Ein mysteriöses Funksignal gibt der Wissenschaft seit 40 Jahren Rätsel auf: Im Jahr 1977 hatte das Big-Ear-Radioteleskop der Ohio State University ein 72-sekündiges Signal aufgezeichnet. Die Aufnahme war mit 1420 MHz so außergewöhnlich stark, dass der damals zuständige Astronom Jerry Ehman “Wow!” auf das Blatt Papier mit der ausgedruckten Frequenzfolge “6EQUJ5” kritzelte. Sofort gingen die Spekulationen los: Wurde das Signal etwa von Außerirdischen ausgesandt? Oder doch vom Menschen verursacht? 40 Jahre nach seiner Entdeckung wird die Diskussion um das Signal nun durch eine neue Theorie wieder entfacht.
Ein neues Paper im Journal of the Washington Academy of Sciences behauptet nämlich, endlich die Lösung für das astronomische Rätsel gefunden zu haben. Der Autor der Studie, Antonio Paris vom St. Petersburg College in Florida, ist der Meinung , dass das Wow-Signal durch einen Kometen namens 266P/Christensen verursacht wurde. Dieser Komet wurde zwar erst 2006 vom Menschen entdeckt, soll sich aber bereits 1977 im entsprechenden Himmelsabschnitt aufgehalten haben.
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Mit seinem Paper will Paris nun den Beweis liefern, dass der Komet das 1420 MHz-starke Signal verursacht hat, das damals vom Big Ear Teleskop erfasst wurde. Obwohl zahlreiche Pressemeldungen sofort verkündeten, dass das Mysterium nun endlich gelöst sei, stößt Paris’ Theorie in Astronomenkreisen auf jede Menge Skepsis.
Wie glaubwürdig ist das Fachjournal?
“Es gibt ein paar Probleme mit der Analyse, weil sie viele Standards nicht beachtet, die in der Radioastronomie eigentlich üblich sind”, erklärt Chris Lintott, Professor für Astrophysik an der University of Oxford, gegenüber Motherboard.
“Das Paper wurde in einem Journal veröffentlicht, von dem ich vor Paris’ Theorie zum Wow-Kometen noch nie gehört hatte. Es mag zwar sein, dass sein Paper von anderen Wissenschaftlern geprüft wurde, aber das Journal gehört nicht zu den renommierten Astronomie-Publikationen. Daher kann man an der Qualität der Peer-Reviews zweifeln.”
Um etwas Licht in den gewaltigen wissenschaftlichen Shitstorm auf Twitter und die zweifelnden Reddit-Threads zu bringen, baten wir Paris, die kritischen Reaktionen für uns einzuordnen.
Beef mit den Alienforschern vom SETI-Institut
“Ich habe diese Woche über 500 E-Mails zum Wow-Paper erhalten. 99,99 Prozent von ihnen sind offenbar positive Reaktionen aus der Öffentlichkeit und der Wissenschafts-Community”, erklärt Paris gegenüber Motherboard in einer E-Mail. “Eine Handvoll der Mails stammt jedoch von Leuten, die noch skeptisch sind – allen voran SETI-Verteter, die sich mit der Suche und der Kontaktaufnahme mit außerirdischer Intelligenz beschäftigen. Ich vermute, dass meine Forschung das SETI-Institut so nervös macht, da das Wow-Signal für sie auch eine Möglichkeit war, um an finanzielle Unterstützung zu kommen.”
Diese Aussage von Paris tut das SETI-Institut jedoch als absurd ab: “Wir haben überhaupt keinen Gewinn aus dem Wow-Signal geschlagen”, erklärt SETI-Astronom Seth Shostak gegenüber Motherboard. “Der Vorwurf, dass wir mit dem Signal Geld verdienen, ist bizarr. Das ist frei erfunden.”
Darüber hinaus findet der Astronom Paris’ Paper nicht sehr glaubwürdig: “Das Ohio State Radio Teleskop verfügt über zwei Empfänger. Wenn es also etwas im Himmel beobachtet, so wird dieses Ereignis 70 Sekunden später vom zweiten Feed noch einmal beobachtet”, erklärt er. “Das Wow-Signal taucht jedoch nur im ersten Feed auf, nicht im zweiten. Das Signal ist einfach verschwunden. Ein Komet kann jedoch nicht innerhalb einer Minute verschwinden. Er kann sich innerhalb einer Minute nicht quer über den Himmel bewegen. Ein Komet bewegt sich in dieser Zeit so gut wie gar nicht.”
Ebenfalls auf Motherboard: Der Alienforscher, der seinen Kollegen einen Funkspruch voraus ist
Der Komet als Auslöser des Wow-Signals wäre für Shostak zwar auch ein interessantes Forschungsergebnis – er meint aber auch, dass sich diese Theorie nicht durch Daten belegen lasse: “Genauso gut könnte man sagen, dass das Signal durch Geister oder Reality-TV verursacht wurde. Wenn die Erklärung nicht zu den Daten passt, muss man einfach misstrauisch werden.”
Kritiker sehen viele offene Fragen
Auch der Astrophysiker Lintott hat Zweifel an den Forschungsergebnissen: “Selbst wenn das Signal, das Paris festgestellt hat, echt ist, ist es deutlich schwächer als das Wow-Signal. Außerdem hält es länger an”, erklärt er gegenüber Motherboard. “Im besten Fall beweist das Paper also, dass Kometen per Funk wahrgenommen werden können – das beweist aber nicht, dass sie in der Lage sind, so etwas wie das Wow-Signal abzugeben”.
Auf Reddit steht Paris’ Beweisführung ebenfalls unter Beschuss. Ein Reddit-User, der sich selbst als Astronom und Experte für Radioteleskope bezeichnet, hat sich in einem Post ausführlich mit Paris’ Paper auseinandergesetzt. Er kritisiert, dass die Studie zu wenig Details enthalte, die man in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung eigentlich erwarten würde.
Doch Paris wehrt sich gegen diese, wie er sie nennt, “emotionalen” Reaktionen – denn sein Projekt habe bei zu vielen Leuten positive oder negative Gefühle hervorgerufen. “Es ist nicht meine Aufgabe, auf Emotionen zu reagieren”, meint der Astronom, “Gefühle sollten in der Wissenschaft keine Rolle spielen.”
Inzwischen hat Lintott einen öffentlich zugänglichen Fragenkatalog für Paris erstellt, in den er auch Fragen von anderen Astronomen zum Experimentaufbau, Paris’ Methode und den Forschungsergebnissen aufgenommen hat. Die Suche nach dem Ursprung des mysteriösen Wow-Signal geht also weiter.