“Ein mittelschwerer Special-Forces-Einsatz” – Die 1UP-Crew im Interview über ihr “Graffiti Olympics”-Video

1UP ist eine der bekanntesten Crews der Graffiti-Szene. Durch ihre spektakulären und waghalsigen Aktionen, ihre professionellen Videoproduktionen und die unglaubliche Masse an Bildern, die sie rund um den Globus malen, sind sie inzwischen weltweit bekannt. Ihre YouTube-Videos haben hunderttausende Klicks. Dieses, in dem sie innerhalb weniger Minuten einen ganzen Zugwaggon vollsprühen und schließlich über die Gleise fliehen, hat sogar über eine Million. Ihr neuester Streich, “Graffiti Olympics”, ist dennoch die Kirsche auf der extremen ohnehin schon bunten Torte.

Mit dem am Freitag (2. März 2018) veröffentlichten Film haben sie wieder mal Grenzen überschritten und neue Maßstäbe gesetzt. Sowohl in ihrer Kunst, als auch in Sachen Illegalität. Egal, ob dir die Aktionen gefallen oder nicht, du kannst einfach nicht leugnen, dass es sich hier um spektakuläres Material handelt, das in dieser Form bisher noch nicht zu sehen war. Das haben 1UP nicht zuletzt einem Grundpfeiler ihres Erfolgs zu verdanken: Zusammenhalt. Denn ohne die Mithilfe der befreundeten Crew Berlin Kidz, Regisseurin Selina und dem lebenden Kunstwerk Good Guy Boris wären wir um ein faszinierendes Video der Berliner Sprüher – und einen wunderschönen Vogelflug über Athen – ärmer.

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Illegal und strafbar bleibt das Ganze natürlich trotzdem. Deswegen agiert die Crew, die aus dutzenden Männern und Frauen besteht, immer im Schutz der Anonymität. Umso schwerer ist es, nicht nur über, sondern mit den Protagonisten zu reden. Uns ist es dennoch gelungen, die Crew und Selina zu treffen und sie unter anderem zu fragen, wie man auf solche verrückten Ideen kommt, wie aufwendig das Ganze tatsächlich ist und was das Geheimnis ihres Erfolgs ist.


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Noisey: Wie seid ihr auf die Idee für “Graffiti-Olympics” gekommen?
1UP: Seitdem wir Drohnen als unser neues Lieblingsspielzeug entdeckt haben, wollten wir einen Drohnenflug mit mehreren Stationen filmen. Selina hatte die gleiche Idee und wir luden sie ein, mit uns an Silvester nach Athen zu kommen. Da war die Verbindung mit den Olympischen Spielen naheliegend. Mal wieder höher, weiter, schneller.
Selina: Ich traf 1UP vor einem Jahr in Berlin und erzählte ihnen von einem Drohnen-Video, das ich in Australien gedreht hatte. Sie sagten: “Das Video, das du da gemacht hast, ist gut. Aber wenn wir zusammenarbeiten, muss es noch besser werden.” Da wusste ich: Mit denen will ich arbeiten!

Höher, schneller, weiter – ist das so ein Motto von euch?
1UP: Wir wollen mit 1UP das Ganze auf ein höheres Level bringen. Einfach noch eins draufsetzen und das möglichst überall auf der Welt. Es ist wie ein extra Leben, das wir als Graffiti-Sprüher und -Sprüherinnen neben der Arbeit und dem normalen Alltag haben. Nur bei den wenigsten wissen Chef und weiteres Umfeld irgendetwas von dem Doppelleben. Die ganze Nacht in dreckigen Tunneln rumkriechen, sich in einem Gebüsch verstecken und am nächsten Tag wieder früh zur Arbeit und dann so tun, als wäre man total fit und ausgeschlafen.

