Screenshot aus dem Trailer zu ‘Author: The JT LeRoy Story’ (c) A&E IndieFilms, VICE Media
Es gibt Menschen, die gehen über vor Emotionen. Menschen, die so interessant komplex sind, dass sie nicht bloß eine einzige Identität haben können. Nüchtern und unbeeindruckt betrachtet, könnten Zyniker das einfach als Persönlichkeitsstörung, Schizo oder “verrückt” bezeichnen. Das wäre natürlich unfair und sehr abwertend – gerade in Anbetracht dessen, dass viele unserer spannendsten Künstler und Künstlerlinnen psychische und emotionale Probleme aufwiesen. Auch Laura Albert und ihre Geschichte, die in Author: The JT LeRoy Story erzählt wird, sind definitiv verrückt – aber die allerbeste Form davon.
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Gleich vorweg: Paradoxerweise ist die wahrscheinlich optimale Voraussetzung, diese Doku zu schauen, absolut keine Ahnung zu haben, wer JT LeRoy eigentlich ist. Auch ich kannte vorher die Popikone und Kunstfigur genauso wenig wie seine Bücher. Als ich die so gelungen komprimierte Bio wie eine Tablette Pferdebetäubungsmittel vorgesetzt bekommen habe, war ich fassungslos – und vor allem begeistert, dass solche Dinge in unserer Welt tatsächlich passieren können und das Leben plötzlich wieder um ein Stück wundersamer erscheint.
Die Doku von Jeff Feuerzeig – Regisseur von The Devil and Daniel Johnston – begleitet im schönsten Punk-Look das Leben und die skurrile Erfolgsgeschichte von Laura Albert; der Schreiberin, Musikerin und Allround-Künstlerin, die ein komplexes Netz aus Pseudonymen, Lügen und vielschichtigen Schreibrealitäten entwickelt hat, um die Figur JT LeRoy zu kreieren. Was sie in Interview-Form durch den Film hindurch erzählt, ist genauso unglaublich wie es an vielen Stellen extrem für Identifikationspotenzial sorgt.
Laura war ein dickes liebes Mädchen, das kranken Scheiß mit ihren Barbie-Puppen angestellt hat. Das war das frühe und erste Outlet für ihren überhöht emotionalen und aufgeweckten Geist. Sie litt unter Bullying und der eigenen lähmenden Unsicherheit, war aber bereits in jungen Jahren eine geniale Autorin.
Im Zuge eines Nervenzusammenbruchs und mehrerer Telefonate mit psychologischen Betreuern entwickelte Laura ein Pseudonym, eines von vielen vorhergehenden: Terminator. Nur war es dieses Mal etwas Besonderes, denn der kleine 15-jährige, komplett erfundene, Junge hatte einen innovativen und unheimlich einnehmenden Schreibstil. “Ich konnte es einfach nicht als ich selbst machen”, erklärt Laura ergreifend.
“Ich konnte es einfach nicht als ich selbst machen.”
Dieser Schutzmechanismus und das daraus resultierende Alter Ego verselbstständigten sich parallel zum Erfolg von Lauras Geschichten und Publikationen (Ende der 90er bis in die 2000er hinein). Ihre Schwägerin Savannah musste bei öffentlichen Auftritten als Lauras Avatar herhalten, da die Autorin sich selbst nicht ins Rampenlicht traute.
Sonnenbrillen und Perücken markierten die Verwandlung der Verwandten zum plötzlichen Pop- und Szene-Superstar JT LeRoy, mit einer grausamen Südstaaten-Backstory und viel Gender-Verwirrungen. Laura sieht ihrem eigenen Fame veräußerlicht dabei zu, wie Gus Van Sant, Winona Ryder und Bono quasi mit einer lebendigen Barbie-Puppe abhängen, angezogen von ihrem auf jemand anderen projizierten Talent.
Billy Corgan wurde Lauras einzige Vertrauensperson und natürlich zerbröselte diese aufwendige Persönlichkeitsspaltung, die sich vollkommen verselbstständigt hatte, letztlich auf der großen Bühne der Popkultur.
Alleine die Stelle in der Doku, in der Courtney Love am Telefon Koks zieht, ist Gold wert.
Wie Author: The JT LeRoy Story aber dieses wunderschöne, obskure Netz aus detailreich erzählten wahren Lügen beschreibt, ist feinstens ausgearbeitet, intim erzählt und wunderschön gefilmt. Alleine die Stelle in der Doku, in der Courtney Love am Telefon Koks zieht, ist bereits Gold wert. Man fragt sich zwar auch, wie schon bei Making a Murderer, woher bitte diese ganzen Tapes und Telefonat-Mitschnitte eigentlich stammen – aber vermutlich sind Amerikaner einfach neurotischer, was das Dokumentieren und Aufheben solcher Dinge betrifft.
Auf die Angriffe und Vorwürfe, dass sie eine Hochstaplerin sei, reagiert Laura extrem fragil – und stellt die Frage, wer schon mit Sicherheit sagen könne, wer er oder sie wirklich ist. “Maybe I’m you!” Was sonst vielleicht eher nach Philip K. Dick oder M. Night Shyamalan klingt, schafft es hier, völlig unprätenziös und spannend rüberzukommen. Außerdem erklärt Laura sehr nachvollziehbar, dass es ihr Ziel nicht war, alle auszutricksen oder elaborierte Performance-Kunst zu schaffen, sondern ein “gesundes menschliches Wesen zu sein”.
Ich liebe, dass der Film aus der ausgelutschten Message “Sei, was du sein willst” viel akkurater und herzlicher “Sei, was du sein musst” macht. Unbedingt anschauen – und dann sich selber, mal ganz genau.
Josef auf Twitter: @theZeffo