Ein Liebesbrief von Gerard an Mike Skinner

Sagen wir, wie es ist: Im Internet überwiegt der Hass. Ein Blick in die Kommentarfelder von YouTube oder Facebook reicht da meist schon, um den Glauben an das Gute auf dieser Welt täglich aufs Neue zu verlieren. Das ist doch scheiße. Also konzentrieren wir uns lieber auf die schönen Seiten im Leben, die absolut wunderbaren Dinge, die unseren Alltag bereichern, uns zum Lächeln bringen. Dinge, die wir verdammt nochmal lieben. Da vor allem Musiker und Musikerinnen online oft die volle Wucht der Missgunst zu spüren bekommen, geben wir ihnen hier die Möglichkeit, dem Hassklima mit einer großen Ladung reiner Liebe die Stirn zu bieten. Wir geben ihnen einen komplett freien Raum, in welchem sie ihre Liebe zu einer Person, einer Sache, einem Gefühl, einem Was-auch-immer in selbst gewählte Worte fassen können.

Heute erzählt Gerard (dessen neues Album AAA am 23. Juni erscheint) von seiner Liebe zu Mike Skinner von The Streets:

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Kennt ihr diese Momente, in denen ihr so richtig Lust auf gute Musik habt? Also nicht im Sinne von: “Ich muss von A nach B und dabei höre ich halt Musik X” oder irgendeine Playlist so nebenbei laufen lassen. Sondern wirklich so: Oh, genau JETZT will ich DEN Song hören oder genau DAS Album von A bis Z. Abtauchen, mich nur darauf konzentrieren. Genau diesen Song oder dieses Album zu machen, ist bei meiner eigenen Musik immer mein Anspruch.

Bei mir als Hörer gibt es da eine Handvoll Künstler, auf die ich in so einer Situation der absoluten Dringlichkeit nach Großartigkeit zurückgreife.

Ganz vorne dabei: The Streets bzw. Mike Skinner. Und das seit einer gefühlten Ewigkeit. Fünf Alben. Jedes klingt anders als der Vorgänger. Keine austauschbaren Songs wie so oft, wenn sich Künstler nur wiederholen und denselben Song 1000 Mal machen. Nicht so bei dir, Mike: Bei jedem Lied weiß man, auf welchem Album es sich befindet. Klar, da gibt es bessere und die nicht so geilen. Aber auch wenn ich mal aufs erste Hören nicht so angetan war von einem deiner Werke: dann musste ich mich erstmal reinhören und eigentlich immer entpuppten sie sich als Grower.


Mike Skinner hat auch schon die Rap-Szene des Heiligen Lands besucht:


Die Songtexte immer aus dem Leben: der Alltag, die kleinen Dinge des Lebens als Metapher für die ganz großen. Szenen, Dialoge, die erst nach mehrmaligen hören den doppelten Boden erkennen lassen. Oder aber sie bleiben auch einfach auf dem Boden, aber es ist ein verdammt schöner Boden.

Ein Mädchen aus England meinte mal zu mir, nachdem sie zuerst behauptete, keinen einzigen Rap-Act aus UK zu kennen: “Of course i know Mike Skinner, but he is not a rapper, he is a poet”

So sollte man über mich auch mal sprechen, dachte ich mir damals.

Dass Computers and Blues dein letztes Album war, stimmte mich überraschenderweise nicht mal besonders traurig. Ich respektierte total, dass du von Anfang an geplant hattest, nur fünf Alben unter “The Streets” zu releasen. Und da war ja kurz vorher noch dieses geile Mixtape, für das man irgendwelche Sachen im Supermarkt einscannen musste, um an den Link zu kommen.

Ich kann mich noch gut an eine Nacht bzw. einen Morgen kurz nach Erscheinen deines letzten Albums erinnern, als eine Handvoll Freunde nach dem Ausgehen bei mir auf der Couch landeten und wir von vorne bis hinten dein neues Album hörten. Einfach so. Ohne dabei zu sprechen oder sonst was. Da lagen wir also und lauschten deinen Geschichten. Zum letzten Mal. Aber das war OK: Du wolltest Filme machen oder andere produzieren. Und dann hört man halt auf. Das warst du. Real.

