Ein Literatur-Professor hat für uns die Texte von Casper, Schwesta Ewa und Torch analysiert

Seit sich das Feuilleton mit Straßenrap beschäftigt, Politiker öffentlich mit Rappern kommunizieren und HipHop Einzug in die Mainstreamkultur hält, stellen sich immer mehr und—vor allem—immer größere Fragen zu der Kunst des Rap. Zum Beispiel: Wie qualitativ hochwertig sind die Lyrics der Deutschrapper? Ist Torch der Messias? Fickt Schwesta Ewa lyrisch alle anderen Rapper? Und: Ist Caper wirklich die Stimme unserer Generation? Fragen über Fragen. Wir versuchen Antworten zu finden, indem wir einen Experten heranziehen.

Um herauszufinden, wie lyrisch gehaltvoll die Rap-Texte tatsächlich sind und wie beeindruckend die Reime sein können, haben wir das Urteil eines objektiven Außenstehenden gesucht und einen mehr als fähigen Experten gefunden, der sich bereitwillig mit den Texten unserer Lieblingsrapper auseinandergesetzt hat: Professor Doktor Sven Hanuschek ist Publizist und Professor am Institut für deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München und kennt sich ganz hervorragend mit Literatur und deutscher Sprache aus.

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Torch—„Blauer Schein“

Noisey: Was ist Ihnen besonders aufgefallen?
Professor Hanuschek: „Torch“ aus dem Englischen bedeutet ja Taschenlampe oder Fackel. Wenn man den Titel, „Blauer Schein“, noch dazunimmt, denkt man zuerst nicht an den Geldschein, der es dann ist, sondern an eine Taschenlampe, die ihren Schein verbreitet. Das ist eine Aufklärungsmetaphorik—selbst wenn es nur ein kleines Lichtchen einer Taschenlampe ist, ist es ja ein erhellendes Licht, das da aufscheinen soll. Und das hat der Text nicht wirklich eingehalten, er kam mir nicht ganz authentisch vor, muss ich sagen. Es ist so eine kapitalismuskritische Geste, die etwas überständig wirkt. Ich würde fast von Schlager sprechen, aber es ist natürlich keiner. Direkt am Anfang ist alles schon sehr allgemein gehalten: Da spricht der 100-Mark-Schein, sagt, wo er herkommt, wer seine Eltern und wer seine Opfer sind. Ich weiß nicht, von welchem Krieg da die Rede sein soll. Einen konkreten Anlass oder Leidensdruck kann man dem jedenfalls nicht entnehmen. Im zweiten Part wird es dann etwas konkreter, weil er von einer Einzelperson spricht, der sich sich eine Nutte bestellt und Chantré anstatt Sekt trinkt, auch hier das Gröbere.

Ich wurde gebor’n in Frankfurt am Main
In der Deutschen Zentralbank als Hundert Mark-Schein
Der Vater heißt Krieg, ein Betrüger ein Lügner, ein Dieb
Die Mutter ist die Gier, die täglich über uns siegt

Sie würden also sagen, die Verarbeitung des Themas ist nicht genial, sondern inhaltlich eher abgedroschen?
Ja. Es ist eine politische Haltung dahinter, aber die ist mehr gut gemeint als durchgeführt. Es werden halt ein paar Allgemeinheiten gedroschen, die man alle schon mal gehört oder gelesen hat. Die Zeit der komplexen kapitalistischen Analysen sind die späten 60er und frühen 70er Jahre gewesen, der Text wirkt wie eine Popularisierung davon. Also ein Versuch, es so einfach und allgemein und durch die Reime möglichst leicht verständlich auszudrücken, ohne dass analytisch etwas Eigenes hinzugefügt werden würde. Es ist ja aber ein Raptext und keine philosphische Theorie. Insofern finde ich das nicht weiter schlimm. Ich hatte aber auch etwas Mühe damit, weil der Grundeinfall an sich nicht neu ist. Es gibt zum Beispiel einen Roman von vor ‘45, in dem die Geschichte einer Reichsmark beschrieben wird, die von Tasche zu Tasche wandert. Es ist also nicht nur weichgespülte 68er-Theorie, sondern auch von der ‚Geschichte‘ her fast ubiquitär.

