Hätte ich einen gewissen Hochzeitsantrag angenommen, wäre mein Leben vielleicht ganz normal verlaufen, aber ich lehnte diese Erniedrigung ab. Später, als ich ihn angenommen hätte, war mein Verehrer bereits verstorben. Eines natürlichen Todes.
Mein Vater wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, und so wohnte ich eine Zeit lang in einem Frauenwohnheim. Als meine Ressourcen erschöpft waren, tat ich ein paar Jahre lang, was ich tun musste. Damals fing ich an, schwarze Geister zu sehen.
Meine Mutter erhielt von meiner Tante einen Bericht über meine Lebensumstände. Daraufhin bat sie meinen Vater, mich in die Stadt zu schicken, wo er mehrere Wohnhäuser besaß. Sieben Jahre waren vergangen, und sein Unmut hatte sich gelegt. Er stimmte zu, aber nur unter der Bedingung, dass meine Mutter mich in die Stadt begleitete und dort seine Immobilien verwaltete.
In meiner Kindheit hatte meine Mutter aktiv am gesellschaftlichen Leben teilgenommen, aber das war anders, seit sie unter dem Ekzem litt. Es bedeckte ihre Schultern, Arme, Beine, den Bauch und das Gesicht. Sie badete in Kaliumpermanganatlösung, doch das milderte nur den Juckreiz und färbte unsere Badewanne indigoblau.
Sie hatte sich abgeschottet, und war dann eine Intellektuelle geworden. In der Stadtwohnung sah sie sich nachts Stummfilme an. Sie fand Poesie in ihren alten Geisterfilmen und sah sie wieder und wieder. Ich mag keine Geisterfilme, nicht mal die aus der Stummfilmzeit. Sie sah sie sich spät nachts in ihrem Zimmer auf ihrem Laptop an, und morgens unterhielt sie sich mit mir über die Schauspieler.
„Ichikawa Danju-ro- IX wollte nicht auf die Leinwand, war aber davon überzeugt, dass es ein Geschenk für die Nachwelt sein würde, wenn er es dennoch täte. Angeblich war er sehr von Tokinoriki inspiriert. Vor ein paar Jahren habe ich Tokinoriki noch einmal gelesen. In der Schule hatte man mich gezwungen, Auszüge aus seinen Werken zu lesen, aber ich war nie über die Feinheiten des höfischen Protokolls hinausgekommen und hatte mich schwergetan mit Tairas komplizierter Wortwahl. Ich weiß nicht, warum, aber nun hat der Text sich mir geöffnet, und mir ist, als spräche ich mit einem Freund.“
„Faszinierend“, sagte ich. Ein Windstoß fuhr durch den Baum vorm Haus und ein paar Blütenblätter landeten auf dem Esstisch. Nicht alle Geister sind böse.
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Ich verdiente ziemlich viel Geld, indem ich hin und wieder für ausländische Redner übersetzte. Ich hatte ein Büro südlich des alten Palastes. Ab 25 verliert eine Frau mit jedem Lebensjahr an Wert. Ab 31 ist ihre Zeit abgelaufen. In meinem Fall war das anders, denn ich stand in Verbindung mit den schwarzen Geistern.
Edward wurde mir über Muratas Presseagenten per E-Mail vorgestellt. Seine Mail überraschte, ja sie verwirrte mich. Ich las sie einmal, dann noch einmal. Ja, dachte ich, er flirtet.
Er nahm in meinen Gedanken Platz, und bei mir entstand der Eindruck, er sei verzweifelt und verrückt wie die meisten einsamen Menschen. Es ist normal, dass man beim Layouten der Broschüre die Übersetzerin auf Abruf hält, falls Missverständnisse auftauchen. Tatsächlich möchten einige Kunden, dass ich mich darum kümmere und auch um andere organisatorische Dinge, aber bei Edward hatte ich nicht das Gefühl. Als er der Grafikabteilung sein Bild schickte, dachte ich, gut sieht er aus. Aber eine gute Erscheinung kann jeder abgeben.
