnet den Wagen als geschmacklos und möchte die Lausbuben zu einem Gespräch zitieren. Auch der Hauptsponsor des Wagens, ein örtlicher Restaurantbetreiber, kann den Witz an der Sache nicht finden und hat angekündigt, sein Werbebanner selbsthändig vom Wagen zurückzuholen. Keine Stellung möchten die Verantwortlichen des Aadorfer Umzugs zum Wagen nehmen, sie seien nur für die Sicherheit der Gäste, nicht aber für die Wagen verantwortlich. Dominic Kellenberger vom “Sprengkommando”, den Organisatoren eines anderen Umzugs, an dem die Dietschwiler Hülsnerbuben mitmachen wollen, sieht im Motto “Asylparadies Schweiz” kein Problem: “Wir hatten schon in früheren Jahren solche politischen Mottos”, sagte er dem Tagblatt. Tatsächlich ist politische Satire an Fasnachtsumzügen nicht unüblich. Am letztjährigen Basler Morgenstreich fanden sich aufwendige Wagen zu aktuellen politischen Themen wie Trump, Brexit und Skandalen in der Lokalpolitik. Alles Witze, die nach der Logik gehen “nach oben treten, aber niemals nach unten” – ein Grundsatz, den die Hülsnerbuben anscheinend nicht kennen.

Eines mögen Fasnächtler aber am allerwenigsten: Regeln in der Zeit der Narrenfreiheit. Als die Fasnachtsumzüge im St. Galler Rheintal und Liechtenstein für dieses Jahr Musikanlagen an den Wägen verboten, war der Spass für die Wagenbauer vorbei und nicht wenige drohten, zu Hause zu bleiben. Möglich, dass auch die Hülsnerbuben bei anderen Umzügen zu Hause bleiben müssen, wenn sich die Veranstalter auch nur einmal fragen: “Ist das wirklich noch Satire?”. Ein paar geschmierte Transparente von ertrinkenden Flüchtenden auf einem billigen Holzwagen lassen sich auch mit hartem Schnaps nicht schöntrinken.

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