Ein Philosoph hat uns das Interview von Jaden und Willow Smith erklärt

​ Es weiß so wirklich keiner, wovon genau ​das Interview mit Jaden und Willow Smith handeln sollte, ​das das T​ M​​agazi​ne vor einigen Tagen mit ihnen führte. Zeitreisen? Die Atmung von Säuglingen? Quantenphysik? Das ​Vulture-Ma​gazine nannte es ein „Zen-Gelaber” und der Guardian „völligen Blödsinn”. Weil es der Times hierzu an konstruktiven Kommentaren fehlte, haben sie kurzerhand einen Lyrik-Generator entworfen, mit dem du Phrasen aus dem Interview in dichterische ​Haiku-Formen zaubern kannst—wie etwa so:

Kinder erinnern /
​Das Gegenteil eines Apfels /
​Weil lebend

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Es war ein Interview, das jeder las, aber keiner verstand; so ähnlich wie einen Thomas-Pynchon-Roman. Also fragte ich einen Philosophieprofessor (der nicht möchte, dass sein Name mit der ganzen Angelegenheit in Verbindung gebracht wird), ob er uns dieses ganze Kauderwelsch in eine verständliche Sprache übersetzten kann und er außerdem zu sagen vermag, ob irgendwas von alledem auch tatsächlich Schnittmengen mit wirklicher Philosophie hat.

VICE: Zu Beginn des Interviews sprechen Willow und Jaden sehr viel über Zeitreisen. Willow behauptet, sie könne die Zeit „langsam oder schnell, ganz wie es ihr beliebt” verstreichen lassen und Jaden ergänzt, dass die Weise, wie Zeit verläuft, davon abhängt, wo man sich im Universum befindet. Wovon reden die da?
Philosophie Professor: Die sprechen da von zwei Dingen. Jaden scheint über die berühmten Schlussfolgerungen aus der Relativitätstheorie Bescheid zu wissen, die gemeinhin unter dem ​Zwillingsparadoxon bekannt sind.

Dabei geht es um zwei komplett identische Zwillinge, von denen einer in eine Rakete steigt und superschnell—fast in Lichtgeschwindigkeit—durchs All reist, und der andere Zwilling ganz normal auf der Erde bleibt. Die Relativitätstheorie besagt nun, dass, wenn der Zwilling in der Rakete nur schnell und lange genug reist, er bei seiner Wiederankunft auf der Erde jünger sein wird als alle Menschen, die er dort zurückgelassen hat, einschließlich seines viel schneller gealterten Zwillings. Also, wie hier der Verlauf von Zeit in Hinblick auf seine Relativität erklärt wird, hat schon Sinn und gilt in der Wissenschaft als anerkannt—zumindest so anerkannt wie ein Theorie in der Wissenschaft sein kann.

Und was ist mit Willows Idee, die Zeit verlangsamen und beschleunigen zu können?
Das hat mehr mit der Phänomenologie der Zeit zu tun. Die Relativitätstheorie sagt nicht viel darüber aus, wie sich Zeit für uns anfühlt. Sie macht nur Voraussagen über den objektiven Verlauf von Zeit.

Beide Kinder scheinen in ihren jeweiligen Kommentaren ähnliche Beobachtungen darüber gemacht zu haben, wie ein- und dasselbe Zeitintervall für den subjektiven Betrachter langsamer oder schneller verlaufen kann. Zeit verfliegt, wenn wir Spaß haben, sitzt man hingegen in einer langweiligen Unterrichtsstunde, dann scheint es, als ob Minuten Stunden dauern würden. Das alles ist bekannt und auch wahr, hat aber mit menschlicher Psychologie und nicht der Objektivität von Zeit zu tun. Die zwei Themenbereiche also, die die beiden da anschneiden, betreffen zum einen die Physikalität von Zeit und zum anderen ihre Phänomenologie.

WOW. Und was ist mit der Passage, wo sie davon sprechen, Teil einer „holographischen Realität” zu sein”?
Die Hypothese einer holographischen Realität ist nichts anderes, als ​Descarts Traum-Sze​nario im neuen Gewand—also ein Leben in der Matrix. Das ist etwas, ​worüber Philosophen s​eit langer, langer Zeit diskutieren.