In Zeiten von Photoshop und Fake-News werden sich garantiert Leute fragen, ob das Video echt ist. Wie habt ihr den Drohnenflug geplant?
1UP: Die Mühe und Intensität, mit der diese Aktion geplant werden musste, ist mit keiner davor vergleichbar. Tagelang haben wir Spots ausgecheckt, die verschiedenen Teams organisiert und gebrieft, während Selina den Drohnenflug wieder und wieder geübt hat. Zum Zeitpunkt der Aktion wirkte das Viertel wie kurz vor einem mittelschweren Special-Forces-Einsatz. An jeder Ecke irgendwelche Gruppen mit Knöpfen im Ohr und großen Taschen.

Insgesamt malten wir an acht verschiedenen Stellen. Die Drohne musste geflogen und mit dem Malen koordiniert werden. Und das Ganze am hellichten Tag! Hier seilen sich Leute ab, an der nächsten Ecke wird auf einem Dach gestrichen, eine Straße weiter installiert einer von uns ein überdimensionales Feuerlöscher-Tag, während auf der anderen Straßenseite eine Gruppe über eine Mauer klettert und vor den Augen der Menschen im Café gegenüber einen Wholecar malt. Am Eingang der nächsten U-Bahn-Station dann Ultrawide-Tags und ein riesiges Streetbombing. Dazu ein weiteres Bild auf einem Dach und zum Abschluss ein Olympisches Feuer. Die Passanten haben nicht schlecht gestaunt.

Irgendwas muss doch auch schiefgegangen sein.
1UP: Das Ganze lief natürlich nicht ohne Verzögerungen ab. Erst flog die Drohne nicht, wie sie sollte. Dann sahen einige von uns Zivis an jeder Ecke. Als dann endlich alles bereit war, schlief einer von uns in dem Bett, das ihm Obdachlose netterweise zurechtgemacht hatten, den Suff der letzten Nacht aus. Aber das war einfach: kurz wachrütteln und los gings.
Selina: Das ist für mich unter anderem das Besondere an dieser Crew: Viele Graffiti-Crews sind ziemlich unorganisiert. 1UP ist anders. Sie sind in jeglicher Hinsicht höchst professionell und bei allem, was sie machen, mit ganzem Herzen dabei. Ich persönlich finde es sehr motivierend, in einer solchen Atmosphäre zu arbeiten.

Was unterscheidet 1UP noch von anderen Crews?
Selina: Graffiti ist traditionell sehr individualistisch. Es geht darum, den eigenen Namen größer und besser zu zu platzieren als alle anderen. Die Crew steht erst an zweiter Stelle. Bei 1UP geht es jedoch nicht um den Einzelnen. Das Ego wird beseitigt. Sie haben so viel erreicht, weil sie eine Einheit sind, die auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitet. Dieses Modell hat viele Vorteile. Außerdem gefällt mir die Art, wie sie malen: viel, schnell und an allen möglichen Stellen. Sie haben Ideen, auf die kein anderer kommt. Mit 1UP zu filmen, ist nie langweilig. Bei denen ist es eher schwer, alles mit der Kamera komplett einzufangen, weil alles so schnell passiert.

Warum eigentlich Athen? Klar, Olympia dies das, aber gab es auch andere Gründe?
Selina: Es ist die perfekte Stadt für ein solches Projekt. Es gibt so viele geile Spots. Die Leute in Athen sind meistens sehr offen. Griechenland durchlebt schwierige Zeiten und hat deswegen eine gute Einschätzung davon, was die wirklichen Probleme einer Gesellschaft sind.
1UP: Das stimmt. Die Folgen, wenn man erwischt werden sollte, sind nicht allzu drastisch. Bullen gibt’s zwar fast überall – außer in Exarchia. Das ist ein Viertel im Zentrum von Athen, wo die Polizei nur reinkommt, um sich mit Molotow-Cocktails beschmeißen zu lassen. Aber auch im restlichen Teil von Athen ist das Malen in den Straßen relativ entspannt. Die Anwohner sind Graffiti gegenüber überwiegend positiv gestimmt, während die Polizei nicht so hoch angesehen ist. Eine Nacht vor dem Drohnenflug wurden wir direkt am Ort des Geschehens bei den Vorbereitungen erwischt und die Bullen haben versucht, uns in der Zelle eine Knarre unterzuschieben. Das war dann kurz nicht so lustig. Aber am Ende ging es doch gut aus.

