Eine Analyse des sehr guten Gedichts des sehr guten Dichters Justin Bieber

Justin Bieber ist ein großer Dichter wie Friedrich Schiller

Glücklich allein ist die Seele, die liebt! Das wußte schon Goethe, ultimatives Sexsymbol des 18. Jahrhunderts, und das ist heute natürlich immer noch wahr. Das merkt auch Justin Bieber gerade, denn er ist schwer verliebt in seine Frau Hailey, die ihn im letzten Oktober geheiratet hat.

Dass sie warme Wallungen für Weibchen empfinden, ist aber nicht das einzige, was Goethe und Bieber verbindet! Denn Bieber ist jetzt auch unter die Dichter gegangen, um Hailey zu sagen, wie glücklich sie seine Seele macht. Und weil er Justin Bieber und das Jahr 2019 ist, hat er das natürlich auf Instagram gepostet:

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Und weil er Justin Bieber und das Jahr 2019 ist, werden wir dieses Gedicht jetzt analysieren. Goethe ist schon lange tot, der kann also nichts dagegen tun! Los geht’s:

Sunlight falls into the Abyss
Just like i fall into your lips

(Sonnenlicht fällt in den Abgrund
Wie ich in deine Lippen falle)

Ein starker Anfang! Bieber macht keine Gefangenen, kommt direkt mit der ganz großen Metapher-Keule aus dem Tor gestürmt. Das Bild hat man direkt vor Augen: Sonnenlicht, wie es in den Grand Canyon stürzt und dort von der Schwärze verschluckt wird.


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Mit dem “Abyss” hat er auch gleich ein starkes Emo-Element reingebracht, das mit dem Sturz des Dichters zwischen die Lippen der Geliebten kompromisslos weitergetrieben wird: Indem er die körperliche Anziehung, die seine Frau ausübt, als fast schon soghaft, ja sogar gefährlich beschreibt, stellt Bieber sich hier klar in die Tradition der amour fou; Tristan und Isolde; der Orgasmus als “kleiner Tod”; Kundry, die versucht, den Parsifal zu verführen. Wie gesagt: starker Anfang, Justin!

Waves crash onto the shore
My love for you grows more and more

(Wellen brechen am Ufer
meine Liebe für dich wächst immer weiter)

Die zweite Stanza überrascht: Hat Bieber im Einstieg noch ein wahres Feuerwerk an Assoziationen ausgelöst, fällt er hier plötzlich auf ein geradezu obszön naives Reim-Muster zurück. Die seichte Natur-Beobachtung gekoppelt mit dem stumpfen Reim – besonders im Englischen muss man sich vorstellen, wie sich der Mund des Rezitierenden zu einem dummfischartigen “Shoaaar / moaar / moaar” verzieht – lässt uns verwirrt, ja irritiert, zurück. Ist das postmodern? Hat Bieber uns mit dem gefühlvollen Anfang nur in eine Falle locken wollen, um uns dann eine Lektion über die Konstruiertheit aller Dichtung um die Ohren zu klatschen? Wir sind gespannt!

Sound of the crickets a true meditation
I think about you, Gods greatest creation.

(Der Klang der Grillen ist Meditation
Ich denke an dich, Gottes größtes Geschöpf)

Gnadenlos, der Bieber, gnadenlos. Auch hier wieder: Dümmlich-banale Beobachtung, gefolgt von kitschig-plumpem Reim. Bieber verfolgt hier ganz klar eine dekonstruktivistische Strategie, er macht sich praktisch lustig über uns, die wir ein echtes Gedicht erwartet hatten. Interessant, aber: Was auch immer er uns mitgeben möchte, es wird uns Schmerzen kosten!

As i fall into this blissful state
I ponder on how you’re my one true SOULMATE

(Während ich in diesen seligen Zustand falle
Denke ich darüber nach wie du meine einzige echte SEELENVERWANDTE bist)

Jetzt zerfetzt er sogar noch den Rhythmus! Man muss sich Bieber an dieser Stelle diabolisch lachend vorstellen. Épatez les bourgeois!

It’s getting dark to dark to see
A chilling breeze embraces me
The smell of camomile fresh from the garden
My life is a movie that both of us star in.

(Bli bla blubb)

Jetzt ist er wieder im Rhythmus, dafür wackelt die Rechtschreibung (“to dark to see”). Bieber scheint sich immer noch über die Naturbeobachtung lustig zu machen – eine der Grundtechniken, vielleicht sogar die Grundtechnik der Dichtung an sich. Grillen, Wellen, Kamille – Bieber wirkt, als würde er vor seinem Haus in Malibu oder sonst wo sitzen und einfach stupide aufschreiben, was gerade so da herumschwirrt.

Und uns damit die Frage stellen: Ist Dichtung wirklich nicht mehr? Sind wir alle einem kitschigen Betrug aufgesessen, jahrtausendelang? Wie weit ist es von Homers “weinroter See” zu Biebers Kamillentee? Der kanadische Superstar scheint uns mit seinen perfekten, toten Augen anzustarren, während er ALLES infrage stellt.

Speaking of stars I’m starting to see some
They light up the sky, reminds me of my freedom
How big and how vast our world is around us
So grateful for god we were lost but he found us

Apropos Sterne, ich fange an, einige zu sehen

Sie erleuchten den Himmel und erinnern mich an meine Freiheit

Wie groß und wie groß ist unsere Welt um uns herum

So dankbar für Gott waren wir verloren, aber er hat uns gefunden

(–Google Translate)

“Speaking of stars I’m starting to see some” – Wow. Hier kann er seine totale Verachtung für das Genre nicht mehr verbergen, sie tritt offen hervor. Mit dieser perversen Travestie einer Überleitung spuckt er uns praktisch vor die Füße, wie sehr ihn unsere menschliche Sentimentalität anekelt. Und klar, unser wimmernder Glaube an ein höheres Wesen natürlich auch: “god” – mit kleinem “g” – wird dann am Ende auch noch mal in dieses Gedicht geworfen wie in kochendes Karamell. Bieber sieht ungerührt zu, wie der brennende Zucker der Manifestation unserer spirituellen Krücke die Haut schmelzen lässt.

So i write the poem with him always in mind
Things all around us Just get better with time. I fall more in love with you every day! You have walked hand and hand with me as I continue to get my emotions, mind, body and soul in tact! You have given me so much strength, support , encouragement and joy. I just wanted to publicly honor you, and remind you that the best is yet to come! Have a great shoot today my love!

Das Gedicht löst sich am Ende komplett auf, warum auch nicht. Bieber hat sein Ziel erreicht: Die gesamte Geschichte der menschlichen Dichtkunst ist ins Lächerliche gezogen und dort grausam ertränkt worden, niemand wird sich je wieder trauen, ein Gedicht zu schreiben. Have a great shoot today, my love! Have a great shoot.

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