Er war angestellt, ackert hart für das Geld
Freitag ist Zahltag, kaum zu Hause, Nutte bestellt
…er hielt mich so fest in seiner Hand
Doch wie schnell gab er mich frei, als sie in seinem Zimmer stand
Gierig die Lippen geleckt, Chantré anstatt Sekt
Mit feuchten Fingern hat er mich in ihren Ausschnitt gesteckt

Fanden Sie denn etwas besonders interessant an dem Text?
Das Interessante ist, dass er sich selbst mit einbezieht und nicht nur die anderen meint. Und ein Sprecher- und Hörerwechsel ist mit drin: Der Angesprochene—das Du—(„Meine Opfer sind Menschen so wie Du“ / „Sieh vor, dass du dich nicht zu meinem Sklaven machst.“) ist in seiner Kritik genauso inbegriffen wie er selbst. („Kennt ihr Torch? Auch er fiel auf mich rein.“) Die einzige Stelle, wo er sich selber auf die Schulter klopft, ist am Ende, wenn es „Torch ist chillin‘ “ heißt—wahrscheinlich ein Zitat aus einem amerikanischen Rap. Kurz davor gibt es auch noch einen richtigen Appell: „Helfen kann ich auch—doch es liegt in deiner Hand“. Das ist ja fast schon wie im Deutschunterricht: Gut gemeint, ein bisschen pädagogisch, ein bisschen allgemein.

Was ist Ihnen sonst noch aufgefallen?
Er benutzt relativ viel religiöse Metaphorik. („Ich nahm Gott den Glauben, hab den Teufel getauft.“ / Auch der Pfarrer nahm mich auf wie besessen“ / Nichts ist ihm so heilig wie der blaue Heiligenschein“) Das scheint ihm stärker nachzugehen. Wenn ich andererseits an diesen Kontext Religion und Pfarrer denke und lese: „Verehrte mich in seinen Messen. Dankte mir mit weissem Brot und rotem Wein“, klingt das für mich von der Wortwahl eher nach Toskana-Fraktion als nach Gottesdienst.

Dankte mir mit weissem Brot und rotem Wein, denn
Nichts ist ihm so heilig wie der blaue Heiligenschein
In den vorderen Reihen sitzen die, die wissen was läuft
Ich dachte, Hip-Hop sei anders, ihr habt mich ‘n bisschen enttäuscht

Was sagen Sie zum Satzbau, den Stilmitteln und der Sprache?
Die Reime hält er natürlich durch, nicht immer reine Reime, oft auch unreine, ein bisschen schiefe. Meistens gibt es einen Endreim, ganz selten legt er innnerhalb der Zeilen noch etwas zu. („Zaster verprasst, vor lauter Hast nicht aufgepasst, von den Bullen gefasst.“) Es gibt wenige Momente, in denen es ganz dichte Reime gibt und das Rhythmische unüberhörbar durchschlägt. Ansonsten gibt es Alliterationen („Kühle kalte Konten kannten“), auch Ellipsen. An der Stelle, wo es heißt: „Kam ich in die Uniform von einem Polizist—damit er Recht und Gesetz vergisst“, müsste er ja eigentlich Polizisten sagen. Er stellt den Reim also teilweise mit Gewalt her, manchmal amüsant, aber das haut heutzutage vermutlich niemanden mehr vom Hocker. Ich weiß ja nicht, wie das früher angekommen ist. Der Text ist ja offensichtlich schon älter, es gibt noch die D-Mark.

Meine Macht reicht so weit wie das Himmelsreich
Blauer Samt, wie das Meer so weich und kalt zugleich
Auch bei dir bin ich ein immer gern gesehener Gast
Aber sieh dich vor, dass du dich nicht zu meinem Sklaven machst

Die schönste Zeile fand ich, um das noch zu sagen, die drittletzte im ersten Part: „Blauer Samt – wie das Meer so weich und kalt zugleich.“ Da ist etwas, das nicht aufgeht im pädagogischen Raster. Das ist schon fast wie ein Fremdkörper. Damit hat er dann doch ein Bild gefunden, das über den Deutschunterricht hinausgeht!

