Sex

Eine Sexarbeiterin für alte und kranke Menschen erzählt von ihrem Job

Stell dir vor, du hast Sex mit jemandem, der so alt wie deine Eltern ist. Oder sogar so alt wie deine Großeltern. Jemand, der sich nicht mehr bewegen kann, nicht mehr sprechen kann, im Rollstuhl sitzt oder einen Katheter trägt. Jemand, der sich an dich als Sexdate nicht mehr erinnern kann, weil er dement ist. Sexarbeiterin Stephanie Klee hat genau das. Die 54-Jährige, die ursprünglich Sozialarbeiterin war, bietet jenen sexuelle Dienste an, die sich im Alltag schwer tun, Menschen zu finden, die mit ihnen schlafen. Alten und Kranken – quasi Prostitution als Social Skill.

Seit 30 Jahren arbeitet Stephanie Klee als Sexarbeiterin. Zunächst arbeitete sie als Sozialarbeiterin und half Prostituierten, ihre Rechte durchzusetzen, bevor sie sich, von Nina de Vries & Co. inspiriert, dazu entschied, selber körperliche Sexarbeit zu leisten.

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Als ich die Sexaktivistin in ihrem Büro in Berlin treffe, trägt sie kurze Haare und eher unauffällige Kleidung. Nirgendwo liegt Sexspielzeug oder Ähnliches herum. Auf den ersten Blick ahnt man nicht, dass diese Frau erotische Dienstleistungen anbietet. Während des Interviews lacht sie viel.

Stephanie Klee | Foto: Rebecca Rütten

VICE: Warum gerade Sexarbeit bei älteren Menschen?
Stephanie Klee: Es gibt Einrichtungen, in denen alten Menschen Tabletten verabreicht werden, um sie ruhig zu stellen. Das ist gegen die Menschenwürde. Man hat festgestellt: Wenn verhaltensauffällige Menschen sexuelle Erlebnisse haben, werden sie viel ausgeglichener. Das hat mich auf die Idee gebracht, körperliche Arbeit mit etwas Sinnvollem zu verbinden. Mich beglückt es, wenn Menschen auch im hohen Alter noch etwas Schönes empfinden. Und: Sex ist wichtig. Manchmal sogar wichtiger als eine Physiotherapie oder Medikamente.

Haben Sie keine Berührungsängste vor alternden Körpern?
Ich werde ja auch nicht jünger [lacht]. Sicherlich habe ich früher andere Prioritäten gesetzt. Heute bin ich durch meine Erfahrung in der Sexarbeit mehr und mehr von dem Gedanken getragen: Mensch ist Mensch. Klar riecht es hier und da nach Katheter oder nach einem künstlichen Magenausgang. Nach Krankheit eben. Teils können sich diese Menschen auch nicht mehr so gut waschen. Aber ich versuche, alles von einem anderen, menschlicheren Blickwinkel zu betrachten. So schaffe ich Dinge, die ich vorher nicht konnte.


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Wie alt ist ihr ältester Kunde?
94 und sehr agil. Wissen Sie, Alter ist subjektiv. Es gibt 40-Jährige, die machen ganz schnell schlapp. Und es gibt 90-Jährige, die topfit sind.

Und was machen Sie konkret mit Ihren Kunden? Wie läuft so eine Sex-Dienstleistung ab?
In meiner Tasche ist das, was ich sonst auch mitnehme: Kondome, Dildos und Massageöl. Dann muss ich herausfinden, was die Person genau möchte. Manche wollen nur reden, andere in den Arm genommen und gestreichelt werden, wieder andere küssen, wieder andere wollen mehr. Auf Wunsch biete ich auch Geschlechtsverkehr an.

Was ist anders beim Sex mit älteren Menschen? Worauf müssen Sie da achten?
Es fängt bereits bei der Kommunikation an, teilweise kontaktieren mich die Angehörigen oder die Pflegeeinrichtung. Dann stellt sich natürlich die Frage: Wer zahlt das am Ende? Kann diese Person noch selbst entscheiden, was sie will? Problematisch ist es auch, wenn Medikamente den Sexualtrieb unterdrücken oder verändern. Manchmal muss ich auch akrobatisch sein. Wenn zum Beispiel das Bett zu klein ist, weil es ein Krankenbett ist, muss ich ganz eng ran und aufpassen, nicht herauszurollen.

Ein großer Unterschied ist auch, dass meine älteren Kunden irgendwann sterben. Der Tod ist allgegenwärtig. Man riecht ihn schon, wenn man die Einrichtung betritt. Man ist sich bewusst, dass die Person, mit der man gerade noch Intimitäten ausgetauscht hat, morgen tot sein kann. Aber ich denke, vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass sie kurz vor ihrem Tod noch einen Moment des Glücks erfahren.