Bei unserem ersten Telefongespräch sprachen wir über die Logistik seines Besuchs. Aufgrund der Zeitverschiebung lag ich schon im Bett. Meine Mutter sah sich einen Film mit Klavierbegleitung an, die sehr laut war, und ich hörte etwas Unbekanntes in Edwards Stimme. Es war eine klar umrissene Intelligenz. Ich erklärte ihm, dass es je nach Dauer seines Aufenthalts üblich sei, dass ich ihn ein wenig durch die Stadt führe.
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Danach rief Edward öfter an. Durch die Zeitverschiebung erhielt ich seine Anrufe immer nachts. Bei unserem dritten oder vierten Gespräch hatte ich vorher etwas getrunken, und so wurde unser Gespräch persönlicher. Er erzählte mir von seiner Alkoholgeschichte und seiner Genesung. Ich erzählte ihm, dass ich mir mit meiner Mutter eine Wohnung teilte und nicht mit meinem Vater sprach.
Er sagte: „Warum verliebe ich mich immer in ungewöhnliche Frauen?“
„Wie meinst du das?“
Murata hatte Edward vier Tage außerhalb und vier Tage in der Stadt untergebracht. Mit dem einheimischen Englischdolmetscher, den Murata ihm empfohlen hatte, verstand er sich nicht besonders gut. Außerdem meinte Edward, das Englisch des anderen Dolmetschers sei zwar gut, ihm gingen aber die Feinheiten wie Humor oder der richtige Tonfall ab. Wir beschlossen, dass es mehr Sinn machte, wenn ich aufs Land käme. Er meinte, er würde mit Muratas Presseagenten reden und dafür sorgen, dass wir in unterschiedlichen Hotels untergebracht würden. Aber ich sagte ihm, das sei nicht nötig.
Es ist schwierig, meine Mutter anzulügen, denn sie ist Expertin auf diesem Gebiet. Ich erzählte ihr, ich würde eine Dienstreise aufs Land machen, um für einen von Muratas Gastrednern beim Baumwollforum zu dolmetschen. Ich sagte: „Sie soll eine sehr einflussreiche Geschäftsfrau sein.“
Meine Mutter sagte: „Wenn du dich mit einem Mann treffen willst, freue ich mich für dich. Du solltest alles dafür tun, deine Situation zu ändern.“
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Wegen des Gerichtsbeschlusses hatte ich seit der Sache damals nichts mehr getrunken. Allerdings nahm ich hin und wieder mit meiner Mutter oder auch mal allein in einem Laden um die Ecke einen kleinen Drink. Das beichtete ich Edward. Ich sagte: „Heute Abend habe ich mit meiner Mutter ein Glas Wein getrunken. Generell trinke ich nicht so gern Wein, aber manchmal machen wir zusammen eine Flasche auf. Meine Mutter liebt Weißwein.“
„Eine Flasche für zwei ist doch nicht viel.“
„Ich trinke etwas mehr als meinen Anteil, und außerdem darf ich gar nicht trinken.“
„Warum darfst du nicht?“
„Das Gericht hat es mir verboten. Ich musste ein Jahr lang ein Kontrollband am Fußgelenk tragen. Wie auch immer, da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich würde gern darüber reden, aber ich darf nicht. So ist nun mal die Kultur.“
Er sagte: „Ich mag es, wie du sprichst, wenn du ein, zwei Gläser Wein getrunken hast. Du solltest vor unseren Treffen immer was trinken. Wir sind alle nur Menschen.“
„Aber ich kann nicht.“
„Warum?“
„Weil du nicht trinkst. Ich halte es für gesünder, dass wir beide nicht trinken, wenn wir zusammen sind.“
„Stimmt. Langfristig denke ich, ist es für mich angenehmer, wenn du nicht trinkst, aber ich möchte, dass du bei unserem ersten Treffen fröhlich und entspannt bist. Ich schätze, das wäre gut für uns.“
