Am 1. Juni ist Andreas Gabalier mit seinem neuen Album Vergiss Mein Nicht wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Lyrics wie “I glaub an mei Land und die ewige Liab / Nix is mehr Daham als ein Schnitzel aus der Pfann / Tradition leben, mit der Zeit gehen / So wie’s früher in der Milka-Tender-Werbung war / I glaub an Leut, die sich geben wie sie sind / In einem christlichen Land hängt ein Kreuz an der Wand …” haben die österreichische Band Krautschädl dazu veranlasst, für Noisey Austria einen offenen Brief an Gabalier zu schreiben:
Lieber Andreas,
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wir haben ja eh lange zugeschaut, hier und da ein bisschen gemurrt, letzten Endes dann aber doch immer wieder irgendetwas von wegen Respekt unter Kollegen gefaselt. Weil wir so harmoniebedürftig sind und nicht, weil es tatsächlich unserer Überzeugung entspricht. Die hat nämlich genauso wenig mit einem ausverkauften Olympiastadion und Chartplatzierungen zu tun wie mit unseren kulinarischen Vorlieben, die wir teilweise sogar mit dir teilen. Jetzt sind wir leider an einem Punkt angelangt, an dem sich selbst das nicht mehr ausgeht.
Es ist eine Sache, wenn einer weltanschaulich eben ein bisschen im Gestrigen hängengeblieben ist, da sagt eh keiner was – zumindest solange es sich dabei nicht eben gerade um das Ewig-Gestrige handelt. Eine ganz andere Sache ist aber, wenn einer seine Songtexte ganz offensichtlich aus einem Worst-Of-Österreich-gegen-EU-gegen-Islam-gegen-sich-selbst-Verschwörungs-Blödquatsch von unseren rechten “Freunden” zusammencollagiert. Oder verstehen wir da etwas falsch? Wenn das alles nur ein großes Kunstprojekt oder zumindest nur ein schlechter Scherz ist, dann musst du schon etwas sagen. Ansonsten müssen nämlich wir etwas sagen. Da geht es nämlich auch um unsere Heimat. Und um die machen wir uns gerade Sorgen. Unter anderem wegen dir, lieber Andreas. Unsere Heimat, die ist nämlich groß, auch, wenn längst nicht immer alles heil ist – auch wenn alles immer wieder mal auch viel zu viel Heil! ist. Aber vielleicht ist ja gerade das auch das Steile an der Sache.
Ja, lieber Andreas, ist dir überhaupt bewusst, dass du dich da auf eine ganz bestimmte Seite stellst? Dass du da gerade als altgedienter Gaudi-Bursch jene Österreich-Erzählung besingst, die zurzeit dafür sorgt, dass sich vielerorts die Gaudi aufhört? Auch, wenn ihre Propagandisten behaupten, wo die Gaudi aufhört, wäre lediglich da, wo der Ernst anfängt – wobei sich der dann im Endeffekt immer noch als Bier-Ernst entpuppt hat, durchaus im doppelten Wortsinn. Ja, Andreas, das mag schon sein, dass du dir auch heute noch gerne mal im Heustadl einen Rausch einfängst, aber seien wir uns doch ehrlich, deine Unschuld hast du längst verloren.
Für diese Menschen sind Aliens Götter:
Na gut, also ganz im Ernst, garantiert ohne Gaudi. Lieber Andreas, es tut uns leid, dir das sagen zu müssen, aber es ist einiges passiert in den letzten 200 Jahren: Gott ist tot. Adolf ist tot. Ja, sogar Peter Alexander ist tot. Der tolle Mensch, der dem ersten die Glocken geläutet hat (ha, wir dachten, das würde dir gefallen, aber ja, nein, nicht die Glocken), ist übrigens einer, von dem deine Spezies im Geiste immer wieder gerne behaupten, sie hätten ihn eh sehr gerne gehabt – was in so ziemlich allen Fällen auf einer diffusen Mischung aus absichtlichem und unabsichtlichem Missverstehen zu beruhen scheint.
Wir haben ihn übrigens auch sehr gerne. Friedrich heißt er, aber das hast du ja sicher gewusst. Der Friedrich hat jedenfalls einmal gesagt, ein Volk kannst du nicht edel und hoch genug denken. Ja, schon der Friedrich hat gewissermaßen von einem Volk geträumt, das sich in Hinblick auf so große Begriffe wie Heimat nicht einfach mit einem Schnitzel abspeisen lässt. Auch, wenn es noch so aus der Pfanne kommt – wobei gerade bei so sinnbildlichen Schnitzeln immer die Frage ist, wer da letztendlich wirklich in die Pfanne gehauen wird, aber das nur am Rande.
