Ein Nachruf auf die Linzer Eisenbahnbrücke

Der Volksmund spricht von Linz, der Einheimische unterscheidet genau. Nämlich zwischen 4040 und 4020. Das erscheint kleinlich, denn jeder ( mit Ausnahme der satirischen „Regionären Bewegung”) weiß, dass heutzutage Grenzen nicht mehr wichtig sind. Also zumindest bis vor kurzem.

Das Problem mit 4020 und 4040 besteht schon viel länger als die Postleitzahlen. Es ist nicht nur eine kleine Tradition, sondern ein roter Faden, der sich durch die Geschichte zieht. Und alles begann—wie immer—bei den Römern. Das römische Reich hat in seiner größten Ausdehnung sehr genaue geografische Begrenzungen in den Flüssen Rhein und Donau gefunden. Alles, was links vom Rhein und unterhalb der Donau war, gehörte zu Rom, der Rest waren die Gebiete einer Vielzahl von keltischen Stämmen, die offensichtlich wild genug waren, den Römern den Schneid abzukaufen. Um diese Grenzen zu markieren und zu sichern, haben die Römer entlang von Donau und Rhein einen Wall errichtet; den Limes (Historiker bestehen darauf, dass es mehrere verschiedene Wälle sind, man unterscheidet zumindest den Donau- und den Rhein-Limes). Auf der römischen Seite gab es eine wichtige Siedlung: Lentia, das heutige Linz.

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Was genau auf der anderen Seite war, ist nicht so sicher, jedenfalls hat es regen Handel zwischen den Römern und den Kelten an just dieser Stelle der Donau gegeben.

Und genau hier beginnt der Konflikt: Urfahr leitet sich von Überfahrt ab. Hier haben Menschen ihren Lebensunterhalt mit der kleinen Donauschifffahrt verdient—und das war ein sehr einträgliches Geschäft. Urfahr wuchs und wurde immer bedeutsamer. Das ging lange gut, bis 1497 Maximilian I. eine Brücke errichten ließ und somit den Fährleuten die Lebensgrundlage entzog. Der Konflikt war geboren, Urfahr wurde mehr und mehr von Linz abhängig.

Die letzte Demütigung erfuhren dann die Urfahraner, als sie 1919 eingemeindet wurden—seither spricht man von Linz-Urfahr. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden Linz und Urfahr kurzzeitig wieder getrennt: Urfahr gehörte zur Russischen Besatzungszone, Linz zur Amerikanischen, woher auch der wenig schmeichelhafte Spitzname „Russensektor” kommt.

4020 und 4040 sind nur durch drei Brücken verbunden: eine hat Hitler bauen lassen, eine hat die Voestalpine geplant und die älteste liegt dazwischen, bei Stromkilometer 2133,90: die Eisenbahnbrücke. Sie wurde im Jahr 1900 eröffnet und gilt in Fachkreisen als Baujuwel, da sie statische und ästhetische Qualitäten harmonisch vereint. Ihre genietete Konstruktion aus Stahl entsprach zum damaligen Zeitpunkt dem höchsten Stand der Technik (und schaut ansprechend steampunkig aus). Von Anfang an war sie für die Kombination von Individualverkehr und Schienenverkehr ausgelegt. Und nun kommt sie weg.

Die Gründe für den Abriss sind vielschichtig und schwer zu durchschauen. Den Argumenten der Stadtregierung wird mit Argumenten der Brückenanhänger begegnet. Aber wie das nun mal so ist, ist das Volk der Souverän—und wählt sich seine eigenen Unterdrücker. Die Brücke kommt also weg. Damit ihr einen Überblick über Entscheider, Gegner, Befürworter, Verursacher und Unterlasser habt, hier ein kurzer Aufzählung aller Protagonisten und Highlights:

1. Die ÖBB

Der ursprüngliche Eigentümer der Brücke und somit für den Erhalt verantwortlich. Die Bahn hat umstrukturiert, die Brücke dadurch ihre Bedeutung verloren, das Eigentum wurde der Stadt übertragen und somit auch die Instandhaltungskosten.

2. Das Denkmalamt

Die Brücke hat aufgrund von Umstrukturierungen seitens der ÖBB im Jahre 1994 das erste Mal ihren Denkmalschutz verloren. Das ist dem Denkmalamt kurz darauf, nämlich 2002, aufgefallen und der Schutz wurde erneuert. Interessant ist nun, dass im Jahr 2013 der Denkmalschutz wieder aufgehoben wurde. Begründung war der schlechte Zustand der Brücke. Detail am Rande: Der Denkmalbeirat hat mit absoluter Mehrheit für eine Verlängerung des Schutzes plädiert und wurde von der Präsidentin overruled.