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Ich nahm den Zug aufs Land. Der Zug war voll, und ich musste stehen. Ein Junge in Schuluniform aß Pommes und trank Bier aus der Dose. Er hatte wuscheliges Haar und pockennarbige Haut. Die Bar des Speisewagens war voll mit Männern in schwarzen Anzügen. Ich bestellte ein Mixgetränk, aber mein Adrenalin war stärker als der Alkohol, und ich musste noch zwei nachbestellen, um eine Wirkung zu spüren. Ich bestellte noch einen vierten Drink, trank ihn aber nicht ganz aus. Ich war schon immer ein Hitzkopf. Mit 23 hatte ich eine Beziehung mit einem Mann. Es war eine gute Beziehung, aber ich hatte immer ein komisches Gefühl. Manchmal schrieb er SMS und drehte sich dabei so, dass sein Rücken die Sicht auf das Display verdeckte. Er hatte viele Termine und war bei seiner Rückkehr immer sehr vage, was deren Verlauf anging. Wenn ich misstrauisch war, machte er mir Vorwürfe. So ging das zwei Jahre. Ich hatte immer ein seltsames Gefühl, als könne er mir geben, was ich wollte, ohne dass ich wusste, was es war. Eines Nachts entdeckte ich Kratzer auf seinem Rücken, und als ich ihn danach fragte, meinte er, wir sollten zu seiner Psychologin gehen. Sie war eine alte Dame, die ihm total auf den Leim ging. Um bestimmte Medikamente zu bekommen, log er ihr bezüglich seiner Symptome etwas vor. Als ich ihr von meinen Ängsten erzählte, meinte sie, das käme von dem schlechten Verhältnis zu meinem Vater. Eines Abends kam ich dann mal früher von der Arbeit nach Hause und fand ihn im Bett mit einem Mädchen, das ich schon lange kannte. Sie war die Art von Mädchen, die keine eigene Meinung haben. Sie war immer ein klein wenig ärmer und ein klein wenig hässlicher als ich, spielte sich mir gegenüber aber immer auf.
Ich sagte: „Wenigstens kenne ich jetzt die Wahrheit.“
Er erwiderte: „Und was ist die Wahrheit?
Ist es nicht seltsam, dass eine so simple Unterhaltung zu Mord und Totschlag hatte führen können? Einmal stritten sich zwei alte Männer, die das Gebäude meines Vaters bewachten, über ein Schachspiel. Sie arbeiteten seit sieben Jahre zusammen und waren beste Freunde, aber ihre Worte verwandelten sich in Schläge, und ganz ohne Vorwarnung oder Vorsatz brachte der eine den anderen um. So ähnlich war es auch bei meiner Freundin und mir. Seit dieser Nacht vegetiert sie vor sich hin.
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Edward war 5xcm größer als ich. Seine Augen waren wie die des Jungen, der mich als Kind immer ausgelacht hat. Dieser Junge war ein Einzelkind. Einmal hatte seine Mutter versucht, auf dem Fußballplatz einen Aufstand anzuzetteln. Sie durchbrach die Absperrung und stürmte aufs Spielfeld. Wenn man das dem Jungen, der mich immer auslachte, gesagt hat, wurde er rot und schrie: „Alles gelogen!“ Das war ein Riesenspaß! Lustig war auch, dass seine Stiefschwester eine Behinderung und daher eine komische Stimme hatte. Wir machten uns einen Spaß daraus, nachmittags bei ihnen anzurufen und nach ihr zu fragen. Ihr Vater war die Sorte Erwachsener, die sich von kleinen Kindern einschüchtern lassen, deshalb holte er sie, wenn wir anriefen, lange Zeit immer ans Telefon. Dann imitierten wir ihre Stimme. Als sich der Vater nach einiger Zeit weigerte, sie ans Telefon zu holen, ärgerten wir ihn. Wir machten seine Stimme nach, was sogar noch besser war.
