Die Thüringer Kreisstadt Eisenberg hat vieles, das sie bei ihrem Stadtfest ehren könnte: die jahrhundertealte Klaviermanufaktur etwa; oder die Tradition, Thüringer Bratwürste zu stopfen – immerhin bezeichnet die Verwaltung die Fleischindustrie als eine der “Hauptbranchen” der Stadt. Doch am Wochenende feiern die Eisenberger und Eisenbergerinnen das, wie sie es nennen, “Mohrenfest”. Auch im Wappen der Stadt ist ein Sklave mit verbundenen Augen. Das Fest und der Sklave, so die Eisenberger, bezieht sich auf eine Sage aus der Zeit der Kreuzzüge, die gefeiert werden könne. Doch nicht alle Thüringer und Thüringerinnen scheinen sich auf das Fest zu freuen.
Das Thüringer Büro der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) hat am Dienstag einen offenen Brief an den Bürgermeister der Stadt, Michael Kieslich, geschrieben. Darin fordert es vom CDU-Politiker: Eisenberg muss sich mit rassistischen und kolonialen Klischees in seiner Geschichte auseinandersetzen. Der Brief liegt VICE vor. Kieslich offenbar nicht. Er erklärt am Mittwoch gegenüber der Redaktion, das Schreiben sei nicht an ihn weitergeleitet worden. Dennoch sehe er keinen Grund, “die Eisenberger Geschichte und die damit verbundene Sage in irgendeiner Form zu überdenken”.
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Auch eine Art, ein Stadtfest zu veranstalten: Karibischer Karneval in Brooklyn
Im Gegenteil: Die “Mohrensage” zeige, dass es wichtig sei, genauer hinzuschauen, um eine richtige Entscheidung treffen zu können. In der Happy-End-Geschichte der Stadt Eisenberg sieht diese Entscheidung so aus:
“Vor vielen hundert Jahren […] hatte sich einer dieser Grafen von einem Kreuzzuge nach dem Heillgen Lande nach der Sitte der damaligen Zeiten einen Mohren als Diener mitgebracht. Wegen ihrer Treue waren die Mohren hoch geschätzt. Lange Zeit hatte er nun auch dem Grafen treu und ehrlich gedient, als eines Tages dessen Gemahlin ihre kostbare, goldene Kette vermisste und trotz allen Suchens nicht wiederfinden konnte. Von den gräflichen Dienern war an dem Tag, an dem die Kette verloren ging, nur der Mohr um die Gräfin und in deren Zimmer gewesen. Auf diesen fiel daher sogleich der Verdacht […]. Auf der Stelle wurde er verhört, gefangen genommen und obwohl er unter Tränen und Flehen seine Unschuld beteuerte, zum Tode verurteilt.”
So erzählt die Stadt Eisenberg die Sage auf ihrer Website nach. Dort heißt es auch, die Gräfin hatte ihre Kette am Ende selbst verlegt. Als Entschädigung schenkte der Graf dem fälschlich Beschuldigten sein Leben, die Freiheit und den Platz auf dem Stadtwappen. Der Graf habe so die Ehre des Mannes wiederherstellen wollen. Auch deshalb veranstaltet die Stadt Eisenberg am kommenden Wochenende das “Mohrenfest”. Und lässt dafür unter anderem ein weißes Kind mit braun angemaltem Gesicht und Afro-Perücke auftreten.
Das Stadtfest “strotzt vor kolonialen und rassistischen Klischees”
Die Initiative Schwarzer Menschen findet dieses Präsent aber offensichtlich alles andere als ehrbar. Die Sage lasse sich “mit einem ehrlichen Blick” auch anders interpretieren, schreibt sie in ihrem Brief an Bürgermeister Kieslich: “Ein weißer Europäer überfällt eine Region im Nahen Osten und bringt sich einen schwarzen Sklaven zurück”, so die Initiative. “Jahrhunderte später setzt man dem ein Denkmal, das in Namen und Darstellung nur so strotzt vor kolonialen, rassistischen Stereotypen und Klischees.”
Tatsächlich liegen der Sage und dem damit verbundenen Stadtfest nicht nur ziemlich einseitige Darstellungen von Sklaverei und Kolonialisierung zugrunde, sondern auch rassistische Begriffe und Problematiken: Organisationen wie die ISD lehnen die Bezeichnung “Mohr” für Schwarze Menschen ab und fordern unter anderem die Umbenennung der Berliner “Mohrenstraße”. Feste, bei denen weiße Menschen mit Blackfacing Schwarze Personen imitieren, werden immer wieder kritisiert. Und Racial Profiling sorgt auch heute dafür, dass nicht-weiße Menschen zu Unrecht kontrolliert, verhaftet oder sogar angegriffen werden.
Würde sich die Stadt Eisenberg kritisch mit ihrer Geschichte auseinandersetzen, käme das Stadtfest womöglich so nicht zustande. Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland fordert, dass die Stadt eine Aufarbeitungs-Kommission bildet und aufhört, Rassismus und Kolonialgeschichte zu feiern. Der Bürgermeister Kieslich sagt, er sei offen für einen Dialog mit der Initiative. Die Botschaft des Stadtfestes zu überdenken hält er dennoch nicht für notwendig. “Das Mohrenfest ist ein Ort der Vielfalt“, erklärt Kieslich. “Es stellt die gesamte Breite der Gesellschaft dar.”
Vielleicht zeigt das Stadtfest mit angemalten weißen Kindern für Kieslich und viele andere Menschen tatsächlich ihre Idee einer vielfältigen Gesellschaft. Viele Schwarze Menschen sehen das aber offensichtlich nicht so. Und allein das könnte die Verwaltung der Stadt eigentlich dazu bringen, noch einmal über ihr Konzept von Vielfalt nachzudenken.
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