Sie haben männliche und weibliche Kunden. Was sind die Unterschiede?
Mich buchen deutlich mehr Männer. Die Frauen, die mich buchen, waren teils verheiratet, und sehnen sich nach Berührung. Sie stammen aus einer Generation, in der Frauen weniger selbstbewusst und sexuell weniger aufgeklärt waren. Sie müssen erst lernen, dass sie auch jenseits der Ehe, die sie führten, im Alter sexuelle Freude haben dürfen.

Ist denn auch schon mal jemand während des Aktes verstorben oder hat einen Herzinfarkt erlitten?
Nein [lacht]. Gott sei Dank noch nicht. Aber ich muss damit rechnen.

Was bekommen Sie für ein Sex-Date?
Zwischen 160 und 210 Euro inklusive An- und Abfahrt. Am Anfang nehme ich mehr. Wenn aus einem Termin mehrere werden, wird es günstiger.

Was war Ihr skurrilstes Erlebnis bei der Arbeit?
Ich habe eine Zeit lang einen dementen Herrn besucht. Als ich nach dem Zusammensein auf die Toilette ging und wieder herauskam, war er plötzlich weg. Später wusste er nicht mehr, wer ich war. Gerne hätte ich von ihm noch gehört: “Danke, es war schön mit dir.” Aber er war schon wieder in seiner eigenen Welt. Aber er wirkte zufrieden.

Eine andere Geschichte: Das Pflegepersonal hat mal bei einer älteren Frau eine Banane im After gefunden. Diese hat offenbar Gefühle bei ihr ausgelöst. Die Dame wusste aber nicht, wie sie damit umgehen soll. Gerade Frauen dieser Generation sind oft nicht aufgeklärt, was ihre eigenen Körperempfindungen betrifft. Meine Aufgabe war es dann zu informieren: Wie funktioniert ein Dildo? Wie befriedigt Frau sich selbst?

Auf Wunsch bieten Sie auch Geschlechtsverkehr an. Und was, wenn das bei Männern nicht mehr so gut klappt?
Erektionsstörungen gibt es bei Menschen jeden Alters, bei 18-Jährigen wie 90-Jährigen. Sexualität ist aber im Alter langsamer. Es muss länger stimuliert werden. Wenn jemand krank ist, beeinflusst das natürlich auch die Sexualität. Bei Menschen, die lange keinen Sex hatten, muss die Sexualität erst wieder geweckt werden. Da muss man Geduld haben. Aber es geht ja auch gar nicht nur darum, schnell einen Orgasmus zu erzeugen. Es geht ja um viel mehr.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Job?
Es beglückt mich zu sehen, welche Freude meine Kunden erleben. Das ist neben dem Geld eine Anerkennung, die ich sonst nicht in der Sexarbeit bekomme. Ich kann diesen Menschen wirklich helfen: Es ist erwiesen, dass Sex sich bei Demenzkranken positiv auswirkt. Sie nehmen mehr Anteil am Leben. Die Krankheit kann für eine gewisse Zeit sogar gestoppt werden, weil Sexualität Glückshormone freisetzt. Ich kenne einen dementen Herrn, der einen riesen Fortschritt gemacht hat und von Pflegestufe drei auf Pflegestufe eins gerutscht ist. Manchmal hilft eine Berührung eben mehr als tausend Medikamente. Ich finde, da sollten die Krankenkassen und Versicherungen mehr hinschauen und diese natürlichen Ressourcen besser nutzen.

Sollten die Krankenkassen also für Sex bezahlen, es gibt ja Politiker, die fordern das?
Ja, oder die Pflegekasse. Etwa bei dementiell erkrankten Menschen finde ich das sinnvoll, weil es ihnen wirklich hilft. Oder auch bei behinderten Menschen.

Sie haben sich Sexarbeit zur Lebensaufgabe gemacht. Was stört Sie denn am Umgang der Gesellschaft damit?
Es wird viel über Sex gesprochen. Doch das, was uns an Sexualität in den Medien angeboten wird, ist oft sehr oberflächlich. Diesen voyeuristischen Umgang mit Sex finde ich nervtötend. Auf der einen Seite wird Sex meiner Meinung nach auf ein viel zu hohes Podest gehoben. Auf der anderen Seite wird aber der normale, alltägliche Umgang mit Sex und das Bedürfnis danach, das auch im Alter nicht stirbt, nach wie vor tabuisiert. Da muss noch einiges passieren. Erst recht, wenn es sich um die Sexualität von Menschen handelt, die hinter Mauern abgeschottet sind.

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