Auch das ganze Drumherum: der Lifestyle des “Geezers”. Mit Beat Stevie (ein Wortspiel mit Beats TV) hattest du deinen wunderbaren YouTube-Vlog. Wohlgemerkt in einer Zeit, in der das Wort “Vlog” noch gar nicht existierte und “influencer” noch kein Beruf war.

So war man also immer dabei, auf Tour oder im Backstage auf Festivals. Auch wenn dein eigenes Label “The Beats” (aka. “The hardest way to make an easy living”) nach kurzer Zeit wieder schließen musste (inkl. Begräbnis in der grandiosen Beat Stevie Folge 25) hattest du ein Händchen für die Stars von morgen: Ed Sheraan, Devlin, Example, Plan B, etc – die UK-Superstars von heute waren hatten alle legendäre Cameo-Auftritte in deinen Beat Stevie-Episoden.

Das Fazit, welches du damals nach der Labelschließung gezogen hast (“If you’re involved with music that isn’t your own music, then it has to be someone elses”) ist auch einer der Grundsätze beim Aufbau meines eigenen Labels Futuresfuture (Das heißt für mich: Signe keinen Künstler, der einen ähnlichen Sound wie man selbst macht)

Aber auch aus deiner Biografie (The Story of “The Streets”) habe ich mir viele Dinge gezogen: zum Beispiel, dass die letzten zwei Sätze einer Strophe die allerwichtigsten sind. Und falls man ein paar Monate an einem Song arbeitet ist das auch OK, schließlich erinnert man sich am Ende einer 10-jährigen Karriere ohnehin nur an eine Handvoll Songs.

Du warst immer der Realste. Der Typ von nebenan, der einfach nur geilen Scheiß macht. “Action speaks louder than words” sagst du auf meinem Lieblingslied von dir (vielleicht sogar meinem Lieblingslied überhaupt) “Turn the page”.

Einmal hab ich dich, als ich so 21 war, ein paar Meter entfernt auf einem Festival gerade aus einem Kleinbus aussteigen gesehen. Ich wusste gar nicht so richtig, wo ich anfangen soll, daher stand ich nur stumm da und habe geschaut. Ich bilde mir ein, du hast mir in die Augen geguckt, mir mein Fanboy-Dasein angesehen und nach einem kurzen Augenkontakt und Lächeln bist du tanzend in den Backstage verschwunden.

Es gibt eine Handvoll Künstler bei denen ich schon als junger Teenager immer wusste, dass ich mich mit ihnen blendend verstehen – ja sogar ein Freund werden würde – sollte ich sie jemals treffen. Bei vielen hat es sich mittlerweile tatsächlich bestätigt, nur bei dir war es mir bis jetzt leider noch nicht vergönnt. Aber lang kann es nicht mehr dauern:

Schließlich hast du meine Oma mit Sonnenbrille auf Snapchat angesehen. Und ein kleines Soundschnipsel meines Songs “The Streets” in meiner Insta-Story mit “ooooo” oder so kommentiert. Wie es dazu kam, weiß ich nicht. Ich denke, wenn jemand (=ich) seit einer Dekade immer einer der ersten Follower auf den neuesten Social-Media-Kanälen ist, klickt man denjenigen wohl einfach mal an.

Dass du unter “the darker the shadow, the brighter the light” seit Kurzem wieder solo Musik veröffentlichst, ist die beste Neuigkeit seit Langem. Liebe es unfassbar! (momentaner Lieblingstune: „Broken Hearted in the Sun”)

Bei deinem Vorgänger-Projekt “The D.o.t” konnte ich mich trotz intensiver Bemühungen mit der Stimme deines Partners leider nie anfreunden.

Apropos anderer Name: Irgendwie konnte ich nie ganz rausfinden ob du damals hinter “grafiti” gesteckt hast. Auch weiß ich gar nicht mehr, wie ich überhaupt darauf kam. “What is the Problem with you”, gab es da ein Video.

Oder ob es Absicht war, dass auf dem Artwork deines ersten und letztem Album in den Fenstern jeweils ein paar rote Lichter brannten.

Oder oder Oder.

Vielleicht magst du mir das alles mal erzählen.

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