Sagen wir, wie es ist: Im Internet überwiegt der Hass. Ein Blick in die Kommentarfelder von YouTube oder Facebook reicht da meist schon, um den Glauben an das Gute auf dieser Welt täglich aufs Neue zu verlieren. Das ist doch scheiße. Also konzentrieren wir uns lieber auf die schönen Seiten im Leben, die absolut wunderbaren Dinge, die unseren Alltag bereichern, uns zum Lächeln bringen. Dinge, die wir verdammt nochmal lieben. Da vor allem Musiker und Musikerinnen online oft die volle Wucht der Missgunst zu spüren bekommen, geben wir ihnen hier die Möglichkeit, dem Hassklima mit einer großen Ladung reiner Liebe die Stirn zu bieten. Wir geben ihnen einen komplett freien Raum, in welchem sie ihre Liebe zu einer Person, einer Sache, einem Gefühl, einem Was-auch-immer in selbst gewählte Worte fassen können.
3Plusss macht den Anfang. Wir präsentieren: Ein Liebesbrief von 3Plusss an Tua.
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„September 2009. Ich besuche die 13. Stufe eines Gymnasiums und bin auf Abifahrt in Südfrankreich. Also in 12 Stunden. Aktuell sitze ich noch im stickigen Reisebus und fummel mich durch meinen iPod auf der Suche nach Musik, die ich laut und fest genug hören kann um das allgemeine Gebrabbel zu übertönen. Die ersten Mischen gehen rum, ich nippe, nippe, leere den ersten Becher, den zweiten und schon werde ich etwas schläfrig. Mein iPod liegt immer noch rum, meine Wahl fällt mir nun leichter. Grau von Tua hatte ich schon seit Wochen drauf, weil ich in irgendwelchen Foren überenthusiastische Kommentare zu dem Album las. Damals war das ja noch nicht so mit dem Streaming. Also hab ich mir das irgendwo gerippt und es wochenlang verschimmeln lassen. Zugegeben: Das Cover und der Titel sehen für jemanden, der gerade im Bus Richtung Sonne fährt nicht gerade vielversprechend aus. Aber noch sind wir ja im schmutzig verregneten Essen und es klatscht so doll an die Scheibe, dass ich nur Umrisse draußen erkennen kann. „Ohje”, murmele ich mich vor mich hin, als ich sehe, dass der erste Track des Albums „Es regnet” heißt. Das kann ja heiter werden.
Knapp eine Stunde später ist mein Kopf gefickt. Was zur Hölle habe ich da gerade gehört? Was war das bitte für ein wahnsinniger Ritt? Scheiße, ist das alles wirklich so passiert, wie er das erzählt? Mann, der Typ wirkt auf mich nicht wie jemand, der sich sowas ausdenkt. Wow. Kacke. Und Alter … Was für Beats? Wer baut solche Beats?
Ich komme aus dem Fragen nicht mehr raus. Bin ich schon angetrunken oder war das gerade echt so gut? Ich stupse meinen Sitznachbarn an, der auch gerne Rap hört, halte ihm einen Kopfhörer hin und frage „Kennst du Tua?”. „Sagt mir was”, sagt er und nimmt zögerlich an. Also nein. Ich schmeiße „Bilder” an, kommentiere mit „Achte!” und beobachte seine Reaktion. Aber da ist nix. Mitten im zweiten Part gibt er mir den Kopfhörer wieder und sagt „Ja, ist schon krass … Aber hast du schon Jung, brutal, gutaussehend gehört?”. Was für eine Missgeburt. Ja, hatte ich gehört und ja, fand ich auch krass (sorry, ich war knapp 18 Jahre alt).
Trotzdem: Alles was ich vorher an Rap gehört hatte, verlor an jenem Tag ein Stück Bedeutung. Hier hat nicht jemand einen krassen 16er gekickt oder einen geilen Beat gepickt oder eine coole Platte gemacht. Hier saugt mich ein Teufelskerl in sein Universum mit einer komplett eigenen Soundästhetik, die fernab von allem ist ,was ich kenne. Ich kann nicht sagen, was genau mich so gepackt hat. Er rappt ganz offensichtlich wie ein junger Gott, ohne zu müssen, ohne irgendwem etwas beweisen zu wollen, einfach nur, weil er es kann. Muss. Es klingt so gottverdammt natürlich, leichter als Atmen. Tua singt, ohne dass ich Ekelpelle bekomme und bildet stimmlich eine perfekte Symbiose mit seinen EIGENEN Produktionen (ja, der produziert auch noch selbst, verdammte Scheiße!), die an den richtigen Stellen HipHop sind und sich an anderen in Drum’n’Bass und weiß der Herrgott alles verlieren. Ist auch scheißegal. Am Ende ist das alles EINS. Da passt nirgendwo ein Blatt Papier zwischen. Die Frage nach irgendwelchen Genres würde ich mir erst Jahre später stellen, nur um das auch ganz schnell wieder sein zu lassen. Wie gesagt, scheißegal. Und diese Inhalte. Grundgütiger. Wie erzeugt man so einen Vibe? Ich muss rauchen. Und nochmal hören.