Genau wie der Friedrich träumen wir heute noch: Von einem Volk, das eigensinnig ist und es gerade deshalb schafft, sich dem Ungeist der Zeit, oder – lass es uns so sagen – der unerträglichen Blödigkeit des politischen Diskurses entgegenzustellen. Ein Volk, das stolz ist und gerade deshalb auch den anderen ihre Würde lässt. Ein Volk, das sich seiner Tradition bewusst ist und gerade so mutig in die Zukunft schreiten kann, anstatt sich permanent in die Vergangenheit zu flüchten.
Sag einmal Andreas, kennst du eigentlich noch den Franz Sternbald, den Heinrich von Ofterdingen, ja, hast du überhaupt schon einmal was von den Abenteuern eines gewissen Taugenichts gehört? Keine Angst – rhetorische Frage – natürlich nicht, wissen wir eh. Von denen könntest du einiges lernen: Nur wer seine Heimat von ganzem Herzen liebt, – und, ja, nein: Liebe ist nun einmal kein Schnitzlgusto, nur dass wir uns da richtig verstehen – der kann hinaus in die weite Welt ziehen, um letzten Endes als ein Anderer wieder zurückzukehren. Meist als derjenige, der zu sein von Anfang an seine Bestimmung war. Dabei muss man gar nicht mal so weit weg.
Damals war es meistens nur Italien. Heute geht es sogar noch einfacher – und das liegt nicht nur an den vielen Billigflügen. Heute kommt die weite Welt auch einfach in die Heimat hinein. Gerade in von manchen selbsternannten Schlaufüchsen sogenannten bewegten Zeiten. Die Anderen sind eben überall. Und überall ist es anders. Die besseren Psychologen würden da völlig zu Recht noch hinzufügen, das Andere ist zuallererst in uns selbst drinnen. Es sei denn, man ist so ein alter Verdrängungs-Kaiser wie du.
Na, aber eben auch das gehört ja hier offenbar zur Tradition. Ja, auch das sagen wir dir nur ungern, lieber Andreas: Auch die Zwischenkriegszeit ist längst vorbei, da hilft weder frommes Wünschen noch der gute alte Rock’n’Roll. Schau dir nur lieber einmal die alten Geschichten an, von denen wir gerade gesprochen haben, lieber Andreas. Die helfen uns nämlich nicht, die Gegenwart zu vergessen, sondern zu verstehen – und by the way: Romantik ist nicht nur das, was aufkommt, wenn du deine Hüften schwingst.
“Ja, Andreas, ich schlage vor, wir machen es einfach so wie unsere ungarischen Freunde, bauen uns eine schöne Mauer um unser schönes Österreich und hängen zur Abschreckung ein Kreuz vorne drauf. “
Ein stolzes Volk denkt global, nicht völkisch. Ein Volk ist dynamisch, organisch, lebendig. Ein Volk, das ist kein staubiges Kellerabteil, in dem man sich versteckt, in der Hoffnung, dass alle anderen und mit ihnen letztendlich die Gegenwart ganz von selber verschwinden, wenn man sie nur – entsprechend Paul Watzlawicks berühmten Diktum, man kann nicht nicht kommunizieren – oft und skrupellos genug ignoriert. Wo das Volk als Panic-Room (oder Pfannic-Room) funktioniert, hat das meist etwas mit Paranoia zu tun.
Das lehrt uns die Geschichte, nicht aber die Milka-Werbung. Ach, wo wir schon dabei sind – hast du dir das wirklich gut überlegt, lieber Andreas? Tradition leben, mit der Zeit gehen. Das heißt, solange wir unseren Kuchen kriegen, ist es völlig egal, ob er vom kleinen Bäcker im Ort (schnief!) oder vom internationalen Lebensmittelmulti Mondelez kommt, der aus Rücksicht auf unsere Heimat-Gefühle nicht einmal davor zurückschreckt, irgendwelchen Urwald-Völkern (oder wie immer das auf politisch korrekt heißt), die Urwald-Heimat wegzuroden. Wobei, so ein Urwald ist ja in deiner Welt ganz bestimmt viel weniger Heimat als ein Schnitzel in der Pfanne. Wer weiß, ob die Urwäldler überhaupt so wie wir fidelen Urtypen täglich ihre Ration Heimat, äh – meinte freilich – Schweinefleisch essen. Na, vermutlich sind das eh alles Islamerer!
Na, und bevor die zu uns kommen und uns unser Schweineschnitzel nicht wegessen, weil sie es gar nicht wollen, müssen wir sie daran hindern. Ist doch klar. Ja, Andreas, ich schlage vor, wir machen es einfach so wie unsere ungarischen Freunde, bauen uns eine schöne Mauer um unser schönes Österreich und hängen zur Abschreckung ein Kreuz vorne drauf. Ja, ist es nicht so, Andreas? – Wenn es doch einen Gott gibt, dann haben wir ihn längst schon mitausgesperrt. Aber zurück zum Thema.
