Fotos: Valentin Görg
Freitagabend, U-Bahnhof Seestraße, Berlin Wedding. Es ist deprimierend dunkel an der geschäftigen Kreuzung, vom Regen haben sich gefährliche Pfützen gebildet, die es beim Aussteigen aus der Tram auszumanövrieren gilt. Perfektes Konterbier-Setting also—vor allem in guter Gesellschaft: Schließlich treffen wir hier Takt32, Chechos!
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Der Berliner Musiker ist vieles. Für manche ist er Graffiti-Rapper, manche nennen ihn Straßenrapper und wieder andere einen Studentenrapper. Viele kennen ihn durch eine ansehnliche Karriere bei Rap Am Mittwoch und spätestens seit seinem letzten Album Gang wird der ehemalige professionelle Wasserballspieler als die nächste Berliner Untergrund-Sensation gehandelt. Am 30. November erscheint sein neues Album I D.
Takt hat es sich zwischen den Stühlen gemütlich gemacht und nimmt das stetig steigende Interesse an ihm ganz gelassen. Er studiert Philosophie, ist viel auf Reisen, macht aber auch keinen Hehl daraus, dass er sich auf den Berliner Straßen am wohlsten fühlt. Wir haben uns im Wedding mit ihm getroffen, um uns zeigen zu lassen, wo er herkommt.
Hi, Takt! Erstmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Video zu „Was Wäre”, das heute erschienen ist.
Danke dir! Haben echt viel positiven Zuspruch, die I D-Boxen waren zwischendurch ausverkauft, wir haben jetzt nochmal welche pressen lassen, von denen aber auch nicht mehr viele da sind.
Du warst bis vor kurzem ein paar Monate in Ägypten und hast dort auch ein paar Aufnahmen gedreht. Werden die noch für Videos zum neuen Album benutzt?
Also ich fahre ja sowieso regelmäßig nach Ägypten, weil zwei echt gute Freunde von mir da wohnen—den Großteil des Albums habe ich da geschrieben. Die Video-Aufnahmen werden wir aber zu I D nicht mehr benutzen, weil das alles vom Vibe nicht gepasst hätte. Wäre ja komisch, wenn ich drei in Berlin gedrehte Videos raushaue und plötzlich eins in Ägypten. Das Material wird dann für—das ist glaub ich bisher nicht richtig bekannt gegeben, aber egal—ein EP-Projekt Anfang nächsten Jahres benutzt, hoffentlich schon im Januar.
Nice! Wir hatten uns gedacht, dass wir hier einfach ein wenig in der Gegend herumspazieren können und du uns ein paar Orte zeigen und ein paar Wedding-Stories raushauen kannst.
Hier in die Richtung gibt es einen echt guten Döner, da können wir uns erstmal reinsetzen. In die Richtung ist auch die ehemalige Wohnung von Chima Ede und mir.
Ach, habt ihr zusammengewohnt?
Nee, aber verrückter Zufall: Als ich eingezogen bin, war die Wohnung grad frisch frei. Später sagte ich Chima meine Adresse und da stellte sich heraus, dass gerade er und seine Familie aus genau der Wohnung ausgezogen waren und da ewig gewohnt haben.
Hast du das Gefühl, der Wedding ist ein weicheres Pflaster geworden?
Ich glaube, dass der Wedding noch eine Weile die Stellung halten wird. Hier geht immer noch echt vieles ab. Direkt hier ist mir vor ein paar Jahren zum Beispiel mal was Verrücktes passiert. Ich war in diesem Laden da und plötzlich knallt’s ein paar Mal. Der Kerl im Laden meinte noch, „war bestimmt nur ein Auto”, aber dann stellte sich heraus, dass da irgendwer in diese asiatische Wäscherei daneben gerannt ist und ein paar Mal in die Decke geschossen hat. Danach ist der sofort wieder rausgerannt. Warum er das gemacht hat, wissen die bis heute nicht.
Wir erreichen die heiligen Hallen vom Burger Haus Sedir auf der Müllerstraße. Da keiner wirklich Hunger zu haben scheint, gehen wir direkt zum Kern des Abends über: Berliner Kindl Jubiläums-Pilsener und Anekdoten. Takt holt die erste Runde wie selbstverständlich.
Du hast in einem Interview erzählt, dass du mit Morten, Mauli und Marvin Game beim Splash einmal 30 Flaschen Jägermeister abgezogen hast. Hast du noch mehr Festival-Geschichten?
Also beim Splash ist es immer am besten, wir fahren da seit 2010 oder so hin und da gehen immer witzige Sachen. In den Backstage einschleichen und so, aber Zeltplatz geht natürlich das verrückteste. Wir ziehen auf jeden Fall immer einen Abend mit einer Meute über den Campingplatz. Neulich hat Jumpa mir diese Geschichte erzählt, wie die dann einmal zum Beispiel zu irgendwelchen Leuten gerannt sind und meinten: „Ey, so Leute da drüben wollen eine Schlägerei, ihr seid jetzt auf unserer Seite.” Das Ganze ist dann irgendwie außer Kontrolle geraten und irgendwann standen die da mit einer Meute aus 50 Leuten, die sich jetzt schlagen wollten. Denen mussten wir erstmal erklären, dass es gar keine gegnerische Gruppe gibt.