„Ich glaube, ich kenne dich“, sagte Edward. Ich schüttelte seine Hand. Er legte den Arm um mich und umfasste meine Hüfte. Er meinte: „Ich bin froh, dass du so klein bist.“
Ich sagte: „Wir sollten zum Gepäckband gehen.“
Koffer rutschten die Rampe hinunter. Um das Gepäckband herum hatte sich eine Menschenmasse versammelt.
„Ich hatte schon Angst“, sagte er. „Ich habe echt Glück. Meine frühere Frau war nicht gerade fett.“
Er schob die Hand unter mein Shirt und kniff mich in die Seite. Er presste die Finger in meine Rippen. „Ich dachte schon, was mach ich nur, wenn sie fett ist?“
Ich entschlüpfte seiner Umarmung und fragte: „Welcher ist deiner?”
„Der da.“ Er deutete auf einen ausgeleierten Koffer. Er hob ihn auf. Er sah schwer aus, und mir fiel auf, wie stark Edward war.
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Ich hatte bereits erklärt, dass es mir nicht möglich sei, vor der Hochzeit mit einem Mann zu schlafen, und als wir uns auf sein Hotelbett legten, erinnerte ich ihn daran. Ich meinte: „Ich werde aber nur neben dir liegen können.“
Er sagte: „Natürlich“, und ein paar Minuten später schrie ich. Später wurde mir bewusst, dass ich etwas Vulgäres gerufen hatte. Das tat ich noch ein paar Mal in dieser Nacht.
Später lag ich auf ihm. Von unserem Hotelzimmer überblickte man eine Sportanlage. Die Anlage schloss um 21 Uhr, aber zwei Schwarze waren noch dort. Sie gingen auf einer Asphaltbahn. Sie gingen auf diese merkwürdige Art, langsam, aber ohne sich umzusehen. Sie federten nicht bei jedem Schritt. Es sah fast so als, als schwebten sie über dem Boden. Einer trug eine Kapuzenjacke aus Satin.
Edward fragte: „Warum starrst du aus dem Fenster?“
Als es langsam hell wurde, fragte er: „Magst du mich?“
„Ich bin mir nicht sicher.“
„Tja, du solltest nicht mit jemandem schlafen, es sei denn, du magst ihn. Du solltest zumindest warten, bis du dir sicher bist.“
Ich antwortete nicht.
„Tut mir leid“, meinte er. „Ich finde, das habe ich verdient.“
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Seine Präsentation fand am nächsten morgen im TEC Konferenzzentrum statt. Er begann mit einem langen und komplizierten Witz. Er ließ sich nicht übersetzen, also sagte ich dem Publikum: „Der Geschäftsmann hat einen Witz gemacht, bitte alle lachen.“
Da wir nicht tranken, gingen wir essen und ins Kino. Ein Film lief in 3D, und aus Spaß setzten wir unsere Brillen schon vor den Trailern auf, wodurch wir auf die anderen Leute im Saal etwas bescheuert wirkten.
„Ich kann die Effekte gar nicht sehen“, sagte Edward.
„Ich sehe sie“, sagte ich und sah auf meine Hand.
„Warte, vielleicht sehe ich sie jetzt“, sprach Edward. Dann flüsterte er: „Sie fürchten sicher, wir könnten uns den ganzen Film über so benehmen.“
Wir hatten kein Popcorn bestellt. Der Mann neben uns war fett, er hatte einen riesigen Eimer Popcorn vor sich. Edward bemerkte, wie ich es ansah und meinte: „Komm, wir fragen einfach den Kerl da.“ Mein Geist kümmerte sich darum. Ungefähr 15 Minuten nach Filmbeginn verließ der fette Mann das Kino. Das Popcorn ließ er auf seinem Sitz stehen.
Ich sagte: „Nimm es“, was Edward auch tat.
Es war eine Mitternachtsvorstellung. Wir kamen erst nach zwei Uhr raus. Auf dem Treppenaufgang des Kinos stand eine seltsame Figur, eine schwarze Frau. Sie stand auf der ersten oder zweiten Stufe und hob sich deutlich von der mit Stuck verzierten Außenfassade des Lichtspieltheaters ab. Sie war vielleicht 40. Sie trug ein formloses schwarzes Kleid. Sie hätte eine Obdachlose sein können. Sie beobachtete uns.
