Tech

Eine echte Musik-Kritikerin hat für uns KI-Songs bewertet

Drake, Kanye West en the Weeknd

KI-Musik ist überall. Computer machen unsere wildesten Collabo-Träume wahr, bringen Bands wieder zusammen und buddeln tote Künstlerinnen und Künstler aus. Manchmal schreiben die Maschinen sogar selbst ganze Songs! Natürlich ist das an der Musikindustrie nicht vorbeigegangen. Plattenfirmen wie Universal verhandeln gerade mit Tech-Firmen über ein Projekt, das es Fans ermöglichen soll, Songs existierender Künstlerinnen und Künstler zu generieren.

Aber wollen wir das überhaupt? Brauchen wir KI-Songs von bekannten Artists? Und kann dabei überhaupt gute Musik entstehen? Ich, eine waschechte Musikkritikerin, habe mir ein paar dieser Retortensongs angehört und sie in einer Bewertungsskala von “mies”, über “OK” bis “gut” und “genial” bewertet.

Videos by VICE

Kanye West – ohne Titel

Diese Strophe ist vor allem deswegen so viral gegangen, weil man einfach gruselig finden muss, wie sehr sie klingt, als wäre Kanye wirklich bei Roberto Nickson vorbeigekommen und hätte etwa acht Sekunden damit verbracht, seine klobigen Zeilen aufzunehmen.

In Wahrheit hatte Nickson einfach einen Kanye-mäßigen Backing-Track gefunden, eine Strophe geschrieben, sie eingesungen und mithilfe einer KI wie Kanye klingen lassen. Das merkt man vor allem an der Strophe selbst: Sie hat nichts von Kanyes Verve, Feuer und Antisemitismus. Ye ist vielleicht nicht der versierteste Rapper aller Zeiten, aber verglichen mit dem, was er selbst raushauen würde, wirkt das hier doch ziemlich zusammengeklatscht und unbeholfen. Nichtsdestotrotz: Diese Strophe ist immer noch besser als alles, was seit einiger Zeit aus Kanyes echtem Mund gekommen ist. Wollen wir also mal nicht allzu streng sein.

Wertung: OK

Drake ft. The Weeknd – “Heart On My Sleeve”

https://www.youtube.com/watch?v=exKYee1lSSM

Auch diesen Song hat ein Mensch geschrieben, aber eine KI performt. Da auch schon der echte Drake ein bisschen klingt, als hätte ihn ein Computer programmiert, sollte die KI hier eigentlich leichtes Spiel haben. Und ja, der Computer kriegt die emotionslose Delivery der beiden Künstler ziemlich gut hin. Nur mit dem Wort “Bieber” kämpft die Maschine ein bisschen. Aber anders als The Weeknd hat seine KI die letzten zehn Jahre nicht damit verbracht, jedes Wochenende Koks von Supermodelhintern zu ziehen – und man merkt’s. Seine Maschinenversion klingt ein bisschen zu spritzig.

Ja, das kleine Piano-Riff ist nett und der übersteuerte Beat gibt mir beste 2013-Vibes. Textlich klingt “I got my heart on my sleeve with a knife in my back” sehr nach Drake und auch die Tatsache, dass The Weeknd allein die Existenz von Frauen irritiert, passt. Ich finde nur, die beiden sollten Selena Gomez’ Namen nicht in ihre Fake-Münder nehmen. Der Song an sich ist aber ganz geil.

Wertung: Gut

Britney Spears – “pop, in the style of Britney Spears”

Hier kannst du es dir anhören, wenn du dich traust.

OK, ich lehne mich schon ziemlich weit aus dem Fenster, wenn ich das hier einen Song nenne. “Pop, in the style of Britney Spears” klingt in etwa so, als würde eine Eidechse versuchen, auf Englisch den Satan anzubeten, während im Hintergrund besoffene Waldnymphen lallend über einen verwunschenen Vergnügungspark torkeln. Britney stellt die künstliche Intelligenz vor das große Problem, dass kein Britney-Song wirklich wie der andere klingt. Sie verändert von Song zu Song sogar ihre Stimme. Das erklärt vielleicht auch, warum die KI mit ihrer gespaltenen Zunge so komplett überfordert ist. Erträglicher wird der Geräuschmüll dadurch allerdings auch nicht.

Wertung: Ein Albtraum (mies)

Nirvana – “Drowned in The Sun”

Dieser “Nirvana”-Song ist genau andersherum entstanden: Gesungen hat ihn ein Kurt-Cobain-Imitator, aber Text und Musik kommen von einer KI. Und es ist verdammt unheimlich: Hättest du mir gesagt, dass Dave Grohl diese Aufnahme beim Ausmisten seines Dachbodens gefunden hat, ich hätte es dir geglaubt. Der Computer kriegt Nirvanas leise-leise-LAUT-Songstruktur super hin, das gezupfte Intro-Riff und den wuchtigen, gequälten Chorus. “Drowned In The Sun” ist dazu auch noch ein herrlich grungiger Songtitel. Ein Merkmal für einen guten Nirvana-Songtext ist für mich, ob man ihn wieder und wieder in sein Schmierheft kritzeln würde. “I’ve got my hands right now in every wound / I’ve been here before but not with you / I still got some pain but it’s over now / The sun shines on you but I don’t know how”. Von mir gibt es ein eindeutiges Ja. 