Eine andere Sache, die rückblickend relativ lustig ist, war, als wir beim Out4Fame aufgetreten sind. Unser erster großer Festivalauftritt und das war schon krass—eigentlich habe ich ja kein Lampenfieber. Da haben wir uns vorher und auf der Bühne miese einen reingestellt. Uns war nicht klar, dass wir danach noch ein Interview machen sollten. Wir waren so weg, dass wir uns 15 Minuten ins Zelt schlafen legen mussten, weil wir sonst nicht klargekommen wären. Und dann haben wir Toxik besoffen Trap erklärt.
Das Video zu „Einer Von Uns” hat große Wellen geschlagen, auch juristisch. Du wurdest wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung angeklagt …
Im Endeffekt wegen Anstiftung zur gemeinschädlichen Sachbeschädigung, wofür die Strafen aber auch ziemlich hoch sind. Dabei hatten wir mit dem Video rein gar nichts zu tun. Selbst Jumpa wurde vorgeladen—und zwar, weil da stand „Produced By Jumpa” und die dachten es geht um das Video. Ich hab irgendwann auch erfahren, dass es bei einem Großteil der Ermittlungen darum ging, herauszufinden: Wer ist eigentlich Takt32? Hallo? Guckt doch einfach ins Impressum, schreibt mich doch einfach an! Die Vorladung habe ich auch per Mail bekommen.
Lief das dann über die GiB (Die berüchtigte „Ermittlungsgruppe Graffiti in Berlin”)?
Ja, genau. Die sind ja ziemlich hart und was total absurd war: Nach irgendeinem Verhör hat mich eine von der GiB dann im Auto noch nach einem Autogramm für ihren Sohn gefragt. „Der ist voll der Fan.” Ganz komisch. Ich bin nur froh, dass das Ganze jetzt wieder vorbei ist.
Eine knappe Stunde, ein paar Bier und 106 Fotos später sind wir wieder auf der Straße unterwegs. Schnell finden wir uns mit Späti-Biers auf einem dubiosen Lidl-Parkplatz wieder, auf dem wir es uns gemütlich gemacht haben.
Du kennst Interviews ja nicht nur von der Seite des interviewten, sondern hast selbst zeitweise als Journalist gearbeitet, unter anderem bei BerlinMusicTV.
Ja, das war auf jeden Fall cool. Ich schreibe ja eh superviel und deswegen fiel mir das teilweise ganz leicht. Ich konnte dadurch auch einen Blick hinter die Kulissen bekommen, das war auch cool. Das war damals für mich halt eher so ein Nebenjob, der dann auch von der Musik abgelöst wurde. Aber verglichen mit davor schon echt cool.
Was hast du denn davor gemacht?
Ich habe bei einer Spielothek hier gearbeitet, da können wir eigentlich auch gerne vorbeischauen.
Hier erlebt man wahrscheinlich auch viel Verrücktes, oder?
Auf jeden Fall, aber vor allem viel Deprimierendes. Leute, von denen du weißt, dass sie auf Hartz sind, verballern an einem Abend 200 Euro und ich will die einfach nur nach Hause schicken. Einmal war ein Kerl hier mitten in der Nacht, der hat seine Freundin angerufen und angeschrien, dass sie ihm 500 Euro bringen soll. Sie kam dann sogar noch verschlafen hierhin und hat es gemacht.
Hast du sonst irgendwo hier gearbeitet?
Ich habe im Kaufland gearbeitet, im Lager.
Und wie ist es dir da ergangen?
Also die Arbeit war cool. Ich hatte immer Nachtschichten und deshalb auch einen knappen Zwanni die Stunde bekommen, was echt gut ist. Und ich war halt in der Gefrierabteilung, wo keine Kameras waren. Deswegen hab ich da eigentlich immer erst mal eine Stunde mit meinen Atzen abgehangen und Eis gegessen, bis wir irgendwann wirklich alle Sorten von Cornetto, Langnese und wie das alles heißt durch hatten.
Kaufland ist ja irgendwie auch so ein bisschen das deutsche Walmart, was verrückte Menschen angeht.
Auf jeden Fall. In der Tiefkühlabteilung vom Kaufland habe ich auf jeden Fall die Abgründe der Gesellschaft gesehen. Irgendwann lag da zum Beispiel eine gefrorene Roulade, aus der ein dickes Stück rausgebissen war, mit Abdruck und allem. Ich meine: man isst natürlich Früchte im Laden, aber doch keine komplett gefrorene Roulade?? Da gab es auch diese alte Frau, die nicht an die oberen Konserven gekommen ist und deshalb jedes Mal mit ihrem Gehstock so lange Dosen runtergeworfen hat, bis eine mal perfekt und ohne Macken auf den Boden gefallen ist. Da lagen dann halt locker zehn teilweise ausgelaufene Dosen rum. Und als ich ihr einmal helfen wollte, hat sie mich beschimpft.
Wie lange hast du bei Kaufland gearbeitet?
Schon ein paar Jahre, irgendwann sind wir auch mal nachts ein Rennen mit Einkaufswagen gefahren und ich hab eine Palette Milch ausgeknockt. Natürlich nicht weggemacht und in der Ecke gab es dann eine Kamera, sodass die mich auf Video hatten. Zwei Wochen später wurde ich dann aber eh gekündigt.
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I D von Takt32 erscheint am 30.11.2016. Du kannst es hier oder hier vorbestellen.