Während der zehn Tage Südfrankreich ist dieses Album mein Soundtrack. Ich genieße jede Fahrt, die wir mit dem Bus haben, um aus dem Fenster zu schauen und Tua zuzuhören, immer wieder neue Kleinigkeiten für mich zu entdecken und zu feiern. Zwischendurch natürlich katastrophenartiges Besaufen und Rumgammeln am Strand wie ein fetter Wal. Aber ich freue mich auch immer wieder auf die ruhigen Momente mit Musik. Das war alles so komisch vertraut. Einmal setzte sich eine Freundin neben mich und fragte mich „Was hörst du denn da die ganze Zeit?”. Ich gab ihr einen Kopfhörer, nach einem halben „In den Himmel” gab sie ihn mir zurück und sagte „Das ist ja voll traurig!”. Oh Gott. Ich beschloss, auch mit ihr nie wieder über Musik zu reden. Was für Spasten!
Ich war vorher nie der melancholische Typ oder hatte vielleicht einfach nur keinen Zugang dazu. Ich sprach nicht gern über Gefühle und machte auch aus meiner teilweise schwierigen Vergangenheit nie ein Thema. Ich habe viel Scheisse gebaut, sowohl Zuhause als auch draußen. Details würden den Rahmen sprengen. Es geht um Tua. Und Tua gab mir einen Ausdruck. Frage mich nicht, was ist, höre das. Ich kann es dir nicht erklären, ich kann es dir nur zeigen. Manche Seiten in mir haben bis Grau niemals Sonne gesehen. Vieles sah ich nach dieser Platte zum ersten Mal in einem anderen Licht.
In den folgenden Jahren habe ich alles aufgesaugt, was Tua fabriziert hat. Und egal, in welche Richtung er gegangen ist, ich konnte ihm immer folgen. Er ist sein eigener roter Faden und muss mich nirgendwo abholen, ich komme zu ihm. Stevia hatte 2014 mit „Edward Hopper” meinen Lieblingssong des Jahres, meinen Horizont erweitert und mir gezeigt, wo ich für mich gerne hinwill: Bilder. Der Rest ist mir mittlerweile so scheißegal geworden, rappen ist nicht die Kunst. Aber etwas so gut zu portraitieren, dass du es vor dir siehst, dass du jedes Mal die gleichen geilen Bilder vor Augen hast und jedes Mal Gänsehaut—das ist die Kunst. Ein Thema zu haben, ohne ein Thema zu haben.
Was Tua bis heute mit Worten macht, ist für mich nicht zu verstehen. Es gibt in meiner Wahrnehmung sehr Wenige in Rapdeutschland, bei denen es so klingt, als würden sich die Worte ihrem Willen biegen. Du hörst gerade einem guten Freund zu, der einen jahrelangen Run hat, jeder Gedanke flutscht, macht Sinn und inspiriert dich. Bringt dich verlegen zum Schmunzeln, beschämt dich. Worte als Waffe. Das ist für mich bis heute die Königsdisziplin des Schreibens und ich liebeliebeliebe es, wenn ich, grundsätzlich egal in welchem Genre, auf jemanden stoße, der das perfekt beherrscht. Wenn jemand weiß, wo er hinwill. Der könnte es mir vielleicht auf 1000 Seiten immer noch nicht erklären, aber er kann es mir zeigen. Perfekt. Mach einfach und lass mich zuhören.
Bis heute steigen Menschen stark in meiner Gunst, wenn sie Tua feiern. Und bis heute blicke ich verächtlich und mit Abstand auf Leute, die irgendwas bemängeln. Du kannst diese Musik nicht erklären, es packt dich oder eben nicht, das ist die Scheiße / das Gute. Aber ich glaube, dass es viel über deinen Horizont und deinen Geschmack und deine emotionale Intelligenz aussagt, wenn du das irgendwie scheiße findest. Klar, jeder wie er will, aber komm schon. Meinung hat auch Grenzen, du Spast.
Hin und wieder zeige ich dennoch ein paar Ahnungslosen Musik von ihm und habe jedes Mal das Gefühl, als ob man zusammen eine richtig starke Serie anfängt. Ich bin ein bisschen aufgeregt und hoffe, dass da jemand jetzt genau das gleiche Gefühl hat wie ich, als den Magga für mich entdeckt habe. Passiert zwar selten, aber die Dankbarkeit bei den wenigen Experten ist unbezahlbar. Du fandest die Folge also krass, hm? Scheiße, da warten so krasse Staffeln auf dich! Und was würde ich geben, das nochmal ganz von vorn und unvoreingenommen zu schauen. Hach.