„Sieh mal“, sagte ich, „diese merkwürdige Frau da.“
„Sie sieht aus wie die Frauen, die dir im Traum erscheinen.“
„Komisch, dass du das sagst.“
„Ich glaube, sie ist ein Mann.“
Ich sagte nicht: „Das ist keinesfalls ein Mensch.“
Die Frau bewegte sich, und ich sah, dass es ein Jugendlicher war. Er trug ein schwarzes Hemd und schwarze Shorts, die bis zu den Knien reichten. Ich meinte: „Komm, lass uns schnell zum Hotel zurückfahren. Wir nehmen ein Taxi.“
Zufällig fuhr gerade eins vorbei, ich hielt es an. Edward folgte mir auf den Rücksitz. Aber unser Fahrer fuhr falsch herum in eine Einbahnstraße hinein, machte dann eine unbeholfene Kehrtwendung und landete auf einer Expressspur. Ich wollte Edward Dinge erzählen, die nie ausgesprochen werden durften. Manche Dinge durften niemals ausgesprochen werden, und so wiederholte ich einfach wieder und wieder: „Das ist seltsam.“
Auf der Gegenfahrbahn tauchte plötzlich ein Chevrolet Camaro auf. Er fuhr rückwärts, gegen den Verkehr auf der eigenen Spur, um auf gleicher Höhe mit Edward und mir zu bleiben. Darin saßen zwei junge schwarze Männer, die sich beide zu uns umdrehten und uns betrachteten.
Ich sagte: „Ich glaube, ich höre besser auf.“ Und Edward meinte: „Ich habe das Gefühl, in dein Universum hineingesogen zu werden.“
Ich erwiderte: „Sprich nicht darüber.“
Nach fünf Tagen hatten wir alle guten Filme gesehen. Ich wollte ihm so eine komische Aal-Bar zeigen, von der ich gehört hatte. Sie gehörte einem japanischen Dichter. Aber ich verlief mich und konnte sie nicht finden, also tat ich einfach, als hätte ich ihm das neue Hochhaus zeigen wollen.
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Am dritten Tag in der Stadt, nachdem wir beschlossen hatten zu heiraten, und Edward meine Mutter kennenlernen sollte, begannen wir zu trinken.
„Ich möchte nicht an die Hotelbar gehen“, meinte ich, „das deprimiert mich. Es ist Nachmittag. Da gibt es viele andere Orte. Wir sollten ein Taxi ins Rub A Dub nehmen. Da spielen sie heute Reggae.“
Es regnete.
„Ich möchte dir eine gute Flasche Wein kaufen“, sagte Edward. „Hier kann ich das nicht. Vielleicht versuchen wir es im Hotel.“
„Meine Mutter erwartet uns. Wir haben schon eine Flasche getrunken, in vier Gläsern.“
Nach einer guten Flasche Wein war es an der Zeit, zu gehen. Ich schickte meiner Mutter eine SMS, in der stand: „Wir haben schon Wein getrunken.“
„Ich habe Wein da“, antwortete meine Mutter. „Ich habe ihn für euch beide gekauft. Er liegt im Schrank unter den Mülltüten.“
Meine Mutter hatte die Möbel komplett umgestellt und den Schrein halb abgebaut. Sie hatte gestaubsaugt und gewischt. Sie ist schon unter normalen Umständen eine sehr reinliche Frau, aber jetzt war die Wohnung—bis ins kleinste Detail—makellos. Ich konnte förmlich sehen, wie sie auf dem Tisch gestanden, die Kristalle des Lüsters abgenommen und jedes in eine Reinigungslösung getaucht hatte. Sie rührte den Salat um. Der Hauptgang stand mit den Beilagen auf der Küchentheke. Ich stellte ihr Edward vor.