Im späteren Verlauf des Interviews sagt Jaden: „Was ist dein Beruf, was ist deine Karriere? Nichts. Ich bin!” Ist das auch eine kartesianische Sichtweise—ich denke, also bin ich? Oder ist es doch eher existenziell?
Ich verstehe, warum du versucht bist, eine dieser beiden Parallelen zu ziehen, aber was er da sagt, klingt für mich eher nach platter Gesellschaftskritik. Ich meine, auf Cocktail-Partys etwa ist die erste Frage, die man unbekannten Leuten stellt: „Und, was machst du so (beruflich)?” Das kann irgendwann nerven. Ich glaube, Jaden zielt darauf ab, dass es weit mehr Dinge gibt, die den Menschen ausmachen als seine bloße 9-to-5-Tätigkeit, für die er bezahlt wird; und dass so etwas Zurückgebliebenes an einer Kultur sein muss, die uns zwingt, sich selbst über den Beruf zu definieren.

Oh. Ja, das ist ein guter Punkt.
Ja, ich glaube, es wäre zu weit hergeholt, hier auf Basis eines mickrigen Satzes eine Verbindung zur existentialistischen Tradition ziehen zu wollen. 

Was bedeutet „Prana-Energie”?
Prana-Energie klingt nach fernöstlicher Philosophie, über die ich nicht viel Bescheid weiß.

Kein Problem. Was ist mit dem „doppelte Bewusstsein”? Aus welcher Richtung kommt das, wenn er davon spricht?
Das „Doppelte Bewusstsein” kommt von ​Du​ Bois.

Ach ja; aber ich bin mir da nicht so sicher, ob Jaden wirklich auf diese Form des doppelten Bewusstseins referiert. Er redet da was von „deinem Verstand ist eine Dualität eigen” und „wenn du über einen Apfel nachdenkst, denkst du ebenso über das Gegenteil von einem Apfel nach.” Was soll das überhaupt heißen?
Das ist tatsächlich etwas wirr. Es scheint so, als wenn er da gleichzeitig in dutzend verschiedene Richtungen los will—was nicht ungewöhnlich ist, wenn man bedenkt, dass er ein Kind ist. Trotzdem steckt da vielleicht eine interessante Idee aus der erkenntnistheoretischen Richtung drin. Und zwar geht es darum, dass man außerstande ist, die eigentliche Sache selbst zu denken, wenn man nicht im Stande ist, sich das Gegenteil einer Sache vorzustellen. Zum Beispiel würde die Idee einer gefälschten Währung in einer Welt, in der alle Währungen gefälscht sind, nicht sehr sinnvoll sein. Oder ein besseres Beispiel: Ich mag jetzt vielleicht träumen, aber sollte ich annehmen, dass alle meine Erfahrungen Träume sind?

Und ab geht es in den Kaninchenbau.
Jap.

Können wir kurz wieder zu Du Bois und der Idee des „Doppelten Bewusstseins” zurückkehren? Willow erwähnt ihr Lied „Whip My Hair”. Sagt Ihnen das was?
Oh ja, klar!

Also, auf jeden Fall äußert sie sich zu ihrem Lied und meint, wie sehr es „so viel für junge schwarze Mädchen in Amerika und auf der ganzen Welt getan hat. Nämlich ihnen zu zeigen, dass sie sie selbst sein können und keine Angst davor haben müssen, sie selbst zu sein.” Klingt das glaubhaft mit der Ideologie von Du Bois?
Nun ja, wenn du „du selbst” bist, in dem hier relevanten Sinn, dann wirst du nicht davon eingenommen, wie dich anderen Menschen wahrnehmen. Du versuchst dann, dass doppelte Bewusstsein zu überwinden. Du versuchst, dich nicht mehr durch die Linse einer dritten Person zu sehen, sei es nun durch die des weißen Kolonialherren oder wem auch immer. Alles, was du versuchst, ist, dich durch die Perspektive eines Individuums zu sehen, das du selbst bist. Also ja, ich tippe mal, dass da eine Verbindung besteht. Aber ich bin kein Du-Bois-Experte.

In der Summe betrachtet, würden Sie also nicht zustimmen, dass Willow und Jade eine totale Macke haben?Nein, es scheint, als wären sie sehr gebildet—wenn auch auf eine leicht New-Age’ige Art und Weise.