Ein Transmann und eine Transfrau über Männlichkeit

Fotos mit freundlicher Genehmigung.

“Wir sind ein Dreamteam”, sagen Alessandro und Gabi und geben sich ein Bussi. Gabi ist als biologischer Mann zur Welt gekommen, Alessandro als biologische Frau. 2014 haben sie sich in einer Selbsthilfegruppe für Transmenschen kennengelernt, heute sind sie ein Paar. Gabi ist 48, Alessandro 26—mit ihrer Transition, also dem Weg, sich äußerlich an ihr wahres Geschlecht anzugleichen, haben sie beide vor zirka drei Jahren begonnen.

Gerade vor ein paar Tagen habe die Nachbarin gesagt, dass es ja eigentlich verrückt sei, dass der eine das sei, was der andere sein will und umgekehrt, erzählen sie. Aber man könne halt nicht einfach tauschen. Was bedeutet Männlichkeit für zwei Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht mit ihrer Identität übereinstimmte und die sich deswegen mehr, oder anders, mit Männer- und Frauenbildern auseinandergesetzt haben?

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Wie hat sich das Bild von Männlichkeit im Laufe eures Lebens verändert?
Gabi: Früher war es so, dass der Mann arbeiten gegangen ist und das Geld nachhause gebracht hat. Wenn er daheim war, hat er sich mit einem Bier auf das Sofa gesetzt und die Frau hat gekocht, gewaschen, den Haushalt gemacht, ist vielleicht nebenbei noch arbeiten gegangen, heute entwickelt es sich in eine gewisse “Gemeinsamkeit”. Während Frauen im Berufsleben mehr und mehr in sogenannte Männerdomänen vordringen und dort auch immer mehr akzeptiert werden. Das war vor 20 Jahren unvorstellbar, dass eine Frau zum Beispiel in einer Tischlerei oder beim Automechaniker steht. Der Mann ist nicht mehr unbedingt das starke Geschlecht. Frauen wird immer mehr zugetraut.

Hat sich dein Bild über Männlichkeit im Laufe deiner Transition geändert?
Ich habe erst sehr spät damit angefangen. Mit Mitte 40. Das Thema ist bei mir aber seit der Pubertät da. Ich habe aber lange versucht, der sogenannten Norm zu entsprechen. Was der Mann zu machen und wie er zu sein hat, hatte auch Partnerinnen, das muss ein Mann schließlich. Ich habe aber immer gemerkt, dass ist nicht das, was ich will. Es war nicht richtig. Ich konnte diesem Männerbild einfach nicht entsprechen, weil ich es einfach nicht bin.

Irgendwann wird aber der Leidensdruck so groß, dass es nicht mehr geht. Man geht daran zugrunde. Deswegen habe ich es dann in Angriff genommen—ich wusste nicht, wohin die Reise geht, ich war für alles offen und habe dann gesehen, dass der Weg, wie ich ihn gehe, für mich richtig ist. Ich hatte eine Geschlechtsangleichung, die ist sehr gut verlaufen, aber geistig ist es immer ein Prozess. Da kommt man wahrscheinlich nie wirklich an.

Alessandro, wie war das bei dir?
Alessandro: Bei mir war es schon lange vor der Pubertät. Als ich sechs war, ist mein Cousin auf die Welt gekommen, wir haben uns damals Fotos angesehen und ich hab gefragt, wann bei mir so etwas wächst. In der Pubertät war es dann schlimm. Brustwachstum oder die erste Regel, das war schrecklich. Mit 19 hatte ich einen Selbstmordversuch, aber bis ich wirklich was unternommen habe, hab ich dann noch einmal fünf Jahre gewartet.

Weil du nicht wusstest, wie du weiter tun sollst?
Ich wusste, es gibt diesen Weg. Aber sagen wir es so: Ich war einfach feig. Es ist einfach auch ein schwieriger Weg.