Ich sagte: „Meine Mutter sagt, es ist ihr eine Ehre, dich kennenzulernen.“
„Bitte sag ihr, die Ehre ist ganz meinerseits. Sag ihr, sie ist noch schöner als ihre Tochter.“
„Meine Mutter sagt, du verstehst es sehr gut, einer alten Dame zu schmeicheln, mach bitte weiter. Sie hat außerdem gefragt, ob du ein Glas Wein möchtest.“
Sag ihr bitte, sehr gern, und vielen Dank für ihre Mühe, das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“
„Meine Mutter sagt, Gäste im Haus zu haben, ist ihr ein großes Vergnügen. Sie meint, früher hätte sie öfter Gäste gehabt, und ihr war es immer wichtig, sofern möglich, alles selber zu kochen und zu servieren. Sie sagt, hier sei das Tradition, aber sie hätte gehört, in Amerika nicht.“
Meine Mutter ging in die Küche. Sie hatte für 40 Dollar so ein Ding zur Belüftung des Weins gekauft. Es steckte in einer Hochglanzbox, auf der man amerikanische Models beim Weintrinken sah.
„Wein muss atmen“, sagte meine Mutter.
Ich brachte Edward ein Glas, und er trank es. Dann sagte er: „Eddie Murphy war zu seinen besten Zeiten brillant. Er ist einfach brillant. Er ist ein brillanter Komiker.“
Ich erzählte meiner Mutter, was Edward gesagt hatte. Sie sagte: „Stimmt.“
„Heutzutage gibt es so jemanden nicht mehr—fragen Sie Ihre Tochter. Sie würde es wissen.“
Sein Tonfall machte klar, wie er das meinte, aber meine Mutter verstand es nicht. Lächelnd fragte sie: „Was meint er damit?“
Ich sagte: „Er meint, ich hätte mit vielen Männern geschlafen, als ich allein war, und du und Papa wärt nie ans Telefon gegangen, wenn ich euch angerufen hätte. Er meint, ich sei eine Hure.“
Meine Mutter stand auf und ging in ihr Zimmer. Sie schloss die Tür hinter sich.
„Siehst du?“, sagte ich: „Du bist total betrunken und hast alle in Verlegenheit gebracht. Du hast sie verärgert.“
„Das sehe ich.“
„Ich glaube, wir gehen besser.“
Ich rief ein Taxi. Während wir warteten, verstaute ich die Reste vom Abendessen und spülte die Teller und Schüsseln. Meine Mutter hatte die Küche bereits aufgeräumt, sodass nicht mehr viel zu tun war. Als ich fertig war, fragte ich: „Woran denkst du?“
„Ich überlege, ob ich aufs Land zurückfahren soll.“
„Oh.“
„Würdest du mir morgen früh meine Sachen nachschicken?“
„Ja.“
„Jetzt machst du es noch schlimmer.“
Ich sah aus dem Fenster.
„Du hast mich blamiert“, sagte er.
„Du hast mich eine Hure genannt.“
„Du hattest Sex mit Hunderten von Kerlen.“
„Nicht Hunderten. Vielleicht 30. Viele Frauen haben das.“
„Vielleicht sind sie so schlau, zu lügen.“
Ich stand auf und legte mich auf mein Bett. Alle Kissen und auch die Bettdecke waren weg; meine Mutter musste sie sich genommen haben. Ich legte mir ein Handtuch unter den Kopf. Eine halbe Stunde später kam Edward herein, legte sich neben mich und sagte: „Was machst du?“
Wir hielten einander wie Kinder es tun. Ich sagte: „Du riechst wie Salzstangen.“ Es war erst neun. Um eins öffneten sich meine Augen. Ich schubste Edward an und meinte: „Lass uns ins Hotel zurückfahren.“
„Was?“
„Lass uns zurückfahren.“
Aber er drehte sich um. Er hatte ziemlich viel getrunken, und so schlief ich wieder ein.
„Kommst du raus und trainierst mit Patience und mir, oder bleibst du mit diesem Ma-a-ann in deinem Zimmer?“
Es war kurz nach sieben, und Edward und ich befanden uns gerade in der Missionarsstellung, weil wir dachten, so wäre es leiser.