Ich glaube, das Problem von deutschem Rap ist bis heute, dass nichts gefühlt wird. Es wird verstanden, rational erklärt, es wird argumentiert und toll veranschaulicht. Sei es in der Diskussion darum, wer denn nun der King / Kaiser / Gott ist oder auch nur, wer in welchem Beef die Oberhand hat. Die jungen Raphörer zählen Silben vorm Schlafengehen, aber können keinen geraden Satz bei YouTube schreiben. Die deutschdeutsche Bürokratie zieht sich auch durch die Musik, insbesondere Rap. Füll den scheiß Antrag aus. Du musst erstmal dues payen und zehn Schritte auf die Leute zugehen, bevor sie einen in deine Richtung machen. Du musst auf deiner To-Do Liste erstmal ein paar Kreuze im Pflichtbereich machen, bevor du dir eventuell eine Freiheit herausnehmen darfst. Du musst, du musst, du musst. Der Erste, der irgendwas aus Amerika klaut, wird als Pionier gefeiert (immer so drei Jahre nach den USA) und auch seine fünf5 Klone können noch ein paar Krümel vom Kuchen abhaben. Zumindest ein Jahr oder zwei, dann sind sie weg und keiner spricht mehr über die Totgehypten.
Im deutschen Rap ist kein Platz für Leute wie Tua. Man möchte nicht gefordert, sondern verwöhnt werden. Bitte entwickle dich bei jedem deiner jährlichen Alben nur so weit weiter, dass du keinen deiner alten Hörer vergraulst. Und, oh Gott, entferne dich nicht von Rap! Ein Song geht genau 8-16-8-16-8 Zeilen + 8 Zeilen Outro, halt dich dran! Wehe, deine Produktion klingt irgendwie befremdlich und stößt den Hörer erstmal vor den Kopf. Traue dich nichts. Sonst erwartet dich YouTube mit einem Dislike-Balken, Facebook mit hämischen Kommentaren und Amazon mit einer beschissenen Platzierung. Ein deutsches Rapalbum besteht grundsätzlich aus drei Singles und 12 Albumsongs, dabei mindestens vier Features, und behandelt von „Representer” bis „deep” alles. Vielseitigkeit und so. Die Fans erziehen sich die Künstler, obwohl es genau umgekehrt sein sollte, weil wir uns sonst ewig im Kreis drehen. „Man sieht nur, was man weiß” hat Goethe gesagt. „Man will nur, was man kennt” leite ich daraus ab.
Ich hasse diesen Standard und ich hasse alle, die sich krampfhaft daran halten. Das ist, als dürfte man nur zwei Meter groß werden. Leute wie Tua sind fünf Meter und wachsen noch. Aber weil sich 99 Prozent an die Zwei-Meter-Regel halten, geht ein Tua bis heute gebeugt und kann sich, nicht zuletzt wegen mangelnden Umsätzen aufgrund von Unverständnis und respektlosem Desinteresse der breiten Masse, nicht komplett ausleben, mit all seinen Ideen und Vorhaben. Das macht mich sauer. Ich würde gerne sehen, wie der Typ sich zuerst eine Goldene übers Klo hängt und DANN mal wirklich auf die Scheiße haut. Für mich nicht auszumalen, was passieren würde, wenn man Tua richtig an den Drücker lässt. Wir wären auf jeden Fall alle am Arsch. Wir haben in ihm einen Virtuosen gefunden, sowohl an den Produktionen, in den Texten, im Vortrag als auch in der gesamten Aufmachung. Tuas gesamte Diskografie ist ein waberndes, sich wandelndes und doch immer gleiches Lebensgefühl. Bittersüß.
Ich wünsche mir für 2017 nix außer ein neues Album vom schlechtgelaunten Bumsgesicht. Und dass er endlich annähernd die Anerkennung bekommt, die er verdient. An euch ganzen Internetottos, die unter jedes bekackte Video von irgendeinem Newcomer aus Buxtehude schreiben, „Der hat viel mehr Aufmerksamkeit verdient! Voll schade, dass andere gehypet werden!!!” und diese ganze Grütze … Eine Frage: KENNT IHR TUA? Seit über zehn Jahren am Start—auf unfassbarstem Level. Bevor hier irgendwer irgendwelche Lorbeeren bekommt, gehen die erstmal zu ihm. Und wenn er nett ist, bleibt noch was für eure Hypes 2017 / 2018 / 2019 über.
Für mich hat unsere Szene niemals etwas Größeres als diesen Typen hervorgebracht. Der letzte Output hat nur noch bedingt was mit Rap zu tun, aber seine Wurzeln hat er trotzdem dort.
Wir haben sehr viele Rapper, viele gute, ein paar sehr gute, wenige brilliante und so gut wie gar keine Künstler. Wir sollten uns alle entfernen, von Leuten, die etwas darstellen und uns denen nähern, die wirklich etwas sind. Nicht nur dahin schauen, wo am lautesten geschrien wird. Sonst entgeht den Meisten weiterhin, was für geniale Kleinkunst in irgendwelchen Hinterhofstudios oder gar Kinderzimmern zwischen Aschenbecher und Kaffeetasse geschaffen wird, mit minimalsten Mitteln, aber maximaler Leidenschaft und Liebe fürs Detail. Wenn ihr bis hierhin gelesen habt, ohne Tua zu kennen: Auf Spotify gibt es seit ein paar Wochen fast alles von ihm online.
Und hört endlich auf Musik über Handyboxen zu hören, ihr dummen Scheißkinder!”
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Gottkomplex von 3Plusss erscheint am 11. November. Du kannst es dir hier vorbestellen.