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Diese neue Studie beweist, wie unbeliebt TTIP in Europa ist

Bei politischen Großprojekten ist es üblich, dass die EU, bevor sie endgültig über ein Vorhaben entscheidet, die Betroffenen selbst fragt, was sie davon halten. TTIP ist eine solche, auch von der EU frohlockend-optimistisch betitelte, „große politische Initiative”: Das geplante Abkommen zwischen der EU und den USA ist nichts geringeres als das größte Freihandelsabkommen der Geschichte.

Obwohl – oder eben gerade weil – von den verhandelten Maßnahmen und Richtlinien bisher wenig Konkretes an die Öffentlichkeit gelangt ist, hat TTIP bereits für viel Aufsehen gesorgt.  Und vor allem hat das geplante Abkommen, über das seit Juli 2013 offiziell verhandelt wird, für viel Protest gesorgt: 1.260.735 Unterschriften hat die Initiative „Stopp TTIP” bereits gesammelt. Mehr als 330 Organisationen aus verschiedenen EU-Ländern haben sich dem Bündnis angeschlossen.

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Die weit verbreitete Ablehnung gegenüber dem Freihandelsabkommen war offenbar auch in Brüssel nicht zu ignorieren – so kündigte die EU-Kommission bereits Ende März 2014 eine öffentliche Befragung der BürgerInnen an, die „ausdrücklich auch auf die wachsende Besorgnis (in der Bevölkerung) gegenüber TTIP reagieren” solle, wie es in einer Pressemitteilung der EU-Kommission heißt.

Die Clickbait-Initiative unter den EU-Konsultationen

Von 27. März bis zum 13. Juli 2014 konnten Bürgerinnen und Bürger der EU an einer Online-Befragung teilnehmen. Und das haben sie auch getan: Mit fast 150.000 Beteiligten war die Konsultation die bisher meist geklickte EU-Konsultation überhaupt.

Die ​gestern veröffentlichten Ergebnisse zeigen nun, dass sich 97 Prozent der Befragten gegen zentrale Inhalte von TTIP aussprechen. Der Schwerpunkt der Konsultation lag auf dem umstrittensten Punkt des geplanten Freihandelsabkommens: Der sogenannten „Investorenschutzklausel”, oder der Regelung von „Investor-Staat-Streitigkeiten” („Investor-State-Dispute-Settlement”), kurz ISDS. Entsprechend der Ergebnisse bilanzierte die EU-Kommission dann auch: „Die Auswertung zeigt eine breit gefächerte Opposition gegenüber ISDS als Bestandteil von TTIP, oder gegenüber TTIP generell.”

Die besonders umstrittene Klausel zum Schutz der Investoren besagt, dass beispielsweise US-amerikanische Investoren, die in ein EU-Land wie zum Beispiel Deutschland investieren, den deutschen Staat verklagen können, wenn er durch nationales Recht gegen die Rechte verstößt, die dem Investor mit dem Freihandelsabkommen garantiert werden.

Die neue Gerichtsbarkeit der ISDS

Wie bereits der Name sagt, dienen Freihandelsabkommen der freien Marktwirtschaft – es geht um den Abbau sogenannter Handelsbarrieren. Dazu können nicht nur Zollbestimmungen zählen, sondern auch Zulassungsbeschränkungen bei Chemikalien und Medikamenten, ebenso wie ökologische Standards oder fundamentale Arbeitnehmerrechte. Fühlt sich also ein Investor durch nationale Beschränkungen um den Profit gebracht, kann er nach der ISDS-Klausel gegen den jeweiligen Staat vor Gericht ziehen. 

Allerdings ziehen Investoren nicht, wie auch heute schon ohne ISDS möglich, vor ein deutsches oder ein amerikanisches Gericht, sondern vor ein speziell für Investoren-Staat-Schwierigkeiten zuständiges „Schiedsgericht”. Jede der beiden Streitparteien darf eineN StreitschlichterIn bestimmen, und gemeinsam einigt man sich zusätzlich auf eineN DritteN. So wird, ganz legal, aber an der bestehenden nationalen und internationalen Justiz vorbei, eine außergerichtliche Entscheidung getroffen. Verliert der Staat, zahlt er nicht selten Entschädigungen in Milliardenhöhe. Gewinnt der Staat, zahlt er „nur” die Gerichtskosten. 

KritikerInnen sprechen vom Ausbau einer „Paralleljustiz” für Großkonzerne. „Die Schiedsgerichte bedeuten eine Privatisierung des Rechtswesens”, sagt Katharina Nocun. Die 28-jährige ist zuständig für Bürgerrechte und Datenschutz bei dem Kampagnen-Netzwerk Campact, das die Kampagne „Stopp TTIP” im Dezember 2013 initiierte.
Zusammen mit Maritta Strasser, die die Initiative bei Campact betreut, hielt sie ​auf dem Kongress des Chaos Computer Club 31C3 einen Vortrag zu den verheerenden Folgen des geplanten Freihandelsabkommens.

