Ein offener Brief an meine Eltern, die nicht mit meiner Drogensucht umgehen können

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Ein Teil von mir hat unglaublich Schiss davor, diese Zeilen zu schreiben. Dabei weiß ich nicht mal, ob ihr das hier jemals lesen werdet. Falls doch, dann sind diese Worte für euch bestimmt nur Jammern, Schuldzuweisungen und Ausreden. Dafür habe ich euch auch schon genügend Gründe geliefert.

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Daher meine erste Bitte: Vertraut mir. Ich will euch nicht noch mehr Ausreden oder Lügen auftischen. Ich will euch nicht manipulieren – auch wenn es vielleicht weniger wehtut, wenn ihr die folgenden Worte als Manipulation betrachtet. Nein, ich will euch tatsächlich etwas Wichtiges sagen.

“Ich habe meine Träume nie aufgegeben und euch immer stolz machen wollen.”

Sobald man süchtig ist, fühlen sich nicht die Drogen an wie Gift, sondern der Entzug. Mein Magen brannte oft schon nach dem Aufwachen wie Feuer. Dennoch habe ich an diesen Tagen nie das kleine, hoffnungsvolle Mädchen vergessen, das ich mal war. Irgendwo ist dieses Mädchen immer in mir drin gewesen, auch als ich ein zitterndes, krankes Wrack war. Ich habe meine Träume nie aufgegeben und euch immer stolz machen wollen. Erstmal musste ich aber dieses Brennen loswerden; bevor ich etwas machen konnte, musste es mir besser gehen.

Wisst ihr, worüber meine Freunde und ich am meisten geredet haben, wenn wir auf Drogen waren? Darüber, was wir machen wollen, wenn wir von dem Zeug loskommen. Es fühlte sich so nah an, so als könnten wir schon am darauffolgenden Tag einen Bestseller schreiben, Awards für Hollywood-Kostüme gewinnen oder eine Unterkunft für gefährdete Jugendliche eröffnen. Solche Träume waren für uns genauso wichtig, wie sie es damals für uns als Kinder gewesen waren – damals, als ihr uns noch vertraut habt. Wir hatten ja keine Ahnung, wie schwer so ein Entzug wirklich ist. Auf Drogen erschien es total einfach, von ihnen loszukommen.


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Offene Lippen, hängender Kopf, schlaffe Augenlider und nach oben gerollte Augen. Als es mir dreckiger nicht hätte gehen können, habe ich mich nach eurer Unterstützung und Nähe gesehnt. Stattdessen habt ihr euch von mir abgewandt. Das kann ich euch bei dem schrecklichen Anblick gar nicht übel nehmen. Vielleicht hätte es geholfen, euch irgendwie mitzuteilen, dass ich mich nur versteckte. Dass ich an dem dunklen, sanften Ort Ruhe und Sicherheit fand, mich unberührbar fühlte.

Die Autorin Susana Ferreira hat analysiert, wie Portugal es mithilfe einer liberalen Drogenpolitik geschafft hat, durch Opioide verursachte Todesfälle einzudämmen. Sie schreibt, dass dieser Erfolg auf einigen grundlegenden Faktoren basiere. Einer davon sei, dass die Gesellschaft eingesehen habe, dass der Drogenkonsum eines Menschen oft dessen kaputte Beziehungen zu Freunden, Familie und sich selbst verschleiern soll.

In fast allen Broschüren und Büchern, die uns in den Therapiesitzungen und Entzugskliniken in die Hand gedrückt werden, steht, dass nach einem Entzug die kaputten Beziehungen zu Freunden und zur Familie repariert werden müssen. Zu oft muss diese Aufgabe aber allein von der Person gestemmt werden, die gerade erst ihren Weg zur Besserung angetreten hat. Worte wie “Akzeptanz”, “Selbsterkenntnis” und “Schuld” sollen diese einseitige Rollenverteilung dann besser klingen lassen.

“Es ist unverantwortlich, einfach anzunehmen, dass ihr nichts zu meiner Sucht beigetragen habt.”