Schwesta Ewa—„Escortflow“

Was sticht bei diesem Text heraus?
Das liest sich für mich natürlich wie Gangsterrap. Es ist der schwierigste Text, für mich wie eine Fremdsprache. In den Ausdrücken sind mehrere Fremdsprachen und noch Spezialvokabular drin. Bestimmt Polnisch, zum Teil klingt es nach Türkisch und Kurdisch, englische Begriffe sind auch dabei. Dadurch, dass der Text so dicht ist und diese Begriffe enthält, kriegt das, wenn man sich in der Szene nicht auskennt, fast was von Dada. Ich könnte auch etwas ohne Sinn aufsagen, das wäre dann genauso komisch. Ich musste fast jedes zweite Wort googlen, um zu verstehen, was sie damit meint. Einiges weiß ich auch immer noch nicht—zum Beispiel, was die Intifada in der vierten Zeile verloren hat. Das ist mir immer noch unergründlich („Die Kahba, sie chartet, Kurwa, Intifada“).

Was sagen Sie dazu, dass der Text von einer Rapperin kommt?
Das finde ich schon erstaunlich, weil Gangsterrap doch die frauenfeindliche Richtung schlechthin ist, denke ich. Und wenn das nun eine Frau macht, macht das natürlich auch was mit dem Genre. Ich weiß nur nicht was (grinst)!

Northern-Light-Blunts dreh’n, rollen Brabos, CL auf Hochglanz
Mach Schnapp mit Schnuff oder Sluts im Puff für’n Monat
Mehr als dein Vater, schau her, Versager
Die Kahba, sie chartet, Kurwa, Intifada
Schick dich mit Baida auf Film jetzt wie Star Wars
AON-Member, Frankfurt der Tatort

Wenn ich mir den Text konkret ansehe, ist das gar nicht so leicht zu sagen, weil sie die Sprache adaptiert, die üblichen Motive, die teuren Autos, die Drogen kommen vor. Auch das Bashing, und zwar gegen eine Rapperin, gegen eine Frau („Fick Minaj, ihr Barbieflow, schick sie anschaffen“). Die wird dafür gebasht, dass sie weder als Rapperin noch als Prostituierte ihr Geld einspielt. Sexistische Witze wirken innerhalb des eigenen Geschlechts natürlich ganz anders—wenn das ein Mann sagen würde, wäre das schwer daneben. Hier ist es fast schon witzig. Sie bleibt aber auch nicht nur bei der Frau, im nächsten Abschnitt gibt’s ja das Bashing des Deutschraps, wo es offensichtlich gegen die Männer geht. („Weil selbst Schwester mehr Eier hat“).

Lip-Gloss ferrarirot tätowiert, Cabrio
FFM Straßenstrich, meine Nutten makellos
Fick Minaj, ihr Barbie-Flow, schick sie anschaffen
Doch der Gewinn reicht nicht mal für Handtaschen

Wirkt der Text auf Sie authentisch? Nehmen Sie ihr die Story—von der Prostitution erfolgreich ins Rapgeschäft—ab?
Ja, schon. Das ist tatsächlich ganz anders als beim ersten Text. „Escortflow“ lässt sich konkret verorten. Es geht um Frankfurt am Main, die Konstablerwache kommt ja vor. Und die ganzen Ausdrücke für Drogen, die ich zum Teil auch kenne, Haze etwa. Das nehme ich ihr ab, das klingt schon authentisch. Ich fand dabei interessant, dass man nicht so wirklich erfährt, wodurch sie erfolgreich ins Rapgeschäft gekommen ist. Ist sie das durch die Musik, durch ihre Texte, oder durch Produktionsfirmen, die die Sachen erfolgreich gemacht haben? Musik und Prostitution sind ganz nah aneinander gerückt! Das geht alles ineinander über: Musik auch nur als eine andere Art, sich zu verkaufen…