Mit der Zeit gehen, Tradition leben. Wie in der Milka-Werbung. Haben wir dich da richtig verstanden, Andreas? Heimat darf also gern immer ganz anders sein, als sie zu sein scheint – solange wir nur nichts davon mitkriegen. Glauben ist eben immer noch besser als Wissen. Um jeden Preis glauben wollen heißt dagegen aber oftmals nichts Anderes, als nichts wissen wollen, um dann am Ende auch noch den Glauben zu verlieren. Wir haben da jedenfalls auch ein paar Vorschläge zur Weiterführung unserer großen österreichischen Tradition für dich erarbeitet:
1. Opa durch einen Roboter ersetzen, der genauso aussieht wie Opa (und im Idealfall ein bisschen weniger grauslich riecht).
2. Die Alpen abreißen und ein Poster aufhängen, auf dem die Alpen abgebildet sind. Dahinter kann man dann ein Parkhaus bauen (quasi Ressourcen-Management).
3. Unsere reschen Madls (quasi Inländer-Fleisch) durch asiatische Prostituierte ersetzen, die sich dann die Haare blondieren, ein Dirndl tragen und eine Maß auf Ex trinken müssen (quasi Anti-Schluckreflex-Training).
Alles kein Problem, so lange es ein Schnitzel in der Pfanne gibt – weil, seien wir uns einmal ehrlich, darum geht es doch im Endeffekt. Auch wenns irgendwann nur mehr radioaktiv verseuchtes Zombie-Fleisch aus Frankensteins Labor gibt – aus der Pfanne muss es kommen! Aus der Pfanne, hörst du mich! Pfanne! Pfanne! Österreich!
Lieber Andreas, ehrlich: da wird doch das Schnitzel in der Pfanne verrückt, das kann doch nicht dein Ernst sein. Oder doch? Unsere Heimat ist da ganz anders und wir sind fest davon überzeugt, dass sie mit jedem Tag mehr Wirklichkeit wird, wenn wir nur nicht aufhören, daran zu glauben und danach zu handeln:
Heimat bedeutet für uns Brüderlichkeit, Gleichheit und Solidarität – und da halten wir es ganz mit Erich Fromm, der einmal gesagt hat, die einzige Solidarität, die diese Bezeichnung verdient, ist Solidarität mit der ganzen Menschheit. All das ergibt sich übrigens ganz von selbst, wenn man seine Idee von Heimat vom Erleben und Leben von – na, ganz genau – Heimat bezieht. Und nicht aus der Fernsehwerbung. Heimat heißt, sich engagieren, eingebunden sein in politische und kulturelle Prozesse. Heimat heißt helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Heimat heißt gemeinsam feiern, wo immer es was zu feiern gibt. Heimat heißt, der Heimat gegenüber auch einmal ungemütlich werden, wenn es denn sein muss. Heimat ist vor allem auch immer ein konstruktiver Dialog mit der Heimat.
“Heimat bedeutet für uns Brüderlichkeit, Gleichheit und Solidarität.”
In was für einem Land wollen wir leben? Diese Frage stellen ist keine Ketzerei, sondern notwendig, damit Heimat uns am Ende nicht fremd wird. Heimat heißt geliebt zu werden, wie man ist – und die Anderen lieben zu können, wie sie sind. Heimat heißt dementsprechend auch, dass wir niemanden auf ein Scheidl knien lassen, weil er uns nicht in den Kram passt. Genauso wie wir es selbst ablehnen, uns auf ein Scheidl zu knien. Ja, Andreas, wer heute noch über solche Praktiken phantasiert, sollte vielleicht einmal einen Psychologen konsultieren – oder eine Domina! Ja, auch das sage ich dir nur ungern, lieber Andreas, auch das Mittelalter ist längst vorbei. Deswegen werden heute auch keine Kreuzzüge mehr veranstaltet. Es sei denn vielleicht, sie haben einen Haken.
Also, wir kommen zum Ende lieber Andreas, nur, dass das klar ist:
Wir lieben dieses Österreich, wir lieben Bier, wir lieben Schnitzel. Wir lieben Fendrich, Ambros und Danzer. Wir lieben Hundertwasser, den Linzer Urfahranermarkt und den Stephansdom. Wir lieben den Schlachthof Wels, das Wiener Allianz Stadion und die Staatsoper. Wir lieben Ingeborg Bachmann (gerade, weil wir sie so oft nicht verstehen), Marianne Mendt und Anita Wachter. Wir lieben H.C. Artmann, Walter von der Vogelweide und David Alaba. Wir finden Dancing Stars, den Kaisermühlen Blues und das dramatische Werk von Werner Schwab einfach super. Hans Krankl verehren wir wie eine Go(e)ttIn, genau dasselbe gilt für Helmuth Qualtinger und Maria Bill.
Ja, es ist immer noch verdammt geil hier, aber du Andreas, bist leider ein sehr schlechter Sänger.
Also, du hast es nicht anders gewollt, für dich und alle anderen Freunde des Alten Testaments: die gerechte Strafe, unsere neue Single “Ane auf die Finga” aka Scheidlknian, kannst du dir ja hier mal anhören.
In Liebe,
Deine Krautschädl
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