Wertung: Gut

Oasis – AISIS

OK, der hier hat gar nicht sooo viel mit KI zu tun. Eine echte Band, Breezer, hat ein paar Songs im Stil von Oasis geschrieben und aufgenommen und dann mithilfe von KI ihren eigenen Sänger wie Liam klingen lassen. Warum? Ist der eigene Sänger so schlecht? Man weiß es nicht. Auf jeden Fall waren sie anscheinend so begeistert von ihrer Idee, dass sie nicht nur einen Song aufgenommen haben, sondern direkt acht plus Intro. Ich hoffe, ihr werdet mir nachsehen, dass ich mir die knapp 33 Minuten KI-Oasis nicht komplett gegeben habe. Ich muss Band und Maschine allerdings eingestehen, dass sie in mir dasselbe Gefühl erweckt haben, das ich immer von Oasis bekomme: dass mich ein erwachsener Mann eine halbe Stunde wegen irgendwas volljammert. 

Das KI-Element ist definitiv beeindruckend, solange man nicht allzu genau hinhört. Man merkt zwar schon, dass das nicht wirklich Liam Gallagher ist, aber vor allem weil der Sänger hier auch tatsächlich singt und nicht einfach im Manchester-Dialekt irgendwas in die Nähe eines Mikrofons blökt. Die Delivery von “sen-say-tiaaan” ist aber wirklich “spot on”, das muss ich der künstlichen Intelligenz lassen. Die Musik selbst ist sehr Oasis, vor allem “Alright”, welches etwa bei Minute siebeneinhalb losgeht. Da habe ich es dem Algorithmus wirklich abgekauft und wurde für kurz etwas philosophisch. Wenn künstliche Intelligenz im Grunde nichts anderes ist als ein Computer, der einen Haufen Input verarbeitet und daraus dann etwas produziert, das dem ähnelt: Ist das nicht einfach dasselbe wie menschliche Nostalgie?

Wertung:OK

Grimes – “In Another Life (feat GrimesAI)”

Wenn ein Popstar die KI-Technik mit offenen Armen empfangen würde, dann natürlich Grimes. Sie hat mit Elf.Tech sogar ihre eigene KI-Software veröffentlicht, die es Fans erlaubt, ihre eigenen Gesangsspuren hochzuladen und in eine von Grimes zu verwandeln. Dazu bietet sie auch einen 50/50 Tantiemen-Deal für jeden Song an, der kommerziell veröffentlicht wird. Ziemlich gerissen, Grimes verdient so Kohle, ohne selbst irgendetwas machen zu müssen. Die Kehrseite ist natürlich, dass Leute dann einfach reihenweise uralte Scheiße hochladen, die sie selbst neu eingesungen haben ­– und ich kann euch versichern, das haben sie. “In Another Life” ist einer der wenigen wirklich guten Songs, die bislang dabei rumgekommen sind – er klingt wie Grimes zu Visions-Zeiten. Die Frage ist allerdings: Warum mit einer Grimes-KI einen Song machen, der wie eine Grimes-Song klingt, wenn es doch schon Grimes dafür gibt?

Wertung: Gut

Taylor Swift – “Sex in My Room”

Die meisten Menschen haben künstliche Intelligenz vor allem dazu benutzt, um Taylor Schimpfwörter in den Mund zu legen und Kim Kardashian wegen eines uralten Beefs ankacken zu lassen. “Sex in My Room” sticht allein schon deswegen heraus, weil es ein richtiger Song ist, wenn auch ein sehr schlechter. Wahrscheinlich hat ihn ein Mensch geschrieben und dann mit KI Taylors Stimme draufgeklatscht. Musikalisch klingt er nach Tropical House und damit mindestens fünf Jahre zu spät. Ja, eigentlich erinnert das Lied mehr an ein Charli-XCX-Tribute als einen Taylor-Swift-Song. Also Kudos an die Person dafür, dass sie hier etwas erschaffen hat, was Taylor selbst wahrscheinlich nie machen würden. Aber das hat vielleicht auch einen guten Grund.

Wertung: Mies

Fazit

Die Songs, die durch und mithilfe von KI entstanden sind, decken fast die ganze Bandbreite ab – auch wenn kein Retortensong die Wertung “genial” verdient hat. Klar, die Qualität der Lieder steht und fällt noch mit der Qualität des Materials, das Menschen der KI bereitgestellt haben – und da, wo das nicht der Fall war, merkt man es – looking at you, KI-Britney! Aber die Technologie macht bekanntlich große Fortschritte und in einem Jahr werden die Algorithmen alles Nötige gelernt haben, um eine komplett neue Musikindustrie zu erschaffen.

Mal schauen, was die Labels und Tech-Firmen gerade aushandeln. Gut möglich, dass die Labelbosse auf die Idee kommen, dass sie bald gar keine Popstars, Komponistinnen oder Produzenten brauchen, um weiter sehr viel Geld zu verdienen. Das Mindeste, was wir dann tun können, ist, uns mit Bluetooth-Boxen unter ihre Schlafzimmerfenster zu stellen und “Pop, in the style of Britney Spears” auf Repeat laufen lassen.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.