Lernen Sie durch den Text etwas über das Escortbusiness? Hat er also auch so etwas wie einen Informationsgehalt?
Ich hätte schon angenommen, dass das Geschäft von Escortagenturen ein sehr hartes ist und dass es für die Prostituierten doppelt schlimm ist: Die Kunden, die anstrengend sind, die Agenturen, die einen abzocken wollen. Es wird zudem immer so getan, als ob das alles auf einer luxuriösen Ebene laufen würde, obwohl es vermutlich genau so hart ist wie mit einem schlichten Zuhälter. Vieles war mir aber sicher nicht klar. Zum Beispiel, wie viele Drogen da im Spiel zu sein scheinen, Crystal, etliche Cannabissorten, Koks—alles da. In der Zeile „Schick dich mit Baida auf Film jetzt wie Star Wars“ steckt auch drin, dass es um Phantasien geht. Die Prostitution bedient ja Träume, auch die Musik tut das. Das hängt Schwesta Ewa aber ziemlich niedrig. Viel mehr geht es um Materielles, Dinge, Zeichen von Reichtum und Erfolg in einem bestimmten Milieu: Um Cabrios—sogar der Lipgloss muss dann ferrarirot sein und nicht einfach nur rot.

Konsti, rotes Licht, Duft von dem Haze
Liegt in der Luft, ob im Puff oder Straße
Hektik auf Nase, ich hab euch Freier satt
Fick Deutschrap, weil selbst Schwesta mehr Eier hat

Wie ist es denn um die Phantasien von ihr selbst bestellt?
Einerseits sagt sie, sie will in eine bessere Welt, andererseits ist sie schon da—bei der Pariser Modenschau und in Monte Carlo. Da steckt auch eine Phantasie drin, ich nehme nicht an, dass sie ständig in Monte Carlo rumhüpft, sondern dass das alles Markierungen sind, die zum Erfolg in dieser Welt dazu gehören. Man könnte sich Erfolg ja auch ganz anders vorstellen, es werden da sehr etablierte Bilder bedient. Die Frage könnte sein, ob das dann wirklich noch individuell ist. Dieser Erfolg, dieses utopische Ziel, ist vielleicht doch nur eine Milieuphantasie. Das heißt, sie will natürlich da rauskommen und rein in eine Welt, von der sie nicht so viel weiß, von der sie Projektionen hat, Phantasien eben. Die Pariser Modenschauen und die Kronleuchter stehen für diese eher fremde Welt. An diesen Stellen ist der Text viel allgemeiner gehalten als bei den Anteilen, die das Prostituiertenleben in Frankfurt beschreiben, die sind viel mehr ‚auf Punkt‘ verankert. Hier könnte man nach dem Titel fragen—„Escortflow“. Flow, das sind ja Glücksgefühle, im Escort gehöre ich zur großen Welt, wenn auch nur in der Phantasie. Man ist im Flow, weil man da mitgeht, sich treiben lässt, sozusagen drin ist im Geschäft. Man flaniert deswegen noch lange nicht in Monte Carlo. Das Bewusstsein davon, dass es halt auch schiefgehen kann, wird in den Schlusszeilen markiert: „Alles oder Nix“.

FFM, schnelles Geld in der freien Marktwirtschaft
Rede nicht von Para, weil es Pech bringt und Beine bricht
FFM, schnelles Geld
Aw, ich will alles oder nix
Aw, ich will alles oder nix

Casper—„Hinterland“

Wie hat Ihnen dieser Text gefallen?
Der hat mir gut gefallen. Er hat die Leichtigkeit und die Zugänglichkeit, die auch der erste hat, aber es gibt keine Schemareime. Man kann sagen, dass der Text in gewisser Weise emotionaler ist als die anderen.