Im neuen Video ist auch eine andere Crew mit dabei, die Berlin Kidz. Ähnlich wie ihr gehen sie oft ziemliche Risiken ein, surfen auf S-Bahnen und seilen sich halsbrecherisch ab. Das hat aber auch den Nebeneffekt, dass nicht nur die Szene, sondern auch die Polizei sie intensiver beobachtet. Habt ihr Angst vor den rechtlichen Konsequenzen?
1UP: Angst … das ist eine sehr subjektive und wechselhafte Sache. Manche Leute sind bei einer Aktion tiefenentspannt, während die anderen einen Beruhigungsschnaps trinken. Dieselben Personen sind später dank zu viel Suff wiederum diejenigen, die an den unverschämtesten Stellen malen. Aber ja, Angst bleibt. Zumindest bei Aktionen, wo der Preis, den man für einen Bust zahlt, hoch ist. Sei das in Form von körperlicher Gewalt oder finanziell für die Strafen und Reinigungskosten. Je nach Ort und Umstand kann man sich davor unterschiedlich schützen. Da spielt es eine Rolle, wie lange man wo malt, wie man wegkommt, ob man Handschuhe benutzt oder nicht, ist man gut vermummt und und und.

Graffiti beeinflusst Werbung und Popkultur immer mehr. Selbst die Sparkasse wirbt mit hippen Pieces im Hintergrund. Wo seht ihr die Zukunft für Graffiti? Noch ein paar Jahre Spaß haben und dann ab in die Galerien?
1UP: Moden kommen und gehen, aber Graffiti wird bleiben. Erstmal! Es gibt Länder, da wurde mit einer rigorosen Putzpolitik, drakonischen Strafen oder flächendeckender Überwachung Graffiti aus dem öffentlichen Raum fast vollständig verbannt. Die meisten Länder sind aber weit davon entfernt und im Moment sieht es nicht so aus, als ob sich daran in nächster Zeit viel ändern wird. Und selbst wenn, dann findet sich immer irgendwo eine Lücke im System und Graffiti wäre wieder ein subversiver Akt, der ein wenig Unordnung und Kreativität in eine sonst sterile, graue Umwelt bringt.

1UP scheint längst eine Art Brand zu sein, ähnlich wie das Wu-Tang-Clan-Logo oder ACAB. Es gibt Bücher, DVDs und sogar Collabos mit Comme des Garçons. Auch immer mehr Erwachsenen außerhalb der Szene ist euer Kürzel ein Begriff. Warum nehmen Normalbürger 1UP im Gegensatz zu anderem Graffiti anders, beziehungsweise überhaupt wahr?
1UP: Da kommen verschiedene Faktoren zusammen. Seit Stunde Null war es immer unser Ziel, an zentralen und außergewöhnlichen Stellen leserliche Bombings zu malen, sodass die Leute uns einfach nicht übersehen können. Das Ganze passierte in Berlin, einer der wichtigsten Städte weltweit für die Graffiti-Szene. Zudem haben wir von Anfang an unser Schaffen professionell dokumentiert und mit unseren Videos immer wieder Menschen weit außerhalb der Graffiti-Szene erreicht. Zu guter Letzt sind wir nahezu ununterbrochen weltweit unterwegs. Es ist mittlerweile fast unmöglich, die Welt zu bereisen, ohne auf unsere Werke zu stoßen. Haltet also eure Augen und Ohren offen, wohin wir als nächstes kommen! 1UP und die Berlin Kidz sind immer unterwegs und vielleicht schießen wir bald in deiner Stadt den neuesten Streifen mit Selina. One United Power!

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Wie man weiß, ist kein Film richtig rund ohne den passenden Soundtrack. An dieser Stelle seien also das Berliner Produzentenpaar Beathoavenz und die junge Künstlerin Flora Camille noch zu erwähnen, die die Musik für die “Graffiti Olympics produziert haben.

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