3. Das Gutachten

Im Auftrag der Stadt Linz wurde ein Gutachten erstellt, das zu dem Resultat kam, die Sanierung der Brücke würde 40 Millionen kosten. Außerdem müsste sie dafür ohnehin gesperrt werden, was dem Verkehrserhalt nicht ganz zuträglich wäre.

Foto: Harald Deischinger | flickr | CC BY 2.0

4. Der Brückenbauer: Erhard Kargel

Er ist die österreichische Koryphäe unter den Brückenbauern und wurde für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Landesverdienstzeichen und dem Landeskulturpreis für Architektur des Landes Oberösterreich ausgezeichnet. Ein Mann der klaren Worte ohne politische Agenda. Er stört sich an der Begründung und anerkennt den historischen Wert der Brücke. Seine Aussage: Ein Erhalt der Brücke und eine sanfte Sanierung ohne Sperrung der Eisenbahnbrücke sind möglich; und zwar für insgesamt 30 Millionen Euro. Er plädiert nicht für den Abriss der alten Brücke, sondern für Erhalt und Bau einer neuen Brücke—die sogenannte Zweibrückenlösung.

5. Der Architektenwettbewerb

Planungsaufgabe: Neubau der Brücke an der alten Stelle. Eine „Zweibrückelösung” wurde ausgeschlossen.

6. Der Bürgermeister

Bürgermeister Luger hat immer den Abriss der Brücke vorangetrieben. Er ist kein Freund der Sentimentalität. Lange Zeit versucht er eine Bürgerbefragung zu verhindern, viel Druck ließ ihn einlenken. Im Wahlkampf wurde in seinem Namen sehr einseitig für den Abriss Stellung bezogen. Ein Flugblatt verdeutlichte allen Linzern, dass es nur eine pragmatische Lösung gibt: den Abriss. Dieses beinahe komische Video sollte damals den Bürgern den Sinn des Vorhabens erklären.

7. Die Opposition

Bis auf die Grünen sammeln sich alle Oppositionsparteien hinter den Befürwortern der Brücke. Es gibt gemeinsame Veranstaltungen und einen Schulterschluss für den Erhalt.

Die ,Regionäre Bewegung’ freut sich über den Abriss

8. Die Bürgerbewegung

Die Facebook-Gruppe „Rettet die Linzer Eisenbahnbrücke” hat derzeit zirka 11.000 Fans. Unermüdlich arbeiten die Betreiber mit Aufklärungsarbeit, der schonungslosen Publikation von Fakten, Kostenschätzungen, Alternativgutachten, Meinungsumfragen und Veranstaltungen für den Erhalt der Brücke.

9. Die Bürgerbefragung

Die Entscheidung wurde letztlich in den Wahlkabinen getroffen. Die stimmberechtigten Bürger von Linz haben sich zu 69 Prozent gegen den Erhalt entschieden.

Flüsse trennen, Brücken verbinden. Wo Menschen sich verbunden fühlen, bauen sie Brücken und wo sie sich nicht mögen, reißen sie diese wieder weg. Linz und Urfahr trennt die Donau. Wo es Verbindungen gibt, entsteht die Brückenkopfkultur. Sei es nun das Ars Electronica Center, das ehemalige Landgraf, die Stadtwerkstatt, das Salonschiff Fräulein Florentine, der Alturfahr-Beach mit seinen Lokalen oder der Beachvolleyballplatz, der Skatepark und die Laufstrecke an der Donaulände.

Man kann sich fragen, wie viele Brücken eine Stadt braucht oder aber, wie viele man wegreißen muss, bis aus einer Stadt wieder zu zwei Kleinstädten wird. Sicher ist, dass nicht alle der Befragten einen Bezug zur Eisenbahnbrücke haben und sie wahrscheinlich auch nicht nutzen. Sicher ist auch, dass bei einer Befragung der Linzer Bevölkerung darüber, ob mein Wohnhaus weggerissen werden soll, weil es alt und baufällig und die Sanierung teuer ist, die überwiegende Mehrheit dafür wäre. So ist das, wenn man Mehrheiten über die Belange von Minderheiten abstimmen lässt. Aber Abstimmungen sind bequem, sie befreien von Verantwortung.

Am vergangenen Wochenende haben sich die LinzerInnen noch einmal von ihr verabschiedet. Ein letztes Mal sind sie mit dem Rad über die Brücke gefahren, haben ein letzten Spaziergang, ein letztes Gruppenbild gemacht. Am Montag haben die Arbeiten begonnen. Adieu, alte Dame.