Wie genau meinen Sie das?
Es wird wirklich eine Emotion beschrieben, und zwar eine, die für Rap ganz ungewöhnlich ist. Ich habe es fast als wehmütig empfunden. Das fand ich schon überraschend. ‚Klassische‘ Rap-Motive gibt es höchstens noch in Anklängen. Wenn er im ersten Part sagt: „Wir sind Legenden, wir selbst“, hat man noch diesen Gestus von Selbstaufwertung, aber das ist eher eine Reminiszenz, als dass er das wirklich vertreten würde. Und die Kraftmeier-Rhetorik hat man eben gar nicht. Ich finde ihn tatsächlich mit den Texten einiger neuer Lyriker vergleichbar, und zwar, weil er im Ablauf nicht erwartbar ist. Es ‚rattert‘ nicht, es hat nicht das harte, rhythmische Sprechen.

Raus von hier, das Taube spür’n
Nehmen nie zu viel, bisschen für’s Bauchgefühl
Die falschen Drogen zur richtigen Zeit
Werfen Schatten, wo das Licht nie scheint für kurze Zeit

Was sagen Sie zu den verschiedenen Sprecherrollen?
Das fand ich ganz schön. Man fragt sich, wer diesen Text spricht, und das ist ja eine Frage, die man bei Lyrik stellt. Bei den Rappern ist das immer klar, der Rapper selbst. Hier muss man die Frage aber stellen. Es wird mal ein Du angesprochen („Hörst du den Chor?“). Dann ist aber auch von einem Wir die Rede. Es ist ein Spiel zwischen Du und Wir. Es ist kein Einzelner, der spricht oder angesprochen wird, und auch keine Szene. Es ist wirklich schon eher ein Lebensgefühl, eben das Hinterland-Lebensgefühl. Das hat dann unter anderem damit zu tun hat, die falschen Drogen zur richtigen Zeit zu nehmen, kleine Kompromissen zu machen, und damit, dass einem das Wasser bis zum Hals steht. Der Text erzeugt eine Ambivalenz: Das Hinterland wird schon verdammt, weil man aus ihm nicht rauskommt, man liebt es aber auch. Es ist ja sogar vom Ende der Welt die Rede. Man ist schon in einer extremen Situation, die sich aber gar nicht so extrem äußert, weil man noch über sie nachdenken kann. Dadurch erreicht der Text seinen Schwebezustand. Das hat mir tatsächlich gut gefallen. Man kann viel reinprojizieren, auf jeden Fall muss man sich irgendwie dazu verhalten. Casper ist niemand, der sich vor mir produziert und seine Muskelpakete zeigt, sondern der ein kollektives Sprechen inszeniert. Ich als Hörer bin nicht mehr draußen, ich bin Teil des ‚wir‘. Gilt das überhaupt noch als Rap?

Mit großen Augen zwischen Bahnschienen und Schrebergärten
Arm in Arm singend über Leben die wir nie leben werden
So wie das Ding hier nun mal läuft
Kleinganovenbeichte mit zwei Fingern über Kreuz
Wir sind Legenden, wir selbst
Gemeinsam vor’m Ende der Welt
Willkommen zu Haus‘

Würde ich auf jeden Fall sagen. Er hat in Zeiten vor diesem Album noch anderen, vielleicht klassischeren Rap gemacht und dann neue Herangehensweisen gesucht und gefunden, aber Rap ist das schon auch noch.
Rap-Gesten kommen ja noch ganz sparsam vor—fast nur noch wie Zitate, wie eine Anspielung. Es wirkt nicht so, also ob er sich da selber verorten würde oder ausdrücklich dazu gehören müsste oder auch nur wollte.

Immer Steine schmeißen—Hautpsache laut
Für alles zu haben, zu kaum was zu gebrauchen
In diesen Hinterwelten getrieben von Kindergeld
Wo Taten mehr sagen als Worte, sind die Stille selbst