Ich sagte: „Ich glaube, ich bleibe hier.“
„OK“, erwiderte meine Mutter. Ihre Stimme war klar.
Edward rollte auf die Seite, und wir fixierten einander.
„Sie weiß Bescheid“, sagte ich.
„Woher?“
„Vom Klang meiner Stimme.“
„Weiß sie nicht.“
Edward räusperte sich.
„Was möchtest du machen?“, fragte ich. „Sollen wir uns anziehen und Kaffee trinken gehen?“
Wir liefen runter zur Bucht. Wir setzten uns auf eine Parkbank mit Blick aufs Meer. Er meinte, er verstünde meine Definition von Sehnsucht. Er benutzte die Namen von Philosophen, die ich nicht kannte, und er formulierte eine Definition, die nicht meine war. Sie war ähnlich, zum Teil—aber nicht meine.
Er begann, mich zu beschimpfen. Ich machte ein paar spitze Bemerkungen, wie er sie auch bei mir gemacht hatte. Er meinte: „Ich habe meine erste Frau verlassen, weil ich sie nicht glücklich machen konnte. Die Frau, wegen der ich sie verlassen hatte, hatte nichts Besonderes an sich; ich habe sie geliebt, weil ich sie so glücklich gemacht habe. Meine Psychologie ist sehr viel einfacher als deine: Ich will geliebt werden. Und wenn nicht, dannxx“ Er machte mit einer Hand eine Wegwerfbewegung.
Ich sagte: „Ich gehe zurück und lese ein wenig.“
„OK, ich werde wohl noch ein Weilchen hier sitzen bleiben.“
Ich bewegte mich nicht. Er stand auf. Er setzte sich auf den Boden, streckte sich dann auf dem Rücken im Gras aus und machte aus seinen Schuhen ein Kissen.
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„Du verletzt meine Gefühle“, sagte ich. „Ich habe genau verstanden, was du gesagt hast, und mir ist schlecht, falls du das nicht bemerkt hast.“
„Dann geht es dir wie mir.“
Ich sagte: „Lass uns einen Spaziergang machen.“
Wir gingen ein Stück zusammen. Neben einer Bank saß eine Babymöwe. Wir wollten sehen, wie nahe sie uns herankommen lassen würde. Die Möwe wurde nervös und spürte sofort unseren Blick. Für sie waren wir Raubtiere. Dann versuchte sie—fast schon menschlich—wegzuschauen, als wolle sie sich selbst davon überzeugen, dass sie einfach paranoid sei. Wir machten einen weiteren Schritt auf sie zu und warteten. Die Möwe bewegte sich nicht. Wir machten noch einen Schritt. Das Vögelchen beäugte uns erneut. Es plusterte sich auf. Wir warteten. Es machte eine Bewegung, überlegte wegzufliegen, blieb aber. Wir warteten und warteten, machten einen Schritt, es flog davon.
Edward sagte: „Warum glaubst du, heiraten die Leute?“
„Aus unterschiedlichen Gründen.“
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Edward trank den ganzen Tag lang. Am Ende gingen wir doch nicht ins Hotel zurück. Am späteren Abend war er etwas wackelig auf den Beinen und bewegte sich unsicher. Er bestand darauf, meine Handtasche zu tragen. Sie rutschte ihm von der Schulter und schleifte am Boden, blieb an einem Stuhl hängen und brachte ihn fast zu Fall.
„Lass mich sie tragen“, sagte ich.
„Nein“, er warf sich die Tasche wieder über die Schulter. Sie rutschte erneut ab, verfing sich an einem Stuhl, und er schleifte sie über den Boden, aus der Tür hinaus über den Gehweg bis an eine Straßenecke, wo wir auf der Straße ein Taxi herbeiwinkten.