Was aber passiert nun mit den Ergebnissen der Online-Konsultation, in denen sich die Abneigung gegenüber TTIP auf Seiten der EU-BürgerInnen mehr als deutlich zeigt? „Die Veröffentlichung der Ergebnisse der Konsultation ist nur ein erster Schritt”, ließ die EU-Kommission jedenfalls schon einmal verlauten und kündigte weitere Diskussionen mit EU-Institutionen und Interessengruppen an. 

Bindend sind die Ergebnisse von EU-Konsultationen nicht. Durch sie solle „gewährleistet werden, dass Betroffene in den Entscheidungsprozess einbezogen werden”, heißt es zur Erklärung auf einer Website der EU. „Es gilt das Prinzip, dass sie eine Stimme erhalten, aber nicht entscheiden.”

Lobby-Arbeit für den Freihandel

Nun ist die Stimme des Protests allerdings—nicht zuletzt durch die eigens von der EU initiierte Konsultation—so laut geworden, dass man sie auch in Brüssel nicht mehr überhören kann. Dabei hat sich die EU-Kommission schon in der Vergangenheit mit einer positiven Kommunikationsstrategie zu TTIP so richtig Mühe gegeben. 

Man versucht dabei zwar gerne mit Statistiken oder speziell für die Presse veranstalteten Schulungen zur Analyse des kommenden wirtschaftlichen Boomzahlen, das angeblich durch TTIP hervorgerufene Wirtschaftswachstum herauszustellen, nur leider sind die Daten nicht ganz so rosig—wie auch der ehemalige EU-Handelsminister Karel de Gucht feststellen durfte:

In den Dokumenten des von der EU-Kommission veranstalteten „Technical Briefing on TTIP Economic Analysis” aus dem Jahr 2013, die Motherboard vorliegen, spiegelt sich ein wohl orchestrierter Einsatz zur Meinungsmache—beziehungsweise „Aufklärung” der Öffentlichkeit über TTIP im Sinne der EU. Die durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz an Katharina Nocun übersendeten Dokumente geben einen Einblick in die häufig eher einseitige Informationspolitik der EU, die gerne versucht, in formschönen Power-Point-Slides das Abkommen und seine Folgen als „key driver of economic impact” auszuweisen.

Heidschnucken-Wahnwichtel united

Wie weit sich hingegen die Ablehnung des Handelsabkommens durch alle gesellschaftlichen Gruppen zieht, zeigt ein Blick in die Liste der Unterstützerinnen der „Stopp-TTIP”-Initiative. Neben Parteien und NGOS wie Greenpeace, der Linken, den Grünen und NABU sind dort auch Organisationen wie die „IG Milch” aus Österreich, der „Berliner Wassertisch” oder die „Katholische Landjugendbewegung” vertreten. Dass auch politisch eher unangenehme Gruppierungen wie die „Freien Wähler” dort auftauchen, zeigt, wie anschlussfähig die Kritik an TTIP auch für nationalistische Argumentationsweisen und VerschwörungstheoretikerInnen ist. 

Für die verdächtig reaktionär klingende Beschwörung „unserer deutschen Qualitätsstandards” ist die viel beschworene Panik vor Chlorhühnchen ebenso geeignet wie die Instrumentalisierung der latenten Angst, dass Schwarzwälder Schinken nicht mehr aus dem Schwarzwald kommt und die Heidschnucke in Zukunft in Wisconsin grast.

Am Ende zählt jedoch nicht, wie sich verwirrte Mut- oder WutbürgerInnen jeglicher Coleur die Argumente gegen TTIP zu eigen machen, sondern was die EU-Kommission aus dem geplanten Abkommen machen wird. Dass Freihandelsabkommen gesetzlich verankerte Formen von Neoliberalismus sind, bedeutet naheliegenderweise auch, dass sich Umweltstandards, Menschenrechte und Arbeitnehmerrechte eher hinten anstellen dürfen. 

Auch wenn der volle Text des geplanten TTIP-Abkommens noch nicht bekannt geworden ist, erwarten die meisten Beobachter auch in diesem Fall keinen plötzlich anders gesetzten Prioritäten. Ob sich hingegen die Erwartungen der WirtschaftsvertreterInnen erfüllen werden, dürfte sich wohl erst in einigen Jahren zeigen. Wenn das Abkommen dann überhaupt irgendwann verabschiedet wird. Erst müssen noch der EU-Rat, das EU-Parlament und die einzelnen Länderparlamente zustimmen. Bis es zu einer Einigung kommen kann, wird erst mal hinter leider verschlossenen Türen weiter verhandelt.

Facebook-Vorschaubild (Ausschnitt): TTIP Proteste am 6.5.2014. Bild: Uwe Hiksch, ​Mehr Demokratie, FlickR / Lizenz: ​CC BY SA 2.0