Wie warst du als Kind? Hast du versucht, diesem klassischen Mädchen-Bild zu entsprechen?
Ich wollte nie lange Haare haben, bis zur Erstkommunion musste ich sie dann lang lassen. Ich wollte auch nie Röcke oder Kleider anziehen und habe mich einfach strikt geweigert.

Hattest du ein Vorbild, an dem du dich irgendwie orientiert hast?
Mein Pflegevater war es nicht. David Beckhams Frisur hat mir immer gefallen. Ich war glücklich, wenn ich kurze Haare haben und eine Jeans tragen durfte. Aber es war immer ein Kampf.

Gabi, hattest du Vorbilder, an denen du dich orientiert hast?
Gabi:
Die breite Masse war es bei mir. Wenn ich einkaufen war, hab ich Frauen angesehen, aber nicht, weil ich sie sexuell interessant fand, sondern weil ich geschaut habe, was sie tragen oder ob es mir auch stehen könnte. Und das habe ich dann manchmal versucht zu kopieren.

Wenn ich einkaufen war, hab ich Frauen angesehen, aber nicht, weil ich sie sexuell interessant fand, sondern weil ich geschaut habe, was sie tragen oder ob es mir auch stehen könnte.

Macht ihr manchmal Sachen, die ihr tut, um mehr dem Bild, von dem ihr wollt, dass es auch eure Umwelt von euch hat, zu entsprechen?
Gabi: Auf gar keinen Fall. Ich bin eine Schrauberin und keine Schreiberin. Ich bin Radio- und Fernsehmechanikerin und Zerspanungstechnikerin. Wenn ich da überall verschmiert bin und ausschau von oben bis unten, dann ist mir das wurscht. Das ist eine Arbeit, die mir Spaß macht. Genauso ist das bei meiner ehrenamtlichen Arbeit beim Roten Kreuz, da muss man anpacken können.
Alessandro: Dafür hat sie in der Küche nichts zu suchen, weil das mein Bereich ist.

Reagieren biologische Männer und biologische Frauen unterschiedlich auf Transmänner und Transfrauen?
Gabi: Im Alltag ist es verschieden. Da kann man es nicht auf Männer und Frauen aufteilen, finde ich, da reagieren die einzelnen Menschen verschieden.
Alessandro: Na ja. Ich hab schon öfter festgestellt, dass biologische Frauen eher wenig Probleme mit Transmenschen haben. Männer haben oft irrsinnige Probleme mit Transfrauen.
Gabi: Bei Beziehungen glaube ich das auch. Beziehungen würden biologische Männer mit Transfrauen weniger eingehen, weil sie glauben, sie könnten dann in die Kategorie schwul oder pervers eingestuft werden.

Habt ihr beide Gedanken, dass ihr euch erst männlich fühlt, wenn oder erst dann nicht mehr männlich fühlt, wenn …?
Gabi: Ich habe meine Männlichkeit Ende Juli 2014 abgelegt und ich will sie nicht mehr haben. Das war der Tag, an dem ich mein männliches Äußeres abgelegt habe. Ich bin einkaufen gegangen, dann zum Friseur, lange Haare hatte ich sowieso schon, hab sie dann noch schneiden und färben lassen. Dann bin ich in die Drogerie, hab mir neues Make-up gekauft, bin heim, habe meine männlichen Klamotten abgelegt und nie wieder angezogen.

Glaubst du, es ist auch viel Kopfsache?
Klar. Mit dem Körperlichen muss man sich arrangieren.

Alessandro, hast du den Druck, dass du dich noch nicht männlich genug fühlst, dass du von deinem Umfeld noch nicht als das wahrgenommen wirst, was du bist?
Alessandro:
Ich mache das für mich. Mit meiner Stimme bin ich schon weitgehend zufrieden, jetzt fehlt noch, dass der Bart wächst, das muss sein. Ich bin 1,56 groß, das ist ein Problem, weil es sehr wenige so kleine Männer gibt. Wenn man da etwas tun könnte, dann würde ich es schon machen. Das würde ich dann aber nicht für mich, sondern für die Gesellschaft tun. Es ist immer auch ein Kampf mit mir selbst.