Wenn Sie diesen Text mit dem Text von Torch hinsichtlich des lyrischen Gehalts vergleichen müssten—wer würde da besser abschneiden?
Da würde Casper besser abschneiden, aber man muss das auch historisch sehen. In den 90ern war das didaktische Sprechen ja noch viel verbreiteter. Damals ist das bestimmt niemandem negativ aufgestoßen. Der Casper-Text ist insgesamt sehr stilsicher, stringent gemacht. Die Textmenge ist geringer, auch recht leicht und verständlich. Wenn man näher hinschaut, kann man sich aber schon länger damit beschäftigen. Ich mag ja persönlich Lyrik wie die von Heine oder Brecht. Die haben eine unmittelbare Zugänglichkeit, Sie verstehen eine Ebene des Textes sofort. Wenn Sie sich aber länger mit dem Text beschäftigen, kommt noch ganz viel nach. Ich weiß nicht, wie viel bei Casper noch nachkommt, mit Heine wird es mit Sicherheit nicht vergleichbar sein… aber es ist nicht nur Krach, nicht nur ‚Hauptsache laut‘, wie es im zweiten Part heißt.

Man gibt uns gut zu verstehen
Die leeren Gläser der Theke sind beste Lupen auf’s Leben
Unterm Haus der Straßenlaterne um elf
Gemeinsam am Ende der Welt
Willkommen zu Haus

Was für einen Eindruck bekommen Sie vom Künstler? Wie würden Sie ihn beschreiben?
Ich würde ihn beschreiben als jemanden, der über die menschlichen Verhältnisse nachdenkt. Das spielt sich zwar auch in einem bestimmten sozialen Milieu ab, das durch die „großen Augen zwischen Bahnschienen und Schrebergärten“ angedeutet ist—es geht um Kleinganoven, eher nicht die mit Geld, sondern die ohne. Es geht aber auch darüber hinaus, weil man dieses Lebensgefühl—dass es nicht weitergeht, weil man in einer Endlosschleife im Hinterland festhängt—in jeder Schicht haben kann. Das sind ja Gedanken, die sich jeder wahrscheinlich macht. Mal mehr oder weniger, nur vorübergehend oder dauerhauft, aber dass das Leben nicht berechenbar ist und dass es Kontingenz gibt, unverhoffte Sprünge, das kennt wohl jeder. Dass alle Geschichten im Tod enden, kommt nicht vor, aber in diese Richtung verstehe ich den Text. Dass es eben viele Befindlichkeiten gibt, die nicht schön sind und denen man sich auch stellen muss. Dieses Nachdenken würde ich Casper zuschreiben. Gar nicht mal als momentane Lebenskrise, es ist ja kein konkreter Anlass formuliert. Es ist wirklich eine Grundbefindlichkeit, die in diesen Schwebesätzen ausgesprochen wird.

Insofern ist es sicher kein optimistisches, aber auch nicht nur ein pessimistisches Sprechen, sondern eins, das sich mit diesen Befindlichkeiten etwas nachdenklich auseinandersetzt und da nicht rausfindet. Da ist ja auch nicht rauszufinden. So etwas könnte man im Stampfrhythmus oder im kraftmeierischen Gestus gar nicht sagen. Und das ist natürlich ein Unterschied, der das Genre sprengt; deswegen hatte ich gefragt, ob es überhaupt noch als Rap gilt.

Wo jeder Tag aus Warten besteht
Und die Zeit scheinbar nie vergeht (vergeht, vergeht)
In diesem Hinterland. Verdammtes Hinterland
Wo Gedanken im Wind verwehen
Und die Zeit scheinbar nie vergeht (vergeht, vergeht)
Geliebtes Hinterland. Willkommen im Hinterland

Es kann wohl zumindest besser vermarktet werden.
Der Text hat schon eine gewisse Glätte. Bis auf die Wehmut gibt es keine Kanten: Der Text ist unmittelbar zugänglich, es kommt auch noch was nach, aber man ist dann relativ schnell am Ende. Man hat es verstanden und kann Hinterland wahrscheinlich nicht in einem Abstand von zwei Monaten lesen und sagen: Oh, da sind ja noch ganz tolle Sachen, die mir überhaupt nicht aufgefallen sind. Man kann sich fragen, ob das Kunst ist, oder doch eher Kunstgewerbe: Sehr gut gemacht, sehr kunstfertig, das Lebensgefühl und die Frage nach dem menschlichen Befinden werden angetippt, aber das alles verliert sich relativ schnell, die einfache Umgangssprache schlägt keine Haken.

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