Im Taxi ließ er auf seinem Handy rassistische Musik laufen. Ich bat ihn, das bitte abzustellen. Er spielte das Lied zu Ende, sang mit und schimpfte mit mir, weil ich so rücksichtslos war und ein so rassistisches Lied ausgewählt hatte.
Ich sagte: „Meinst du, ich bin mit 36 noch unverheiratet, weil ich jeden dahergelaufenen Mann nehme? Meinst du, ich kann nicht allein sein?“
„Das hast du gerade bewiesen“, sagte er. „Du hast es gerade bewiesen, denn als du das gesagt hast, hast du meine Gefühle verletzt.“
„Hm.“
„Du suchst so verzweifelt nach einem Mann, dass du den Erstbesten nehmen würdest. Du liebst mich nicht, du hast meinen Antrag nur angenommen, weil du ein Kind möchtest. Du weißt, dass ich fruchtbar bin.“
Ich legte mich in seinen Schoß. Es war nach Mitternacht. Ich hatte Angst, mit Edward allein zu sein. Ich war sehr wütend. Ich bat ihn erneut, ruhig zu sein, und er sagte: „Es ist mein gutes Recht, Musik zu spielen.“ Ich setzte mich auf und erklärte dem Taxifahrer den Weg zum Haus meiner Mutter. Edward—der meinen Tonfall und meine Gesten verstanden hatte—sagte: „Halten Sie einfach Ausschau nach einem Gebäude, das wie ein Motel aussieht, das von Obdachlosen besetzt worden ist.“
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Meine Mutter schlief bereits. Ich machte Edward eine heiße Milch. Als er weggedöst war, bemerkte ich sein Telefon. Ich sah auf das Display. Er hatte Kontakt zu einer Frau namens Sandra Williams. Sie hatte ihm an dem Tag schon einmal geschrieben: „Ich habe geträumt, du hättest eine 45-jährige Psychiaterin geheiratet.“
Ich schrieb ihr: „Das ist komisch. Ich frage mich, warum du so etwas geträumt hast! :D“
Ich wartete, aber sie schlief wahrscheinlich. Ich schrieb: „Ich schätze, du hast dich hingehauen oder hast gerade Sex mit deinem Hündchen.“
„Wenn er das nächste Mal abspritzt, würg ihn, als wär’s eine autoerotische Erstickung und mach aus seinem Schwanz Hackfleisch für Teigtaschen :D“
Eine unbekannte Nummer hatte geschrieben: „Das ist abgedreht. Nur das du’s weißt.“
Ich schrieb: „Wer ist da?”
„Soll das ein Witz sein?“
„Nein.“
„Alles klar?“
„Ja. :D“
„Hier ist die, mit der du seit einem Jahr verlobt bist!!“
„Was ist daran so abgedreht?“, fragte ich.
„Ruf mich an, wenn du reden kannst.“
„Ist es abgedreht, dass ich dich liebe?“
„Warum sagst du solche Dinge?“
Ich ging ins Bad. Ich holte die kleine Dose mit den Kaliumpermanganatkristallen. Ich weckte Edward auf und sagte: „Elektrolyte.“
„Hä?“ Der Schlaf hatte ihn etwas ernüchtert. Er wollte, dass ich ihn halte. Er streckte mir seine Arme entgegen. Ich sagte: „Elektrolyte gegen den Kater. Schmecken fürchterlich, aber helfen dir, dich am nächsten Tag topfit zu fühlen.“
„Hmm.“
„Du musst aber alle auf einmal schlucken. So viele.“ Ich zeigte ihm eine Handvoll.
Ich sagte: „Nimm sie in den Mund und schluck sie damit runter, noch bevor du was schmeckst“, und reichte ihm einen Krug mit Wasser.
Er tat, wie geheißen. Morgens war er tot. Du willst sicher wissen, wie es danach weiterging mit mir. Meine schwarzen Geister waren sehr hilfreich und glücklich. Ich schätze, für Edwards Geister war es schwieriger. Bevor die Nachricht von seinem Tod in Amerika angekommen war, hatte ich über sein Handy noch eine Weile meinen Spaß mit ihnen.
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