Aber auch ihr müsst über euch selbst nachdenken. Akzeptiert, dass ihr an meinem Absturz mit schuld seid. Auch wenn euch in den Selbsthilfegruppen für Familien von Suchtkranken eingeredet wird, dass ihr die Sucht nicht verursacht habt und diese weder kontrollieren noch heilen könnt.

Es stimmt, meine Sucht kontrollieren könnt ihr tatsächlich nicht. Nachdem ich süchtig wurde, brauchte es viel mehr als nur Familie, um das Ganze wieder unter Kontrolle zu bringen. Es ist jedoch unverantwortlich, einfach anzunehmen, dass ihr nichts dazu beigetragen habt. Als ich mit 14 über meine Depressionen reden wollte, habt ihr lieber ein Buch in die Hand genommen und mich ignoriert. Das war wie Öl aufs Feuer meiner aufkommenden Sucht.

Als ich 17 war und mich mein damaliger Freund schlug, seid ihr ausgerastet. Anstatt mir zu sagen, dass ihr mich liebt und ich etwas Besseres verdient habe. Als ich euch erzählte, dass ich fast vergewaltigt wurde, habt ihr das als Lüge abgetan. Als ich rückfällig wurde, habt ihr mir deswegen ein schlechtes Gewissen gemacht. Als ich mich eines Abends in meiner Wohnung unsicher fühlte, wolltet ihr mich nicht bei euch aufnehmen, nicht mal für eine Nacht. All das hat zu meiner Sucht beigetragen.

Das klingt jetzt alles sehr anschuldigend. Und ich weiß, dass niemand so etwas gerne hört. In einem Interview mit dem Time-Magazin beschreibt der Suchtexperte Gabor Mate, wie Eltern unbewusst zur Sucht ihrer Kinder beitragen: “In unserer Gesellschaft stellt sich nicht die Frage, ob Eltern ihr Bestes geben und ihre Kinder lieben oder nicht. Oftmals sind sie nämlich zu isoliert, gestresst oder beschäftigt, um immer da sein zu können. Unterm Strich ist früher emotionaler Verlust die Grundlage für jede Sucht.”

Früher war ich richtig sauer, weil ihr mich meiner Meinung nach oft im Stich gelassen habt. Lange Zeit hasste ich euch sogar. Wenn es mir richtig schlecht geht, hasse ich euch auch heute noch. Inzwischen verstehe ich aber, dass auch ihr nur Menschen seid und keine perfekten Superhelden. Hier geht es nicht um die Schuldfrage oder Vorwürfe. Ich weiß jetzt, dass ihr damals einfach euer Bestes gegeben habt. Bitte seid euch bewusst, dass das Gleiche auch immer für mich gegolten hat.

“Bitte verabschiedet euch von der Vorstellung, dass es nur ein wenig ‘gutgemeinte Härte’ braucht im Umgang mit mir.”

Wenn ich mich von meiner Sucht befreien will, dann muss ich mich von meiner alten Verbitterung lösen und mich selbst um meine Behandlung kümmern. Wenn ihr mir wieder auf die Beine helfen wollt, müsst ihr aber auch aufhören zu denken, dass ihr zu meiner Sucht beitragt, wenn ihr nicht streng zu mir seid – wenn ihr mich liebt. Ich brauche eure Liebe. Ich brauche es, dass ihr mir eine bedingungslose und unbegrenzte Chance gebt.

Das bedeutet aber auch, dass ihr euch mit den unschönsten Aspekten meines Lebens auseinandersetzt und mir trotzdem nicht wieder den Rücken zukehrt. Ihr mir zuhört, wenn mir alles zu viel wird und ich Hilfe brauche. Ihr müsst mir kein Geld geben oder irgendwelche andere Bitten erfüllen, die mein suchtkrankes Ich ausspricht. Bitte verabschiedet euch aber von der Vorstellung, dass es nur ein wenig “gutgemeinte Härte” braucht im Umgang mit mir. Das führt im Normalfall nur zu noch mehr negativen Gefühlen, was die Sucht wiederum verstärkt.

Ich frage mich, ob ich jemals genug Mut haben werde, um euch ins Gesicht zu sagen, was ich von euch brauche. Vorerst muss es dieser Brief tun. Mal sehen, ob er etwas bringt.

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